TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/27 L516 2198885-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.08.2018
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Entscheidungsdatum

27.08.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2198885-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXXX, geb.XXXXX, staatenlos, vertreten durch die Mutter Zainab KHAKI, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2018, Zahl XXXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich geboren und minderjährig. Ihre Mutter, eine iranische Staatsangehörige, stellte für sie als gesetzliche Vertreterin am 09.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde die Mutter am 30.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.

2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG) bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG und erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV). Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen am 25.05.2018 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 19.06.2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter ihrer Mutter XXXXX, geb. XXXXX [hg Zahl L516 2198880-1] und ihres Vaters XXXXX, geb. XXXXX (XXXXX) [hg Zahl L516 2198887-1] und die Schwester ihres Bruders XXXXX, geb XXXXX [hg Zahl L516 2198882-1]. Sie führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin wurde in Österreich geboren.

1.2. Der Vater der Beschwerdeführerin ist afghanischer Staatsangehöriger, der Afghanistan im Jahr 2009 verlassen hatte und in den Iran reiste, wo er sich bis zur Ausreise aus dem Iran und der Einreise in Österreich im Jahr 2015 mehrere Jahre ohne Aufenthaltsrecht aufhielt. Die Mutter der Beschwerdeführerin ist gebürtige iranische Staatsangehörige, die bis zur Ausreise im Jahr 2015 stets im Iran lebte. Die Eltern der Beschwerdeführerin haben am XXXXX im Iran nach muslimisch-religiösem Ritus geheiratet. Die Ehe wurde im Iran nicht offiziell registriert, da der Vater der Beschwerdeführerin über keine gültigen Dokumente und kein Aufenthaltsrecht im Iran verfügt. Die Eltern der Beschwerdeführerin reisten mit dem Bruder der Beschwerdeführerin im Jahr 2015 aus dem Iran aus und in Österreich ein, wo sie am 19.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.

1.3. Die Beschwerdeführerin wird vom Iran nicht als iranische Staatsbürgerin anerkannt, da ihr Vater afghanischer Staatsangehöriger ist, die iranische Mutter nicht automatisch ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder oder ihren nicht-iranischen Ehemann weitergeben kann und die religiös geschlossene Ehe ihrer Eltern im Iran nicht offiziell registriert werden konnte. Die Beschwerdeführerin verfügt auch nicht über die afghanische Staatsbürgerschaft. Sie ist somit staatenlos. Die im Iran nicht registrierte Ehe garantiert der iranischen Mutter und der Beschwerdeführerin keinerlei Rechte. Die Mutter hat für den Bruder der Beschwerdeführerin deshalb auch nach dessen Geburt keine Dokumente von den iranischen Stellen erhalten, weshalb davon auszugehen ist, dass die Mutter auch für die Beschwerdeführerin keine Dokumente von den iranischen Stellen erhalten wird. Die Beschwerdeführerin verfügt im Iran damit auch über kein legales Aufenthaltsrecht, sie hat keinen Zugang zu Schulbildung, Krankenversicherung und später zu einer Arbeit. Es droht ihr im Iran die jederzeit mögliche Trennung von ihrer iranischen Mutter und die Abschiebung aus dem Iran durch die iranischen Behörden.

1.4. Länderfeststellungen:

1.4.1. Heirat zwischen Iranerin und afghanischem Staatsangehörigen im Iran

Nach Angaben des US Department of State (USDOS) vom März 2017 existieren Hindernisse für eine Heirat zwischen iranischen und afghanischen Staatsangehörigen. Laut einem Artikel der iranischen Frauenrechtlerin Leila Alikarami im Newsportal Al-Monitor vom 15. Dezember 2016 und gemäß Informationen des irischen Refugee Documentation Centre vom August 2013, die auf Artikel 1060 des iranischen Zivilgesetzbuches verweisen, benötigt so eine iranische Frau, die einen nicht-iranischen muslimischen Mann heiraten möchte, eine Spezialerlaubnis der iranischen Regierung. Nach Angaben der E-Mail-Auskunft von Leila Alikarami vom 26. Oktober 2017 ist es nicht einfach, diese Bewilligung zu erhalten und der afghanische Mann muss verschiedene Dokumente für den Antrag einreichen. Auch das USDOS (2017) erwähnt, dass die iranischen Behörden verlangen, dass afghanische Staats-angehörige von ihrer Botschaft oder Ämtern in Afghanistan die notwendigen Dokumente beschaffen, um ihre Heirat in Iran registrieren lassen zu können. Ohne die Bewilligung ist es laut Leila Alikarami (26. Oktober 2017) nicht möglich, die Heirat registrieren zu lassen. Rund 70'000 Heiraten zwischen iranischen Frauen und afghanischen Männern sind gemäß Al-Monitor (2016) deswegen nicht bei der National Organization for Civil Registration registriert.

Da die Registrierung solcher Ehen bei den Behörden so kompliziert ist, haben laut Al-Monitor (2016) viele Frauen, die mit ausländischen Männern "verheiratet" sind, nur religiöse Dokumente für ihre Ehe. Leila Alikarami gab am 27. Februar 2017 gegen-über der SFH ebenfalls an, dass Paare in dieser Situation oft nur gemäß der Sharia (dem islamischen Gesetz) heiraten würden. Nach Angaben von Leila Alikarami vom 26. Oktober 2017 ist eine religiöse Trauung zwischen einer iranischen Frau und einem afghanischen Mann lediglich gültig im Rahmen der Sharia, allerdings gebe dies der Ehe keine rechtliche Gültigkeit. Zudem können die Betroffenen nach Angaben derselben Quelle eine solche Trauung nicht offiziell registrieren. Sie erhielten daher keine Heiratsurkunde; ihre Heirat sei nicht offiziell und werde daher nicht von den iranischen Behörden und Gerichten anerkannt (Leila Alikarami, 27. Februar 2017). Diese nicht registrierten Ehen garantieren der iranische Frau und ihren Kindern keinerlei Rechte (Al-Monitor, 2016).

Mögliche Bestrafungen einer Heirat ohne Registrierung sind Haft oder Geldstrafen. Laut USDOS (2017) sieht das iranische Family Protection Law vor, dass Ausländer, die eine Iranerin ohne Bewilligung der iranischen Behörden heiraten, zu einer zwei- bis fünfjährigen Gefängnisstrafe sowie einer Geldstrafe verurteilt werden. Leila Alikarami gab am 26. Oktober 2017 an, dass die Nicht-Registrierung der Ehe eines Ausländers mit einer Iranerin laut Artikel 17 des 1931 Marriage Law eine Gefängnis-strafe zwischen einem bis drei Jahren nach sich ziehen kann. Eine weitere Kontakt-person bestätigte der SFH am 27. Februar 2017, dass auch eine religiös geschlossene, aber inoffizielle Ehe wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" bestraft werden kann, und zwar mit einem bis drei Jahren Inhaftierung des ausländischen Mannes, der eine iranische Frau ohne die nötige Spezialerlaubnis geheiratet hat. Allerdings würden laut Leila Alikarami vom 27. Februar 2017 unter der Sharia verheiratete Paare ohne Heiratsurkunde nicht wegen Ausübung einer illegalen Beziehung bestraft. Anders verhielte es sich mit Paaren, die nicht gemäß Sharia verheiratet sind; diese könnten wegen Ausübung einer illegalen Beziehung oder Ehebruch bestraft werden. Gemäß einem Bericht der BFA Staatendokumentation vom 2. Januar 2017 kann Ehebruch auch unter dem 2013 eingeführten neuen iranischen Strafrecht weiterhin mit Steinigung bestraft werden.

Laut des Artikels in Al-Monitor vom Dezember 2016 hat das Innenministerium alle nach 2001 erfolgten Eheschließungen zwischen iranischen Frauen und afghanischen Männern annulliert. Dagegen vertritt laut Leila Alikarami (26. Oktober 2017) das iranische Legal Department of the Judiciary die Ansicht, dass religiöse Eheschließungen nicht annulliert werden sollten, wenn sie korrekt ausgeführt wurden - auch wenn vor der Eheschließung keine Bewilligung eingeholt wurde. Stattdessen sollten Gerichte die Registrierung erlauben, aber eine Bestrafung laut 1931 Marriage Law für die Betroffenen aussprechen. Allerdings benötigen die betroffenen Paare laut der E-Mail-Auskunft von Leila Alikarami vom 27. Oktober 2017 weiterhin die Spezialbewilligung der iranischen Regierung, um die Eheschließung registrieren zu lassen. (Quelle:

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 27.10.2017:

Heirat zwischen iranischer Frau und afghanischem Mann, Schutz vor Verbrechen im Namen der Ehre)

1.4.2. Staatsbürgerschaftsrecht Iran

US DOS berichtet, dass iranische Frauen nicht automatisch ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder oder ihren nicht-iranischen Ehemann weitergeben können. Nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2006 können Kinder von iranischen Müttern und nicht-iranischen Vätern die Staatsbürgerschaft beantragen, wenn sie 18 Jahre im Iran gelebt haben und die Hochzeit der Eltern offiziell registriert ist. (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 23.06.2017, Staatsbürgerschaft eines Kindes; Österreichische Botschaft, Asylländerbericht 2017)

1.4.3. Staatsbürgerschaftsrecht Afghanistan

Laut Artikel 11 des afghanischen Staatsbürgerschaftsgesetz erhält ein Kind die afghanische Staatsbürgerschaft, auch wenn zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes nur ein Elternteil afghanischer Staatsbürger ist, das Kind außerhalb des afghanischen Territoriums geboren wurde und die Eltern auch außerhalb des afghanischen Territoriums leben, wenn die Eltern im gegenseitigen Einverständnis die Staatsbürgerschaft von Afghanistan für das Kind wählen. Wird ein Kind außerehelich geboren oder ist die Ehe nicht nach Scharia-Jurisprudenz geschlossen, kann das Kind weder die afghanische Staatsbürgerschaft noch einen nationalen Personalausweis erwerben, es sei denn, die Eltern belegen, dass die Ehe gemäß der Scharia führen und das Kind ihres ist. Grundlage für die Staatsbürgerschaft nach Herkunft ist es, legitim geboren zu sein. Es gibt zwei Möglichkeiten einen Antrag zu stellen: a) an das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, wenn der Antragsteller in Afghanistan wohnt oder b) bei der nächstgelegenen diplomatischen oder konsularischen Vertretung Afghanistans, wenn der Antragsteller außerhalb Afghanistans wohnt. (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 03.07.2017, Staatsbürgerschaft eines Kindes)

1.4.4. Staatenlosigkeit im Iran

Da das iranische Staatsbürgerschaftsrecht die Weitergabe der iranischen Staatsbürgerschaft an den Vater bzw. dessen Anerkenntnis des Kindes koppelt und Frauen die iranische Staatsbürgerschaft nicht an ihren Ehemann weitergeben können, wird die Zahl der Staatenlosen im Iran auf 400.000 bis 1 Mio. Menschen geschätzt, v.a. aus Verbindungen von Iranerinnen mit Flüchtlingen und sonstigen Migranten. Außerdem sind Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der Afghanischen Behörden dafür benötigen. Den Staatenlosen wird von den meisten Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt, eine einheitliche Praxis fehlt. Wohltätige Organisationen, v. a. iranische, übernehmen teilweise die Kosten für die medizinische Erstversorgung. (Quelle: Österreichische Botschaft, Asylländerbericht 2017)

1.4.5. Rechtliche Diskriminierung unehelicher Kinder im Iran

Die Kinder unverheirateter Eltern sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, die sogar gesetzlich verankert sind. Dem liegt gemäß dem oben erwähnten Bericht vom 9. März 2015 für das UN Committee on the Rights of the Child das Prinzip zugrunde, dass durch die fehlende Ehe die religiöse Zugehörigkeit des Kindes nicht rechtskonform bestimmt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, welcher der in Iran anerkannten Glaubensrichtungen - muslimisch, christlich, jüdisch oder zoroastrisch - die Eltern des Kindes angehören. Das iranische Strafgesetzbuch spricht unehelichen Kindern daher nur sehr vagen Schutz zu, was ihr Recht auf Leben und persönliche Sicherheit betrifft. Sie sind aufgrund ihres Status als gesetzeswidrig gezeugte Kinder faktisch nicht gegen Mord geschützt, wie der Bericht festhält. (Quelle: Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 10. April 2015 zu Iran: Gefährdungslage bei der Rückkehr in den Iran mit einem unehelichen Kind)

1.4.6. Schulbildung

Nach verschiedenen Berichten ist Kindern ohne gültige Identifikationskarten in Iran der Zugang zu Schulbildung nicht erlaubt. Dies betreffe laut eines Berichts der norwegischen Landinfo vom März 2011 sowohl nicht registrierte afghanische als auch gewisse iranische Kinder. Staatenlosen Kindern - auch der zweiten Generation - bleibt der Zugang zur staatlichen Schule verwehrt. Laut Vertretern der afghanischen Flüchtlinge in Iran werden so schätzungsweise jährlich über 400'000 Kinder vom Unterricht ausgeschlossen. Nach Angaben des US Department of State können staatenlose Kinder manchmal die öffentlichen Schulen besuchen, aber sie erhalten keine Bestätigung für ihren Schulbesuch. Laut einer Meldung von Human Rights Watch vom Dezember 2014 habe die iranische Regierung mitgeteilt, dass afghanischen Kindern ohne Papiere in Zukunft der Zugang zu den Schulen wieder erlaubt werden soll. Auch bei höherer akademischer Ausbildung scheinen Einschränkungen zu bestehen. Laut eines Artikels der NZZ vom 4. April 2014 veröffentlichte die halbstaatliche Nachrichtenagentur Mehr eine Liste von Studiengängen, die per sofort für Personen afghanischer Abstammung unzugänglich waren. (Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Lage der ethnischen Gruppe Khawari vom 11.02.2015)

1.4.7. Gesundheitsdienste und Krankenversicherung

Nicht registrierte Personen aus Afghanistan haben laut der norwegischen Landinfo keinen Zugang zur Krankenversicherung. Auch stehe den sich illegal in Iran aufhaltenden Personen der Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten nicht offen. So müssten sich die Betroffenen für Behandlungen an private Gesundheitsinstitutionen wenden und die Kosten vollumfänglich selber tragen. Personen, welche diese Kosten nicht tragen können, sind darauf angewiesen, dass sie freiwillige Unterstützung bei Gesundheitsdiensten durch medizinische Fachpersonen oder gemeinnützige NGOs erhalten. (Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Lage der ethnischen Gruppe Khawari vom 11.02.2015)

1.4.8. Keine legale Arbeit

Nicht registrierte Personen können nicht legal arbeiten und leben oft von schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs. Gemäss eines Berichts von Human Rights Watch sind vor allem nicht registrierte afghanische Flüchtlinge besonders davon betroffen. Wenn die Behörden diese bei der Ausübung einer nicht genehmigten Tätigkeit erwischen, können sie deportiert werden. Laut der Auskunft von Landinfo lagen die normalen Löhne für Gelegenheitsjobs im Jahr 2008 zwischen 100 und 150 US-Dollar pro Monat. Nach Angaben des UNHCR haben die illegal Angestellten keine Rechte. So können sie auf keine organisierte Unterstützung zurückgreifen, wenn es Probleme mit den Arbeitgebern gibt. (AS 218) (Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Lage der ethnischen Gruppe Khawari vom 11.02.2015)

1.5. Dem minderjährigen Bruder und und den Eltern der Beschwerdeführerin wurden mit Erkenntnissen vom heutigen Tag gemäß § 3 AsylG jeweils der Status einer/s Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festgestellt, dass diesen damit kraft Gesetztes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Es liegt diesbezüglich ein Familienverfahren vor.

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

2.1. Die Feststellungen zur Identität und Herkunft der Beschwerdeführerin (oben II.1.1.) ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben ihrer Mutter, an denen aufgrund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Die Identität steht aufgrund der vorgelegten, von einem österreichischen Standesamt ausgestellten, Geburtsurkunde fest (AS 3).

2.2. Die Feststellungen zu den Eltern der Beschwerdeführerin und ihres Bruders (oben II.1.2.) beruhen auf deren Angaben im Verfahren, die insoweit auch vom BFA nicht bestritten wurden und den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden (Bescheid der Mutter, S 6 f, 53; Bescheid des Vaters, S 8, 51).

2.3. Die Feststellungen zur Rechtsstellung der Beschwerdeführerin im Iran und die ihr drohenden Folgen beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem BFA (AS 11, 13, 39, 40) und den damit im Einklang stehenden Länderfeststellungen (siehe oben II.1.4.), weshalb diese als glaubhaft erachtet werden. Hinweise darauf, dass die Eltern im gegenseitigen Einverständnis die Staatsbürgerschaft von Afghanistan für die Beschwerdeführerin gewählt hätten, haben sich im gesamten Verfahren der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern nicht ergeben, weshalb im Einklang mit den Länderfeststellungen die entsprechende Feststellung zu treffen war, dass sie auch nicht über die afghanische Staatsbürgerschaft verfügt.

2.4. Die Länderfeststellungen (oben II.1.4.) beruhen auf dem in der Beschwerde zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 27.10.2017 (Beschwerde, S 5 f), zwei weiteren Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 11.02.2015 und 10.04.2015, auf dem Asylländerbericht 2017 der Österreichischen Botschaft zum Iran, sowie auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

2.5. Die Feststellung zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten im Falle des Bruders und der Eltern der Beschwerdeführerin (oben II.1.5.) ergibt sich aus deren ho Gerichtsakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005

3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

3.2. Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.3. Gemäß Art 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl III Nr. 81/2008) ist ein "Staatenloser" eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht.

3.3.1. Gemäß Art 10 Abs 1 lit c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikations-RL) beschränkt sich der Begriff der Nationalität nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet dieser insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Ursprünge oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

3.3.2. Gemäß § 2 Abs 1 Z 17 AsylG ist Herkunftsstaat der Staat dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

3.3.3. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestimmt die klare Anordnung des § 2 Abs 1 Z 17 AsylG 2005 als Herkunftsstaat den Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - den Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht. Nur im Falle der Staatenlosigkeit wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (Hinweis E vom 10. Dezember 2009, 2008/19/0977, mit Verweis auf das zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 1 Z 4 AsylG 1997 ergangene E vom 22. Oktober 2002, 2001/01/0089) (VwGH 03.05.2016, Ra 2016/18/0062).

3.3.4. Auch die Verfolgung von Staatenlosen, die gerade wegen Fehlens einer Staatszugehörigkeit maßgebliche Eingriffe zu befürchten haben, stellt eine solche aus Gründen der Nationalität dar und genügt es auch, dass dabei einer Person eine bestimmte (andere) Nationalität unterstellt wird (Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl Rz 404 mwN).

3.4. Zum gegenständlichen Verfahren

3.4.1. Das BFA begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass für die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe angeführt worden seien (Bescheid, S 7). Die Mutter der Beschwerdeführerin hat zwar tatsächlich zunächst ausgesagt, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten (AS 39), doch greift diese formalistische Sichtweise des BFA im vorliegenden Fall zu kurz, da die Mutter in weiterer Folge gegenüber dem BFA vorgebracht hat, dass sie hauptsächlich wegen des minderjährigen Bruders der Beschwerdeführerin ausgereist sei, der im Iran keine Papiere erhalten habe und damit keine Zukunft im Iran habe, das Gesetz im Iran ihre Kinder nicht anerkenne und diese daher Probleme bekommen würden, ihr Sohn im Iran illegal wäre und nach Afghanistan abgeschoben werden würde (AS 13, 39, 40). Dies gilt somit auch für die Beschwerdeführerin selbst. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, erkennt der iranische Staat die Beschwerdeführerin aufgrund dessen, dass der Vater ein im Iran illegal aufhältiger afghanischer Staatsangehöriger ist und die Ehe mit der iranischen Mutter der Beschwerdeführerin von den iranischen Behörden nicht offiziell registriert wird, nicht als seine Staatsangehörige an und die Beschwerdeführerin ist zudem nicht Staatsangehörige von Afghanistan. Es droht ihr jederzeit, von ihrer iranischen Mutter getrennt und aus dem Iran abgeschoben zu werden. Die Beschwerdeführerin ist daher als Staatenlose iSd Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen anzusehen. Die Mutter erhielt für den Bruder der Beschwerdeführerin im Iran keine Identitätsdokumente und dasselbe ist auch im Falle der Beschwerdeführerin zu erwarten; Staatenlosen wird von den meisten Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt und nicht registrierte Personen halten weder Zugang zur Krankenversicherung noch zu einer Schulbildung oder einer legalen Arbeit. Der Beschwerdeführerin fehlt somit im Falle ihrer Rückkehr jegliche (dauerhafte) Existenzgrundlage und besteht für sie jederzeit die reale Gefahr, von den iranischen Behörden deportiert zu werden.

3.4.2. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass damit zahlreiche individuelle Gründe vorliegen, welche in Summe dafür sprechen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in den Iran von Eingriffen von hoher Intensität in ihre zu schützende persönliche Sphäre (Leben, Gesundheit, Freiheit) bedroht wäre, und zwar aus in ihrer Person gelegenen Gründen, welche in Zusammenhang mit den in der GFK genannten Verfolgungsgründen (Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) stehen. Entgegen der vom BFA vertretenen Ansicht liegt daher bei richtiger rechtlicher Würdigung im Falle der Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sowohl eine individuelle als auch asylrelevante Gefährdung vor.

3.4.3. Die Beschwerdeführerin befindet sich somit aus wohlbegründeter Furcht, asylrelevant verfolgt zu werden, außerhalb des Staates Iran und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren.

3.4.4. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.4.5. Im vorliegenden Fall sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gegeben.

3.5. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.6. Da die Eltern und der Bruder der Beschwerdeführerin ihre Anträge auf internationalen Schutz bereits vor dem 15.11.2015 gestellt haben, im vorliegenden Fall auch ein Familienverfahren vorliegt und gem § 34 Abs 4 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang zu erhalten haben, kommt der Beschwerdeführerin trotz der Antragstellung in ihrem eigenen Verfahren am 18.01.2018 dennoch genauso wie ihren Eltern und ihrem Bruder gemäß § 3 Abs 4b AsylG das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gem § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Zu B)

Revision

3.7. Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage klar bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

3.8. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, begründete Furcht
vor Verfolgung, erhebliche Intensität, Familienangehöriger,
Familienverfahren, Fluchtgründe, Flüchtlingseigenschaft,
Herkunftsstaat, maßgebliche Wahrscheinlichkeit, real risk, reale
Gefahr, soziale Gruppe, staatenlos, Verfolgungsgefahr,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.2198885.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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