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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des L A, (geboren am 25. November 1974), vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. März 1999, Zl. SD 241/99, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 24. März 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer habe am 18. Dezember 1995 der Kassiererin eines Supermarktes unter Verwendung eines Messers einen Geldbetrag aus der Kassa geraubt und sei vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 14. Jänner 1997 wegen des Verbrechens des (schweren) Raubes gemäß §§ 142 und 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Umstand lasse keinen Zweifel offen, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht bloß eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit iS des § 36 Abs. 1 FrG darstelle, sondern dass ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben iS des § 37 Abs 1 leg. cit. dringend geboten sei.
Der Beschwerdeführer sei in Wien geboren, habe jedoch dann in seiner Heimat gelebt und sei zunächst lediglich drei Monate lang in der Zeit von September bis Dezember 1981 hier polizeilich gemeldet gewesen. Seinen eigenen Angaben zufolge sei er seit Sommer 1983, also seit seinem neunten Lebensjahr in Wien wohnhaft, habe hier die Schule besucht und sei auch seit damals polizeilich gemeldet. Lediglich im Jahr 1987 sei er für fünf Wochen in die Türkei abgemeldet, anschließend jedoch wieder an derselben Adresse (gemeint: in Wien) angemeldet worden. Seit Februar 1996 bis zu seiner Verhaftung sei er unbekannten Aufenthaltes und amtlich abgemeldet sowie ohne Beschäftigung gewesen und habe auch kein Arbeitslosengeld bezogen. Nach der Aktenlage habe er von Jänner 1990 bis Ende November 1992 über einen Sichtvermerk und zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung bis Ende August 1998 verfügt.
Der Beschwerdeführer sei insgesamt sechsmal rechtskräftig verurteilt worden. Durch den Jugendgerichtshof Wien seien seine erste Verurteilung am 3. April 1992 wegen Einbruchdiebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat und seine zweite Verurteilung am 4. Februar 1993 wegen Nötigung und Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten (nach Ausweis der Verwaltungsakten: als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB) erfolgt. Die bedingte Strafnachsicht sei später widerrufen worden. Eine dritte Verurteilung sei durch das Strafbezirksgericht Wien am 6. Juli 1995 wegen des Vergehens gemäß § 36 Abs. 1 Waffengesetz erfolgt. Nach der obgenannten Verurteilung wegen schweren Raubes sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 8. Oktober 1997 wegen gefährlicher Drohung und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Die sechste Verurteilung sei schließlich am 22. Juni 1998 durch das Bezirksgericht Hollabrunn wegen Sachbeschädigung ergangen.
Nicht unbeachtlich seien auch mehrere rechtskräftige Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen. So sei er wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Lenkerberechtigung mit S 6.000,--, sodann neuerlich wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung und Fahrerflucht gemäß § 4 Abs. 2 StVO zu insgesamt S 8.000,-- und wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 Meldegesetz bestraft worden. Nicht unbeachtlich sei weiters, dass er bereits nach seiner Verurteilung wegen des Vergehens nach dem Waffengesetz und nach seiner ersten Bestrafung wegen § 64 Abs. 1 KFG am 11. September 1995 ausdrücklich niederschriftlich "verwarnt" worden sei.
Der Beschwerdeführer sei zwar in Wien geboren, nach der Aktenlage und seinen eigenen Angaben jedoch - sehe man davon ab, dass er im Jahr 1987 vorübergehend für einige Wochen in die Türkei abgemeldet gewesen sei - erst seit dem Jahr 1983 (offensichtlich gemeint: durchgehend) in Österreich aufhältig und daher jedenfalls nicht von klein auf im Bundesgebiet aufgewachsen. Im Hinblick auf seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren kämen die Bestimmungen des § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 2 und 3 sowie § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG über die Aufenthaltsverfestigung nicht zum Tragen.
Angesichts der zahlreichen Strafen bzw. Verurteilungen und insbesondere der einen sehr schwerwiegenden Verurteilung könne den zweifellos beträchtlichen Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des immerhin erwachsenen Beschwerdeführers, dessen Eltern und Geschwister hier lebten, und seiner Integration, deren soziale Komponente aber besonders stark gemindert sei, kein solches Gewicht beigemessen werden, dass die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes in Kauf zu nehmen wären und von einer Ermessensentscheidung zugunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht werden könnte.
Angesichts der zahlreichen Straftaten, deren er sich seit Jahren, und zwar seit seinem jugendlichen Alter, schuldig gemacht habe und die in letzter Zeit eskaliert seien, könne auch nicht erkannt werden, wann der Beschwerdeführer seine Einstellung zur Rechtsordnung und zu den Strafgesetzen ändern werde, sodass die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes jedenfalls gerechtfertigt erscheine. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei aus Gründen des öffentlichen Wohls als dringend geboten erschienen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und auch die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auf dem Boden der unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen begegnet diese Beurteilung keinem Einwand.
2. Die Beschwerde hält indes den angefochtenen Bescheid mit Blick auf § 38 Abs. 1 Z. 4 und § 37 FrG für rechtswidrig und macht geltend, dass der Beschwerdeführer nach seiner Geburt in Wien zum Teil dort und zum Teil in der Türkei gewohnt habe. Die Schule habe er in Wien absolviert. In Österreich lebten seine Geschwister und seit 25 Jahren seine Eltern. Auch während seiner ersten Lebensjahre hätten seine Eltern in Österreich gelebt. Wenn er sich daher in der Türkei aufgehalten habe, so sei dies lediglich urlaubs- und ferienbedingt gewesen. Tatsächlich sei schon damals der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich gelegen gewesen. Auf Grund der Tatsache, dass er in Wien geboren, aufgewachsen und mit kurzen Unterbrechungen gelebt habe, erscheine daher die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unzulässig.
3. Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
3.1. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vom 11. März 1999 vorgebracht, nach seiner Geburt (am 25. November 1974) abwechselnd in Wien und in der Türkei gewohnt zu haben, seit Juli 1983 durchgehend in Österreich aufhältig zu sein und seit September 1983 in Wien die Schule besucht zu haben. Dieses Vorbringen findet in der in den Verwaltungsakten (vgl. dort Bl. 102/103) erliegenden Meldeauskunft des Zentralmeldeamtes der erstinstanzlichen Behörde vom 30. Dezember 1998 insoweit Deckung, als er laut dieser Auskunft seit 25. Juli 1983 (mit Unterbrechungen vom 28. März 1987 bis 3. Mai 1987, 27. Juli 1993 bis 20. Jänner 1994, 13. Februar 1996 bis 26. Oktober 1996 und seit 3. September 1997) und zuvor lediglich vom 29. September 1981 bis 17. Dezember 1981 in Wien polizeilich gemeldet war. Wenn daher die belangte Behörde zur Überzeugung gelangte, dass der Beschwerdeführer nach seiner Geburt bis zum Sommer 1983 - abgesehen von einem rund dreimonatigen Zeitraum von September bis Dezember 1981 - nicht in Österreich, sondern in der Türkei gelebt habe, so bestehen gegen diese Beurteilung keine Bedenken.
In Anbetracht dieses Sachverhaltes erfüllt der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG, wonach ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden darf, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, weil er erst im Alter von achteinhalb Jahren auf Dauer nach Österreich gekommen ist und somit nicht schon im Kleinkindalter sozial hier integriert worden war (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0150).
3.2. Ebenso begegnet die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 37 FrG keinem Einwand. Diese hat - unter der zutreffenden Annahme eines mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriffs iS des § 37 Abs. 1 FrG - die Auffassung vertreten, dass diese Maßnahme (zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele) dringend geboten sei. Dieser Beurteilung ist beizupflichten, manifestieren sich doch in den vom Beschwerdeführer verübten Straftaten, derentwegen er gerichtlich verurteilt wurde, insbesondere in dem von ihm begangenen Verbrechen des schweren Raubes, die von ihm ausgehend massive Gefahr für die körperliche Sicherheit und das Vermögen anderer sowie seine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten.
Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen unbestrittenen Feststellungen leben die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers, der verheiratet ist und Sorgepflichten für zwei Kinder hat (vgl. die von der belangten Behörde insoweit übernommenen Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides), in Österreich und ist er seit 15 1/2 Jahren (mit wenigen Unterbrechungen) hier aufhältig. Die aus diesem Sachverhalt ableitbare Integration hat allerdings in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten (vor allem das Verbrechen des schweren Raubes) eine ganz erhebliche Minderung erfahren. Von da her gesehen hat die belangte Behörde zu Recht, auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten privaten und familiären Interessen und der beachtlichen Dauer seines Aufenthaltes in Österreich, der durch sein gravierendes Fehlverhalten bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine und seiner Familie Lebenssituation. Angesichts dieser Interessenlage muss der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers von ihm jedenfalls in Kauf genommen werden. Im Übrigen kann ein - wenn auch eingeschränkter - Kontakt zu seinen Angehörigen dadurch aufrechterhalten werden, dass er von diesen im Ausland besucht wird.
4. Im Hinblick auf das Ausmaß der über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes verhängten (unbedingten) Freiheitsstrafe ist der belangten Behörde auch darin beizupflichten, dass ihm die Bestimmung des § 35 Abs. 3 FrG über die Aufenthaltsverfestigung nicht zugute kommen könne. Von daher gesehen - dies sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt - kam eine Beurteilung allfälliger Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers anhand des § 35 Abs. 2 leg. cit. nicht mehr ins Blickfeld.
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
7. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Wien, am 7. Juli 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999180180.X00Im RIS seit
11.07.2001