Entscheidungsdatum
14.09.2018Norm
BBG §40Spruch
L511 2187627-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. Martin DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde vonXXXXgegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, XXXX vom 04.10.2017, Zahl: XXXX betreffend Abweisung des Antrags auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 40 iVm § 41 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) festgestellt, dass der Grad der Behinderung sechzig von Hundert (60 v. H.) beträgt und die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]
1.1. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt seit 02.10.2015 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 70% (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.9).
1.2. Am 12.05.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses wegen Ungültigkeit, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (AZ 2.5).
1.3. Ebenfalls am 12.05.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf (Wieder)Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 [StVO] (AZ 2.6).
1.4. Den Anträgen waren medizinische Befunde beigelegt (AZ 2.7-2.8).
1.5. Das SMS holte in der Folge ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 21.08.2017 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 27.06.2017 unter Berücksichtigung von Befunden aus dem Jahr 2017 erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den folgenden Leidenspositionen zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 40 v.H. festgestellt (AZ 2.14).
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Residuen nach Encephalitis aktuelles MRT cranial unauffällig, kein aktueller neurologischer Befund vorliegend,Paresen nicht objektivierbar,anamnestisch laufende systemische Cortisontherapie,anamnestisch relevante Beschwerden angeführt,eine Stufe unter oberem Satz
04.01.01
30
2
Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule MRT der Wirbelsäule vorliegend,relevante Veränderungen beschrieben, Paresen nicht objektivierbar,kein aktueller neurologischer bzw. unfallchirurgischer Befund vorliegend, relevante Beschwerden anamnestisch,unterer Satz
02.01.02
30
Begründend wurde
für den Gesamtgrad der Behinderung ausgeführt, die führende Funktionseinschränkung unter Nr. 1 werde durch Nr. 2 um eine Stufe erhöht, weil es sich dabei um eine von Nr. 1 unabhängige, das Gesamtbild aber negativ beeinflussende Funktionseinschränkung handle. Es handle sich um einen Dauerzustand.
Die Herabstufung im Vergleich zum Vorgutachten von 2015 mit der Feststellung eines GdB von 70 % wurde damit begründet, dass keine aktuellen neurologischen oder unfallchirurgischen Befunde vorlägen. Das Gangbild sei unauffällig und die Paresen nicht objektivierbar.
1.6. Mit Bescheid des SMS vom 04.10.2017, XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.05.2017 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung von 40 % die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.17).
Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 21.08.2017, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.
1.7. Über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO wurde nicht abgesprochen, sondern (lediglich) in Form einer Anmerkung am Ende des angefochtenen Bescheides festgehalten, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlägen, da schon die Voraussetzungen für den Behindertenpass nicht vorlägen.
1.8. Mit Schreiben vom 31.10.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.3).
Darin führt der Beschwerdeführer unter Verweis auf das diesbezügliche Gutachten aus, er habe ab 2015 einen GdB von 70% aufgewiesen. Sein Gesundheitszustand habe sich nicht verbessert, weshalb ihm das nunmehrige Gutachten unverständlich sei. Er ersuche deshalb um fachärztliche Untersuchung. Mit der Beschwerde wurden aktuelle Befunde aus dem Jahr 2017 und 2018 vorgelegt (AZ 1.4 - 1.6).
1.9. Im Zuge des vom SMS weitergeführten Ermittlungsverfahrens holte das SMS ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie ein. Dieses Gutachten vom 28.02.2018 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.02.2018 unter Berücksichtigung des Vorgutachtens vom 21.08.2017 sowie der vorgelegten Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den folgenden Leidenspositionen zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 60 v.H. festgestellt (AZ 2.15).
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Funktionseinschränkung Lendenwirbelsäule bei Z.n. Bandscheibenoperation auf Höhe L5/S1, Rezidivbandscheibenvorfall und Narbengewebe im Operationsgebiet Dauerschmerzen mit episodischer Verschlechterung, Dauerschmerztherapie, regelmäßig intensive aktive Therapie und Physiotherapie
02.01.03
50
2
Paraparese der Beine nach Enzephalitis 2011, positive Borrelienserologie Schmerzen und Gangataxie, sowie muskuläre Faszikulationen, chronische Schmnerzen
04.07.02
50
Begründend wurde für den Gesamtgrad der Behinderung ausgeführt, das führende Hauptleiden unter Nr. 1 werde durch Nr. 2 um eine Stufe erhöht, weil es sich dabei um eine zusätzliche erhebliche Einschränkung und eine gegenseitige negative Beeinflussung handle. Die Änderung im Vergleich zum Vorgutachten sei auf Grund der aktuellen Befunde gerechtfertigt. Eine Nachuntersuchung sei für 2021 vorzusehen, da unter Fortsetzung von adäquaten Therapiemaßnahmen weiterhin eine Besserungsmöglichkeit bestünde.
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 28.02.2018 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.8, 2.1 - 2.17]) und teilte mit dass eine Beschwerdevorentscheidung eingeleitet worden sei, das medizinische Beweisverfahren aber nicht zeitgerecht abgeschlossen werden konnte.
2.1. Das BVwG übermittelte dem Beschwerdeführer das Sachverständigengutachten vom 28.02.2018 gab dem Beschwerdeführer die Möglichkeit dazu Stellung zu nehmen (OZ 2).
2.2. Der Beschwerdeführer behob die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme am 20.06.2018. Eine Stellungnahme erfolgte bis dato nicht.
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und stellte am 12.05.2017 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses.
1.2. Beim Beschwerdeführer besteht folgende Funktionseinschränkung, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Funktionseinschränkung Lendenwirbelsäule bei Z.n. Bandscheibenoperation auf Höhe L5/S1, Rezidivbandscheibenvorfall und Narbengewebe im Operationsgebiet Dauerschmerzen mit episodischer Verschlechterung, Dauerschmerztherapie, regelmäßig intensive aktive Therapie und Physiotherapie
02.01.03
50
2
Paraparese der Beine nach Enzephalitis 2011, positive Borrelienserologie Schmerzen und Gangataxie, sowie muskuläre Faszikulationen, chronische Schmnerzen
04.07.02
50
1.3. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 60 v.H.
1.4. Eine Nachuntersuchung ist für das Jahr 2021 vorgesehen.
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt, aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1).
2.1.1. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
* Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 28.02.2018 (AZ 2.15)
* Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 21.08.2017 (AZ 2.14)
* Beschwerde vom 31.10.2017 (AZ 1.3)
* Einsicht in das Zentrale Melderegister ZMR (OZ 2)
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im Inland hat, ergibt sich aus einem Auszug aus dem ZMR (AZ 2.10; OZ 2), die Antragstellung aus dem Akt (AZ 2.5).
2.2.2. Hinsichtlich der festgestellten bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung wurden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie vom 28.02.2018 herangezogen (AZ 2.15), da es sich dabei nicht nur um das zeitlich jüngere Gutachten handelt, welches die neueren Befunde aus 2017 und 2018 bereits berücksichtigt, sondern auch um eines aus dem entsprechenden Fachgebiet, dem die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers zuzuordnen sind.
2.2.2.1. Die festgestellten Funktionseinschränkungen ergeben sich aus dem Gutachten, welches nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei ist. Es basiert auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und berücksichtigt sowohl das Vorgutachten vom 21.08.2017, als auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten jüngeren Befunde (AZ 1.4 - 1.6) und steht mit diesen nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Die Feststellungen im Gutachten sind schlüssig und weder der Beschwerdeführer noch das SMS sind diesen im Verfahren entgegengetreten (OZ 2, AZ 1.1).
2.2.2.2. Auch die Subsumtion unter die jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung sind nachvollziehbar und wurden von den Parteien nicht angezweifelt.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
Eine Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG). Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen (§ 24 Abs.4 VwGVG).
3.1. Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art. 6 EMRK zu beurteilen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR] sieht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung etwa dann für gerechtfertigt an, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry, Appl 28394/95 Rz 37). Art. 47 Abs. 2 GRC gewährleistet ein Art6 Abs1 EMRK vergleichbares Recht auf eine mündliche Verhandlung (VfGH 29.11.2014, B413/2013; EuGH 22.12.2010, DEB, C-279/09 Rz 31, 35). Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem Absehen von einer Verhandlung von Seiten des BVwG somit dann nicht entgegen, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und erkennbar ist, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlage nicht erwarten lässt (VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 26.01.2017, Ra 2016/07/0061 RS2 mwN).
3.1.1. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6 und 7 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwGG) iVm § 45 Abs. 3 und Abs. 4 BBG.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG). Soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG), wobei entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwGVG bereits kundgemacht wurden, in Kraft bleiben (§ 58 Abs. 2 VwGVG).
4.2. Stattgabe der Beschwerde
4.2.1. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen [...].
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) [...] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn [...] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
4.2.2. Der Beschwerdeführer leidet an einer Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie einer Paraparese der Beine. Es handelt sich dabei um einen Dauerzustand, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt.
4.2.3. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich und stellte am 12.05.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, womit er die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG erfüllt.
4.2.4. Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra2017/11/0040).
4.2.4.1. Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 28.02.2018 ist - wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt - richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft.
4.2.4.2. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt somit zum Entscheidungszeitpunkt 60 v.H. und der Beschwerdeführer erfüllt die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist.
4.2.5. Der Beschwerde war daher stattzugeben und spruchgemäß festzustellen, dass die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen.
4.2.6. Da das SMS gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG an die Rechtsansicht des BVwG gebunden ist, ist dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. auszustellen.
4.2.7. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer im Zuge des Verwaltungsverfahrens beantragten Vornahme von Zusatzeintragungen in den Behindertenpass ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid ausschließlich die Abweisung des Antrags auf Neuausstellung eines Behindertenpasses zum Gegenstand hatte.
4.2.8. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Sache" des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht - ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs - jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu für viele VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN). Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über von der Behörde nicht behandelte Anträge abzusprechen. Ebenso wenig darf das Verwaltungsgericht ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung machen, welches über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge.
4.2.9. Das BVwG ist daher verfahrensgegenständlich weder berechtigt, über den Antrag gemäß § 29b StVO, noch über die Vornahme von Zusatzeintragungen abzusprechen.
4.2.10. Der Vollständigkeit halber ist abschließend anzumerken, dass - wie die belangte Behörde zutreffend in Ihrer Anmerkung zum Bescheid ausgeführt hat - für die beantragten Zusatzeintragungen (u.a.) das Vorliegen eines Behindertenpasses Voraussetzung ist. Die Vornahme von Zusatzeintragungen kommt daher - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - erst nach Ausstellung eines Behindertenpasses in Betracht
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L511.2187627.1.00Zuletzt aktualisiert am
31.01.2019