Entscheidungsdatum
26.07.2018Norm
BBG §40Spruch
G309 2179082-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie die Richterin Mag. Beatrix LEHNER und die fachkundige Laienrichterin Beate KOCH als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen,
Landesstelle XXXX, vom 30.08.2017, OB: XXXX, betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass, zu
Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Grad der Behinderung 70 (siebzig) v. H. (von Hundert) beträgt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 25.04.2017 via der Zentralen Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Neufestsetzung des mit 04.08.2016 im Behindertenpass festgesetzten Gesamtgrades der Behinderung von 50 v. H. ein. Dem Antrag waren eine handschriftliche Auflistung der Leiden und Funktionseinschränkungen der BF sowie verschiedene medizinische Beweismittel angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. In dem eingeholten Gutachten von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 24.06.2017, wird nach persönlicher Untersuchung der BF, im Wesentlichen folgendes festgehalten:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:
Pos. Nr.
GdB %
1
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Versteifungsoperation; Oberer Rahmenwert des mittleren Rahmensatzes entsprechend den Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein, keine Morphine, keine wesentliche Bewegungseinschränkung
02.01.02
40
2
Chronisches Schmerzsyndrom - Fibromyalgie; mittlerer Rahmensatz, unterer Rahmenwert. Einschätzung entsprechend dem jahrelangen Verlauf und der regelmäßigen Physiotherapie und Behandlungen an der Schmerzambulanz. Derzeit lediglich NSAR Therapie da auch mit stärkeren Schmerzmedikamenten kein ausreichender Therapieerfolg zu erzielen war
04.11.02
30
3
Krampfadern rechtes Bein; unterer Rahmenwert des unteren Rahmensatzes bei sichtbaren Varizen ohne sonstige Schäden
05.08.01
10
4
Bewegungseinschränkung linkes Hüftgelenk; unterer Rahmensatzwert endsprechend den Bewegungsschmerzen ohne wesentlichem Funktionsausfall
02.04.01
10
5
Milde Harninkontinenz, imperativer Stuhldrang; unterer Rahmenwert des unteren Rahmensatzes, es werden keine Windeln sondern nur dünne Vorlagen benützt
08.01.06
10
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Als Begründung des Gesamtgrades der Behinderung wurde ausgeführt, dass die Position 1 führend sei und die Position 2 aufgrund ungünstiger Wechselwirkungen die Mobilität betreffend um eine Stufe steigere. Die Positionen 3 und 4 würden keine negativen Wechselwirkungen entfalten und den GdB daher nicht weiter steigern.
Folgende beantragte bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierte Gesundheitsschädigungen würden keinen Grad der Behinderung erreichen:
"Kalkherdausräumung am rechen Schultergelenk Zustand nach rezidivierender Pansinusitis und Zustand nach FESS Operation"
Als Stellungnahme zu den gesundheitlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorgutachten wurde folgendes festgehalten:
"Die Beschwerden haben sich verschlechtert, sie wurde zwischenzeitlich an der LWS operiert. Jedoch war die Voreinschätzung bereits sehr großzügig gewählt, es liegen auch keine höhergradigen Bewegungseinschränkungen vor, die Schmerztherapie erfolgt nur mit Parkemed, sodass eine höhere Einschätzung nicht rechtfertigbar wäre. Die Inkontinenz ist hinzugekommen."
3. Mit Bescheid vom 30.08.2017 wurde der Antrag der BF abgewiesen und festgestellt, dass bei der BF nach wie vor ein GdB von 50 v. H. vorliege. Gestützt wurde diese Entscheidung auf das eingeholte Sachverständigengutachten.
4. Mit Schreiben vom 09.10.2017 (Datum: Poststempel) erhob die BF binnen offener Frist unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel Beschwerde gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid. Darin wurde zusammengefasst im Wesentlichen vorgebracht, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die Amtssachverständige eine Reihe von Befunden und weitere medizinische Beweismitteln nicht vorliegend gewesen seien. Ihr körperlicher Allgemeinzustand bleibe auch durch eine Reihe von Therapiemaßnahmen "latent schmerzerfüllt" und würde sich ihr Alltag aufgrund der anhaltenden Schmerzen als unerträglich erweisen. Bereits einfache Tätigkeiten, wie das Anziehen, würden für sie eine große Belastung darstellen, weshalb sie oft auf die Hilfe von anderen angewiesen sei. Auch das Bewältigen von Stiegen würde sich als schwierig erweisen und das Gehen sei kaum möglich. Aufgrund ihrer Wohnsituation sei das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel kaum möglich, da die nächste Bushaltestelle 7 km vom Wohnhaus entfernt liege. Die "Parkberechtigung am Behindertenparkplatz" wäre eine massive Erleichterung für sie. Zudem leide sie an Durchschlafstörungen und sei auch ihre Sehfähigkeit massiv eingeschränkt. Hinzukommen würden Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Blockaden im zentralen Nervensystem. Daher ersuche die BF um eine neuerliche Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung.
5. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde einlangend mit 07.12.2017 vorgelegt.
6. Seitens des erkennenden Gerichtes wurde der Amtssachverständige XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines medizinischen Gutachtens beauftragt. Im eingeholten Gutachten vom 09.04.2018 wird, basierend auf persönlicher Untersuchung der BF, zusammengefasst folgendes festgehalten:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:
Pos. Nr.
1
Agitiert gefärbte Depression ICD IO F 32.1 Derzeit im Vordergrund steht eine geistig-seelische Symptomatik im Sinne einer höhergradigen affektiven Störung, die zusammengefasst als mitteIgradige, agitiert gefärbte depressive Episode zu diagnostizieren ist. Auffallend die starke Agitiertheit mit Nervosität, Unruhe, Zappeligkeit, aber auch fehlende Konzentration und geminderte Aufmerksamkeit neben einer Reihe von weiteren affektiven Symptomen, die zu ausgeprägter Schlaflosigkeit geführt haben, andererseits bislang jedoch keine adäquate Therapie nach sich zogen. In den Vorgutachten finden sich keine Angaben über Symptome aus dem geistig-seelischen Bereich, wiewohl gerade bei einer Fibromyalgie psychische Symptome großteils im Vordergrund stehen, häufig die Schmerzen als somatoforme Äußerung der psychischen Alteration zu werten sind. Die geistig-seelische Symptomatik ist nach der RSP 03.06.02 unterer Rahmensatz mit 50 vH zu beurteilen, wobei die depressiven Leitsymptome deutlich erkennbar sind, weitere Symptome der Somatisierung bestehen und die Arbeitsleistung in Summe erheblich eingeschränkt erscheint. Die sozialen Kontakte sind schwierig. Suffiziente Behandlungen wurden in der letzten Zeit nicht durchgeführt, könnten im Zusammenhang mit Besserung der Schmerzerkrankung jedoch zu einer Besserung in den nächsten zwölf bis 24 Monaten führen.
03.06.02
2
Lumboischialgie beidseits Nach einer Versteifungsoperation im distalen LWS-Bereich werden wiederholt Schmerzen ausgehend von der LWS in die Umgebung sowie in die Beine angegeben, wobei im Vorgutachten die Ausstrahlung mehr in das linke Bein, nunmehr in das rechte Bein erfolgt ohne Hinweise auf eine zusätzliche motorische Lähmung, auch keine bleibenden segmentai-sensorischen Ausfälle. Die Einschätzung erfolgt somit nach der RSP 02.01.02 oberer Rahmensatz mit 40 vH. Im Vergleich zum Vorgutachten 2017 zeigt sich keine Progredienz.
02.01.02
3
Fibromyalgie Seit mehr als 20 Jahren wird die Diagnose einer Fibromyalgie gestellt, wobei es sich einerseits um Schmerzen von Kopf bis Fuß handelt mit besonderer Lokalisation in den großen und kleinen Gelenken aller Extremitäten, andererseits um beträchtliche geistig-seelische Symptome (siehe Diagnose 1). Die ausgeprägten körperlichen Schmerzsymptome, die derzeit lediglich mit NSAR- Therapie behandelt werden, werden unverändert gegenüber dem Vorgutachten 2017 nach der RSP 04.11.02 mit 30 vH und Erhöhung der Gesamt-GdB um eine Stufe beurteilt.
04.11.02
4
Varicositas beidseits, rechts betont Unverändert gegenüber dem Vorgutachten 2017 werden die Krampfaderbeschwerden nach der RSP 05.08.01 unterer Rahmensatz mit 10 vH ohne Erhöhung der Gesamt-GdB eingeschätzt
05.08.01
5
Hüftgelenksarthrose beidseits Eine geringe Bewegungseinschränkung im rechten, 2017 im linken Hüftgelenksbereich ohne wesentliche zusätzliche Funktionsausfälle werden unverändert nach der RSP 02.04.01 unterer Rahmensatz mit 10 vH ohne Erhöhung der Gesamt-GdB eingeschätzt
02.04.01
6
Milde Harninkontinenz, Imperativer Stuhldrang Unverändert wird eine leichte Harninkontinenzsymptomatik erhoben sowie teilweise ein imperativer Stuhldrang, der bereits im Gutachten 2017 nach der RSP 08.01.06 mit 10 vH ohne Erhöhung der Gesamt-GdB eingeschätzt wurde.
08.01.06
Gesamtgrad der Behinderung 70
v. H.
Begründend wurde zum Gesamtgrad der Behinderung festgehalten, dass die Position 1 führend sei, wobei noch im Zeitraum der nächsten zwei Jahre eine Stabilisierung eintreten könne, insbesondere bei einer fachgerechten ärztlichen und zusätzlich psychotherapeutischen Behandlung. Erhöht werde der Gesamtgrad der Behinderung durch die Position 2 wegen der damit einhergehenden Funktionseinschränkung, hervorgerufen nach der Versteifungsoperation im distalen LWS-Bereich. Eine weitere Erhöhung erfolge durch Position 3, der Schmerzerkrankung, die seit mehr als 20 Jahren wiederholt und ohne bleibenden Erfolg behandelt worden sei. Keine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung erfolge durch die weiteren Positionen, zumal keine messbaren Funktionsbeeinträchtigungen bestehen würden.
Nachdem die geistig-seelische Symptomatik in den Vorgutachten keine Berücksichtigung gefunden habe und auch keine weiteren fachärztlichen oder stationär eingeholten Befunde vorliegen würden, könne ausgeführt werden, dass die Behinderung, insbesondere die Position 1, seit mehr als drei Monaten, somit ab Ende des Jahres 2017, bestehe.
Da die Stabilisierung und Besserung bei entsprechender Behandlung der psychischen Alteration bzw. Erkrankung zu erwarten sei, sei eine Nachuntersuchung für das Jahr 2020 angezeigt.
7. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichtes im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG mit Schreiben vom 19.04.2018 zur Kenntnis gebracht und den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Es langten keine Stellungnahmen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Die BF leidet an einer agitiert gefärbten Depression ICD IO F 32.1, an einer Lumboischialgie beidseits, an Fibromyalgie, an Varicositas beidseits, rechts betont, an einer Hüftgelenksarthrose beidseits sowie an einer milden Harninkontinenz mitsamt imperativem Stuhldrang.
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 (siebzig) v. H. (von Hundert).
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Soweit das Gutachten von XXXX vom von der belangten Behörde eingeholten Vorgutachten von XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 24.06.2017, abweicht, ist dies auf die nunmehr fachärztlicherseits miteingeschätzten psychischen Krankheitsbilder der BF zurückzuführen, welche durch die zu den Positionen 2 und 3 dokumentierten Gesundheitsschädigungen um zwei Stufen angehoben werden. Vom Amtssachverständigen wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung ausführlich erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Der Inhalt des medizinischen Sachverständigengutachtens von XXXX wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das Sachverständigengutachten wird der Entscheidung des erkennenden Gerichts daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 BBG genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 BBG anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993).
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine "technische" Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, zudem auch keine der Parteien eine mündliche Verhandlung beantragt hat.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).
Gemäß § 40 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v. H. auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist,
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen,
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten,
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, angehören.
§ 35 Einkommensteuergesetz 1988 (Bundesgesetz über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen - EStG 1988) regelt, dass die Höhe des Freibetrages sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) bestimmt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,
2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, für die von ihr umfassten Bereiche.
Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Die für die Ausstellung einer solchen zuständigen Stelle ist:
-
Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).
-
Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.
In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen. Dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 BBG genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3 BBG), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichgesetzes 1967 BGBl. Nr. 376. Nach § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 BBG vorliegt.
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) an ihr gelegen, diesem auf gleichem fachlichen Niveau entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Die BF leidet an einer agitiert gefärbten Depression ICD IO F 32.1, an einer Lumboischialgie beidseits, an Fibromyalgie, an Varicositas beidseits, rechts betont, an einer Hüftgelenksarthrose beidseits sowie an einer milden Harninkontinenz mitsamt imperativem Stuhldrang.
Bei der BF wurde ein Grad der Behinderung von 70 (siebzig) v.H. (von Hundert) festgestellt.
Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (VwGH 09.09.2015, Ra 2015/04/0012; 26.03.2015, Ra 2014/07/0077; des Weiteren Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) RN 833) ist. Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht über Rechtssachen entscheiden, die nicht Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens und Entscheidung waren. Fallgegenständlich war "Sache" und Gegenstand der Entscheidung der belangten Behörde die Beurteilung des Grades der Behinderung der BF bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung.
Im Hinblick auf das von der BF im Rahmen der Beschwerde geltend gemachte Vorbringen, dass sie einen Parkausweis benötige, ist darauf hinzuweisen, dass nach § 29b Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960) nur Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, ein Parkausweis auszufolgen ist. Die Vornahme der genannten Zusatzeintragung ist jedoch antragsgebunden. Seitens der BF wurde die Vornahme der Zusatzeintragung im Verfahren vor der Behörde jedoch nicht beantragt und war daher nicht Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens. Es steht der BF jedoch frei, einen solchen Antrag bei der belangten Behörde zu stellen.
Aus oben genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und der Grad der Behinderung mit 70 v.H. festzustellen.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, Neufestsetzung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G309.2179082.1.00Zuletzt aktualisiert am
30.01.2019