Entscheidungsdatum
24.01.2019Index
L82007 Bauordnung TirolNorm
BauO Tir 2018 §33 Abs3 litaText
Das Landesverwaltungsgericht Tirol fasst durch seine Richterin Drin Mair über die Beschwerde der Frau AA und des Herrn BB, beide whft Adresse 1, Z, gegen den Bescheid des Stadtmagistrats Z vom 20.09.2018, Zl ****, betreffend ein Verfahren nach der Tiroler Bauordnung 2018 den
B E S C H L U S S
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtmagistrat Z zurückverwiesen.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang, Beschwerdevorbringen:
Mit am 29.05.2018 bei der belangten Behörde eingelangtem Bauansuchen begehrte die CC (im Folgenden: Bauwerberin) die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer textilen Überdachung und einer Einhausung der bestehenden Terrasse, die Änderung der Stellplätze sowie für den Abbruch des Obergeschosses am Bestandsobjekt Adresse 2, Z, Gst Nr **1/1, KG Y. Der Eingabe war eine Baubeschreibung und ein Einreichplan, DD, Mai 2018, angeschlossen. Zudem brachte die Bauwerberin mit gleichem Tag einen Plan der Tiefgarage Adresse 3, Z, ein, in der 13 Stellplätze nachgewiesen würden.
Mit Eingabe vom 26.06.2018 brachte die Bauwerberin zum Bauansuchen einen Nachtrag des Inhalts ein, dass eine Erhöhung der Verabreichungsplätze beantragt werde. Im Inneren würden die Verabreichungsplätze von 42 auf 74 Plätze erhöht werden. Auf der Terrasse seien in der letzten Bewilligung 24 Sitzplätze dargestellt gewesen, nun werde die Anzahl auf 52 Plätze erhöht. Die vorgesehene Beschattung sei eine mobile, textile Beschattung, die nur temporär benützt würde.
Mit Schreiben vom 19.07.2018 brachte die belangte Behörde der Bauwerberin die Stellungnahme der Verkehrsplanung vom 11.07.2018 zur Kenntnis, wonach 5 zusätzliche Stellplätze sowie 4,5 m² Radabstellfläche erforderlich seien. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Änderung der Stellplätze in der Tiefgarage im Anwesen Adresse 3 eine bewilligungspflichtige Maßnahme darstelle und die in der Fahrgasse eingezeichneten Stellplätze daher derzeit nicht als Nachweis herangezogen werden könnten.
Mit Schreiben vom 30.07.2018 teilte die Bauwerberin der belangten Behörde mit, dass die in der Fahrgasse liegenden Garagenplätze 25a und 25b aus den nachzuweisenden Parkplätzen herausgenommen würden und sie stattdessen zwei andere Parkplätze in der Tiefgarage Adresse 4 mit (beigefügtem) unbefristetem Vertrag (abgeschlossen mit der EE) angemietet hätte. Die Fahrradfläche sei in einem Auszugsplan auf die richtige Größe eingezeichnet worden.
Mit 05.06.2018 erstattete die Stadtplanung ihre gutachterliche Stellungnahme. Mit 09.08.2018 erstattete die Bau- und Feuerpolizei ihre gutachterliche Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 18.09.2018 reichte die Bauwerberin Mietverträge betreffend Abstellplätze in der Tiefgarage der Adresse 3 nach und schloss neuerlich den Mietvertrag betreffend die zwei Abstellplätze Adresse 4 an.
Mit Bescheid vom 20.09.2018, Zl ****, erteilte der Stadtmagistrat Z die baubehördliche Bewilligung für das beantragte Bauvorhaben (Spruchpunkt I). Es wurde festgelegt, dass für dieses Bauvorhaben 6 Stellplätze erforderlich sind. Diese würden auf Gst Nr **2/1, KG Y, sowie in Mietverträgen nachgewiesen (Spruchpunkt II). Es wurde weiters festgelegt, dass für dieses Bauvorhaben eine Stellfläche für Fahrräder in der Größe von 4,5 m² erforderlich ist. Diese Stellfläche werde auf eigenem Grund errichtet (Spruchpunkt III).
Die im Vorspruch des Bescheides angeführte Baubeschreibung zum Bauvorhaben lautet wie folgt:
„Verabreichungsplätze:
Die Verabreichungsplätze der bewilligten Pizzeria im Anwesen Adresse 5 sollen um 60 Sitzplätze erhöht werden:
Gastraum von 42 Verabreichungsplätzen auf 74 Verabreichungsplätze
Terrasse von 24 Verabreichungsplätzen auf 52 Verabreichungsplätze
Textile Überdachung Terrasse:
Die bewilligte Terrasse soll mittels einer mobilen, textilen Überdachung beschattet werden. Die Unterkonstruktion wird in Stahlbauweise errichtet und auf Einzelfundamenten gegründet bwz an den Wänden des Gebäudes verankert. Die Terrasse wird mit einer 1,80 Meter hohen Brüstung in Glas eingefasst.
Überdachung Fahrradabstellplätze:
Die Überdachung der Fahrradabstellplätze wird gegenüber der Genehmigung um ca 4,00 Meter nach Süden hin verschoben. Die Überdachung wird um 3,10 Meter länger gestaltet, die Abmessungen betragen somit 6,00 Meter auf 1,80 Meter.
Abbruch Aufstockung:
Die bewilligte Aufstockung der Pizzeria sowie die nördlich situierte Wendeltreppe werden abgebrochen bzw nicht ausgeführt.
Gebäudeabmessungen, Höhenlage:
Die maximalen Grundrissabmessungen der textilen Überdachung der Terrasse sind mit einer Breite in Ost-West-Richtung von 10,71 Metern und einer Tiefe in Nord-Süd-Richtung von 3,51 bzw 7,46 Metern geplant.
Der Hochpunkt der Unterkonstruktion ist mit +4,10 Metern Höhe, der Tiefpunkt mit +3,75 Metern geplant.
Gebäudeanordnung, Abstandsbestimmungen:
Entsprechend dem Bebauungsplan **** sind eine Straßenfluchtlinie, eine Baufluchtlinie, die offene Bauweise, 3 oberirdische Geschoße sowie eine maximale Bauplatzgröße festgelegt.
Aufgrund der geplanten Situierung des Gebäudes auf dem Grundstück ergeben sich zu den Grenzen des Bauplatzes bzw zu den angrenzenden Grundstücken hin folgende wesentliche Abstände:
Entlang der Burgenlandstraße verlaufen die Straßenflucht- und Baufluchtlinien. Die Überdachung der Terrasse und die Überdachung für die Fahrräder befinden sich hinter der Baufluchtlinie.
Zu den östlich, südlich und westlich angrenzenden Grundstücken hin sich die Abstandsbestimmungen der offenen Bauweise einzuhalten.
Der Abstand der Überdachung der Terrasse zur westlichen Grundstückgrenze beträgt zumindest 4,00 Meter.
Baumasse:
Keine neu hinzukommende Baumasse gemäß § 2 Abs 5 Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetz (TVAG). Die Baumasse des Bestandes beträgt 1.352,69 m³, die Baumasse des anrechenbaren Abbruchs beträgt 399,23 m³ (Grundlage: Baubescheid vom 15.11.2017, Zl. ****).“
Mit Schreiben vom 01.10.2018 teilte die EE der belangten Behörde mit, dass die Bauwerberin den Mietvertrag betreffend die zwei Abstellplätze Adresse 4 mit Schreiben vom 24.09.2018 und Wirkung vom 31.10.2018 aufgekündigt habe.
In ihrer fristgerechten Beschwerde vom 17.10.2018 monieren Frau AA und Herr BB (im Folgenden: Beschwerdeführer) als östlich an das Baugrundstück angrenzende Nachbarn (Adresse 3, Gst **2/1), dass nunmehr eine mehr als doppelte Anzahl an zusätzlichen Verabreichungsplätzen im Gastraum und auf einer Terrasse baubehördlich bewilligt worden sei. Im Bescheid werde nunmehr von einer Pizzeria gesprochen, wofür nach dem Informationsstand der Beschwerdeführer die gewerberechtliche Bewilligung fehle. Der Bescheid der Gewerbe- und Betriebsanlagenbehörde **** ziele auf einen Imbiss ab. Die Erhöhung der Anzahl der Verabreichungsplätze von 66 auf 126 in direktem Anschluss an ihre Liegenschaft werde ausdrücklich abgelehnt. Von außenliegenden 52 Verabreichungsplätzen, welche mit einer textilen Überdachung geschützt würden und bis 23:00 Uhr täglich geöffnet sein könnten, sei eine laufende Lärmbelästigung zu erwarten, die nicht ortsüblich sei. Gegen diese Lärmimmissionen werde Beschwerde erhoben. Bezugnehmend auf die vorgeschriebenen Stellplätze hielten die Beschwerdeführer vor, dass die unrechtmäßige Benutzung der oberirdischen, 117 m² großen, im Zuge des Umbaus ohne Rechtsgrundlage durch die Bauwerberin asphaltierten, unmittelbar nördlich an das Gebäude Adresse 3 anschließenden Fläche durch Beschäftigte und Besucher des FF Gegenstand von Abwehrmaßnahmen Seitens der Liegenschaftseigentümer wären. Die nachgewiesenen Tiefgaragenparkplätze des Hauses Adresse 3 lägen im 2. UG und seien derzeit mit einer Schrankenanlage nur für Parkplatzeigentümer bzw Mieter mit einem Schlüssel oder einer Fernbedienung zugänglich. Der im 1. UG befindliche Teil der GG Kundengarage sei für dessen Kunden zweckgewidmet und auch zeitlich eingeschränkt zugänglich. Es werde berechtigter Zweifel geäußert, dass hier eine vorschriftsmäßige Parklösung für 11 Autos geschaffen worden sei.
In weiterer Folge holte die belangte Behörde – veranlasst durch das einschlägige Beschwerdevorbringen - ein immissionstechnisches Amtssachverständigengutachten vom 02.11.2018 ein.
Mit Schreiben vom 26.11.2018 wies die belangte Behörde die Bauwerberin unter anderem auf Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit den bereit gestellten Stellplätzen (Kündigung von zwei Stellplätzen, teilweise Heranziehung von Stellplätzen zu mehrfachem Nachweis für verschiedene Bauvorhaben) hin.
Mit Vorlageschreiben vom 14.12.2018 legte die belangte Behörde den gesamten Bauakt dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vor.
II. Beweiswürdigung:
Beweis genommen wurde durch Einsicht in den vorgelegten Akt der belangten Behörde.
III. Rechtslage:
Es gilt folgende maßgebliche Bestimmungen der Tiroler Bauordnung 2018, LGBl Nr 28/2018 (WV):
„§ 33
Parteien
(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber, die Nachbarn und der Straßenverwalter.
(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke,
a) die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 15 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen und
b) deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 50 m zu einem Punkt der baulichen Anlage oder jenes Teiles der baulichen Anlage, die (der) Gegenstand des Bauvorhabens ist, liegen.
Nachbarn sind weiters jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt.
(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:
a) der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist,
….
(….)“
Es gilt folgende maßgebliche Bestimmung des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2016, LGBL Nr. 101/2016 (WV):
„§ 37
Bauland
(…)
(4) Die Eignung von Grundflächen als Bauland ist in Bezug auf Beeinträchtigungen durch Lärm jedenfalls gegeben, wenn der nach dem Stand der Technik ermittelte Beurteilungspegel an den jeweiligen Grundstücksgrenzen in den Zeitabschnitten Tag, Abend und Nacht abhängig von der Widmung folgende dB-Werte nicht übersteigt:
Tag
Abend
Nacht
6:00 bis 19:00 Uhr
19:00 bis 22:00 Uhr
22:00 bis 6:00 Uhr
Wohngebiet
50 dB
45 dB
40 dB
gemischtes Wohngebiet oder Tourismusgebiet
55 dB
50 dB
45 dB
Kerngebiet oder landwirtschaftliches Mischgebiet
60 dB
55 dB
50 dB
allgemeines Mischgebiet
65 dB
60 dB
55 dB
Grundflächen, hinsichtlich deren die Einhaltung der maßgebenden dB-Werte nicht gewährleistet werden kann, deren Eignung als Bauland aber unter der Voraussetzung einer bestimmten Anordnung oder baulichen Beschaffenheit von Gebäuden oder sonstiger baulicher Vorkehrungen in deren Bereich oder bestimmter organisatorischer Vorkehrungen gegeben ist, dürfen als Bauland gewidmet werden, wenn die erforderlichen Maßnahmen ergänzend zur Widmung als Bauland textlich festgelegt werden.
(…)
§ 38
Wohngebiet
(...)
(5) Die Wohnqualität gilt in Bezug auf Lärm durch ein Bauvorhaben jedenfalls dann nicht als wesentlich beeinträchtigt, wenn der nach dem Stand der Technik ermittelte Beurteilungspegel an den jeweiligen Grundstücksgrenzen in den Zeitabschnitten Tag, Abend und Nacht
a) die nach § 37 Abs 4 entsprechend der Widmung maßgebenden dB-Werte nicht übersteigt oder
b) unter Zugrundelegung der örtlichen Gegebenheiten um nicht mehr als 1 dB angehoben wird.
§ 40
Mischgebiete
(1) Mischgebiete sind das allgemeine Mischgebiet, das Kerngebiet, das Tourismusgebiet und das landwirtschaftliche Mischgebiet. In den Mischgebieten dürfen die im § 38 Abs 1 lit. a, b und c genannten Gebäude sowie nach Maßgabe der Abs. 2 bis 5 sonstige Gebäude errichtet werden, die unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten die Wohnqualität im betreffenden Gebiet, insbesondere durch Lärm, Geruch, Luftverunreinigungen oder Erschütterungen, nicht wesentlich beeinträchtigen. Gebäude für Anlagen von Seveso-Betrieben dürfen in Mischgebieten nicht errichtet werden.
(2) Im allgemeinen Mischgebiet dürfen die im gemischten Wohngebiet zulässigen Gebäude und Gebäude für Betriebe errichtet werden. Für das allgemeine Mischgebiet oder für Teile davon kann aus den im § 39 Abs 2 lit b bis e genannten Gründen festgelegt werden, dass außer den im gemischten Wohngebiet zulässigen Arten von Betrieben nur bestimmte weitere Arten von Betrieben zulässig oder bestimmte weitere Arten von Betrieben nicht zulässig sind.
(…)
(10) § 38 Abs 5 ist anzuwenden.“
Es gilt folgende Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl Nr. 51/1991 (WV) idF. BGBl I Nr 58/2018:
„§ 52
Sachverständige
(1) Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so sind die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen.
(2) Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen, oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde aber ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) heranziehen.
(…)“
IV. Erwägungen:
Die Beschwerdeführer sind (Mit-)Eigentümer des östlich an das Baugrundstück unmittelbar anschließenden Gst Nr **2/1, KG Y. Als solche sind sie berechtigt, die im § 33 Abs 3 TBO 2018 aufgeführten Mitspracherechte geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen.
Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz bestimmt, dass, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig ist, von der Behörde im Zuge des Ermittlungsverfahrens Sachverständige beizuziehen sind. Die Aufnahme eines Sachverständigenbeweises ist dann erforderlich, wenn zum Zwecke der Ermittlung des beweisbedürftigen und maßgeblichen Sachverhaltes (Tat-)Fragen zu klären sind, deren Beantwortung nicht schon auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern nur auf Grund besonderer Fachkenntnisse und Erfahrungen möglich ist. Die selbständige Beurteilung solcher Fachfragen ist der Behörde im Allgemeinen verwehrt. Die Behörde hat nach dem Grundsatz der arbiträren Ordnung zur Beurteilung der Notwendigkeit der Beiziehung eines Sachverständigen dabei von Amts wegen vorzugehen. Die Entscheidung, ob ein Sachverständiger beizuziehen ist, liegt nicht im Ermessen der Behörde, sondern bestimmt sich aus der objektiven Notwendigkeit zur fachgerechten Klärung der jeweiligen Sachfrage. Die Unterlassung der Einholung eines notwendigen Sachverständigengutachtens belastet den in der Sache ergehenden Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel. Sämtliche notwendigen Sachverständigengutachten haben nach entsprechender Beweiswürdigung in die behördliche Entscheidung einzufließen.
Für die Frage, welcher Sachverständige im konkreten Einzelfall beizuziehen ist, ist ausschlaggebend, welchem Fachgebiet die zu lösende Sachfrage zuzuordnen ist.
Als Gegenstand des vorliegenden Bauverfahrens sind eine Erhöhung der Anzahl der Verabreichungsplätze der Pizzeria im Anwesen Adresse 5 wie auch verschiedene dazu dienende bauliche Maßnahmen beantragt. Zusätzliche Verabreichungsplätze sollen dabei sowohl im Inneren des Gebäudes wie auch auf der, nördlich dem Gebäude vorgelagerten Terrasse geschaffen werden. Diese Terrasse soll dabei mit einer in Glas ausgeführten Brüstung mit einer Höhe von 1,80 eingefasst werden. Eine Beschattung dieser Terrasse ist in Form einer mobilen, textilen Überdachung vorgesehen. In ihrer Ergänzung vom 26.06.2018 betont die Bauwerberin im Besonderen die nur temporäre Nutzung dieser Überdachung. Aufgrund des vorliegenden Akteninhaltes ergibt sich eine Erhöhung der bestehenden Verabreichungsplätze in Summe um 60 Plätze und damit auf fast das Doppelte der bestehenden Plätze.
Dass eine derartige zahlenmäßige Erhöhung von Verabreichungsplätzen zusätzliche Auswirkungen in qualifiziert lärmmäßiger Hinsicht bedingt, liegt in der allgemeinen Lebenserfahrung. Im Besonderen steht auch Nachbarn eines Bauverfahrens ein subjektiv-öffentliches Mitspracherecht dahingehend zu, dass die Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist, eingehalten werden. Sieht die entsprechende raumordnungsrechtliche Vorschrift einen Immissionsschutz vor, bedarf es zur ordnungsmäßigen Abklärung dieser einschlägigen Vorschrift damit jedenfalls eines immissionstechnischen sowie - je nach dessen Ergebnis – auch allfällig eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Die einzuhaltenden rechtlichen Parameter für derartige immissionsrechtliche Prüfungen geben bei gegenständlicher Widmung des Baugrundstückes als gemischtes Wohngebiet die widmungsrechtlichen Vorschriften des § 40 Abs 1, 2 und 10 Tiroler Raumordnungsgesetz 2016 vor.
Die belangte Behörde hat es vorliegend gänzlich unterlassen, vor Bescheiderlassung entsprechende gutachterliche Abklärungen vorzunehmen. Der notwendige Sachverhalt in immissionsmäßiger Hinsicht wurde im behördlichen Verfahren vor Bescheiderlassung gänzlich nicht geklärt. Der Zweck des Ermittlungsverfahrens besteht aber in der umfassenden Klärung des maßgeblichen Sachverhalts. § 39 iVm § 37 AVG normiert, dass die Behörde von sich aus den vollständigen und wahren entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Aufnahme aller notwendiger Beweise unter deren Würdigung feststellen muss. Diese Beweisergebnisse haben in ihre Entscheidung einzufließen.
Mit der umfassenden Klärung des maßgeblichen Sachverhalts durch die Behörde dient das Ermittlungsverfahren auch der maßgeblichen Zielsetzung, den Parteien in diesem Verfahren Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Insbesondere ist ihnen gemäß § 45 Abs 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Als Prozessgrundrecht soll dieses Mitwirkungsrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei haben, und soll damit der Ermittlung der materiellen Wahrheit dienen. Wie schon der Parteistellung im Allgemeinen kommt dem – daran anknüpfenden – Recht auf Gehör im Besonderen nicht nur eine rechtsstaatliche, sondern auch eine demokratische Funktion insofern zu, als die Parteien dadurch auch an der Erzeugung der sie betreffenden individuellen Normen mitwirken können. Ohne Gewährung von Parteiengehör kann nach VwSlg 206 A/1947 nicht von einem Ermittlungsverfahren im Sinne des AVG gesprochen werden. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs bildet sohin einen 'Kardinalgrundsatz' jedes behördlichen Verfahrens, der nicht bloß subsidiär Geltung beansprucht.
(vgl hiezu Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Manz Kommentar, 2. Teilband, § 37, RZ 11).
Der Sachverhalt in immissionstechnischer Hinsicht wurde von der Behörde für ihre Entscheidung gänzlich nicht geklärt. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass nachträglich nach Bescheiderlassung bedingt durch entsprechenden Beschwerdeeinwand eine gutachterliche Beurteilung durch den immissionstechnischen Sachverständigen eingeholt wurde. Die gutachterliche Beurteilung vom 09.11.2018 ist nicht in die Entscheidung der belangten Behörde eingeflossen. Auch nach Einholung des immissionstechnischen Gutachtens noch innerhalb offener zweimonatiger Frist (die Beschwerde langte am 17.10.2018 bei der Behörde ein) hat die belangte Behörde dieses nicht in einer Beschwerdevorentscheidung in eigener Willensbildung umgesetzt. Vielmehr wurde der gesamte Akt dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 14.12.2018 zur Entscheidung vorgelegt.
Der maßgebliche Sachverhalt wurde in notwendiger immissionsmäßiger Hinsicht zum Entscheidungszeitpunkt gänzlich nicht geklärt. Wäre bei vorliegender Sach- bzw Verfahrenslage das Ermittlungsverfahren in immissionsmäßiger Hinsicht durch das Landesverwaltungsgericht Tirol (trotz außerhalb des behördlichen Entscheidungsverfahrens veranlasstem Gutachten) in maßgeblicher Weise zur Gänze erstmals zu führen, rechtfertigt sich bei solcherartiger Sachlage im Lichte einschlägig ergangener höchstgerichtlicher Judikatur die gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ausgesprochene Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Ermittlung und entscheidungsreifen Abklärung des Sachverhalts in beschriebenem Sinne. In Anbetracht der weiter zu setzenden Ermittlungsschritte ist eine entsprechende Klärung des Sachverhaltes durch das Landesverwaltungsgericht Tirol selbst weder rascher noch erheblich kostengünstiger möglich. Das Landesverwaltungsgericht Tirol sah sich daher zur Führung dieses Ermittlungsverfahrens nicht veranlasst.
In diesem inhaltlichen Zusammenhang wird bezogen auf das immissionstechnische Gutachten an dieser Stelle an sich nur punktuell etwa ausgeführt, dass sich aus den gutachterlichen Ausführungen zwar eine Berücksichtigung - neben weiteren – auch der Emissionen aus der Nutzung des „Gastgartens“ ergibt, mit letzter Eindeutigkeit daraus jedoch nicht erkennbar ist, ob dabei die zur Verabreichung bestimmte Terrasse (auch im Sinne der Angabe vom 26.06.2018) in offener oder eingehauster bzw überdachter Nutzung als Prüfungsmaßstab angesetzt wurde bzw ob oder inwieweit diese verschiedenen Nutzungsvarianten allenfalls beachtliche immissionsrelevante Auswirkungen bedingen könnten.
Ergeben sich nach der Aktenlage im Besonderen auch Unklarheiten bzw Klärungsbedarf im Zusammenhang mit den für das Bauvorhaben notwendig zu schaffenden Abstellmöglichkeiten (Vertragsauflösung, mehrfache Anrechnung von Stellplätzen, etc), werden aber auch – im Falle, als zusätzliche Stellplätze schlagend werden - durch solche Stellplätze bedingte Immissionen in die gutachterliche Beurteilung einzufließen haben. Aus der (nachträglichen) gutachterlichen Beurteilung geht hervor, dass in dieser Beurteilung derzeit keine Parkplatzimmissionen berücksichtigt wurden, dies begründet damit, dass nach Rücksprache mit der Behörde antragsgegenständlich ausschließlich Parkplätze in der Tiefgarage Adresse 3 vorhanden wären. Der Gutachter merkte in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich an, dass im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren **** oberirdische Parkplätze auf der Liegenschaft **2/14 beantragt worden seien bzw wies der Sachverständige auf Abweichungen der Angaben hinsichtlich der Parkplatzsituation im Bauvorhaben von jenen im Betriebsanlagenverfahren hin.
Aus der Aktenlage ist evident, dass die belangte Behörde bereits Verfahrensschritte bzw Maßnahmen im Hinblick auf die Stellplatzfrage eingeleitet hat.
Unbeschadet einer im Bauverfahren bestehenden nachbarrechtlichen Beachtlichkeit der Stellplatzfrage unter immissionsrechtlichem Gesichtspunkten, greifen hingegen (rein) privatrechtliche Auseinandersetzungen – wie sie in der Beschwerde vorgebracht werden – nicht als ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht. Dem Grunde nach stehen Nachbarn eines Bauverfahrens auch weder hinsichtlich der Zahl der zu schaffenden Stellplätze und Garagen noch auch der Bestimmungen über die Zufahrt zu Baugrundstücken Mitspracherechte im Bauverfahren zu.
Monieren die Beschwerdeführer einen vom baurechtlich relevanten Verwendungszweck Pizzeria verschiedenen gewerberechtlich geführten Verwendungszweck als Imbiss, so hat dies isoliert betrachtet für das baurechtliche Verfahren selbst keine Auswirkungen. Jedoch sei angemerkt, dass für eine zulässige Verwirklichung eines Vorhabens im Sinne des im Verwaltungsrecht geltenden Kumulationsprinzips sämtliche für dieses Vorhaben notwendige Bewilligungen vorzuliegen haben.
Der Sachverhalt ist somit im Sinne der getroffenen Ausführungen durch die belangte Behörde abschließend zu klären und dazu Parteiengehör zu wahren.
Letztlich sei abschließend grundsätzlich ausgeführt, dass aufgrund der (lediglich auszugsweise und damit nicht nachprüfbar) vorgelegten Aktenteile vormalige Bauverfahren betreffend (3 Bescheide zu ****, 21.09.2015, ****, 08.04.2016 ****, 15.11.2017) grundsätzlicher Abklärungsbedarf etwa dahingehend zu sehen wäre, als so laut Bescheid vom 15.11.2017 von dem mit Bescheid vom 08.04.2016 genehmigten Baumaßnahmen die beiden Überdachungen an der südöstlichen bzw westlichen Grundstücksgrenze konsumiert werden sollten, sich aber andererseits auf diesem letztgenannten Bescheid vom 08.04.2016 ein diesen überschreibender handschriftlich gesetzter Vermerk „Verzicht“ befindet, was für sich wiederum Bedeutung für die Konsenslage als solche nach sich ziehen könnte. In der nun vorliegenden Planung scheinen diese erwähnten Bauteile jedenfalls als Bestand ausgewiesen zu sein.
Laut Bescheid vom 08.04.2016 wurde der Umbau und die Änderung des Verwendungszweckes zur künftigen Nutzung als Produktions- und Verkaufsstätte genehmigt, dazu sollte der mit Bescheid vom 21.09.2015 genehmigte Um- bzw Neubau einer Pizzeria abgeändert werden. Etwa noch in der Bewilligung vom 21.09.2015 für die ehemals beabsichtigte Pizzeria vorgesehene Baumaßnahmen (etwa Abbruchmaßnahmen) sollten daher nicht (mehr) zur Ausführung gelangen. Ob sich - mit diesem beabsichtigten neuen Verwendungszweck in Zusammenhang sehend - damit auch der auf dem Bescheid vom 08.04.2016 angebrachte Verzichtsvermerk in einer gleichen Absicht auf den mit Bescheid vom 21.09.2015 erteilten Konsens bezieht, vermag sachverhaltsmäßig aufgrund dazu unvollständig vorliegender Aktenlage nicht geklärt zu werden. Von Bedeutung könnte dies insofern sein, als mit Bescheid vom 15.11.2017 in weiterer Folge entgegen diesem neuen genehmigten Verwendungszweck Produktions- und Verkaufsstätte hingegen wiederum Adaptierungs- und Aufstockungsmaßnahmen zum Verwendungszweck als Pizzeria genehmigt wurden, wobei dieser Bescheid laut ausgewiesener Baubeschreibung seinerseits inhaltlich auf dem mit Bescheid vom 21.09.2015 genehmigten Konsens aufbaut und diesen entsprechend abändert. Mit Bescheid vom 15.11.2017 könnte aber nur dann rechtmäßiger Konsens erteilt sein, wenn auch der ihm zugrunde Konsens vom 21.09.2015 nicht (durch eben etwa Verzicht oder aber nicht zeitgerechten Baubeginn) bereits untergegangen wäre. Der gegenständlich bekämpfte Bescheid baut seinerseits auf einem mit Bescheid vom 15.11.2017 erteilten Konsens auf.
Sachverhaltsmäßig scheint daher die tatsächlich konsentierte Sachlage zumindest abklärungsbedürftig.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Drin Mair
(Richterin)
Schlagworte
Ermittlungsverfahren;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2019:LVwG.2018.39.2738.1Zuletzt aktualisiert am
31.01.2019