TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/7 97/09/0126

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Veröffentlicht am 07.07.1999
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/01 Jurisdiktionsnorm;
67 Versorgungsrecht;

Norm

ABGB §672;
JN §66;
OFG §1 Abs1 lite;
OFG §1 Abs3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des S in Apricena (provincia di Foggia/Italien), vertreten durch Dr. Arno Klecan, Rechtsanwalt in Wien I, Bräunerstraße 10/5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 9. September 1996, Zl. 240.307/5-5/96, betreffend Ausstellung einer Amtsbescheinigung und Anerkennung als Hinterbliebener im Sinne des Opferfürsorgegesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. März 1996 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers (vertreten durch seine Mutter W) vom 20. Oktober 1994 auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung gemäß § 1 Abs. 3 Opferfürsorgegesetz (OFG) und Anerkennung als Hinterbliebener nach seiner Großmutter K keine Folge gegeben.

Zur Begründung dieser Entscheidung führte der Landeshauptmann nach Darlegung der Bestimmung des § 1 Abs. 3 OFG aus, die am 12. Mai 1994 verstorbene K sei Inhaberin der Amtsbescheinigung BNr. 115 gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG vom 30. April 1949 gewesen; zu ihrem Tode am 12. Mai 1994 sei K in Apricena, wohnhaft gewesen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, mit seiner Großmutter K im gemeinsamen Haushalt gelebt zu haben und von ihr erhalten worden zu sein. Auf Grund des von der Behörde geführten Ermittlungsverfahrens stehe fest, dass der Beschwerdeführer seit 21. Oktober 1982 bei seinem Vater, F, in Apricena, "polizeilich gemeldet ist". Laut Angabe seiner Mutter (W) sei der uneheliche Vater des Beschwerdeführers, F, seiner "Alimentationspflicht- bzw. Unterhaltspflicht je nach Höhe seines schwankenden Einkommens immer nachgekommen und hat im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten für S gesorgt". Es sei demnach kein gemeinsamer Haushalt von Großmutter und Enkel nachgewiesen und "eine überwiegende Erhaltereigenschaft von K nicht gegeben". Die Großmutter sei weder sittlich noch gesetzlich für ihren Enkel (den Beschwerdeführer) unterhaltspflichtig gewesen, da beide Elternteile des Beschwerdeführers am Leben und damit unterhaltspflichtig seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er brachte darin (vertreten durch seine Mutter W) Folgendes vor:

"Mein Sohn S hatte keine Probleme, bis seine Großmutter K gelebt hat und ihn versorgt hat mit Essen, Kleider, Schuhe, Schulbücher und Spielzeuge. Es ist leider unmöglich, dass mein S mit 250.000 Lire das ganze Monat auskommt. Es reicht nicht einmal zum Essen aus! Ich hoffe, dass Ihr euch auf den Platz von S stellt und nachdenkt. Ein Sohn kostet mindestens 100.000 Lire in der Woche, ohne Kleider nur zum Essen! Darum muss ich Berufung einsenden. Der Vater gibt ihm 250 bis 300 Tausend Lire, was aber nicht ausreicht. Leider kann der Vater ihm nicht mehr geben, weil er das restliche für Miete, Gas, Licht und Essen braucht. Außerdem hat er auch Schulden, weil seine zwei Söhne im Jahr 1995 geheiratet haben. Der Vater lebt 600 km weit weg und kommt einmal im Monat wenn er das Geld S gibt."

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. September 1996 wurde der Berufung des Beschwerdeführers "keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid (damit gemeint: der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. März 1996) aus seinen zutreffenden und durch die Berufungseinwendungen nicht widerlegten Gründen bestätigt". Anschließend an diesen Spruch "bemerkte" die belangte Behörde, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 OFG - "die überwiegende Erhaltereigenschaft des verstorbenen Opfers" - auf Grund der erstinstanzlichen Ermittlungen im vorliegenden Fall nicht gegeben seien. Als Rechtsgrundlagen der Entscheidung sind im angefochtenen Bescheid die "§§ 1 Abs. 3 und 16 Abs. 1 OFG sowie § 66 Abs. 4 AVG" angegeben. Der angefochtene Bescheid enthält daran anschließend keine Begründung, sondern nur eine Rechtsmittelbelehrung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung und Anerkennung als Hinterbliebener nach seiner am 12. Mai 1994 verstorbenen Großmutter K bzw. auf Hinterbliebenenversorgung nach dem OFG verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Beschwerdeführer hat mit "Urkundenvorlage" vom 2. September 1997 zum Beweis dafür, dass immer ein gemeinsamer Haushalt zwischen ihm, seiner Mutter und seiner Großmutter bestanden habe und sein Unterhalt von der Fürsorgerente der Großmutter bestritten worden sei, ein Schreiben seiner Mutter W vom 25. August 1977, Ablichtungen der notariell beglaubigten Erklärungen der W vom 11. Juni 1997 und 28. Juni 1994 sowie eine amtlich beglaubigte Übersetzung der angeführten Erklärungen vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass die Großmutter des Beschwerdeführers Inhaberin einer Amtsbescheinigung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG war und bis zu ihrem Ableben am 12. Mai 1994 eine Opferrente nach diesem Bundesgesetz bezog. Ein von der Behörde erster Instanz eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten (vom 31. August 1995) kommt aus darin näher dargelegten Erwägungen zu dem Ergebnis, dass die Großmutter des Beschwerdeführers "an einem Leiden verstorben ist, für das sie bis zum Tode Anspruch auf Opferrente hatte". Mit Bestätigung vom 30. Juni 1994 wurde vom Österreichischen Konsulat in Bari bestätigt, dass Frau W (die Mutter des Beschwerdeführers) bis zum Tod ihrer Mutter K (Großmutter des Beschwerdeführers) mit dieser im gemeinsamen Haushalt lebte und diese bis zu ihrem Ableben am 12. Mai 1994 pflegte. Mit Schreiben vom 10. Oktober 1994 gab das Österreichische Konsulat in Bari der Behörde erster Instanz bekannt, Frau W habe bezüglich "der Unklarheiten der Adressenangaben" mitgeteilt, dass sie von 1983 bis 1994 gemeinsam mit ihrer Mutter in der Via G wohnhaft gewesen sei, wo sie ihre Mutter bis zu deren Ableben gepflegt habe; seit 6. Juni 1994 wohne W in der Via V.

Die belangte Behörde stützt ihre über die Berufung des Beschwerdeführers ergangene Entscheidung darauf, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 OFG aus den im erstinstanzlichen Bescheid festgestellten Gründen nicht erfüllt seien.

Gemäß der aus Sicht des Beschwerdefalles maßgebenden Bestimmung des § 1 Abs. 3 lit. b OFG gelten als Hinterbliebene im Sinne dieses Bundesgesetzes u.a. die Enkel nach den im Abs. 1 lit. a bis c und im Abs. 2 lit. a genannten Opfern bis zum Ablauf des Jahres, in dem sie das 24. Lebensjahr vollendet haben, unter der Voraussetzung, dass das Opfer den Lebensunterhalt der genannten Personen zur Gänze oder zum überwiegenden Teil bestritten hat oder wenn das Opfer, falls es noch am Leben wäre, auf Grund gesetzlicher Verpflichtung den Lebensunterhalt dieser Personen bestreiten müsste; das gleiche gilt, wenn zur Leistung des Lebensunterhaltes der vorstehend genannten Personen gesetzlich Verpflichtete nicht vorhanden oder zwar vorhanden, aber zu diesen Leistungen nicht fähig sind, und das Opfer, wenn es noch am Leben wäre, auf Grund sittlicher Verpflichtung deren Lebensunterhalt bestreiten müsste. Als Hinterbliebene nach Opfern gelten ferner die in lit. a und b angeführten Personen, sofern das Opfer an einem Leiden gestorben ist, für das es bis zum Tod Anspruch auf Opferrente hatte.

Wie dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 lit. b OFG in dieser Hinsicht eindeutig zu entnehmen ist, gelten vorerst u.a. Enkel nur nach den in Abs. 1 lit. a bis b und Abs. 2 lit. a genannten Opfern als Hinterbliebene im Sinne dieses Bundesgesetzes. Da die verstorbene Großmutter des Beschwerdeführers offenkundig nicht zu diesem Kreis von Opfern gehörte, sondern unbestrittenermaßen anerkanntes Opfer gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG war, hängt die Hinterbliebeneneigenschaft des Beschwerdeführers daher zufolge § 1 Abs. 3 letzter Satz OFG zunächst entscheidend davon ab, ob das Opfer an einem Leiden gestorben ist, für das es bis zum Tod Anspruch auf Opferrente hatte (vgl. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1980, Zlen. 241, 242/80). Zu dieser - vor anderen Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 lit. b OFG zu klärenden - Frage hat die Behörde erster Instanz wohl Ermittlungen angestellt, in ihrem Bescheid darüber aber keine Feststellungen getroffen und diese erhebliche Anspruchsvoraussetzung demnach unbeantwortet gelassen. Auch die belangte Behörde hat in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen.

Die belangte Behörde beschränkte sich im angefochtenen Bescheid nur darauf, auf die im erstinstanzlichen Bescheid herangezogenen Gründe zu verweisen und unterließ derart eine Auseinandersetzung mit der Berufung des Beschwerdeführers. Dabei hat die belangte Behörde die Rechtslage mehrfach verkannt:

Die Anerkennung des Beschwerdeführers als Hinterbliebener hängt nach Lage des Beschwerdefalles davon ab, ob seine verstorbene Großmutter - sollte der genannte Sachverhalt ihrer Todesursache im Sinne des von der Behörde erster Instanz eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt werden - seinen Lebensunterhalt (wenigstens) zum überwiegenden Teil bestritten hat. Diese Anspruchsvoraussetzung wurde von der Behörde (erster Instanz und damit auch der belangten Behörde) aus rechtlich unzutreffenden Erwägungen verneint. Ob und wann der Beschwerdeführer an welchen Anschriften polizeilich gemeldet war, ist für seine Anerkennung als Hinterbliebener allein nicht relevant. Die von der Behörde erster Instanz eingeholten Meldedaten - aus denen sich allenfalls ergeben könnte, ob die in Italien geltenden Meldevorschriften beachtet wurden - sind vor dem Hintergrund der im Verwaltungsakt des erstinstanzlichen Verfahrens erliegenden Bestätigung des Österreichischen Konsulates hinsichtlich der tatsächlichen Lebensverhältnisse insoweit nicht aussagekräftig, als der unbestrittenermaßen bei seiner Mutter (W) lebende

mj. Beschwerdeführer damit offenkundig auch im Haushalt mit der verstorbenen Großmutter K gelebt haben muss, bliebe doch andernfalls gänzlich unbeantwortet, von wem die Obsorge über den mj. Beschwerdeführer an der von der Behörde als relevant erachteten "Meldeanschrift" ausgeübt wurde. Dass der uneheliche Vater an dieser "Meldeanschrift" über den mj. Beschwerdeführer überhaupt jemals Obsorge ausgeübt habe, zu der ein Elternteil berechtigt und verpflichtet wäre, der den Haushalt führt und in dem das Kind betreut wird, wurde von der Behörde weder festgestellt noch sind dafür nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten sachverhaltsmäßige Anhaltspunkte zu finden. Vielmehr hat die Behörde erster Instanz sich in ihrem Bescheid nur darauf beschränkt, die von der Mutter des Beschwerdeführers (W) in allgemeiner Form angegebenen Unterhaltsleistungen des unehelichen Vaters zu referieren; dieser (der Höhe nach aber nicht konkretisierte) Beitrag des unehelichen Vaters dürfte offenkundig ausschließlich in finanziellen Zuwendungen und nicht in Betreuungsleistungen bzw. Obsorge bestanden haben.

Ob die verstorbene Großmutter zur Unterhaltsleistung gesetzlich oder sittlich verpflichtet war, ist aus der Sicht des Beschwerdefalles nicht entscheidend, stellt § 1 Abs. 3 lit. b OFG doch in den alternativ umschriebenen Anspruchsvoraussetzungen u. a. nur darauf ab, ob das Opfer den Lebensunterhalt gänzlich oder zum überwiegenden Teil bestritten hat. Der für diese Anspruchsvoraussetzung maßgebliche Sachverhalt wurde bisher (weder von der Behörde erster Instanz und noch viel weniger von der belangten Behörde) nicht festgestellt. Aus welchem Grund und auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse der verstorbenen Großmutter des Beschwerdeführers "die überwiegende Erhaltereigenschaft" fehlen sollte, ist den Bescheiden der Behörden nicht entnehmbar. Sollte die belangte Behörde - wie der Inhalt des angefochtenen Bescheides nahezulegen scheint - den in der Berufung dargelegten Sachverhalt für zutreffend erachten, hätte sie die "überwiegende Erhaltereigenschaft" der verstorbenen Großmutter K nicht verneinen dürfen, könnte der darin konkret angegebene unregelmäßig vom unehelichen Vater erbrachte finanzielle Beitrag doch im Ergebnis daran nichts ändern, dass der überwiegende Teil des Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers dann nicht von diesem unehelichen Vater, sondern - mangels einer nach der Aktenlage sonst in Frage kommenden Person - anscheinend von der verstorbenen Großmutter mit ihrer Opferrente bestritten wurde. Dass der vom Beschwerdeführer bzw. seiner Mutter dargelegte Sachverhalt, die verstorbene Großmutter habe mit ihrer Opferrente zumindest zum überwiegenden Teil auch seinen Lebensunterhalt und den seiner Mutter bestritten, widerlegt worden wäre, ist den nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten vorliegenden Ermittlungsergebnissen nicht entnehmbar. Die Behörde wird nach derzeitigem Verfahrensstand - mangels bislang hervorgekommener tauglicher Nachweise für die Unrichtigkeit der Antragsbehauptungen - daher nicht umhin können, ihrer Entscheidung entweder diesen vom Beschwerdeführer dargelegten Lebenssachverhalt zugrunde zu legen, oder sie wird aufgrund entsprechend belegter Ermittlungsergebnisse nachvollziehbar festzustellen haben, von welcher nach seinen Lebensumständen fähigen und geeigneten anderen Person (allenfalls Personen) als der verstorbenen Großmutter K der Lebensunterhalt - worunter im Sinne des § 672 ABGB etwa Nahrung, Kleidung, Wohnung und die übrigen Bedürfnisse insbesondere auch der nötige Unterricht zu verstehen sein wird - des Beschwerdeführers bis zum Ableben seiner Großmutter tatsächlich bestritten wurde.

Da die belangte Behörde somit die Rechtslage im dargelegten Sinn verkannte und solcherart den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997090126.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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