TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/2 W266 2186198-1

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Veröffentlicht am 02.10.2018
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Entscheidungsdatum

02.10.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2186198-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen,

Landesstelle NÖ, vom 16.1.2018, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht öffentlicher Sitzung zu

Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Burgenland (in der Folge: belangte Behörde), wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 6.7.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

1.2. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden sei und nach diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 20% vorliege.

1.3. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung würden als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

1.4. Da die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung in Höhe von 20% festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da gemäß § 40 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz der Grad der Behinderung mindestens 50% zu betragen habe.

1.5. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt der Beschwerdeführer - XXXX Vorlage weiterer Befunde - im Wesentlichen aus, dass der Anamnese die Cleft Lift OP bei Dr. XXXX am 19.10.2017 OP (Narbe ca. 20cm) im LK Neunkirchen sowie Entlassungsbrief vom LK Neunkirchen, Chirurgie, fehle. Seit der Entlassung sei er im Krankenstand und habe Beschwerden beim Sitzen, Gehen usw. Im Moment mache er auch eine Spezialmassage auf der Phys. Med. im LK St. Pölten. Bei der Zusammenfassung relevanter würden Befunde die Befunde von Dr. XXXX 11/16, 09/17, 11/17 fehlen. Die Lipomentfemung sei nicht beschwerdefrei gewesen, da er danach einen Keim gehabt habe und die Wunde nicht zugegangen sei. Insgesamt sei er 3-mal wegen eines Sacraldermoid operiert worden und sei seither ziemlich eingeschränkt in seiner Lebenssituation, da die Wunde nach der ersten OP erst nach über einem Jahr zu gewesen wäre und nach der zweiten OP nach ca. einem halben Jahr. Jetzt sei zwar die Wunde nach der dritten OP zu, er habe trotz allem noch Narbenschmerzen und habe ihm auch Dr. Hofer gesagt hat, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Schmerzen bis zu einem Jahr andauern könnten und er trotzdem wieder eine Steißbeinfistel bekommen könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, insbesondere in das allgemeinmedizinische Gutachten, in die vorgelegten Befunde sowie Einholung eines weiteren allgemeinmedizinischen Gutachtens, welches auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 5.7.2018 basiert und eines aktuellen Auszuges aus dem zentralen Melderegister steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

1.2. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX , XXXX .

1.3. Aufgrund seines Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses erfolgte am 5.7.2018 eine ärztliche Begutachtung des Beschwerdeführers. Das darauf beruhende allgemeinmedizinische Gutachten wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.7.2018 zur allfälligen Stellungnahme binnen zwei Wochen übermittelt. Weder die belangte Behörde noch der Beschwerdeführer machten von dieser Möglichkeit Gebrauch.

1.5. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes wird folgendes festgestellt:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

adipös

Größe: 181,00 cm Gewicht: 105,00 kg

Kommt alleine, normale Schuhe. Das Gangbild ist unauffällig ohne Abrollstörung oder Hinken, der Einbeinstand ist möglich, eine Kniebeuge auch, er beschreibt dann aber ziehende Schmerzen im Narbenbereich perianal.

Die Wirbelsäule, die oberen Extremitäten und die unteren Extremitäten sind an sich seitens der Gelenke regulär.

Bei der passiven Untersuchung im Liegen gibt es beim gestreckten Heber der Beine ab 80 Grad einen ziehenden Schmerz im Narbenbereich.

Im Stehen und im Sitzen wird die Narbenregion untersucht, er hat eine 20 cm lange Narbe, die in Höhe des Kreuzbeins oberhalb der Gesäßfalte beginnt und sich in die Gesäßfalte in Richtung der Perianalregion zieht. Der äußerlich sichtbare Anteil oberhalb der Gesäßfalte ist eingezogen und asymmetrisch, es wurde hier eine Weichteilverschiebeoperation durchgeführt. Das Kreuz- und Steißbein tastet man an sich gut. Der Narbenverlauf wird ab dem Steißbein in Richtung der Perianalregion schmerzhaft, durch Auseinanderziehen der Gesäßbacken sieht man die Narbe in der verborgenen Region auch ein und dort besteht eigentlich die meiste Schmerzsymptomatik, vor allem bei lokalem Druck und beim

Draufsitzen. Der Schließmuskel ist nach Angaben des Beschwerdeführers unverletzt. Sensibilitätsstörungen hat er nicht.

Die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers entsprechen der folgenden Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Narbenschmerzen nach fistulierendem Pilonidalsinus Mittlerer Rahmensatz, da durch mittlerweile 3 Operationen eine Abheilung der Fistel erreicht werden konnte. Es bestehen saubere Narbenverhältnisse mit einer operationsbedingten Asymmetrie im Gesäßbereich.

07.04.17

20

2

Chronischer Narbenschmerz Unterer Rahmensatz, da es sich um Schmerzen handelt, die vor allem beim Sitzen und lokalem Druck relevant sind. Eine Schmerztherapie wird nicht benötigt.

04.11.01

10

und beträgt der Grad der Behinderung 20%.

Das Leiden 1 wird durch das Leiden 2 nicht in einer Weise negativ beeinflusst, dass sich daraus eine Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades ergeben würde. Der Gesamtbehinderungsgrad ist mit 20 % festzulegen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen beruhen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers am Antragsformular, sowie auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.

2.2. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und des Grades der Behinderung beruhen die Feststellungen auf dem bereits von der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung am 5.7.2018 basiert. Dieses ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle vom Beschwerdeführer vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.

2.3. Der vom Bundesverwaltungsgericht bestellte Sachverständige führte nachvollziehbar aus, dass die schriftlichen Einwendungen des Beschwerdeführers insofern korrekt sind, als im Vorgutachten der Befund der 3. Operation nicht erwähnt wurde und ein Lokaluntersuchungsbefund auch nur sehr oberflächlich erhoben und beschrieben wurde. Abweichend vom Vorgutachten wird nunmehr der Schmerzsituation auch unter einer eigenen Richtsatzposition Rechnung getragen, der Gesamtbehinderungsgrad bleibt aber gleich.

2.4. Schlüssig und nachvollziehbar ist auch die vom Sachverständigen vorgenommene Zuordnung der festgestellten Leiden zu den jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung. So sind unter der Positionsnummer 07.04.17 Mastdarmfisteln mit einem GdB von 10 bis 30% einzuschätzen (10 %: ohne Komplikationen und 20 - 30 %: ständige Sekretion, lokale Entzündungen etz.). Sohin ist die Wahl des mittleren Rahmensatzes schlüssig und nachvollziehbar, da nach mittlerweile drei Operationen eine Abheilung der Fistel erreicht werden konnte.

2.5. Auch die Zuordnung des Leidens 2 zur Positionsnummer 04.11.01 (Chronisches Schmerzsyndrom, leichte Verlaufsform 10 bis 20%) ist nachvollziehbar, da der untere Rahmensatz von 10 % bei Verwendung von Analgetika der WHO Stufe 1 oder Intervallprophylaxe anzuwenden ist und der Beschwerdeführer jedoch keine Schmerztherapie benötigt.

2.6. Da sowohl das im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholte als auch das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten zum selben Ergebnis kommen, wird das vom BVwG eingeholte Gutachten daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist,.

3.3. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.4. Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.5. Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

3.6. Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

3.7. Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

3.8. Gemäß § 1. Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) ist unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.9. Gemäß § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

3.10. Die relevanten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung lauten:

07. Verdauungssystem

07.04 Magen und Darm

07.04.17

Mastdarmfistel

10-30%

10 %: ohne Komplikationen 20 - 30 %: ständige Sekretion, lokale Entzündungen et.

 

 

04.11 Chronisches Schmerzsyndrom

04.11.01

Leichte Verlaufsform

10 - 20 %

10 %: Analgetika der WHO Stufe 1 oder Intervallprophylaxe 20 %: Nicht opioidhaltige oder schwach opioidhaltige Analgetica, Intervallprophylaxe Schmerzattacken an weniger als 10 Tagen pro Monat

 

 

3.11. Gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung

ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

3.12. Gemäß § 3 Abs. 2 Einschätzungsverordnung ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

3.13. Gemäß § 3 Abs. 3 Einschätzungsverordnung liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

3.14. Gemäß § 3 Abs. 4 Einschätzungsverordnung ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

3.15. Gemäß § 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

3.16. Gemäß § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Daraus folgt:

3.17. Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter 2.2.ff näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.18. Für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist gemäß § 40 Abs. 1 BBG neben den formalen Erfordernissen ein Grad der Behinderung in Höhe von zumindest 50% Voraussetzung.

3.19. Die Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers betragen jedoch, wie festgestellt, 20% da diese, wie bereits oben unter 2.2. ausgeführt, vom Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar den oben genannten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet wurden.

3.20. Da beim Beschwerdeführer keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden konnten, und der Grad der Behinderung sohin entsprechend § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung iVm mit den Positionen 07.04.17 und 04.11.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung 20% beträgt, liegen nicht alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

3.21. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

3.22. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.23. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

3.24. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

3.25. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.26. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

3.27. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

3.28. In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

3.29. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem vom erkennenden Gericht eingeholten und als schlüssig erachteten Gutachten eines medizinischen Sachverständigen, dem der Beschwerdeführer weder auf gleicher fachlicher Ebene noch durch ein sonst substantiiertes Vorbringen entgegengetreten ist. Die strittigen Tatsachenfragen gehören ausschließlich dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

ZU B) Unzulässigkeit der Revision:

3.30. Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.31. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.32. Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W266.2186198.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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