Entscheidungsdatum
14.09.2018Norm
BBG §40Spruch
L511 2195299-1/3E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. Martin DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice XXXX vom 26.04.2018, XXXX betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid vom 26.04.2018, XXXX behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice,XXXX zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]
1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 22.08.2018 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.4). Dem Antrag waren medizinische Befunde aus den Jahren 2001 bis 2017 beigelegt (AZ 2.5-2.16).
1.2. Das SMS holte in der Folge ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 03.04.2018 wurde aufgrund der Aktenlage erstellt, eine persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers fand nicht statt. Als Ergebnis des Aktenstudiums wurden die Funktionseinschränkungen den folgenden Leidenspositionen zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 10 v.H. festgestellt (AZ 2.24).
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Anpassungsstörung, Stressbelastung, Erschöpfungssyndrom unterer Rahmensatz bei erhaltener sozialer Integration, mit nur leichter affektiver und somatische Störung, Linderung durch therapeutisches Einschreiten (bzw. Kuraufenthalt)
03.05.01
10
1.3. Am 26.04.2018 ergänzte der Sachverständige sein Gutachten mit Ausführungen zur "Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" (AZ 2.25).
1.4. Mit Bescheid des SMS vom 26.04.2018, XXXXwurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 22.08.2018 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung von 10 % die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.30).
1.5. Mit Schreiben vom 07.05.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.2).
Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, es sei auf sein Schreiben vom 23.04.2018, wo er seine psychische Situation geschildert habe, ebensowenig eingegangen worden, wie auf seine Hüftproblematik und Osteoporose. Er sei auch nicht persönlich untersucht worden. Er beantrage von einem dafür zuständigen Facharzt begutachtet zu werden.
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 15.05.2018 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.30]).
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 22.08.2018 erstmalig einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses (AZ 2.4).
1.2. Das für den Bescheid herangezogene Sachverständigengutachten (AZ 2.24) erfolgte durch einen Allgemeinmediziner ohne persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers. Aus dem Gutachten ergibt sich weder, welche Befunde herangezogen wurden, noch warum eine Untersuchung unterbleiben konnte.
Im Gutachten wurde die Anpassungsstörung, Stressbelastung und das Erschöpfungssyndrom unter die Positionsnummer 03.05.01 subsumiert und mit 10% bewertet. Die Hüfttotalendoprothese und die Osteoporose blieben außer Ansatz, weil die Gesundheitsschädigungen keinen Grad der Behinderung erreichten.
1.3. Unter den vorgelegten Befunden des Beschwerdeführers finden sich in den Jahren 2016 insbesondere folgende diagnostizierten Erkrankungen: ein im Jahr 2016 diagnostiziertes Burn-out-Syndrom ICD Z73.0 (AZ 2.12) und ein diesbezüglichen Rückfall aus dem Jahr 2017 (AZ 2.14), Durchschlafstörung ICD G47.0 (AZ 2.13), eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom ICD F33.11 sowie Migräne mit Aura ICD G43.1 (AZ 2.19).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt, aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1).
2.1.1. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
* Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 03.04.2018 samt Ergänzung vom 26.04.2018 (AZ 2.24; 2.25)
* vorgelegte Befunde (AZ 2.5-2.16; 2.19)
* Beschwerde vom 07.05.2018 (AZ 1.2)
* Kopie des Personalausweises (AZ 2.18)
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Sämtliche Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt und sind im Verfahren unbestritten geblieben.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1.1. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6 und 7 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwGG)
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG). Soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG), wobei entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwGVG bereits kundgemacht wurden, in Kraft bleiben (§ 58 Abs. 2 VwGVG).
3.2. Behebung des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG
3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
3.2.2. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127; 29.04.2015, Ra 2015/20/0038; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 RS29).
3.2.3. Das SMS stützt sich im vorliegenden Fall ausschließlich auf das Gutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin. Dieses wurde aufgrund der Aktenlage erstellt. Soweit aus den Befunden ersichtlich sind die beim Beschwerdeführer befundeten Leiden jedoch dem Psychiatrischen bzw. Neurologischen Fachgebiet zuzuordnen. Ein Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie oder Psychologie wurde aber trotz der aufliegenden Befunde nicht beauftragt.
3.2.4. Da das SMS somit gegenständlich jene Ermittlungstätigkeiten unterlassen hat, welche für die Beurteilung des Sachverhaltes unabdingbar sind, liegen keine Ermittlungsergebnisse vor, welche das BvWG allenfalls im Zusammenhalt mit einer durchzuführenden Verhandlung ergänzen (und zu einer meritorischen Entscheidung heranziehen) könnte (vgl. dazu VwGH 09.03.2016, Ra 2015/08/0025, mwN; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005), sondern es wäre das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren zur Vorfrage des im Verfahren bestrittenen Bestehens eines Dienstverhältnisses erstmalig durch das BVwG durchzuführen.
3.2.5. Wenn die belangte Behörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht iSd § 39 Abs. 2 AVG keine geeignete Schritte gesetzt hat, um die erforderlichen Beurteilungen vornehmen zu können, steht die Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde und die Zurückverweisung der Angelegenheit an dieselbe im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127), weshalb gegenständlich das dem BVwG gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das SMS zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen war.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung
Eine Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG). Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen (§ 24 Abs.4 VwGVG).
4.1. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG und bewegt sich im vom VwGH eng gesetzten Rahmen der Zulässigkeit einer Zurückverweisung. Etwa jüngst zur Zulässigkeit einer zurückverweisenden Entscheidung bei Fehlen jeglicher Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde VwGH 30.03.2017, Ra 2014/08/0050; 09.03.2016, Ra 2015/08/0025 und VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127 sowie grundlegend VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063. Der Entfall der mündlichen Verhandlung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L511.2195299.1.00Zuletzt aktualisiert am
31.01.2019