TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/1 W212 2017715-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2018
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Entscheidungsdatum

01.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

W212 2017714-3/2E

W212 2017715-3/3E

W212 2017713-3/3E

W212 2159010-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX ,

2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.08.2018, 1.) Zl. 1021711609/171412894-EASt-Ost, 2.) Zl. 1021711707/171412886-EASt-Ost, 3.) Zl. 1021711500/171412851-EASt-Ost, 4.) Zl. 1101167210/171412860-East-Ost, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erste Anträge auf internationalen Schutz:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), stellten für sich und ihren minderjährigen Sohn, den Drittbeschwerdeführer (BF3) am 20.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Begründend führten sie aus, dass der Stiefvater der BF2 aufgrund seiner Tätigkeit als Polizeibeamter verfolgt werde. Unbekannte Personen hätten die BF2 kontaktiert und bedroht, um an Informationen über den Aufenthaltsort des Stiefvaters zu gelangen. Aus diesen Grund hätten die BF die Ukraine verlassen.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, gem. § 8 Abs. 1 AsylG die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen und gem. § 10 Abs. 1 AsylG eine Rückkehrentscheidung erlassen.

1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.07.2015 W226 2017714-1/11E, W226 2017715-1/11E, W226 2017713-1/10E gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG als unbegründet abgewiesen.

1.4. Die Viertbeschwerdeführerin (BF4) wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

2. Zweite Anträge auf internationalen Schutz:

2.1. Am 04.06.2016 stellten die BF (nunmehr auch für die BF4) erneut Anträge auf internationalen Schutz.

Begründend gab der BF1 im Zuge der Erstbefragung an, dass die BF nunmehr vom "rechten Sektor" gesucht würden. Er selbst habe durch seine Mutter auch eine Ladung zum Militärkommissariat erhalten, wonach er Ende Dezember dort erscheinen müsse. Diese Ladung wurde vom BF1 vorgelegt.

Im Rahmen der Einvernahme gab der BF1 an, dass er nunmehr von Militärs verfolgt würde. Er habe den Grundwehrdienst nicht abgeleistet, weil er untauglich gewesen sei. Es werde ihnen unterstellt, dass sie Gelder veruntreut hätten und Agenten für Russland seien. Er vermute, dass die Ladung ihn in die Ukraine locken solle.

Die BF2 gab an, dass sie in der Heimat als pro-russisch abgestempelt seien und man ihnen Diebstahl unterstelle. Die Nachbarn hätten bestätigt, dass das Militär nach ihnen frage.

2.2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2017 (BF1), 25.04.2017 (BF2) und 27.04.2017 (BF3 und BF4) wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, gem. § 8 Abs. 1 AsylG die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen und gem. § 10 Abs. 1 AsylG eine Rückkehrentscheidung erlassen.

2.3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.09.2017, W226 2017714-2/4E, W226 2017715-2/4E, W226 2017713-2/4E, W226 2159010-1/4E, wurden die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass dem Vorbringen der BF aufgrund widersprüchlicher Angaben und ihres Vorbringens im ersten Asylverfahren nicht glaubhaft sei. Aus der Vorlage einer Ladung zwecks Tauglichkeitsüberprüfung des BF1 könne kein asylrelevanter Sachverhalt erkannt werden. Die rechtliche Beurteilung enthielt Ausführungen zur Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung und es wurde festgestellt, dass dem diesbezüglichen Vorbringen des BF1 keine Asylrelevanz zukomme.

3. Gegenständliche (dritte) Anträge auf internationalen Schutz:

3.1. Am 21.12.2017 stellten die BF die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 21.12.2017 gab der BF1 an, seine bisherigen Fluchtgründe würden aufrecht bleiben. Er habe eine Ladung erhalten, wonach er in der Ostukraine in die Armee einrücken müsse. Außerdem brauche sein Sohn medizinische Versorgung.

Die BF2 gab ebenfalls an, dass ihre alten Fluchtgründe aufrecht seine. Eine Nachbarin habe ihr mitgeteilt, dass ihr Mann zur Armee einrücken müsse. Ihre Wohnung sei von Armeeangehörigen verkauft worden. Die Armee habe ihren Mann auch an seinem Arbeitsplatz gesucht. Ihr Sohn sei krank und sie seien deshalb oft in verschiedenen Krankenhäusern.

3.2. In einer Einvernahme durch das BFA am 09.01.2018 gab der BF1 an, dass er 2015 und 2017 Einberufungsbefehle zum Wehrdienst erhalten habe. Laut seinem letzten Einberufungsbefehl solle er in den Krieg geschickt werden. Aufgrund eines Magengeschwürs und anderer Krankheiten habe er den Wehrdienst bisher nicht abgeleistet. Er sei unbefristet untauglich.

Er sei in Österreich in einer Firma geringfügig beschäftigt gewesen und spreche Deutsch auf Niveau B1. Am besten spreche er Ukrainisch und Russisch. Zu seinen Angehörigen in der Ukraine (Mutter, Großmutter, Halbgeschwister) habe er keinen Kontakt.

Die Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien aufrecht, er könne nicht angeben ob sich diesbezüglich etwas geändert habe, da sie schon lange in Österreich seien. Außerdem hätten sie neue Probleme mit ihrem Sohn. Er leider an atopischer Dermatitis und psychischen Problemen. In der Ukraine würde er eine sogenannte "gelbe Karte" erhalten und dürfe nicht in den Kindergarten oder die Schule gehen. Er spreche besser Deutsch als Russisch, Ukrainisch spreche er gar nicht. Derzeit gehe er nicht in den Kindergarten.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie einen Einberufungsbefehl ihres Mannes und Fotos von den Personen, die sie verfolgten, vorlegen könne. Es handle sich um Angehörige der Polizei oder des Militärs. Ihre Wohnung sei verkauft worden, sie wisse aber nicht von wem., Vermutlich von ihrer Mutter, diese sei die Eigentümerin der Wohnung gewesen.

Ihr Sohn leide an einer Hauterkrankung und habe dadurch auch psychische Probleme. Es bestehe die Möglichkeit, dass er autistisch sei. Derzeit bekomme er nur eine Salbe, aber keine Medikamente. Sie hätten demnächst einen Termin zur psychologischen Beratung. In der Ukraine habe ihr Sohn nur an einem Ausschlag gelitten und habe Salben und einmal eine Infusion bekommen. Ihr Sohn spreche kein Ukrainisch, nur Englisch und Deutsch. Im psychologischen Befund stehe wahrscheinlich, dass er ukrainisch spreche, aber das sei ein Missverständnis, sie habe während der Untersuchung mit ihrem Mann Russisch gesprochen und die Ärztin habe das falsch verstanden.

Die BF legten folgende Unterlagen vor:

-

Laborbefund des BF3 vom 07.07.2016

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Anamnese des BF3 vom 09.08.2016

-

psychologischer Befund des BF3 vom 20.11.2017

-

ärztliche Bestätigung für BF3 vom 04.12.2017

-

Befundbericht des BF3 vom 30.05.2017

-

Liste der Allergien des BF3 vom 03.05.2017

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Einstellungszusage für BF2

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Studienbestätigung Vorstudienlehrgang der BF2

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abweisender Bescheid der Universität Wien vom 09.03.2016 über den Antrag der BF2 auf Zulassung zum Studium

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Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit der BF2 beim Diakonie Flüchtlingsdienst

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Prüfungsbestätigung B1 der BF2

-Schreiben des Magistrats Wien über die Anmeldung des BF3 in einem Integrationskindergarten

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Fotos eines Militärangehörigen vor einer Wohnungstür

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Fotos der Hauterkrankung des BF3

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Gehaltabrechnungen des BF1

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Prüfungsbestätigung B1 des BF1

-

zwei Einstellungszusagen des BF1

-

drei Ladungen, adressiert an den BF1

-

diverse Artikel in ukrainischer Sprache

3.3 In einer Stellungnahme vom 17.01.2018 wurde auf die Integration der BF in Österreich hingewiesen. Der BF3 leide an einer Entwicklungsstörung und einer Hauterkrankung und benötige weitere Therapien. Die BF2 leide ebenfalls an psychischen Problemen.

Anbei wurden ein Bescheid über die Zulassung des BF1 zum Studium (unter der Voraussetzung der Vorlage der Originaldokumente und der Ergänzungsprüfung Deutsch) und ein Befundbericht des BF3 vom 11.01.2018 übermittelt.

3.4. Am 22.01.2018 wurde ein fachärztlicher Befundbericht der BF2 (Diagnose längerdauernde depressive Reaktion) und ein Befundbericht des BF3 vom 17.01.2018 vorgelegt

3.5. Am 30.01.2018 wurden der BF1, die BF2 und die BF3 von einer Ärztin für Allgemeinmedizin, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin und gerichtlich beeideter Sachverständiger untersucht. Aus der gutachterlichen Stellungnahme geht hervor, dass beim BF1 keine krankheitswertige psychische Störung vorliegt. Die BF2 leide an einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Zum BF3 wurde festgehalten, dass die ärztliche Beurteilung vom November 2017 zutreffend sei. Der BF3 leide an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung der Interaktion, einer Sprachentwicklungsstörung und es bestehe der Verdacht auf eine Bindungsstörung.

3.6. Bei einer Einvernahme am 09.03.2018 gab die BF2 an, dass sie mit den Gutachten einverstanden sei. Sie sei regelmäßig in psychologischer Behandlung und nehme Antidepressiva bzw. Beruhigungsmittel. Der BF3 sei in psychiatrischer Behandlung.

Der BF1 gab in seiner Einvernahme am selben Tag an, dass er die Ladung von 2015 von seinen Eltern erhalten habe. Die späteren Ladungen habe er von seinen Arbeitskollegen erhalten. Diese hätten sie einem Mann mitgegeben, der nach Österreich gereist sei. Er kenne den Namen des Mannes nicht, er habe ihn in Wien getroffen. Der Einberufungsbefehl sei seinen früheren Arbeitskollegen ausgehändigt worden.

3.7. Am 25.06.2018 wurde eine weitere Einstellungszusage des BF1 vorgelegt.

3.8. Mit Bescheiden des BFA vom 07.08.2018 wurden die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz der BF gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Den BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte VI. und V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass die BF keine neuen Fluchtgründe vorgebracht hätten und sich auch kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststellen habe lassen. Aufgrund der Steigerung des Vorbringens in den bisherigen drei Asylverfahren und mehrerer Widersprüche sei den BF die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Darüber hinaus sei die letzte Mobilisierungswelle in der Ukraine im Oktober 2016 abgeschlossen worden und würden Wehrpflichtige ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach Abschluss der Grundausbildung in Kriegsgebiet eingesetzt. Der BF3 leide an einer emotionalen Störung des Kindesalters, einer Sprachentwicklungsverzögerung und einer atopischen Dermatitis. Die medizinische Versorgung in der Ukraine sei in der Regel kostenlos und flächendeckend. Sowohl auf Bezirksals auch auf Landesebene existierten Möglichkeiten einer psychologischen als auch psychotherapeutischen Behandlung.

3.9. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, worin im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass es keine Krankenversicherung in der Ukraine gebe und die Kosten für Medikamente von den Patienten selbst zu bezahlen seien. Es sei davon auszugehen, dass die Kosten für die psychiatrische Behandlung der BF2 und des BF3 und die Behandlung der Hauterkrankung des BF3 die Leistungsfähigkeit der BF übersteigen würden. Ein Abbruch der Behandlung des BF3 werde aus psychiatrischer Sicht als unvertretbar eingeschätzt. Der BF3 spreche kein Ukrainisch, sondern nur Deutsch und Russisch. Die Behörde habe es unterlassen, Ermittlungen dahingehend anzustellen, ob der BF3 in der Ukraine tatsächlich behandelt werden könne und inwiefern sich sein Gesundheitszustand im Falle einer Rückführung verschlechtern würde. Der BF3 leide an körperlichen und psychischen Beschwerden, der VfGH qualifiziere solche Personen als besonders vulnerabel. Es liege keine entschiedene Sache vor, da die BF einen neuen Sachverhalt, nämlich den Gesundheitszustand ihres Sohnes, vorgebracht hätten. Es wäre daher ein inhaltliches Verfahren zu führen gewesen. Da eine Abschiebung des BF3 seine Rechte nach Art. 3 EMRK verletzen würde, wäre ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Der BF1 und die BF2 sprächen auf fortgeschrittenem Niveau Deutsch, die BF2 studiere Soziologie, der BF1 sei im Rahmen seiner Möglichkeiten berufstätig und bemühe sich um Selbsterhaltungsfähigkeit. Sie würden mit dem BF3 hauptsächlich Deutsch und teilweise Russisch sprechen. Abschließend wurden die aufschiebende Wirkung der Beschwerde und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Der Beschwerde lagen ein kinderpsychiatrischer Befundbericht vom 16.08.2018, eine ärztliche Bestätigung vom 28.08.2018, eine Vereinbarung über gemeinnützige Tätigkeit und Gehaltsabrechnungen des BF1 bei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Aufgrund jener der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, ihr Muttersprache ist Ukrainisch.

Die BF1, BF2 und BF3 stellten am 20.06.2014 die ersten Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 09.01.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.07.2015, W226 2017714-1/11E, W226 2017715-1/11E, W226 2017713-1/10E, wurden die dagegen erhobenen Beschwerden rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Die BF4 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

Die BF stellten am 04.06.2016 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 20.04.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.09.2017, W226 2017714-2/4E, W226 2017715-2/4E, W226 2017713-2/4E, W226 2159010-1/4E, wurden die dagegen erhobenen Beschwerden rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Die BF stellten am 21.12.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und stützten diesen auf die gleichen Fluchtgründe, die sie bereits im vorigen Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten bzw. auf den schlechten Gesundheitszustand des BF3.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen, in der Person der BF gelegenen Umständen.

In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kann keine, in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

Der BF1 hat im Herkunftsstaat ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und in diesem Bereich gearbeitet. Die BF2 hat in der Ukraine ein Wirtschaftsstudium absolviert. Mutter, Großmutter und Halbgeschwister des BF1 sowie die Eltern der BF2 halten sich weiterhin in der Ukraine auf.

Die BF halten sich seit Juni 2014 ununterbrochen im Bundesgebiet auf.

Der BF3 leidet an einer emotionalen Störung des Kindesalters, einer Bindungsstörung, einer Sprachentwicklungsverzögerung, atopischer Dermatitis und diversen Allergien. Der Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung wurde bisher nicht bestätigt. Die BF2 leidet an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion. Der BF1 und die BF4 sind gesund.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorliegt. Der BF1 und die BF2 verfügen über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1. Der BF1 geht einer gemeinnützigen Tätigkeit nach und war in der Vergangenheit kurzfristig geringfügig beschäftigt. Die BF2 besucht einen Vorstudienlehrgang an der Universität Wien. Sie sind strafgerichtlich unbescholten. Sie beziehen finanzielle Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

2.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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