Entscheidungsdatum
22.08.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L526 2168667-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX,XXXX StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2017, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.06.2018 und am 07.08.2018 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 17.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde er noch am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
Im Wesentlichen führte der Beschwerdeführer aus, dass er irakischer Soldat gewesen und mehrmals vom Islamischen Staat (IS) bedroht worden sei. Er habe dies nicht ernst genommen bis sein Bruder in Gefangenschaft genommen worden sei. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden, sich zu ergeben, ansonsten würde sein Bruder umgebracht werden. Zudem sei eine Lösegeldzahlung gefordert worden. Seine Eltern hätten das Lösegeld bezahlt und der Beschwerdeführer sei ausgereist. Im Falle einer Rückkehr in den Irak befürchte er, vom IS umgebracht zu werden.
2. Am 09.03.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren kurz: "BFA") niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass er im Irak unter anderem beim irakischen Geheimdienst gearbeitet habe und deshalb im Jahr 2009 von den Ansar Al Senna Milizen bedroht bzw. aufgefordert worden sei, den Dienst zu quittieren. Aufgrund der guten Bezahlung habe der Beschwerdeführer sich aber dagegen entschieden. Am 10.06.2014 sei der IS in Mosul einmarschiert, weshalb der Beschwerdeführer in das Dorf XXXX geflüchtet sei. In dieser Zeit habe der IS mehrmals beim Beschwerdeführer zu Hause nach ihm gesucht und dabei auch dem Bruder des Beschwerdeführers (XXXX) in den Fuß geschossen sowie diesen verhaftet und mehr als ein Monat lang angehalten. Der Bruder des Beschwerdeführers sei erst nach der Zahlung einer Lösegeldforderung freigelassen worden. Der Beschwerdeführer sei bis 15.09.2014 im Dorf XXXX geblieben und dann mit seinem Bruder (XXXX) aus dem Irak geflüchtet. Mitglieder des IS hätten zur Familie des Beschwerdeführers gesagt, dass sie dem Beschwerdeführer nie verzeihen und ihn umbringen würden, weil er für die Amerikaner gearbeitet habe. Ein Onkel des Beschwerdeführers sei Polizeioffizier gewesen und vom IS erschossen worden. Im Jahr 2016 habe der IS dann noch das Auto des Beschwerdeführers beschlagnahmt und habe der IS ihn auch auf eine Todesliste gesetzt, welche in einer Moschee veröffentlicht worden sei. Im Verlauf der weiteren Einvernahme brachte der Beschwerdeführer noch vor, dass er einen Drohbrief sowie Drohanrufe von der Ansar Al Senna Miliz und anderen Milizen erhalten habe. Folgende Dokumente bzw. Ablichtungen davon wurden zum Akt genommen:
? Eine Auflistung mit Namen von Familienmitgliedern
? ein Militärausweis
? ein irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis
? eine Karte, die zum Tragen einer Waffe berechtigt
? eine Bescheinigung über die perfekte Verrichtung des Hajj
? ein Drohbrief
? eine Erklärung des Islamischen Staates
? ein Beleg des Islamischen Staates für die Reservierung von einem Fahrzeug
? ein Sozialbericht der Caritas, aus welchem unter anderem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer einen Deutschkurs an der Volkshochschule und im "XXXX" teilnehme und ein weiterführender Deutschkurs geplant sei
? eine Teilnahmebestätigung am XXXX-Workshop am 07.11.2016
? eine Bestätigung über die Teilnahme am "Info-Modul Gesundheit" am 12.12.2016.
3. Der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.2017, XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Zudem wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Das BFA begründete seine abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen aufgrund von vagen, wenig detailreichen und widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit zu versagen war.
Zudem wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr drohe, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Des Weiteren traf das BFA umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen.
4. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 04.08.2017 wurde gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und dieser gemäß § 52a Abs 2 BFA-VG von der Verpflichtung, bis zum 21.08.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen sowie gemäß § 58 FPG unverzüglich oder fristgerecht auszureisen, informiert.
5. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 08.08.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 22.08.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde. Eingangs wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt. Moniert wurde im Weiteren, dass seitens des BFA die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel nicht erwähnt worden seien und es sich daher auch nicht ausreichend damit auseinandergesetzt (untersucht bzw. übersetzt) habe. Zu den Länderfeststellungen wurde ausgeführt, dass sich diese nicht mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzten und nur allgemeine Aussagen (insbesondere zum IS sowie zu den sunnitischen Milizen) enthalten würden. Anschließend wurden auszugsweise Berichte zitiert, welche verdeutlichen würden, dass der IS sowie sunnitische Milizen in bestimmten Teilen des Irak unkontrollierte Gewalt ausüben würden und die irakische Regierung machtlos dagegen sei. Die Angst des Beschwerdeführers sei aufgrund dieses Berichtsmaterials daher nachvollziehbar. Die Länderfeststellungen würden auch festhalten, dass XXXX (lt. BFA mögliche innerstaatliche Fluchtalternative zu Mosul) fast täglich Schauplatz von Anschlägen und Gewalttaten sei. Dahingehende Ermittlungen seien seitens des BFA jedoch unterlassen worden. Die Feststellung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers beruhe zudem auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung sowie einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung. Das BFA habe aufgrund der falschen Auswertung der Länderfeststellungen, der Heranziehung von unzureichenden und veralteten Länderfeststellungen sowie der mangelnden Ermittlung im Hinblick auf angebotene Beweismittel keine ganzheitliche Würdigung vorgenommen. Es sei auch unklar, welche Beweismittel das BFA herangezogen habe (VfSlg 8674/1979, 9665/1983, 10942/1986; VfGH 02.03.1992, B390/91). Der Beschwerdeführer sei vor dem BFA aufgefordert worden, seine Antworten kürzer zu halten, was ihm jetzt vorgehalten werde, indem ihm ein vages und abstraktes Vorbringen unterstellt werde. Im Weiteren wurden vom Beschwerdeführer erneut Beweismittel in Vorlage gebracht und versucht, die im bekämpften Bescheid dargelegten Widersprüche zu entkräften. Erstmals wurde auch ein Foto eines Schreibens des irakischen Verteidigungsministeriums betreffend Deserteure vorgelegt und folgen schließlich allgemeine rechtliche Ausführungen zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten. Die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative bestehe nicht. Im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass genauere Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich fehlen würden. Der Beschwerdeführer führe in Österreich ein Privatleben iSd Art. 8 EMRK und wurde diesbezüglich auch ein Sozialbericht der Caritas vom 14.03.2017 vorgelegt. Schließlich wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
6. Am 25.06.2018 und am 07.08.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch, wobei zur fortgesetzten Verhandlung am 07.08.2018 weder der Beschwerdeführer noch ein Vertreter erschienen. Anlässlich der Verhandlung am 25.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Zudem wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den ihm übermittelten Länderfeststellungen zum Irak sowie der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur "Sicherheitslage in Mosul, Hammam al-Alil, Übergriffe auf Sunniten und Rückkehrer" eingeräumt. Im Zuge der Verhandlung am 25.06.2018 wurden vom Beschwerdeführer folgende Unterlagen vorgelegt:
? Eine fachärztliche Bestätigung vom 22.06.2018, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an einer ausgeprägten posttraumatischen Symptomatik leide, er aufgrund dessen nicht arbeitsfähig sei und eine engmaschige Behandlung einen stationären Aufenthalt verhindern habe können
? Eine Bestätigung der Caritas vom 19.06.2018, wonach der Beschwerdeführer im Familienzentrum Wien in Behandlung stehe und noch nicht feststehe, ob es sich bei dem Leiden des Beschwerdeführers um eine Traumafolge-Störung oder um eine Anpassungsstörung handelt
? Befundberichte vom 18.01.2018 und vom 06.02.2018, aus welchen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer von einem Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin behandelt wurde
? Eine Bestätigung, wonach der Beschwerdeführer am 28.12.2017 von 11 Uhr 20 bis 11 Uhr 45 in der Ordination eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin gewesen ist
? Eine Bestätigung über eine Teilnahme am "StartWien-Charta"-Workshop am 07.11.2016
? Eine Bestätigung über eine Teilnahme am Info-Modul Gesundheit am 12.12.2015
7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.07.2018 wurde der Beschwerdeführer eingeladen, eine Stellungnahme zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in Bezug auf "Fernbleiben, Desertion und Kündigung von Polizei und Armee" abzugeben.
8. Mit Schreiben vom 17.07.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den ihm übergebenen Länderfeststellungen sowie den oben näher bezeichneten Anfragebeantwortungen und brachte Dokumente zum Nachweis seiner Integration in Österreich in Vorlage. In der Stellungnahme wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Irak ein "failed state" sei und dort kein Rechtsschutzsystem vorherrsche. Der irakische Staat sei jedenfalls nicht schutzfähig bzw. schutzwillig. Die Feststellungen zur Desertion seien äußerst vage und enthielten in der Regel Vermutungen. Es sei unbestritten, dass dem Beschwerdeführer mehrjährige Haftstrafen bzw. die Todesstrafe drohen würden. Sämtliche Berichte würden weiterhin Anlass zu sehr großer Sorge geben.
9. Mit einem weiteren Schreiben vom 17.07.2018 wurden folgende Unterlagen vorgelegt:
? Ein Schreiben des Österreichischen Integrationsfonds, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer für einen Werte- und Orientierungskurs vorgemerkt ist
? Eine Zeitbestätigung, wonach der Beschwerdeführer am 05.07.2018 von 09 bis 13 Uhr an einer Informationsveranstaltung des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen hat
Ferner teilte der Beschwerdeführer mit, dass er gerne und selbstverständlich an weiterführenden Integrationsmaßnahmen teilnehmen würde. Der Beschwerdeführer sei nun auch bei der Caritas Wien für freiwillige Arbeit vorgemerkt, eine Zusage habe sich aber noch nicht ergeben.
10. Mit Schreiben vom 20.07.2018 legte der Beschwerdeführer folgende Dokumente vor:
? Einen Sozialbericht der Caritas, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer wegen seiner ruhigen, hilfsbereiten Art und seinem großen Beitrag zur Sauberkeit und Hygiene in der Unterkunft große Achtung und Anerkennung genieße, er an einem "StartWien-Charta"-Workshop und am "Info-Modul Gesundheit" teilgenommen habe, er aufgrund einer Depression bei einem Facharzt war und in psychotherapeutischer Betreuung im Familienzentrum der Caritas stünde, Termine wegen seiner guten Sprachkenntnisse selbständig erledige und mit den Gepflogenheiten in Österreich bestens vertraut sei
? Eine Bestätigung der Caritas vom 19.06.2018, wonach der Beschwerdeführer im Familienzentrum Wien in Behandlung stehe und noch nicht feststehe, ob es sich bei dem Leiden des Beschwerdeführers um eine Traumafolge-Störung oder um eine Anpassungsstörung handelt
? Eine fachärztliche Bestätigung vom 22.06.2018, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an einer ausgeprägten posttraumatischen Symptomatik leide, er aufgrund dessen nicht arbeitsfähig sei und eine engmaschige Behandlung einen stationären Aufenthalt verhindern habe können
? Befundberichte vom 18.01.2018 und vom 06.02.2018, aus welchen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer von einem Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin behandelt wurde
11. Mit Schreiben vom 03.08.2018 legte der Beschwerdeführer folgende Dokumente vor:
? Eine Bestätigung des Mobilen Kriseninterventionszentrum der Caritas, wonach der Beschwerdeführer fünf Behandlungstermine in Anspruch genommen habe
? Eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds vom 01.08.2018
? Ein Schreiben des Österreichischen Integrationsfonds vom 29.06.2018, wonach der Beschwerdeführer für einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds am 01.08.2018 vorgemerkt sei
? Zeitbestätigungen über die Teilnahme des Beschwerdeführers an jeweils vierstündigen Informationsveranstaltungen des Österreichischen Integrationsfonds am 30.07.2018, am 05.07.2018 und am 01.08.2018
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
1.1. Feststellungen zur Person
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe.
Der Beschwerdeführer ist in Mosul aufgewachsen und hat dort die Schule bis zum Maturaabschluss besucht. Von 2006 bis 2012 hat der Beschwerdeführer für das irakische Militär gearbeitet, wobei jedoch nicht festgestellt werden kann, dass er im Geheim- und Informationsdienst des Militärs tätig war. Anschließend hat der Beschwerdeführer als Bäcker in Bagdad gearbeitet. Nebenbei hat der Beschwerdeführer für seine Familie Autos gekauft und verkauft.
Nach dem Einmarsch des IS in Mosul im Juni 2014 flüchtete der Beschwerdeführer in das Dorf XXXX und am 15.09.2014 weiter nach XXXX, wo er bis zu seiner Ausreise am 20.09.2014 aufhältig war.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Eltern, vier Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben nach einem längeren Aufenthalt in der Türkei (Juli 2016 bis zur Befreiung von Mosul im Jahr 2017) wieder in Mosul. Im Irak sind nach wie vor auch mehrere Onkel und Tanten sowie Freunde und Bekannte aufhältig. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten.
Der Beschwerdeführer war in Österreich nie legal erwerbstätig, lebt von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
In der Flüchtlingsunterkunft der Caritas "XXXX" hat sich der Beschwerdeführer an Putzdiensten und verschiedenen anderen Aufgaben im Haus beteiligt.
Der Beschwerdeführer besuchte am 07.11.2016 den Kurs "Start Wien-Charta Workshop".
Am 12.12.2016 nahm der Beschwerdeführer am Info-Modul "Gesundheit" teil.
Am 05.07.2018 hat der Beschwerdeführer am dem Vertiefungskurs Kultur und Gesellschaft des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.
Der Beschwerdeführer hat an weiteren Informationsveranstaltungen des Österreichischen Integrationsfonds am 30.07.2018, am 05.07.2018 und am 01.08.2018 teilgenommen.
Der Beschwerdeführer kann sich im Alltagsleben in einfacher deutscher Sprache verständigen.
Der Beschwerdeführer leidet an einer ausgeprägten prolongierten posttraumatischen Belastungsreaktion sowie an einer dissoziativen Störung, wird diesbezüglich medikamentös behandelt sowie einmal wöchentlich psychotherapeutisch betreut. Aktuell ist der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung nicht arbeitsfähig.
1.2. Länderfeststellungen
Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak, legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die aktuelle Version der Länderfeststellungen der Staatendokumentation zum Irak vom 04.06.2018, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2016 betreffend "Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee" und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018 zur "Sicherheitslage in Mosul, Hammam al-Alil, und Übergriffen auf Sunniten und Rückkehrer" zu Grunde. Das Länderinformationsblatt vom 04.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer im Zuge der Einladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.10.2016 wurde in Wahrung des Parteiengehörs dem Beschwerdeführer mit Verständigung vom 12.07.2018 mit 14-tägiger Frist zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018 zur Sicherheitslage in Mosul und Übergriffen auf Sunniten und Rückkehrer wurde dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt und deren Inhalt erörtert.
Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
Politische Lage
Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).
Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).
Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).
Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).
Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in Kirkuk und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von Irak und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte
1.1. und 2.4.
Staatsform & Parteien
Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017).
Wahlen & Premierminister
Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).
Abadis Reformen sind bislang nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).
Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).
Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran
Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).
Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).
Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).
Sicherheitslage
Hintergrund
Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend Auflösungserscheinungen zeigte und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).
Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10.5.2016).
Aktuelle Sicherheitslage
Die Rückeroberung Tal-Afars verzögerte sich zunächst auf Grund der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen teilnehmenden Akteuren. Vom Iran gestützte schiitische Milizen drängten darauf, eine Rolle bei der Eroberung der Stadt zu spielen, was die Türkei und die USA, sowie auch Premierminister Abadi zu verhindern versuchten. Bei der am 20. August begonnenen Tal-Afar-Offensive nehmen die PMF-Milizen trotz vorangehender Konzessionen gegenüber Abadi nun doch teil (WI 22.8.2017; ISW 26.6.2017; AA 7.2.2017). Luftangriffe auf Tal-Afar werden schon seit längerer Zeit von der Anti-IS-Allianz und der irakischen Luftwaffe durchgeführt. Inzwischen gibt es erste Berichte, nach denen der IS Bewohner aus dem Bezirk Tal-Afar in die Stadt treibt, um sie als Schutzschilde zu verwenden, ähnlich wie er das auch bei der Mossul-Offensive betrieben hatte (Harrer 20.8.2017). Für die schiitischen Milizen ist Tal-Afar ein besonders wichtiges Ziel. Im Gegensatz zum sunnitisch-dominierten Mossul gab es dort vor der Eroberung durch den IS einen signifikanten schiitischen Bevölkerungsanteil und die Stadt war die nördlichste Hochburg der Milizen, die sie nun zurückerobern möchten, und sich darüber hinaus für die seit 2005 durch djihadistische sunnitische Gruppen verübten Verwüstungen rächen wollen (17.7.2017). Ebenso gab es Befürchtungen der Türkei (die weiterhin in der Nähe von Mossul mit Truppen präsent ist), denn Tal Afar ist zum Teil eine turkmenische Stadt (Harrer 20.8.2017). Die UNO warnt vor weiterer Gewalt an mutmaßlichen IS-Kollaborateuren, prangert die - insbesondere auch nach der Rückeroberung Mossuls - im ganzen Land stattfindenden Racheakte an und fordert den irakischen Regierungschef Abadi auf, dringend Maßnahmen zur Unterbindung der "Kollektivbestrafung" ganzer Familien zu ergreifen (Standard 17.7.2017).
Bezüglich der Offensive zur Rückeroberung Hawijas gibt es weiterhin Dispute, welche Kräfte das Gebiet betreten werden. Auch hier wird bezüglich schiitischer Milizen und kurdischer Kämpfer befürchtet, dass es zu Racheakten an der sunnitischen Bevölkerung kommen könnte (ICG 22.9.2016), bzw. dass eine Invasion durch nicht-sunnitische Kräfte sogar eine Ausweitung der bewaffneten Kämpfe auf weitere Teile der umstrittenen Gebiete auslösen könnte. Hawija stand in den letzten Jahren im Zentrum mehrfacher und bedeutender sunnitischer Aufstände (Rudaw 17.5.2017).
Nachdem Premierminister Abadi am 31. August 2017 die gesamte Provinz Ninewah für vom IS zurückerobert erklärt hatte (Rudaw 31.8.2017), liegt der Focus nun auf den Provinzen Anbar und Kirkuk. Am 21. September 2017 startete die Operation zur Rückeroberung der in der Provinz Kirkuk/Tameem liegenden Stadt Hawija und deren Umgebung (BAMF 25.9.2017). Bei der Operation nehmen irakische Truppen, sowie schiitische Milizen teil, die kurdischen Peschmerga sind derzeit nicht beteiligt (Al-Jazeera 23.9.2017). Das Gebiet liegt jedoch im von den Kurden für sich beanspruchten Gebiet (Al-Jazeera 27.9.2017). Gleichzeitig findet eine Offensive zur Rückeroberung der Provinz Anbar statt, an der die irakischen Sicherheitskräfte, einschließlich Polizeieinheiten und schiitischer PMF-Milizen (PMF: Popular Mobilization Forces) teilnehmen (Al-Monitor 26.9.2017).
In der Provinz Anbar haben sich irakische Regierungstruppen westlich von Bagdad heftige Gefechte mit dem IS geliefert. Laut Angaben eines irakischen Generals vom 27.9.2017 waren IS-Kämpfer in die Ortschaft al-Tach südlich der Stadt Ramadi sowie in das "Kilometer Sieben" genannte Gebiet westlich davon vorgedrungen (Standard 27.9.2017).
Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).
Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .
Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:
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(CR 14.11.2017)
Im Folgenden findet sich ein von derselben Quelle erstellter Überblick über die Entwicklung der Zahl der Vorfälle von Kalenderwoche 26 - 44 des Jahres 2017:
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(CR 14.11.2017)
Im kürzlich veröffentlichten Global Peace Index (GPI)-Bericht wurde der Irak als das "dritt-unfriedlichste" Land der Welt eingestuft. Laut GPI-Bericht bleibt trotz der Zurückdrängung des IS die Stabilität und Sicherheit der Staaten Syrien und Irak weiterhin bedroht (K24 8.8.2017; vgl. Iraqinews 15.11.2017).
Die die folgende Grafik zeigt, wo sich im Irak die wichtigsten gewaltsamen/militärischen Kämpfe oder Zusammenstöße im Zeitraum Jänner 2015 bis Juni 2016 ereigneten:
Bild kann nicht dargestellt werden
(BMI 2016)
Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 (mit Ausnahme von einigen vom IS zurückeroberten Gebieten) nicht verbessert (AA 7.2.2017). Es herrschen weiterhin Langzeit-Instabilität und Gewalt an mehreren Fronten gleichzeitig (OA/EASO 2.2017). Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen hat sie sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017; vgl. ÖB 12.2016). Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten bleiben Bagdad sowie die Provinzen Anbar, Ninewah, ?ala? ad-Din und Diyala im Norden und Westen des Landes (AA 7.2.2017). Teile dieser Provinzen sind weiterhin nicht vollständig unter der Kontrolle der Zentralregierung. Systematische, grausamste Verbrechen des IS an tausenden Menschen bis hin zu Versuchen, ganze Bevölkerungsgruppen zu vernichten, prägen hier das Bild. Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung Iraks) sind von Gewalt betroffen (AA 7.2.2017). Zuletzt griff der IS am 4. Juli 2017 das Dorf Imam Gharbi, südlich von Qayyarah, an. Dabei gab es 170 Opfer, einige davon Zivilisten (OCHA 13.7.2017). Dem IS wird auch immer wieder vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen (Zeit 16.4.2017). Laut World Health Organization (WHO) sind mögliche Fälle von Einsätzen von Chemiewaffen im Irak seit 2016 stark angestiegen, insbesondere in Mossul gibt es regelmäßig solche Berichte. Die WHO bezog jedoch nicht Stellung, ob die Chemiewaffeneinsätze auf das Konto des IS oder das von anderen Gruppen, die in die Kämpfe um Mossul verwickelt sind, gehen (New Arab 26.6.2017).
Neben den sicherheitsrelevanten Handlungen des IS wird auch von Gewalttaten gegen Zivilisten von Seiten der irakischen Sicherheitskräfte und Milizen berichtet (AA 7.2.2017). Die Milizen sind ein wichtiger Teil der Offensiven gegen den IS, gleichzeitig sind sie jedoch stark religiös/konfessionell motiviert, und es gibt zahlreiche Berichte über Racheakte insbesondere an der sunnitischen Bevölkerung (s. dazu ausführlich die Abschnitte zur Menschenrechtslage sowie den Abschnitt zu IDPs). Allgemein ergeben sich zunehmende Spannungen dadurch, dass die (vorwiegend) schiitischen Milizen der PMF zunehmend an Macht und Terrain gewinnen. Im Norden Iraks nimmt das Gebiet, das die Milizen im Zuge der Mossul-Rückeroberungsoffensive unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. (BBC 3.12.2016). Im Nordwesten des Irak eroberten pro-iranische schiitische Milizen beispielsweise die Stadt Baadsch im irakisch-syrischen Grenzgebiet vom IS zurück. Weitere Vorstöße erfolgten in Richtung der Stadt Al-Qaim. Der Sprecher der Volksmobilisierungseinheiten, Karim al-Nuri, betonte zudem, dass in Koordination mit dem syrischen Regime der IS auch auf syrischem Boden bekämpft wird. Die neue Dominanz der pro-iranischen Milizen im Grenzgebiet stößt auf heftige Kritik der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) in Syrien, die davor warnen syrisches Territorium zu betreten. Ein Einmarsch der schiitischen Milizen würde neue Spannungen zwischen den von den USA unterstützten Kurden und den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen schaffen. Premierminister Abadi kritisierte die Aussage des Kommandanten der Volksmobilisierungseinheiten und betonte, dass es gemäß Verfassung Irakern nicht gestattet ist, über die Grenzen des Landes hinaus zu kämpfen (IFK 9.6.2017).
Gewaltmonopol des Staates
Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen sowie der IS handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asaïb Ahl al-Haq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfield 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilweise nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).
Sicherheitslage in den zurückeroberten Gebieten
Die prekäre Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten ist v.a. durch IEDs (improvised explosive devices) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt (ÖB 12.2016). Besonders in ethnisch gemischten Gebieten werden nach Befreiungsoperationen eskalierende Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen, die an der Rückeroberung teilgenommen haben, dokumentiert (USDOS 3.3.2017). Auch Angriffe seitens des IS können in diesen Gebieten weiterhin eine Rolle spielen (S. Abschnitt zu IDPs und Flüchtlingen).
Mossul
Mitte Juni begann die letzte Etappe der Mossul-Offensive, die "Säuberung" der Altstadt. Zuvor hatte eine Division den Bezirk al-Schifaa eingenommen und den IS eingekesselt. Ein paar Tage später sprengte der IS Medienberichten zufolge die symbolisch bedeutende Al-Nuri Moschee (in der 2014 das Kalifat ausgerufen wurde), um die Verkündung einer Siegeserklärung durch die ISF (Iraqi Security Forces) zu verhindern. Dennoch erklärten die ISF das Ende des IS-Kalifats. Am 9. Juli 2017 erklärte die irakische Regierung die Schlacht für beendet und Mossul für befreit (IFK 25.7.2017). Dies stellt einen großen strategischen Erfolg im Kampf gegen den IS im Irak dar und wurde in fast neun Monate andauernden Kämpfen unter großen Verlusten erreicht.
Es wird jedoch noch lange dauern, bis in Mossul wieder so etwas wie Sicherheit herrschen wird. Im Ostteil der Stadt, den die Djihadisten Anfang des Jahres an die irakischen Kräfte verloren hatten, haben sie nach amerikanischen Angaben seither hunderte Anschläge/Angriffe durchgeführt. Auch dem Westteil Mossuls, der in Trümmern liegt, droht eine Phase der Instabilität (Meier 12.7.2017). Ein harter IS-Kern hat überlebt und sorgt für Unsicherheit. Wochen, nachdem die irakische Regierung ihren Sieg über den Islamischen Staat verkündet hat, tauchen IS-Kämpfer aus dem Nichts auf und Selbstmordattentäter sprengen sich in die Luft (Harrer 10.8.2017). Der IS versucht weiterhin, Waffen in die Stadt zu schmuggeln, was dadurch begünstigt wird, dass er Rückzugsgebiete (wie z.B. die Hamrim-Berge, oder die Wüste) hat, die von den irakischen Streitkräften nicht kontrolliert werden (Harrer 20.8.2017). Besonders der Westen Mossuls, der zuletzt befreit wurde, wird als so unsicher empfunden, dass Familien daraus fliehen. Andere kommen zwar aus den Flüchtlingslagern zurück, aber nicht wenige davon geben angesichts der Lage bald wieder auf und gehen zurück ins Lager. Nach wie vor werden in der Stadt ältere Massengräber - aber auch neue Tote - gefunden (Harrer 10.8.2017). Im Rahmen erster Bestandsaufnahmen wurde festgestellt, dass etwa ein Drittel der Wohnhäuser und Wohnungen Mossuls zerstört wurde; zudem sind wesentliche Teile der Infrastruktur, z.B. sämtliche Tigrisbrücken, zerstört oder stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Verminungen durch den IS werden die Kampfmittelräumung, wie in Fallujah und Ramadi, über Jahre beschäftigen (BAMF 17.7.2017). Große Teile des Westens der Stadt sind auf Grund dieser Verminungen praktisch unbewohnbar. Die Minen sind teilweise sogar in Leichen platziert, wodurch die Bergung und Beerdigung erheblich erschwert wird und Seuchengefahr besteht (BAMF 10.7.2017). Wie in jeder von Kämpfen verwüsteten Stadt, in der sich eine neue Autorität erst durchsetzen muss, gibt es eine mit der Kriegswirtschaft zusammenhängende Kriminalität. Zuletzt gab es Berichte, dass Elemente schiitischer Milizen in den Ölschmuggel verwickelt sind und mit der Bundespolizei, die Teile der Stadt von der irakischen Armee übernommen hat, über die Kontrolle einer Brücke aneinandergerieten. Die Berichte sind jedoch widersprüchlich, je nach dem, woher sie stammen: Sehen die einen in den (meist) schiitischen Hashd al-Shaabi (Volksverteidigungseinheiten) die Retter des Irak vor dem IS, so sind sie für die anderen nicht viel besser als der IS selbst (Harrer 10.8.2017). Übergriffe auf Zivilisten, bzw. auf mut