TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/27 W207 2185898-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2018
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Entscheidungsdatum

27.09.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W207 2185898-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Gerd GRUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 19.01.2018, OB: XXXX, betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin stellte am 05.12.2011 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, der mit Bescheid des Bundessozialamtes Wien (nunmehr: Sozialministeriumservice, in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) vom 30.07.2012 rechtskräftig abgewiesen wurde. Dies erfolgte auf Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens vom 16.04.2012, in dem auf Grundlage der Bestimmungen der Richtsatzverordnung die Funktionseinschränkungen 1. "Bandscheibenschaden der LWS, Abnützungserscheinungen der HWS; Oberer Rahmensatz, da ohne neurolog. Ausfallserscheinungen, jedoch glaubhaft chronische Schmerzsymptomatik", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H. nach der Positionsnummer 190 der Richtsatzverordnung, 2. "Posttraumatische Belastungsstörung; 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da Dauermedikation, jedoch sozial integriert", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer g.Z. 585 der Richtsatzverordnung, und 3. "Knochenmarksödem im rechten Femurkopf; Unterer Rahmensatz, da ohne funkt. Defizit", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer g.Z. 96 der Richtsatzverordnung, festgestellt wurden. Festgestellt wurde damals ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H.

Am 17.11.2017, bei der Behörde eingelangt am 20.11.2017, stellte die Beschwerdeführerin beim Sozialministeriumservice den gegenständlichen Antrag "auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung" im Behindertenpass, der von der belangten Behörde - da die Beschwerdeführerin nicht im Besitz eines Behindertenpasses war - zutreffend als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gewertet wurde. Diesem Antrag legte die Beschwerdeführerin Befundberichte eines näher genannten Röntgeninstitutes vom 20.09.2016, 25.10.2016 und 26.06.2017, einen Befund eines näher genannten Diagnosezentrums vom 06.10.2016, einen Befund eines näher genannten Orthopäden vom 16.03.2017, ein Karteiblatt eines näher genannten Rheuma-Zentrums vom 02.03.2017, einen Röntgenbefund eines näher genannten Rheuma-Zentrums vom 08.03.2017, ein Schreiben betreffend eine Knochendichtebestimmung vom 17.03.2017 und einen Befundbericht einer näher genannten Fachärztin für Psychiatrie vom 09.11.2017 bei.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Sachverständigengutachten vom 18.01.2018 wurde nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 18.01.2018 Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - ausgeführt:

"...

Anamnese:

Siehe auch VGA vom 16.04.2012:

Bandscheibenschaden der LWS, Abnützungen des HWS 30%, Posttraumatische Belastungsstörung 20%, Knochenmarksödem im rechten Femurkopf 10%, Gesamt-GdB 30%

Derzeitige Beschwerden:

Ich bin ein ewiges Opfer. Ich bin 2004 geschieden. 2007 bin ich von meinem Ex-Gatten vergewaltigt worden. Ich war bis vor 1,5 Jahren in psychologischer Betreuung. Dann ist meine Psychologin verstorben. 1,5 Jahre habe ich jetzt keine Therapie. Jetzt habe ich eine neue Therapeutin, bei der ich das letzte Mal vor einem Monat war, weil ich einen Nervenzusammenbruch hatte. Den hatte ich, weil mich die MA 40 terrorisiert. Ich arbeite ehrenamtlich als Sozialarbeiterin, allerdings bin ich nicht diplomiert. Seit meine Kinder erwachsen sind, bekomme ich auch keine Alimente mehr. Seit dieser Vergewaltigung habe ich auch Schmerzen in der linken Schulter, da war ich auch beim Orthopäden. Der Orthopäde hat mir damals gesagt ich darf die Hand nicht anstrengen. Auch ist letztes Jahr mein sechster Wirbelkörper herausgesprungen, wo ich auch beim Chiropraktiker war. Ich habe auch Nierensteine, die mir nur ab und zu Beschwerden machen

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Neurobion, Oleovit, Novalgin, Amblodipin

Sozialanamnese:

geschieden, 2 Kinder, Beruf: AMS

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr. X, FA f Neurologie vom 09.11.2017: Depression, Posttraumatische Belastungsstörung, Schlafstörungen

Röntgen der LWS a.p. und seitlich: 08.03.2017

Mäßige Osteochondrose im Segment L4/5, geringe Osteochondrose im Segment L5/S1 mit geringgradiger deformierender Spondylose der beiden Segmente. Geringe spondylarthrotische Veränderungen der unteren LWS.

RHEUMA-ZENTRUM Y. vom 02.03.2017 Dorsalgie (p.m. Th5/6), rez Lumbago- SIG-Blockade re,

BWS fokale Impression Deckplatte Th 6 wie intraspong. Protr, Protrusion L4/5, rechtskonvexe Achsenabweichung BWS, Myalgien p.m. pv LWK2+3+ BWS

Sonographie der Nieren vom 25.10.2016: Nephrolithiasis sin.

Sonographie der Nieren vom 26.06.2017: Konstant links zwei Konkremente sowie gegenüber der Voruntersuchung ein aufgetretenes rechts.

MRT der Brustwirbelsäule vom 06.10.2016

Fokale Impression der Deckplatte Th6 wie bei intraspongiösem Bandscheibenvorfall. Kein Markraurnödem

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

gut

Größe: 170,00 cm Gewicht: 76,00 kg Blutdruck: 130/80

Klinischer Status - Fachstatus:

45 Jahre

Haut/farbe: rosig sichtbare Schleimhäute gut durchblutet

Caput: Visus: unauffällig Hörvermögen nicht eingeschränkt

keine Lippenzyanose, Sensorium: altersentsprechend, HNA frei

Collum: SD: schluckverschieblich, keine Einflusstauung, Lymphknoten:

nicht palpabel

Thorax. Symmetrisch, elastisch

Cor: Rhythmisch, rein, normfrequent

Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe

Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar,

Hepar am Ribo, Lien nicht palp. Nierenlager: Frei.

Pulse: Allseits tastbar

Obere Extremität: Symmetrische Muskelverhältnisse. Nackengriff und Schürzengriff bds. uneingeschränkt durchführbar, grobe Kraft bds. nicht vermindert, Faustschluß und Spitzgriff bds. durchführbar. Freie Beweglichkeit in beiden Schultergelenke. Die übrigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich. Sensibilität wird unauffällig angegeben,

Untere Extremität: Zehenspitzen und Fersenstand sowie Einbeinstand bds. durchführbar, beide Beine von der Unterlage abhebbar, grobe Kraft bds. nicht vermindert, freie Beweglichkeit in Hüftgelenken und Kniegelenken, bandstabil, kein Erguss, symmetrische Muskelverhältnisse, Sensibilität wird unauffällig angegeben keine Varikositas, keine Ödeme bds.,

Wirbelsäule: Kein Klopfschmerz, Finger-Bodenabstand im Stehen: 30 cm,

Rotation und Seitwärtsneigung im Bereich der HWS frei beweglich, im Bereich der BWS+LWS zu 1/3 eingeschränkt

Gesamtmobilität - Gangbild:

Normales Gangbild

Status Psychicus:

klar, orientiert, weinend, klagend

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule unterer Rahmensatz, da eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung ohne neurologisches Defizit vorliegt

02.01.02

30

2

Posttraumatische Belastungsstörung 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da sozial integriert

03.05.01

20

3

Nierensteine 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da rezidivierendes Steinleiden, jedoch ohne wesentliche Belastungen.

08.01.04

20

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

weil der führende GdB unter der Position 1 durch Leiden 2+3 nicht erhöht wird, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Von Seiten des linken Schultergelenkes konnte keine Funktionseinschränkung festgestellt werden

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Erstmalige Einstufung nach der EVO. Wegfall von Leiden 3, da eine Knochenmarksödem im rechten Femurkopf befundmäßig nicht mehr belegt ist. Gleichbleiben von Leiden 1+2. Hinzukommen von Leiden 3.

[X] Dauerzustand

Frau M. kann trotz ihrer Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen:

[X]JA

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

keine. Es liegen keine erheblichen Funktionsstörungen der oberen und unteren Extremitäten, sowie der Wirbelsäule vor. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist selbständig möglich. Bei ausreichend guten Kraftverhältnissen der oberen und unteren Extremitäten ist das Ein- und Aussteigen ohne fremde Hilfe zumutbar. Das sichere Anhalten ist möglich. Ein sicherer Transport in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist unter üblichen Transportbedingungen möglich

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

nein

..."

Im Akt der belangten Behörde befindet sich ein undatiertes, an den ärztlichen Dienst des Sozialministeriumservice adressiertes Schreiben der Beschwerdeführerin, in dem sie ihre persönliche Situation näher darlegt. Es werden mit diesem Schreiben keine weiteren einschätzungsrelevanten Funktionseinschränkungen dargetan.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.01.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und führte begründend aus, dass das durchgeführte medizinische Beweisverfahren einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe und somit die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, das einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Dieses medizinische Sachverständigengutachten vom 18.01.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem Bescheid übermittelt.

Gegen diesen Bescheid der belangten Behörde erhob die Beschwerdeführerin am 06.02.1018 fristgerecht eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht folgenden, von der Beschwerdeführerin am 02.02.2018 beim Sozialministeriumservice mündlich zu Protokoll gegebenen Inhaltes:

"...

Gegenstand der Amtshandlung:

Ich erhebe Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservices, Landesstelle Wien betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 19.01.2018 zugestellt am 25.01.2018.

Begehren:

Der Grad der Behinderung ist mit 30% zu gering bemessen. Ich bin mehr beschränkt als 30%. Ich möchte aber gerne arbeiten gehen, weil ich schon 17 Jahre vom Steuergeld anderer lebe. Ein Attest konnte ich nicht vorlegen, da ich es mir nicht leisten kann. Ich will das mir ermöglicht wird in den Arbeitsprozess einzusteigen, laut AMS geht das nur mit 50%."

Der Beschwerde wurden keine medizinischen Unterlagen beigelegt.

Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt am 12.02.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 20.11.2017 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule; mäßiggradige Bewegungseinschränkung ohne neurologisches Defizit

2. Posttraumatische Belastungsstörung; sozial integriert

3. Nierensteine; rezidivierendes Steinleiden, jedoch ohne wesentliche Belastungen

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 30 v.H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen und deren Ausmaß sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten vom 18.01.2018 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet ergibt sich aus einer vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen und der Gesamtgrad der Behinderung gründen sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 18.01.2018.

In diesem medizinischen Sachverständigengutachten wird auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten medizinischen Unterlagen auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Mit dem Beschwerdevorbringen wird keine Rechtswidrigkeit der von der medizinischen Sachverständigen vorgenommenen einzelnen Einstufungen der festgestellten Leiden konkret behauptet und ist eine solche auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin bringt lediglich vor, dass der Grad der Behinderung mit 30 v.H. zu gering bemessen worden sei, sie sei mehr beschränkt als 30 v.H. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 18.01.2018 schlüsselt konkret und umfassend auf, welche Funktionseinschränkungen bei der Beschwerdeführerin vorliegen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden. Aufgrund der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen und einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin konnte gegenwärtig kein höherer Grad der Behinderung als 30 v.H. objektiviert werden.

Was das allgemeine Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend die Auswirkungen ihrer Funktionseinschränkungen auf die Ausübung ihrer Berufstätigkeit betrifft, so geht dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil - dies sei als Vorgriff auf die rechtliche Beurteilung ausgeführt - die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz (BBG) gestellt hat und dieser den Prozessgegenstand festlegt. Die Bestimmungen des BBG zielen aber gemäß § 1 BBG darauf ab, Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu sichern, nicht aber - anders als die Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) - die bestmögliche Teilnahme am allgemeinen Erwerbsleben.

Der Beschwerde wurden keine weiteren medizinischen Unterlagen beigelegt, die die vorgenommenen Einstufungen widerlegen oder diesen entgegenstehen würden. Die Beschwerdeführerin ist daher dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, die im Auftrag der Behörde erstellten Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 18.01.2018. Dieses seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

...

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."

Wie oben unter Punkt II.2. im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 18.01.2018 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 30 v.H. beträgt.

Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde keine weiteren Befunde vor, die geeignet wären, die durch die medizinische Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche einschätzungsrelevante Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes der Beschwerdeführerin zu belegen.

Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten medizinischen Unterlagen, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. Die Beschwerdeführerin ist dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde, wie bereits erwähnt, daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Das medizinische Sachverständigengutachten ist auch nicht zu beanstanden, wenn es im Sinne des § 3 Abs. 3 und 4 der Einschätzungsverordnung eine entscheidungswesentliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung in dem Sinne, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirken würde oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen würden, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen würden, im gegenständlichen Fall nicht gegeben sieht.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer belegten Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung im Rahmen einer neuerlichen Antragstellung beim Sozialministeriumservice - allerdings nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG - in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W207.2185898.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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