TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/7 99/18/0055

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Veröffentlicht am 07.07.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des E O in Wien, geboren am 30. Oktober 1968, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. Dezember 1998, Zl. SD 595/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 28. Dezember 1998 wurde gemäß § 75

Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1990 im Bundesgebiet. Einer Eintragung in seinem Reisepass zufolge sei er am 20. März 1994 nach Nigeria ausgereist und dort bis zum 22. April 1994 verblieben. Am 25. Juli 1994 sei er neuerlich nach Nigeria ausgereist. Nach seinem Vorbringen hätte er während dieses Aufenthaltes an einer Versammlung der Unabhängigkeitsbewegung "Biafra-Front" teilgenommen, welche von Sicherheitskräften mit Waffengewalt aufgelöst worden wäre, wobei 80 Teilnehmer getötet und mehr als 250 Personen verhaftet worden wären. Der Beschwerdeführer hätte davon erfahren, dass er von der Polizei gesucht würde, und deshalb das Land verlassen. Im Fall der Rückkehr hätte er mit langjährigem Lageraufenthalt, Verurteilung, Folter und unter Umständen mit dem Tod zu rechnen.

Den verfahrenseinleitenden Antrag habe der Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 17. März 1998 gestellt, ohne ihn näher zu begründen. Eine nähere Begründung hätten erst die nachfolgenden Schriftsätze enthalten. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer bereits am 29. Mai 1995 in Schubhaft genommen worden sei. Bemerkenswerter Weise habe er damals weder in seiner Stellungnahme vom 9. Mai 1995 noch bei der Vernehmung am 25. September 1995 Andeutungen gemacht, dass er in seiner Heimat verfolgt werde. Das - nicht bescheinigte - Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch aus anderen Gründen unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe im Schriftsatz vom 4. August 1998 angegeben, das Treffen (der "Biafra-Front") hätte am 5. August 1994 stattgefunden. Danach hätte er sich einige Tage im Wald versteckt und schließlich dank eines bestochenen Beamten, der ihn als Priester verkleidet hätte, flüchten können. Dem stehe die vom Beschwerdeführer selbst vorgelegte Bestätigung eines Reisebüros entgegen, wonach der Rückflug bereits am 6. August 1994 erfolgt sei. Weiters habe der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 20. Mai 1998 angegeben, er hätte an der Versammlung der "Biafra-Front", für die er sich schon früher engagiert hätte, teilgenommen. Im Schriftsatz vom 4. August 1998 habe er dies anders dargestellt. Danach wäre er von dem Ältesten und Führer dieser Organisation zur Teilnahme als Sprecher gezwungen worden. Im Schriftsatz vom 20. Mai 1998 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, sein Cousin wäre nach den Vorfällen verhaftet worden und seither verschollen. Laut Schriftsatz vom 4. August 1998 wäre hingegen die gesamte Familie des Beschwerdeführers von einem Geheimtribunal zu einer 20-jährigen Haftstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt worden.

Aufgrund dieser Ungereimtheiten und Widersprüche und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer während seiner Schubhaft im Jahr 1995 von den angeblichen Vorfällen in Nigeria nichts erwähnte, könne sich die Behörde "des Eindrucks nicht erwehren" dass die vom Beschwerdeführer beschriebenen Verfolgungs- bzw. Bedrohungsgründe nur konstruiert seien, um der drohenden Abschiebung zu entgehen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1998, Zl. 98/18/0120).

2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid und meint, die Argumente der belangten Behörde für seine Unglaubwürdigkeit seien "an den Haaren herbeigezogen". Dass er seinen Antrag bei der Vernehmung am 17. März 1998 nicht begründet habe, sei darauf zurückzuführen, dass die vernehmenden Beamten der Justizanstalt Hirtenberg in fremdenpolizeilichen Belangen nicht geschult seien. Bei der Vernehmung am 25. September 1995 habe der Beschwerdeführer keine Veranlassung gehabt, Ausführungen zur Verfolgungsgefahr in Nigeria zu machen, weil er an diesem Tag infolge eines Freispruches in einem gerichtlichen Verfahren enthaftet worden sei und daher nicht mit seiner Abschiebung habe rechnen müssen. Aus der Bestätigung des Reisebüros gehe lediglich hervor, für welchen Tag er den Rückflug aus Lagos nach Wien gebucht habe, nicht jedoch, wann er tatsächlich geflogen sei. Die Behörde habe zwischen seinen Ausführungen betreffend die Teilnahme an einer Versammlung am 5. August 1994 und seinen nachfolgenden Angaben, wonach er zur Teilnahme an der Versammlung gezwungen worden sei, ohne Begründung einen Widerspruch konstruiert. Der Schriftsatz vom 20. Mai 1998 habe nur eine allgemeine Stellungnahme enthalten, während er im Schriftsatz vom 4. August 1998 auf konkrete Fragen der Behörde detailliert geantwortet habe. Daraus sei zu erklären, warum er zunächst nur von der Verhaftung seines Cousins und dann erst von der Verurteilung seiner ganzen Familie gesprochen habe.

3. Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 2. Mai 1995 wurde dem Beschwerdeführer, der sich damals wegen eines Suchtgiftdeliktes in Untersuchungshaft befand, mitgeteilt, dass im Anschluss an die gerichtliche Haft die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und der Abschiebung geplant sei. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht hat die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bei seiner hiezu am 9. Mai 1995 verfassten Stellungnahme mit keinem Wort die im nunmehrigen Verfahren geltend gemachten, damals erst kurz zurückliegenden Gründe für seine Bedrohung in Nigeria erwähnte, in unbedenklicher Weise als Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers herangezogen. Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Stellungnahme musste der Beschwerdeführer aufgrund des laufenden Strafverfahrens und der beabsichtigten Verhängung der Schubhaft mit seiner Abschiebung rechnen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer in dieser Situation die seinem nunmehrigen Vorbringen nach sehr gravierende Bedrohung in Nigeria - würde sie tatsächlich vorliegen - erwähnt hätte, ist nicht unschlüssig.

An der Schlüssigkeit dieses Arguments ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 25. September 1995 infolge der zuvor aufgrund des Freispruches im wesentlichen Anklagepunkt erfolgen Enthaftung tatsächlich nicht mehr mit einer Abschiebung nach Nigeria rechnen musste.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Schriftsatz vom 20. Mai 1998 ausgeführt, er habe während seines Aufenthaltes in Nigeria an einer Versammlung der Unabhängigkeitsbewegung (Biafra-Front), für die er sich bereits früher engagiert habe, teilgenommen. Diese friedliche Versammlung sei von Sicherheitskräften mit Waffengewalt aufgelöst worden, wobei 80 Teilnehmer getötet und mehr als 250 Personen verhaftet worden seien. Die Verhafteten seien ohne richterlichen Haftbefehl in Lager deportiert worden. Darunter habe sich auch sein namentlich genannten Cousin befunden, der seither verschollen sei.

Im Schriftsatz vom 4. August 1998 führt er aus, dass am 5. August 1994 ein "geheimes Treffen" der "Biafra-Front" stattgefunden habe. Er sei von den Ältesten und Führern dieser Organisation zur Teilnahme als Sprecher gezwungen worden. Als Folge der gewaltsamen Auflösung dieses Treffens sei es zu einem zweitägigen Aufstand der Bevölkerung gekommen. Dabei habe es Plünderungen gegeben. Älteste, Regierungsbeamte und Soldaten seien getötet worden. Die Verwüstungen und Todesfälle seien zu Unrecht der "Biafra-Front" zugeschrieben worden. Der Beschwerdeführer habe sich einige Tage im Wald versteckt. Mit Hilfe eines bestochenen Regierungsbeamten sei ihm die Flucht gelungen. Am 8. August 1994 sei er in Österreich gelandet. Einige Tage später habe er erfahren, dass der Beamte, der ihm zur Flucht verholfen habe, zusammen mit seiner Familie verhaftet worden sei. Er sei von einem "Geheimtribunal" zum Tod verurteilt worden. Die Familie des Beschwerdeführers sei zu einer 20-jährigen Haftstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt worden. Der Vorsitzende des "Geheimtribunals", das die Familie des Beschwerdeführers verurteilt habe, sei der nunmehrige Staatspräsident von Nigeria gewesen.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung steht die Aussage, dass der Beschwerdeführer zur Teilnahme an dem Treffen als Sprecher gezwungen worden sei, im Widerspruch zur Aussage, er habe daran teilgenommen, weil er sich bereits früher für diese Organisation engagiert habe. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 20. Mai 1998 nichts davon erwähnte, dass sein Fluchthelfer zum Tod und seine Familie zu einer 20-jährigen Haftstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt worden sei, kann entgegen der Beschwerde nicht damit erklärt werden, dass diese Stellungnahme lediglich allgemein gehalten gewesen sei, während jene vom 4. August 1998 auf konkrete Fragen detailliert eingegangen sei. Zum einen wurde der Beschwerdeführer mit dem behördlichen Schreiben vom 13. Juli 1998, das zur Stellungnahme vom 4. August 1998 führte, nicht nach dem Schicksal seiner Familie und seines Fluchthelfers befragt, zum anderen ist die Aussage betreffend die Verurteilung seiner "Familie" nicht konkreter und detaillierter als jene über die Verhaftung seines - namentlich genannten - Cousins.

Aus den wiedergegebenen Inhalten der Schriftsätze vom 20. Mai 1998 und vom 4. August 1998 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen deutlich gesteigert hat. Während er nach dem Inhalt des früheren Schriftsatzes lediglich Teilnehmer der Versammlung vom 5. August 1994 gewesen sei, habe er nach dem späteren Schriftsatz dort als Sprecher fungiert. Zunächst vermeinte er, dass sein Cousin ohne richterlichen Befehl verhaftet worden sei, während nach dem späteren Vorbringen nicht nur sein Fluchthelfer zum Tod sondern sogar seine ganze Familie zu einer 20-jährigen Haftstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt worden sei. Der Vorsitzende des die Verurteilungen aussprechenden "Geheimtribunals" sei - zufällig - der nunmehrige Staatspräsident Nigerias gewesen.

Es liegen somit tatsächlich "Ungereimtheiten" und Widersprüche vor, die die belangte Behörde in schlüssiger Weise zum Anlass genommen hat, dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Glauben zu schenken.

Auch wenn die Umstände, dass der Beschwerdeführer bei seiner - insgesamt äußerst kurz gehaltenen - niederschriftlichen Vernehmung vom 17. März 1998 nur ausführte, in Nigeria politisch verfolgt zu werden, ohne dies näher zu begründen, und dass er ausführte, trotz des laut Bestätigung eines Reisebüros für den 6. August 1994 gebuchten Rückfluges aus Lagos tatsächlich erst am 8. August zurückgeflogen zu sein, keine Indizien gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers darstellen, begegnet die Beweiswürdigung der belangten Behörde bereits aufgrund der oben dargestellten Argumente im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.

4. Da die belangte Behörde somit dem gesamten Vorbringen betreffend das Bestehen einer Bedrohungssituation des Beschwerdeführers Nigeria in unbedenklicher Weise keinen Glauben geschenkt hat, stößt ihre Rechtsansicht, dass keine stichhaltigen Gründen für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in Nigeria im Sinn von § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gefährdet bzw. bedroht, auf keinen Einwand.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999180055.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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