TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/1 W111 2202207-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2018
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Entscheidungsdatum

01.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W111 2202207-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Ukraine, vertreten durch den XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2018, Zl. 1186624306-180326679, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Ukraine, gelangte illegal in das Bundesgebiet und stellte am 04.04.2018 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, zu welchem er am darauffolgenden Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er gehöre der ukrainischen Volksgruppe an, bekenne sich zum katholischen Glauben und stamme aus dem Oblast XXXX. Er verfüge über eine elfjährige Schulbildung und habe den Beruf des Einkaufsmanagers erlernt. Seine Mutter halte sich unverändert in der Ukraine auf, sein Vater, sein Bruder und sein Sohn hielten sich legal in Deutschland auf, mit diesen habe der Beschwerdeführer jedoch keinen Kontakt.

Der Beschwerdeführer leide an keiner Erkrankung, welche ihn an der Durchführung der Befragung hindern würde, im Asylverfahren werde er jedoch eine medizinische Untersuchung benötigen, da er aufgrund von Scherben, welche ihm der ukrainische Geheimdienst eingepflanzt hätte, Schmerzen im Körper habe. Den Entschluss zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat habe er zwei Jahre zuvor gefasst, sein Zielland wäre die Schweiz gewesen. Der Beschwerdeführer sei unter Mitführung seines - nunmehr sichergestellten - Reisepasses über die Schweiz, Deutschland und Liechtenstein nach Österreich gelangt. In der Schweiz sei ihm mitgeteilt worden, dass er nur sehr geringe Chancen auf Asyl hätte, weshalb er weitergereist wäre. Die Ukraine habe er verlassen, da er von den dortigen Behörden verfolgt worden wäre. Der ukrainische Geheimdienst hätte sein Leben bedroht. Man hätte ihn unter Narkose gesetzt und sein Sperma geraubt, um verschiedene Frauen damit zu befruchten; man habe mit seinem Sperma Sklaven züchten wollen. Der Beschwerdeführer hätte Angst, dass ihm eine politische Armee verschiedene Chips in seinem Körper implantiert hätte. Der Beschwerdeführer glaube, dass ihn die Geheimpolizei der Ukraine im Falle seiner Rückkehr verhaften, quälen und töten würde.

Im Protokoll der Erstbefragung wurde zudem angemerkt, dass der Beschwerdeführer von 14.03.2018 bis 26.03.2018 in einer psychiatrischen Universitätsklinik in der Schweiz behandelt worden wäre, wie sich aus einem in Vorlage gebrachten ärztlichen Attest ergeben würde. Im Reisepass des Beschwerdeführers sei der biometrische Chip durch diesen entfernt worden, da er denke, dass dieser von der ukrainischen Geheimpolizei zu Überwachungszwecken angebracht worden wäre. Der Beschwerdeführer verfüge über eine bis 07.04.2018 gültige private ukrainische Reisekrankenversicherung und hätte seine Aussagen während der Befragung mehrmals geändert.

Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 12.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich zu den Gründen seiner Antragstellung einvernommen. Dabei brachte er auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor (im Detail vgl. die Seiten 81 bis 90 des Verwaltungsaktes), sich etwas unwohl zu fühlen, er werde jedoch versuchen, die Befragung durchzuführen. Er vermute, dass er Herzbeschwerden habe, zudem habe er Splitter in seinem Körper, man hätte ihm ein elektronisches Gerät eingepflanzt. Wer genau dafür verantwortlich wäre, sei ihm nicht bekannt, da es sehr geheim wäre; es handle sich um irgendwelche Spezialbehörden. Vor kurzem sei er bei einer Ärztin gewesen. Da er früher wegen der Splitter starke Schmerzen gehabt hätte, habe er Heroin eingenommen. Er habe die Ärztin in Österreich um ein Ersatzmittel bzw. ein Schmerzmittel gebeten. In der Schweiz hätte er keine medizinische Hilfe erhalten. In seiner Heimat hätte er mit der Spezialbehörde SBU gesprochen, welche ihm gesagt hätte, dass sie von der Existenz des elektronischen Chips wüssten, ihm jedoch keinen Schutz gewähren könnten. Von der Erstattung einer Anzeige sei ihm abgeraten würden. Auf die Frage, ob er Kinder hätte, antwortete der Beschwerdeführer, eine Frau würde behaupten, dass sie ein Kind von ihm hätte, dies sei jedoch nicht überprüft worden. Einige Frauen hätten mit ihm Kontakt aufgenommen und gesagt, dass sie "Sexsklavinnen für Millionäre" seien. Der Beschwerdeführer vermute, dass diese ihn kontaktiert hätten, da sie die Kinder an die Millionäre verkauft und es dann bereut hätten. Auf die Frage, bei wem es sich um die Person mit dem Namen handle, welchen er anlässlich der Erstbefragung als seinen Sohn angeführt hätte, meinte der Beschwerdeführer, dass eine näher genannte Frau mit seinem Vater verheiratet wäre; sie hätten drei Kinder, wobei die Frau behaupten würde, dass eines davon vom Beschwerdeführer wäre. Der Chip in seinem Reisepass sei von einem Freund entfernt worden; es hätte geheißen, dass man mit Hilfe des Chips den Aufenthaltsort einer Person feststellen könne. Wo der Chip genau entfernt worden wäre, sei dem Beschwerdeführer nicht erinnerlich. In der Ukraine hätte er eineinhalb Jahre keine Dokumente bekommen, da immer die ein oder andere Bestätigung gefehlt hätte.

In Österreich habe er keine Verwandten oder sonstige enge soziale Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer sei in der Ukraine und in Deutschland aufgewachsen, er habe eine elfjährige Grundschulbildung absolviert und im Anschluss Managerkurse besucht und in diesem Beruf gearbeitet. Es falle ihm schwer, sich daran zu erinnern, wann er in Deutschland aufhältig gewesen wäre. Er sei zehn Jahre alt gewesen, als er nach Deutschland gekommen wäre, mit 16 Jahren sei er zurück in die Ukraine gekehrt, da seine Mutter krank geworden wäre. Vor seiner Ausreise habe er mit seiner Mutter in deren Eigentumswohnung im Gebiet XXXX gelebt; er hätte in verschiedenen, ihm nicht erinnerlichen, Firmen als Manager gearbeitet; bis zu dem Zeitpunkt, als eineinhalb Jahre zuvor der Anschlag auf ihn verübt worden wäre. Danach habe er nicht mehr arbeiten können, da es ihm gesundheitlich schlecht gegangen wäre. Zu jenem Anschlag führte der Beschwerdeführer aus, dass sie ihm in einer Bar etwas in den Wodka geschüttet hätten; dem Beschwerdeführer sei schlecht geworden; auf dem Heimweg seien ihm etwa 15 bis 20 Männer entgegengekommen, einer davon hätte dem Beschwerdeführer ein Betäubungsmittel ins Bein geschossen. Der Beschwerdeführer hätte das Bewusstsein verloren, sei in ein Auto gezerrt und weggebracht worden. Danach sei er ca. eine Woche lang in einem Keller festgehalten und immer wieder geschlagen worden. Sie seien mit Sonden in seinen Mund gefahren und hätten etwas in seiner linken Seite gemacht; dort hätte er im Bereich des Herzens starke Schmerzen verspürt. Wer die Leute gewesen seien, könne er schwer sagen; Söldner, Geheimdienste. Aber sie hätten Zugang zu den neuesten Technologien gehabt. Eine Sonde hätte ca. 500.000 USD gekostet. Sie hätten versucht, den Beschwerdeführer anzuwerben und ihm gedroht, ihn andernfalls umzubringen. Sie hätten ihn rausgebracht und einfach auf der Straße zurückgelassen. Am Anfang hätte er sich kaum an etwas erinnern können; sie hätten ihm irgendwelche synthetischen Substanzen verabreicht. Nach sechs Monaten sei er hingefallen und hätte aufgrund des Verdachts einer Gehirnerschütterung die Rettung gerufen. Noch im Rettungswagen auf dem Weg ins Krankenhaus sei ihm eine Giftspritze verabreicht worden; er hätte sein linkes Bein nicht mehr gespürt, habe einen Monat lang nichts essen können und sei ein paar Tage im Koma gelegen. Bezüglich des Chips sei ihm noch ein Teil in die Nase gedreht worden. Der Chip ermögliche, mit einer Person in Kontakt zu treten, ohne diese Person anzurufen. Man höre sie dann einfach; außerdem beeinflusse er den Gedankengang und könne auf das Unterbewusstsein einwirken.

Ersucht, seine Fluchtgründe chronologisch zu schildern, verwies der Beschwerdeführer auf die bereits dargelegten Vorfälle. Ihm sei gedroht worden. Er sei dann zur Polizei gegangen, welche ihm gesagt hätte, dass sie von diesen Chips wüssten, doch solle man nichts aufschreiben, um nichts zu provozieren. Es hätte noch einen Anruf gegeben; man habe ihn zum Militäramt bestellen wollen - es sei angedeutet worden, dass man viel Geld in ihn investiert hätte, dafür sollte er für sie kämpfen. Der Beschwerdeführer sei nicht hingegangen. Der konkret fluchtauslösende Vorfall sei die Geschichte mit dem Krankenwagen gewesen, welche sich vor etwa vier bis fünf Monaten ereignet hätte. Nach Beweisen für sein Vorbringen gefragt, meinte der Beschwerdeführer, man könnte ihn in Bezug auf den Chip, welcher sich immer noch in seinem Körper befände, untersuchen. Seine Eltern könnten seine Vergiftung bezeugen. Nachgefragt, hätte er ein paar Mal Heroin genommen bzw. Tabletten, Schmerzmittel und Heroin geschnupft. Bezüglich seiner Fluchtgründe wolle er ergänzend auf ein Gespräch mit dem Bürgermeister von XXXX verweisen, mit welchem sich der Beschwerdeführer zerstritten hätte. Der Beschwerdeführer vermute, dass dessen Leute hinter der Sache stecken würden. Der Beschwerdeführer wisse nicht, weshalb sie ausgerechnet ihn ausgewählt hätten. Er vermute, dass man ihn habe beseitigen wollen. Sie hätten früher Sperma von ihm entnommen, damit es Frauen eingesetzt werde und diese Kinder austragen, welche "später als Sexsklaven verwendet" würden. Gegen den Beschwerdeführer bestünden kein Haftbefehl und keine staatlichen Fahndungsmaßnahmen; die ukrainischen Behörden hätten versucht, ihn des Separatismus zu beschuldigen, passiert sei jedoch nichts. Er hätte sich mit Aktivisten unterhalten und seine Meinung im Internet geäußert. Es hätte Drohungen gegeben, woraufhin er aufgehört hätte, zu schreiben. Er habe keine Probleme aufgrund seiner Religion gehabt, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe er Probleme gehabt, da einige ihn als Deutschen angesehen hätten. Im Falle einer Rückkehr in die Ukraine würde man ihn noch mehr zum Krüppel machen und ihn vermutlich töten. Dem Beschwerdeführer wurden in der Folge die herangezogenen Länderberichte zu seinem Herkunftsstaat im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht, außerdem wurde er darüber informiert, dass er eine Überweisung für eine ärztliche Untersuchung erhalten werde. Nach Rückübersetzung seiner Angaben bestätigte der Beschwerdeführer, dass die Niederschrift seinen Angaben entsprechen würde.

Mit Eingabe vom 12.04.2018 wurden den Beschwerdeführer betreffende Laborbefunde übermittelt.

Aus einem durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen-Gutachten vom 04.05.2018 ergibt sich im Wesentlichen, dass eine wahnhafte Störung differentialdiagnostisch zwar grundsätzlich in Frage käme, die Diagnosekriterien dieser oder einer sonstigen psychischen Erkrankung seien jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit erfüllt. Die vom Beschwerdeführer getätigten Angaben zum Ausreisegrund seien teilweise nicht nachvollziehbar. Eine paranoide Verarbeitung realer Gegebenheiten sei zwar nicht auszuschließen, könne aber letztlich nicht mit der notwendigen Sicherheit angenommen werden.

Am 08.06.2018 fand eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, im Rahmen derer der Beschwerdeführer zusammengefasst angab, sich zur Durchführung der Einvernahme grundsätzlich bereit zu fühlen, doch habe er aufgrund von Nervosität die ganze Nacht nicht geschlafen. Sein Gesundheitszustand hätte sich seit seiner letzten Einvernahme verschlechtert. Er habe linksseitige Schmerzen unter dem Arm und im Herzbereich. Auf Vorhalt, dass laut dem eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten keine posttraumatische Belastungsstörung beim Beschwerdeführer diagnostiziert worden wäre, erwiderte dieser, der Sachverständige habe Unrecht. Beim Beschwerdeführer würden immer wieder schlechte Erinnerungen, Depressionen und Schmerzen aufkommen. Außerdem nehme er das ärztlich verschriebene Schmerzmittel Tramal. Der Beschwerdeführer sei der Meinung, dass der Sachverständige nur dazu da gewesen wäre, Ergebnisse festzustellen, welche letztlich negativ für sein Asylverfahren wären. In den ihm ausgehändigten Länderberichten zur Ukraine stünde das Gleiche, was im Fernsehen gezeigt werde. Es handle sich um keine neuen Informationen, da sich in der Ukraine in der letzten Zeit viel geändert hätte. Er sei der Meinung, dass Politiker nur dafür da wären, Geld zu machen und Korruption zu betreiben; es gäbe zwar Politiker, die sich wirklich für das Land einsetzen würden, doch handle es sich bei diesen um Einzelfälle.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.06.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion des Beschwerdeführers fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in dessen Herkunftsstaat zu Grunde. Der Beschwerdeführer leide an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die von ihm erstatteten Angaben zum Fluchtgrund würden sich als unglaubhaft darstellen und es könne nicht festgestellt werden, dass dieser im Heimatland einer persönlichen oder staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle erwiesen sich als nicht plausibel, hätten durch keinerlei Beweismittel untermauert werden können und enthielten zeitlich divergierende Angaben. Es seien keine Hindernisse zu erblicken, welche es dem Beschwerdeführer unmöglich machen würden, in die Ukraine zurückzukehren und sein weiteres Leben dort zu gestalten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass selbiger im Falle einer Rückkehr in die Ukraine der realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung oder der Gefahr der Folter bzw. einer sonstigen Gefahr für sein Leben ausgesetzt wäre. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gut ausgebildeten jungen Mann, welcher die Möglichkeit hätte, am Erwerbsleben teilzunehmen und neuerlich in der Eigentumswohnung seiner Mutter im Gebiet XXXX unterzukommen. Der Beschwerdeführer verfüge im Bundesgebiet über keine sozialen oder wirtschaftlichen Bindungen. Es hätten sich keine Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben. Da der Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme und für die Behörde feststünde, dass ihm in der Ukraine keine Gefahr einer Menschrechtsverletzung drohe, sei es ihm zumutbar, den Ausgang seines Verfahrens in der Ukraine abzuwarten, weshalb der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen wäre.

3. Mit Eingabe vom 25.08.2018 wurde durch die gewillkürte Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher begründend im Wesentlichen ausgeführt wurde, die belangte Behörde hätte es unterlassen, sich mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers sachgerecht auseinanderzusetzen und diesbezüglich ein adäquates Ermittlungsverfahren durchzuführen, wodurch der angefochtene Bescheid an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel leide. Falls dem Vorbringen des Beschwerdeführers dennoch keine Asylrelevanz zugebilligt werden könne, sei diesem der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, da ihm im Falle einer Abschiebung in die Ukraine eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe. Der Beschwerdeführer bemühe sich um eine Integration in Österreich, spreche sehr gut Deutsch und sei arbeitswillig. Beiliegend wurden ein Röntgenbefund vom 19.04.2018, ein Blutbefund vom 20.07.2018, sowie eine diesbezügliche handschriftliche Anmerkung eines Allgemeinmediziners übermittelt.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 30.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit hg. Beschluss vom 09.08.2018 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuerkannt.

5. Am 18.9.2018 langte beim BVwG die Verständigung betreffend die Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen der §§ 127,129 StGB ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Ukraine, er gehört der ukrainischen Volksgruppe sowie der katholischen Glaubensrichtung an. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer reiste im April 2018 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Zuvor hatte er sich bereits in der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein aufgehalten. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Oblast XXXX, wo er elf Jahre lang Schule besuchte und in der Folge eigenen Angaben zufolge eine Managerausbildung absolviert und in verschiedenen Firmen in dieser Funktion gearbeitet hat. Bis zur Ausreise lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter in deren Eigentumswohnung, was ihm nach einer Rückkehr neuerlich möglich wäre.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Beim Beschwerdeführer konnte keine Erkrankung im psychischen Bereich diagnostiziert werden, welche dessen Einvernahmefähigkeit einschränken würde. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.

Der unbescholtene Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Er hat keine Familienangehörigen oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte im Bundesgebiet, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Er verfügt aufgrund eines früheren Aufenthalts in Deutschland über Deutschkenntnisse, während seines Aufenthalts in Österreich absolvierte er keine Kurse oder Ausbildungen, war nicht ehrenamtlich tätig und ist in keinem Verein Mitglied. Eine tiefgreifende Verwurzelung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern und Binnenflüchtlingen wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

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UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

2.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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