TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/16 L524 2165647-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2018
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Entscheidungsdatum

16.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L524 2165647-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER, LL.B. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2017, Zl. 1072412703/150624546, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 08.06.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er vor, dass er Araber und Moslem sei. Er stamme aus Bagdad, habe dort sechs Jahre die Grundschule und sechs Jahre das Gymnasium besucht und sei zuletzt als Arbeiter tätig gewesen. Er habe den Irak legal am 25.02.2015 verlassen und sei über die Türkei, Griechenland, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist. Für die Reise nach Österreich habe er € 6.500 bezahlt. Seinen Reisepass habe er in den Irak zurückgeschickt, sein Mobiltelefon (iPhone) habe er mit. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab er an: "Ich werde von der Miliz und verschiedenen Volksgruppen wegen meiner Religion und meiner Volksgruppe verfolgt und bedroht. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe."

2. Die vom Beschwerdeführer am 19.05.2016 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) übermittelten Dokumente (irakischer Personalausweis und irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis) wurden am 30.05.2016 der Landespolizeidirektion Salzburg zur Dokumentenüberprüfung übermittelt. Die Untersuchungsberichte vom 25.11.2016 ergaben in beiden Fälle das Vorliegen einer verfälschten Urkunde, da behördliche Eintragungen abgeändert bzw. ausgewechselt wurden.

3. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 07.04.2017 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er sei Araber, sunnitischer Moslem und ledig. Er stamme aus Bagdad, habe dort bis 2003 die Grundschule und sechs Jahre die Mittelschule besucht und im Verkauf von Baustoffmaterial gehandelt. Er habe bis zu seiner Ausreise mit seinen Geschwistern bei seinen Eltern gewohnt. Der Beschwerdeführer legte die Kopie einer Sterbeurkunde seines Bruders vor; dieser sei sechs Monate nach der Ausreise des Beschwerdeführers verstorben. Sein Vater habe ein Geschäft in der Türkei und sei zwischen der Türkei und dem Irak gependelt, seit dem Tod des Bruders sei er in der Türkei geblieben. Seine Mutter und seine Schwester würden sich nunmehr ebenfalls in der Türkei aufhalten. In Österreich habe er keine Verwandten. Im Irak würden noch ein Onkel und zwölf Tanten samt Familien aufhalten. Sein Reisepass sei in der Türkei geblieben, wo genau, wisse er nicht.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an (Fehler im Original):

"Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

VP: Die Milizen sind um 5 in der Früh zu uns nachhause gekommen, sie haben mich geschlagen. Da kann ich Spuren von Verletzungen am Kopf zeigen. VP zeigt ein paar gut verheilte kahle Stellen auf dem Kopf. Sie haben mich mitgenommen, ich wusste nicht wo ich war und danach haben sie mich auf die Straße geworfen. Ich kam dann nachhause, habe mit meiner Familie geredet und dann bin ich ausgereist. Ich wurde auch am Halsbereich geschlagen und habe mich in Österreich auch behandeln lassen.

LA: Wann kamen die Milizen um 5 in der Früh?

VP: Vor meiner Ausreise. Am 20.04. und 5 Tage danach bin ich ausgereist.

LA: Schildern Sie bitte genauer!

VP: Wir haben gerade geschlafen, es kamen Menschen mit Polizeiuniform. Sie haben unsere Türe aufgebrochen und mich geschlagen. Sie nahmen mich aus dem Bett und haben ein Feuer in unserem Haus gezündet. Laut Zeugen war der Ortsoffizier der Täter, dieser hieß XXXX. Ich habe ihn selber nicht gesehen, aber die Zeugen haben das gesagt.

LA. Weshalb haben Sie ihn nicht gesehen?

VP: Es war noch dunkel und er ist selber nicht ausgestiegen, sondern seine Leute.

LA: Weshalb konnten ihn dann Zeugen sehen?

VP: Die Leute haben ihn gesehen, sie haben mich geschlagen und mit ihrem Pick-up reingesteckt und mitgenommen.

LA: Wie viele Leute waren das?

VP: 3 Pick-ups und wie viele Personen kann ich nicht sagen.

LA: Was haben die Leute gesagt?

VP: Es war wegen unserer Religion. Sie haben uns beschimpft und mich mitgenommen und geschlagen und auf die Straße geworfen.

LA. Was haben die Personen zu Ihnen gesagt?

VP: Zu mir persönlich haben sie nichts gesagt. Sie schlugen mich und ich war bewusstlos und sie warfen mich nachher auf die Straße.

LA: Wo waren Ihre Angehörigen zu dem Zeitpunkt?

VP: Mein Vater war auf einer Reise. Meine Mutter und meine Schwester waren zuhause. Und meine Brüder haben bei meinem Onkel geschlafen. Sie haben auch meine Mutter auf ihre rechte Hand geschlagen und sagten ihr, dass sie mich mitnehmen werden und ich nicht mehr zurückkomme. Sie sagten auch, jeder im Ort wird mitgenommen. Meine Mutter hat noch ein Platinding im Arm. Sie hat eine Kugel abbekommen.

LA: War eine Schießerei in Ihrem Haus?

VP: Ja, sie haben überall im Haus und draußen geschossen. Meine Mutter wollte mich retten, dass sie mich nicht mitnehmen, dann haben sie auf ihre Hand geschossen.

LA: Haben alle anderen männlichen Angehörigen rein zufällig nicht im Haus geschlafen?

VP: Mein Vater war auf einer Reise und meine Brüder haben bei meinem Onkel geschlafen, weil ihre Schule in der Nähe von dort ist. Das Haus ist zerstört und danach wurde mein Bruder getötet. Er ist 1998 geboren und wir haben ihn nachhause geschickt, damit er das Haus aufräumt und damit wir es vermieten können. Es kamen Fremde ins Haus und haben ihn dann getötet.

LA: Wo war die restliche Familie aufhältig als das mit dem Bruder war?

VP: Ich war hier in Österreich. Meine Mutter war bei ihrer Familie, mein Vater war in der Türkei und blieb in der Türkei. Er hat einen Aufenthalt dort. Die Familie ist jetzt zerrissen.

LA: Und Ihre Schwester?

VP: Sie ist noch dort. Nachgefragt ist sie bei meiner Familie in der Türkei.

LA: Wo lebt jetzt Ihre Mutter?

VP: In der Türkei, aber sie besucht ihre Familie im Irak regelmäßig, aber wissen Sie, ihr passiert nichts, weil sie eine Frau ist.

LA: Kannten Sie die Personen die Ihr Haus gestürmt haben sollen?

VP: Es sind nur Milizen, welche eine Uniform tragen. Ich habe persönlich keine Feindschaft mit niemand.

LA: Welche Milizen?

VP: Von der Regierung selbst. Sie kommen zu sunnitischen Gebieten und machen denen Probleme. Es sind einfach die schiitischen Milizen.

LA: Weshalb sollten die Personen Interesse an Ihrer Person haben?

VP: Weil sie mich selbst mitgenommen haben, und geschlagen haben. Sie könnten auch zu jemand anderen gehen, aber sie gingen nicht hin.

LA: Meinen Sie damit, dass die Milizen willkürlich zu Personen gehen?

VP: Sie kamen zu mir nachhause und deswegen war auf mich und meine Familie abgezielt.

LA: Weshalb ausgerechnet auf Sie und Ihre Familie?

VP: Es gibt sicher jemand bei der Behörde, der weiß, zu welcher Religionsgruppe wir gehören und wo wir wohnen. Sie kommen zu mir und meiner Familie. Sie gingen nicht zu anderen.

LA: Meinen Sie damit, weil Sie Sunnite sind?

VP: Ja, und der Beweis dafür ist, dass mein Bruder zuhause getötet wurde.

LA: Der Irak zählt derzeit 38 Mio. Einwohner, davon sind ca. 15 % Sunniten, dh wiederum ca. 6 Mio. Weshalb mussten ausgerechnet Sie als Sunnite Ihre Heimat verlassen?

VP: Wohin soll ich gehen, meine ganze Familie ist weg. Diese 15 % sind nicht in Bagdad. Wenn ich woanders im Irak leben könnte, hätte ich nicht die zwei Jahre ohne nichts hier in Österreich aushalten müssen. Wenn die Täter in Zivil angezogen wären, wäre es möglich gewesen, woanders zu leben. Aber wenn sie in Uniform sind, gehören sie zu Behörden und wo kann man sich vor den Behörden verstecken.

LA: Sie wurden in den Pick-up gesteckt. Was ist weiter passiert? Schildern Sie bitte.

VP: Ich war bewusstlos im Pick-up. Ich bin munter geworden erst als sie mich aus dem Pick-up rauswarfen.

LA: Wie lange glauben Sie, waren Sie bewusstlos?

VP: Sie kamen zu uns um 5 Uhr in der Früh und ich war wieder im Bewusstsein gegen 9 oder 9:30 Uhr.

LA: Auf welcher Straße wurden Sie rausgeworfen?

VP: Die Straße XXXX. Kennen Sie die?

LA: Wie ist es weiter gegangen?

VP: Andere Menschen haben mich weggetragen und ein Fahrer hat mich mitgenommen und wollte mich zu einem Krankenhaus bringen, aber nicht mitgehen. Ich sagte ihm aber, er soll mich zu einem meiner Freunde bringen und er brachte mich dann zu einem Freund namens XXXX. Er hat mich dann behandelt. Er hat meine Cousine verständigt, das war der Rest der Familie dort und er hat mir geholfen, dass ich ausreisen kann. Ich ging dann offiziell zum Flughafen, aber mein Freund XXXX hat meinen Reisepass gestempelt und ich reiste dann in die Türkei. Ich bin nicht vorbestraft.

LA: Reisten Sie legal in die Türkei?

VP: Ja schon, halbversteckt...Wissen Sie, es war mit Hilfe von XXXX. Ja, aber schon legal.

LA: Mit Ihrem Reisepass?

VP: Ja.

LA: Haben Sie den Vorfall, den um 5 Uhr in der Früh, angezeigt?

VP: Ich kann nicht zur Polizei, weil die Polizei selber das gemacht hat.

LA: Die irakische Polizei oder schiitische Milizen haben das gemacht?

VP: Uniform von der Polizei hatten sie an, aber diese sind bei uns bekannt als Milizen. Es waren sicher schiitische Milizen.

LA: Fanden sonst noch jemals Übergriffe/Angriffe gegen Ihre Person statt?

VP: Nein, nur der geschilderte Vorfall, das erste und letzte Mal.

LA: Sie gaben in der Erstbefragung an, von verschiedenen Volksgruppen verfolgt zu werden wegen Ihrer Religion und Ihrer Volksgruppe. Sie sind Araber. Was meinen Sie genau damit?

VP: Ich meine damit, wegen meiner Religion."

Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass es sonst keine weiteren Vorfälle gegeben habe. Er sei weder in seinem Herkunftsland noch in einem anderen Land vorbestraft, sei nie politisch tätig gewesen, habe keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt und auch keine persönlichen Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten oder der Polizei. Er habe auch nie an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen, sei kein Mitglied einer radikalen, extremistischen Gruppierung oder einer verbotenen Organisation und habe auch nie Waffen getragen.

3. Mit Bescheid des BFA vom 30.06.2017, Zl. 1072412703/150624546, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Begründung wurden zunächst die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung sowie die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Weiters wurden die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente angeführt (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis des Beschwerdeführers, Kursbesuchsbestätigung A1/2 und Teilnahmebestätigung Wertekurs, Kopie der Sterbeurkunde des Bruders).

Das BFA stellte fest, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe, er irakischer Staatsangehöriger, Araber, sunnitischer Moslem und ledig sei. Es sei legal aus seinem Heimatland ausgereist und illegal auf unbekannter Route nach Österreich eingereist. Nicht festgestellt werden könne, dass er in seinem Heimatland einer aktuellen und unmittelbaren persönlichen sowie konkreten Gefährdung, Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr sei von der erfolgreichen Abdeckung seiner lebensnotwendigen Bedürfnisse im Irak auszugehen. Der Beschwerdeführer sei keinen Verfolgungshandlungen durch staatliche Behörden ausgesetzt und es habe keine (wie auch immer geartete) Gefährdung seiner Person im Falle der Rückkehr in den Irak festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer sei zum ersten Mal in Österreich, verfüge über mäßige Deutschkenntnisse und habe keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage im Irak.

Beweiswürdigend führte das BFA zunächst zur Person des Beschwerdeführers aus (Schreibfehler im Original):

"Sie versuchten Ihre Identität mit der Vorlage eines irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, sowie eines irakischen Personalausweises zu beweisen. Die vorgelegten Dokumente wurden zu einer urkundentechnischen Untersuchung übermittelt mit dem Ergebnis, dass es sich bei den Identitätsnachweisen um verfälschte Urkunden handelt, da behördliche Eintragungen abgeändert bzw. ausgewechselt wurden. Auf Vorhalt der Untersuchungsergebnisse in der Einvernahme lachten Sie auf und meinten, dass dies nicht sein könne.

Hinzu kommt, dass Ihre Aussagen im Hinblick auf ein irakisches Reisedokument widersprüchlich waren. In der Erstbefragung gaben Sie an, dass Sie Ihren Reisepass zurück in den Irak übermittelt hätten, wohingegen Sie in der Einvernahme darauf beharrten, dass Ihr Reisepass in der Türkei geblieben wäre, Sie wüssten aber nicht wo. Wenngleich die widersprüchlichen Angaben zu Ihrem Reisedokument, sowie die Vorlage von verfälschten Urkunden nicht ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung sein können, so vermögen sie doch ein Indiz für die Gesamtbewertung der Glaubwürdigkeit Ihrer Person darzustellen.

[...]

Sie gaben an, dass Ihr Vater in der Türkei beruflich aufhältig sei. Befragt, weshalb Sie nicht in der Türkei geblieben wären wie Ihr Vater, stellten Sie in den Raum, dass Sie Angst davor hätten, dass es die irakische Regierung bis in die Türkei schaffen könnte. Unsubstantiiert behaupteten Sie, dass man dort nicht frei reden könne. Weiters meinten Sie, in Griechenland hätten Sie keine Zukunft gesehen, weshalb Sie Ihre Reise bis nach Österreich fortsetzten. Ungereimt erscheint Ihre Angabe, dass Sie kein Zielland gehabt hätten. Sie meinten nur, dass Sie irgendein Land als Zielland gehabt hätten und wären letztlich in Österreich angehalten worden. Unglaubhaft erscheinen Ihre Angaben diesbezüglich, zumal angemerkt werden darf, falls Sie tatsächlich kein Zielland vor Augen gehabt hätten, hätten Sie in den zuvor durchreisten Ländern bereits um Schutz ansuchen können.

Aus Ihrem Verhalten der kontinuierlichen unrechtmäßigen Weiterreise quer durch Europa, geht hervor, dass Sie sehr wohl ein konkretes Land bzw. Gebiet in Europa für Ihre Antragstellung vor Augen gehabt haben müssen um womöglich in den Genuss einer sozialen und finanziellen Besserstellung in bestimmten Ländern Europas zu kommen. Unter dem Aspekt nur in ausgewählten Ländern Europas einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, lässt an einer tatsächlichen Verfolgung im Heimatland alleine deshalb zweifeln, da es irrelevant sein müsste, welches Land letztlich Schutz gewährt. Vorrangig müsste sein, sich in Sicherheit zu wähnen.

In Bezug auf Ihre Nationalität machten Sie ausdrücklich befragt keine Verfolgungsgefahr geltend. Die Feststellungen zu Ihrem Familienstand waren Ihren Angaben zu entnehmen. Im Hinblick auf Ihren Gesundheitszustand machten Sie keine Probleme geltend, welche ein Rückkehrhindernis darstellen könnten. Sie brachten keinen Sachverhalt vor, der auf eine lebensbedrohliche Erkrankung schließen würde. Im Gegenteil, Sie beschrieben Ihren Gesundheitszustand als prima. Durch die amtswegig geführten Erhebungen im Zuge des Ermittlungsverfahrens sind keinerlei Hinweise hervorgetreten, die den Anlassfall einer Gefahr der Verfolgung bzw. eines erheblichen Schadens aus den genannten persönlichen Gründen erkennen hätten lassen, welche Sie im Rahmen des gesamten Verfahrens auch nicht weiter geltend gemacht haben. Weder aus Ihren Aussagen im gesamten Verfahren, noch aus den amtswegig ermittelten Tatsachen ergaben sich Hinweise auf einen Anhaltspunkt für den Ausschluss aus dem Verfahren zur Asylgewährung.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte das BFA beweiswürdigend aus:

"Mit Ihren Angaben zu den Gründen Ihrer Asylantragstellung vermochten Sie - wie nachstehend ausgeführt - eine Verfolgungsgefahr aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zur moslemisch-sunnitischen Glaubensrichtung im gesamten irakischen Staatsgebiet nichtglaubwürdig und nachvollziehbar darzulegen. In der Erstbefragung am 08.06.2015 brachten Sie befragt zu Ihrem Fluchtgrund vor, dass Sie von der Miliz und verschiedenen Volksgruppen wegen Ihrer Religion und Ihrer Volksgruppe verfolgt und bedroht worden wären. Aufgrund dessen hätten Sie Angst um Ihr Leben gehabt. Ausdrücklich verneinten Sie, dass Sie weitere Fluchtgründe haben. Sie verneinten ebenso, im Falle einer Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen von Seiten des Staates rechnen zu müssen. In der darauffolgenden Einvernahme am 08.06.2017 hatten Sie die Gelegenheit anhand offener Fragestellungen Ihren Fluchtgrund detailreich zu schildern. Im Zuge dieser Befragung stellte sich heraus, dass Sie mit Problemen aufgrund der Volksgruppe, Ihre Zugehörigkeit zur moslemischen Glaubensrichtung der Sunniten gemeint haben. In Bezug auf Ihre Volksgruppenzugehörigkeit zu den Arabern wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass sich im Irak ca. 80 % der Bevölkerung zu dieser Volksgruppe zählen, eine daraus resultierende Bedrohung war für Sie als Araber auch unter Heranziehung der landeskundlichen Feststellung von Amts wegen nicht erkennbar.

Ferner schilderten Sie, dass fünf Tage vor Ihrer Ausreise Milizen zu Ihnen nachhause gekommen wären und Sie mitgenommen hätten. Befragt, wo sich zu diesem Zeitpunkt Ihre Brüder aufgehalten hätten, meinten Sie, diese hätten bei Ihrem Onkel geschlafen und Ihr Vater wäre in der Türkei gewesen. Sie wären in einem Pick-up gezogen worden und die ganze Zeit über bewusstlos gewesen. Erst als Sie aus dem Pick-up wieder auf die Straße geworfen worden wären, wären Sie zu Bewusstsein gekommen. Nicht schlüssig nachvollziehbar konnten Sie ein derartiges Ereignis schildern. Rein zufällig waren Ihre männlichen Verwandten außer Haus gewesen. Auch konnten Sie auf Detailfragen nicht eingehen. Sie behaupteten um 5 Uhr in der Früh mitgenommen worden zu sein und dass Sie gegen 9 Uhr 9:30 Uhr, als Sie aus dem Auto hinausgeworfen worden wären, wieder Ihr Bewusstsein erlangten. Realitätsfremd erscheint, dass Sie vier Stunden von Ihnen unbekannte Personen im bewusstlosen Zustand herumgefahren werden, ohne dass diese Personen mit Ihnen gesprochen haben sollen. Sie konnten sich den Grund auch nicht erklären und betonten, dass Sie mit niemanden eine Feindschaft haben. Sie behaupteten, dass schiitische Milizen in sunnitische Gebiete kommen würden und Probleme machen würden. Eine konkret gegen Sie gerichtete Bedrohung oder Verfolgung konnte aus Ihren Schilderungen nicht abgeleitet werden. Hinzu kommt, dass Sie von alledem kein Wort in der Erstbefragung erwähnten. Erwartet wird dabei nicht, dass Sie Ihr Fluchtvorbringen ausführlichst schildern, sondern eine knappe Erwähnung hätte gereicht um der Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen näher zu kommen. Erfahrungsgemäß machen nämlich Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kommen.

In der Erstbefragung bezog sich Ihr Fluchtgrund pauschal auf die Religion und Volksgruppe und ließ eine Entführung, eine Misshandlung oder gar eine Schießerei im Haus vermissen. Eine Glaubhaftmachung Ihres Fluchtgrundes konnte im weiteren Verfahrensverlauf nicht resultieren.

Weiters schilderten Sie, dass Ihr Bruder getötet worden wäre. Dazu legten Sie eine Sterbeurkunde in Kopie vor. Zumal Sie bereits gefälschte Dokumente im Verfahren vorlegten, darf am Wahrheitsgehalt des neu vorgetragenen Umstandes, sowie des Dokuments gezweifelt werden. Hinzu kommt, dass Sie auch hierzu keine detaillierten Angaben machen konnten und auch den Todestag Ihres Bruders nicht genau anführen konnten, behaupteten aber, dass es sich in Bezug auf die angeblichen Mörder um dieselben Täter gehandelt hätte, die auch Sie mitgenommen haben sollen. Auf die Frage hin, ob Sie den Vorfall angezeigt hätten, stellten Sie inhaltsleer in den Raum, Sie könnten nicht zur Polizei, weil diese selber das gemacht hätten. Widersprüchlich gaben Sie einerseits an, von schiitischen Milizen bedroht worden zu sein und andererseits wäre es die irakische Polizei gewesen.

Eine glaubhafte, konkret gegen Sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohungsgefahr konnte aus Ihren gesamten Erzählungen nicht abgeleitet werden. Sie konnte Ihre angeblichen Verfolger nicht benennen, tätigten pauschale Angaben und steigerten Ihr Vorbringen während Ihres Verfahrens. Ferner legten Sie gefälschte Dokumente vor. Eine Bedrohung aufgrund Ihrer Religion konnte auch deshalb nicht festgestellt werden, zumal Sie einen weitreichenden Verwandtenkreis im Heimatland haben, wobei angenommen wird, dass diese ebenfalls dem Sunnitentum angehören, nämlich genau jener moslemischen Glaubensrichtung, wegen der Sie im Heimatland verfolgt zu sein behaupten. Angemerkt darf werden, dass es für die Asylgewährung nicht auf die subjektive Einschätzung einer Situation ankommt, sondern darauf, ob nach objektiven Kriterien aus den vom Asylwerber vorgetragenen Umständen die Gefahr einer Verfolgung glaubhaft gemacht wurde. Diese von der höchstgerichtlichen Judikatur verlangten Umstände konnten Sie aus Ihrem Vorbringen in keinster Weise glaubhaft darlegen. Von einer Schutzbedürftigkeit Ihrer Person außerhalb Ihres Herkunftslandes war eindeutig abzusehen. Weiters gaben Sie an, dass Sie nach dem dargestellten fluchtauslösenden Ereignis noch knapp eine Woche problemlos bei Ihrem Onkel verweilten. Eine landesweite Verfolgung konnte auch aus diesem Grund ausgeschlossen werden. Ausdrücklich befragt verneinten Sie, jemals persönlich mit Behörden und/oder Ämtern im Heimatland zu tun gehabt zu haben. Sie sind weder im Herkunftsland, noch in einem anderen Land vorbestraft. Eine staatliche Verfolgung haben Sie in Ihrem Vorbringen nicht angeführt, eine solche konnte auch aus dem amtswegigen Ermittlungsverfahren nicht abgeleitet werden. Im Gegenteil, Sie reisten mit Ihrem irakischen Reisepass über den internationalen Flughafen in Bagdad aus.

Ein weiteres Indiz der Unglaubwürdigkeit Ihres Fluchtvorbringens ist, dass Sie auf Ihrer Reise nach Österreich durch andere als sicher geltende Staaten - zumindest auf dem Landweg - reisen mussten. Ihnen wäre es durchaus möglich und zumutbar gewesen schon in diversen anderen Ländern um Schutz anzusuchen. Durch das Unterlassen kann geschlossen werden, dass Sie andere Motive als jene der Schutzsuche hatten. Angenommen wird, dass Sie aufgrund einer erhofften wirtschaftlichen und sozialen Besserstellung Ihr Heimatland verlassen haben. Derartige Faktoren alleine können jedoch zu keiner Asylgewährung führen, setzt eine solche doch konkrete gegen Sie gerichtete Verfolgung bzw. Furcht vor Verfolgung aus asylrelevanten Gründen voraus, welche Sie nicht glaubhaft und mit der erforderlichen Intensität darzulegen vermochten. In Summe war Ihr vorgebrachter Sachverhalt in keinster Weise geeignet, darin Verfolgung oder auch nur Missachtung speziell gegen Ihre Person im gesamten Heimatland zu erkennen. In diesem Zusammenhang ergaben sich auch keinerlei Hinweise, welche die Annahme eines Fluchtgrundes bzw. die reale Gefahr eines erheblichen Schadens infolge einer unmenschlichen Behandlung rechtfertigen würden. Weitere zu prüfende, asylrelevante Zwischenfälle, Verfolgungshandlungen oder Fluchtgründe, außer die bereits erwähnten, führten Sie nicht an. Auch im amtswegig geführten Verfahren sind keinerlei derartige Hinweise aufgekommen."

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine aktuelle und mit der geforderten Intensität geprägte asylrelevante Verfolgung nicht schlüssig nachvollziehbar habe schildern können und somit einen unter die GFK subsumierbaren Sachverhalt nicht habe geltend machen können. Es deute nichts darauf hin, dass die Rückverbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Nach Abwägung aller Interessen ergebe sich, dass der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, insbesondere dem Fremdenwesen, besondere Bedeutung zukomme. Ein möglicher Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte sei jedenfalls als gerechtfertigt und notwendig anzusehen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5. Am 13.08.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schreiben von IOM ein, wonach der Beschwerdeführer unter Angabe des Namens

XXXX am 30.07.2018 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in den Irak ausgereist ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber und sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer lebte bis zur Ausreise aus dem Irak mit seinen Eltern und Geschwistern in Bagdad. Er hat zwölf Jahre die Schule in Bagdad besucht und bis zu seiner Ausreise als Verkäufer im Baustoffhandel gearbeitet. Ein Onkel und zwölf Tanten samt deren Familien leben nach wie vor im Irak.

Der Beschwerdeführer verließ am 25.04.2015 den Irak. Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 06.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit von einer schiitischen Miliz bedroht und verfolgt worden sei, ist nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer konkreten, individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet, er führt keine Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer bezog Leistungen aus der Grundversorgung und war nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer hat an einem Deutschkurs und an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Am 30.07.2018 hat der Beschwerdeführer Österreich verlassen und ist unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig in den Irak zurückgekehrt.

Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

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(Iraqi Body Count 13.2.2017):

Neben den derzeit aufgrund der Mossul-Offensive besonders hohen zivilen Todeszahlen in der Provinz Ninewa sterben auch in Bagdad täglich mehrere Menschen durch Gewalt (insbesondere durch improvisierte Sprengsätze). Die Liste der täglichen zivilen gewaltsamen Todesfälle auf Iraqi Body Count liest sich exemplarisch folgendermaßen:

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(Iraqi Body Count 14.2.2017)

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

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(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. Bagdad war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

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Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie "Iraqi government" auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi - bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

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(BBC 20.1.2017)

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. [...] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017). (Näheres zu Mossul s. u.)

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben-Anschlag in Bagdad über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in Bagdad ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haq und der Kata'ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) - jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen - rechtlich der Armee gleichgestellt. [...] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. [...] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in Bagdad allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die "Green Zone" (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

Flüchtlinge/Internvertriebene:

Rund 3 Millionen Menschen wurden seit Januar 2014 intern-vertrieben, an ihre Heimatorte konnten in dieser Zeit rund 1,5 Millionen zurückkehren. Die folgende Grafik veranschaulicht die Zahl der IDPs nach der jeweiligen Region, in die sie geflüchtet sind:

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(IOM 2.2.2017)

In der Region Kurdistan-Irak alleine halten sich mehr als 11,3 Millionen Binnenvertriebene auf. Über 10 Millionen Menschen, also rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017). Bezüglich der Rückkehr von IDPs ist insbesondere Tikrit nennenswert, das eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilisation Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), konnten inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückkehren. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt (WP 23.11.2016).

Beispielsweise wird berichtet, dass von den rund 50.000 Familien, die von Salahuddin nach Kirkuk kamen, es nur 20.000 Familien möglich war, in rückeroberte Gebiete zurückzukehren, die übrigen Familien beschuldigen schiitische Milizen, dass diese sie nicht zurückkehren lassen würden (Rudaw 10.1.2017).

Innerhalb der letzten zwei Jahre seien ungefähr 900.000 Vertriebene nach Hause zurückgekehrt (Stand 23.11.2016), vorwiegend in sunnitische Städte wie Fallujah, Ramadi und Tikrit. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilisation Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Oft spielen dabei auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge eine Rolle (WP 23.11.2016). Für Rückkehrer besteht oft auch die Gefahr, Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen zu werden. Teilweise werden IDPs von Behörden aufgefordert in ihre Häuser zurückzukehren, obwohl die sehr reale Gefahr besteht, dass diese mit Sprengfallen versehen sind (MRG 22.12.2016).

Tikrit kann, wie erwähnt, am ehesten noch als "Erfolg" gesehen werden, da laut Washington Post über 90 Prozent der Bevölkerung in diese Stadt zurückkehren konnten (Stand Nov. 2016), Auf lange Sicht sei dieser Erfolg aber fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden seien, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde. Die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen musste/muss (WP 23.11.2016). Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016).

Von der Mossul-Offensive sind laut UNHCR rund 1,5 Millionen Menschen in und um Mossul betroffen. Über 144.000 Menschen in und um Mossul zählen derzeit zu den Vertriebenen, über 23.000 konnten nach Beginn der Offensive wieder an ihren Herkunftsort zurückkehren. Die folgende Grafik zeigt die durch die Offensive ausgelösten Flüchtlingsströme:

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Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017).

Quellen:

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Al Monitor (26.12.2017): Can public outcry in southern Iraq end Maliki's political ambitions?

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Al-Jazeera (1.2.2017): Iraq's displaced 'in another prison' after fleeing ISIL,

http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/iraq-displaced-prison-fleeing-isil-170130070309929.html, Zugriff 14.2.2017

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Al-Jazeera (31.1.2017): Taking west Mosul: A bridge too far?, http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/west-mosul-bridge-170130133948071.html, Zugriff 13.2.2017

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

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BBC (2.1.2017): IS conflict: Baghdad suicide car bomb blast kills 35, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38488091 , Zugriff 14.2.2017

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BBC (20.1.2017): Islamic State and the crisis in Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034 , Zugriff 10.2.2017

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BBC (3.12.2017): Iraqi Shia militias' show of force in battle for Mosul , http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38194653, Zugriff 13.2017

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Ekurd Daily (23.1.2017): Barzani: Kurdistan would declare independence if Maliki becomes Iraqi PM again, http://ekurd.net/kurdistan-independence-maliki-2017-01-23, Zugriff 13.2.2017

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HRW - Human Rights Watch (1.2017): Report: Iraq: Events of 2016, https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/iraq , Zugriff 13.22017

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Al Monitor (26.12.2016): Can public outcry in southern Iraq end Maliki's political ambitions?,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 13.2.2017

http://www.understandingwar.org/backgrounder/warning-update-iraq%E2%80%99s-sunni-insurgency-begins-isis-loses-ground-mosul, Zugriff 13.2.2017

https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.2.2017

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IFK Analysezentrum (1.2017): Fact Sheet Syrien & Irak, Jahresrückblick 2016,

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IOM (2.2.2017): Displacement Tracking Matrix (DTM), http://iraqdtm.iom.int/, Zugriff 10.202017

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Iraqi Body Count (14.2.2017): Recent Events, https://www.iraqbodycount.org/database/recent/0/, Zugriff 14.2.2017

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Iraqi Body Count (13.2.2017): Documented civilian deaths from violence,

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ISW - Institute for the Study of War (7.2.2017): Warning Update:

Iraq's Sunni Insurgency Begins as ISIS Loses Ground in Mosul,

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MEM - Middle East Monitor (8.2.2017): Iraq army, Shia militias execute Sunnis in east Mosul ,

https://www.middleeastmonitor.com/20170208-iraq-army-shia-militias-execute-sunnis-in-east-mosul/ , Zugriff 13.2.2017

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Middle East Eye (12.2.2017): Inter-Shia tension mounts in Baghdad after clashes,

http://www.middleeasteye.net/news/inter-shia-tension-mounts-baghdad-after-clashes-1268563748, Zugriff 13.2.2017

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MRG - Minority Rights Group International: Humanitarian challenges in Iraq's displacement crisis, 22. Dezember 2016 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1483364807_irk.pdf (Zugriff am 14. Februar 2017)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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