TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/19 W259 2143795-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2018
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Entscheidungsdatum

19.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W259 2143797-1/29E

W259 2143795-1/23E

W259 2143798-1/21E

W259 2168288-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch XXXX und XXXX , diese vertreten durch ARGE- Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch XXXX und XXXX , diese vertreten durch ARGE- Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge "BF1"), die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge "BF2") und die mj. Drittbeschwerdeführerin (in der Folge "BF3"), alle afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara, reisten gemeinsam in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 21.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am nächsten Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gaben der BF1 und die BF2, für sich und in Bezug auf die BF3 als ihre gesetzliche Vertretung, zusammengefasst an, dass die BF2 in Afghanistan gezwungen worden sei, den Sohn ihres Onkels zu heiraten. Sie habe dies aber nicht gewollt. Die BF2 habe den BF1 kennengelernt und habe ihn geheiratet. Die BF2 und der BF1 seien von der anderen Familie bzw. dem Mann, mit dem die BF2 verlobt gewesen sei, bedroht worden, weshalb sie sich entschlossen hätten, zu fliehen. Im Falle einer Rückkehr würden sowohl der BF1 als auch die BF2 befürchten, getötet zu werden (AS 19, BF1; AS 19, BF2).

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") am 30.11.2016 gab der BF1 zusammengefasst an, dass die BF2 von ihrer Familie bedroht worden sei. Die BF2 führte ergänzend aus, sie habe nach dem Verschwinden ihrer Eltern bei ihrem Onkel väterlicherseits in der Provinz XXXX gewohnt. Von der Ehefrau ihres Onkels sei sie geschlagen worden. Sie habe auch ihren geistig beeinträchtigten Cousin, namens XXXX , heiraten sollen. Dies habe sie aber abgelehnt. Während eines Besuches in XXXX habe sie ihren nunmehrigen Mann kennen und lieben gelernt. Sie habe die Familie ihres Onkels verlassen und sei zu ihrem nunmehrigen Ehemann nach XXXX gezogen. Dort hätten sie geheiratet. Nachdem sie den Kontakt zu ihren bei ihrem Onkel aufhältigen Schwestern aufgenommen habe, hätten ihr Onkel und ihre Cousins ihre Telefonnummer herausgefunden und sie und ihren Ehemann mit dem Tod bedroht, weil sie die Ehre der Familie verletzt hätten. Die Beschwerdeführer hätten daraufhin Afghanistan verlassen (AS 159 ff, BF1; AS 126 ff, BF2).

4. Das BFA wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit dem jeweils im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde den Beschwerdeführern kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und § 57 AsylG 2005 erteilt. Gegenüber den Beschwerdeführern wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Im jeweiligen Bescheid führte das BFA im Wesentlichen an, dass nicht festgestellt werden könne, dass der BF1 und die BF2 den Herkunftsstaat Afghanistan aufgrund einer Verfolgung oder einer Furcht vor solcher verlassen hätten. Ihre diesbezüglichen Aussagen hätten nicht als glaubhaft festgestellt werden können. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sei zumutbar (AS 192 ff, BF1; AS 178 ff, BF2; 96 ff, BF3).

5. Gegen die Bescheide richteten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden. In den Beschwerdebegründungen wurde insbesondere ausgeführt, dass sich hinsichtlich der BF2 einerseits aus der geschlechtsspezifischen Verfolgung ergebe, dass der vorliegende Sachverhalt unter die Fluchtgruppen der GFK zu subsumieren sei (etwa aus Gründen der Religion oder der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen) und andererseits aus der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "Familie" des Verfolgers. Der BF1 werde wiederrum verfolgt, weil er der nunmehrige Ehemann der BF2 sei, weshalb ihm aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie, hilfsweise aufgrund stellvertretender Verfolgung bzw. Sippenhaftung, Verfolgung drohe. Zudem drohe der BF2 und der BF3 asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer westlichen Orientierung. Im Hinblick auf die Gewährung von subsidiärem Schutz wird auf die sich kontinuierlich verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan und die Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer verwiesen. Hinsichtlich der BF2 wird zudem ausgeführt, dass es höchst fragwürdig sei, ob die Erkrankung der BF2 in Afghanistan - XXXX eingeschlossen - behandelt werden könne (Beschwerdeschrift vom 27.12.2016, AS 245 ff, BF1; gleichlautend für alle BF).

6. Die mj. Viertbeschwerdeführerin (in der Folge "BF4") wurde am 27.05.2017 in Österreich geboren. Die BF4 ist afghanische Staatsbürgerin. Die BF2 stellte für sie als ihre gesetzliche Vertreterin am 02.06.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

7. Mit Bescheid vom 27.07.2017 wies das BFA den Antrag der BF4 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status einer Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Weiters wurde gegen die BF4 gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF4 nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF4 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.11.2017 und 12.03.2018 in Anwesenheit einer beeideten Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein der rechtskundigen Vertretung der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF1 und die BF2 ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Zudem wurden den Beschwerdeführern aktualisierte Länderberichte vorgelegt.

9. Mit Schreiben vom 27.11.2017 und 26.03.2018 nahm die rechtskundige Vertretung u.a. zu den in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichten Stellung bzw. verwies auf zusätzliches Länderberichtsmaterial.

10. Den Parteien wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 im Rahmen des Parteiengehörs übermittelt.

11. Die rechtskundige Vertretung nahm mit Schreiben vom 22.08.2018 zu dem übermittelten Länderberichten Stellung.

12. Am 12.10.2018 langte eine weitere Stellungnahme der rechtskundigen Vertretung der Beschwerdeführer ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz, der Erstbefragungen und Einvernahmen der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerden gegen die Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme des Zeugen XXXX und der Stellungnahmen der Vertretung der Beschwerdeführer, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakte, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer besitzen die afghanische Staatangehörigkeit, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitische Moslem. Sie leiden an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Die BF2 leidet an Epilepsie. Sie befand sich deshalb sowohl in Afghanistan als auch in Österreich in ärztlicher Behandlung. Sie nimmt regelmäßig Medikamente ein. Eine weitere medizinische Behandlung der BF2 ist erforderlich. Der BF1 und die BF2 sind im erwerbsfähigen Alter.

Der BF1 ist mit der BF2 traditionell verheiratet. BF3 und BF4 sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder. Die Ehe wurde in Afghanistan geschlossen.

Der BF1 ist im Jahr XXXX in der Stadt XXXX geboren und aufgewachsen. Von 1985 bis 2010 lebte er in Pakistan. Er kehrte danach wieder in die Stadt XXXX zurück, wo er bis zu seiner Ausreise im Jahr2015 aufhältig war. Zuletzt lebte er mit seiner Ehefrau (BF2) über ein Jahr in der Stadt XXXX in einem Mietshaus. Davor wohnten sie gemeinsam einige Zeit bei seinen Eltern und seinem Bruder, ebenfalls in der Stadt XXXX . Zu seiner Familie zählen seine Ehefrau (BF2) und seine beiden Kinder (BF3 und BF4). In Afghanistan in der Stadt XXXX sind die Eltern und ein Bruder des BF1 aufhältig. Ihnen geht es wirtschaftlich gut. Sie haben keine finanziellen Probleme. Der Vater des BF1 besitzt eine Landwirtschaft und kauft und verkauft Grundstücke. Es stehen mehrere Grundstücke in seinem Eigentum. Der Vater des BF1 organisierte und finanzierte die Reise des BF1 und seiner Familie nach Europa. Darüber hinaus leben ein Onkel und eine Tanten väterlicherseits sowie ein Onkel mütterlicherseits in der Stadt XXXX . Eine Tante väterlicherseits ist im Iran aufhältig. Diese Verwandten haben berufstätige Kinder. Der BF1 kann Kontakt zu seiner in Afghanistan aufhältigen Familie aufnehmen. Die Muttersprache des BF1 ist Dari. Zudem spricht er Englisch und kann sich auf Deutsch verständlich artikulieren. In Afghanistan in der Stadt XXXX besuchte der BF1 fünf Jahre die Grundschule. Während seines Aufenthaltes in Pakistan besuchte der BF1 Englischkurse und einen Computerkurs. Anschließend arbeitete er in Afghanistan bis zu seiner Ausreise mehrere Jahre als Grundstücksmakler im Unternehmens seines Vaters in der Stadt XXXX . Zudem kann der BF1 schneidern und Teppiche knüpfen. Außerdem war bzw. ist er Kung-Fu-Trainer.

Die BF2 ist im Jahr 1985 in der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz geboren und ist dort aufgewachsen. Zuletzt lebte sie mit ihrem Ehemann (BF1) über ein Jahr in der Stadt XXXX in einem Mietshaus. Zuvor wohnten sie einige Zeit bei der Familie ihres Ehemannes in der Stadt XXXX . Zu ihrer Familie zählen ihr Ehemann (BF1) und ihre beiden Kinder (BF3 und BF4). Zudem hat sie noch zwei in Afghanistan aufhältige Schwestern. Die Eltern der BF2 sind vor mehreren Jahren verschollen. Nach dem Verschwinden der Eltern lebten die BF2 und ihre beiden Schwestern bei ihrem Onkel väterlicherseits und seiner Familie in der Provinz XXXX . Diese bestand aus der Ehefrau ihres Onkels sowie dessen sieben Söhnen und sieben Töchtern. Die finanzielle Situation der Familie ihres Onkels war gut. Weiters hat die BF2 vier Tanten mütterlicherseits. Zwei Tanten mütterlicherseits sind in XXXX , die anderen beiden sind im Iran aufhältig. Die beiden im Iran lebenden Tanten mütterlicherseits kennt die BF2 nicht. Zu ihren in Afghanistan aufhältigen Familienangehörigen besteht kein Kontakt. Die Muttersprache der BF2 ist Dari. Die BF2 besuchte in Afghanistan nicht die Schule. Sie ist Analphabetin. In Afghanistan arbeitete sie bis zu ihrer Heirate zu Hause als Schneiderin. Zudem war sie Hausfrau. Zuletzt kam nach ihrer Hochzeit ihr Ehemann (BF1) für ihren Unterhalt auf. Die BF2 besitzt in Afghanistan kein Vermögen.

Die BF3 wurde im Jahr 2015 in Afghanistan und die BF4 im Jahr 2017 in Österreich geboren. Sie sind die minderjährigen Kinder des BF1 und der BF2. Die Muttersprache der BF3 und BF4 ist Dari.

Der BF1, die BF2 und die BF3 haben Afghanistan gemeinsam im Jahr 2015 mit dem Flugzeug verlassen und reisten nach Europa.

Die Beschwerdeführer können im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt XXXX bei den Eltern des BF1 wohnen und von der Familie des BF1 finanziell unterstützt werden.

Die Beschwerdeführer (BF1, BF2, BF3 und BF4) leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sie sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatten darüber hinaus keine Probleme mit Behörden. Sie sind kein Mitglied von politischen Parteien und waren bisher auch sonst politisch nicht aktiv.

1.2. Zum Fluchtgrund und zur Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 die Familie ihres Onkels wegen einer ihr drohenden Zwangsverheiratung verlassen hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 Bedrohungshandlungen der Familie ihres Onkels ausgesetzt war bzw. im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 aufgrund der Zugehörigkeit zum Familienverband seiner Ehefrau Verfolgungshandlungen seitens ihres Onkels väterlicherseits und dessen Familie zu gewärtigen hatte bzw. im Falle einer Rückkehr hätte.

Die BF2 trug in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.11.2017 kein Kopftuch. Sie war geschminkt und trug ihre Haare hochgesteckt, Ohrringe sowie einen Ring. Sie trug ein weiß-getupftes T-Shirt, eine enge Jeanshose und schwarze Stiefel ohne Absatz. In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung am 12.03.2018 trug die BF2 kein Kopftuch. Sie war geschminkt und trug ihre Haare und ihren Schmuck (Ring, Ohrringe) offen. Ihre Fingernägel waren lackiert. Sie trug ein weißes langärmliges Shirt, darüber ein schwarzes Sakko, eine enge blaue Jeans und schwarze Stiefel mit Absatz.

Die BF2 besucht in Österreich derzeit keinen Deutschkurs. Sie nahm an einem Alphabetisierungskurs teil. Sie hat sehr geringe Deutschkenntnisse.

Die Kindererziehung und Freizeitaktivitäten üben der BF1 und die BF2 überwiegend gemeinsam aus. Sie gehen gemeinsam schwimmen und mit den Kindern in den Park. Um die BF2 zu entlasten, kümmert sich der BF1 vermehrt um die ältere Tochter (BF3). Er geht mit ihr in den Park und spazieren, während sich die BF2 um den Haushalt kümmert und die jüngere Tochter (BF4) betreut. Der BF1 unterstützt die BF2 bei der Führung des Haushaltes.

Die Einkäufe werden sowohl vom BF1 als auch von der BF2 alleine oder von ihnen gemeinsam in unmittelbarer Umgebung zu ihrem Wohnort oder in XXXX erledigt. Manchmal geht die BF2 mit den Kindern auch alleine in den Park. Dabei ist sie nicht auf die Begleitung ihres Mannes angewiesen.

Die BF2 ist nicht Mitglied in einem Verein und nimmt überwiegend im Familienverband am Gesellschaftsleben teil. Sie erhält gelegentlich aber regelmäßig Besuch von einem österreichischen Bekannten der Familie. Sie kann alltägliche Gespräche nicht auf Deutsch führen. Die BF2 hat in Österreich keine engen Beziehungen zu anderen österreichischen Staatsbürgern oder afghanischen Staatsangehörigen. Sie geht in Österreich zurzeit keiner beruflichen, ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Tätigkeit nach.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an den in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass ein selbstbestimmter Lebensstil ein wesentlicher Bestandteil der Identität der BF2 geworden ist.

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass sie in Österreich eine selbstbestimmte Lebensführung verinnerlicht hat, deren Ablegung ihr nicht zugemutet werden kann.

Dass die BF2 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen-und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen und mit physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht werden würde, kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die Beschwerdeführer als Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt bzw. einer Verfolgung ausgesetzt wäre(n).

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern aufgrund der Tatsache, dass sie in Europa gelebt haben, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Eigene und in der Person der BF3 oder der BF4 liegende Gründe einer asylrelevanten Verfolgung in Afghanistan sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Eine westlich orientierte Lebensweise, die zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität der BF3 und der BF4 geworden ist, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF3 oder die BF4 in Afghanistan in der Stadt XXXX , keinen Zugang zur Bildung hätten. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die BF2, BF3 oder BF4 in Zukunft keiner beruflichen Tätigkeit in der Stadt XXXX nachgehen können.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten haben.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

Der BF1 und die BF2 haben zuletzt in der Stadt XXXX gelebt. Im Falle einer Rückkehr würden die Beschwerdeführer wieder in die Stadt XXXX zurückkehren. Eine Rückkehr in die Stadt XXXX ist möglich. Die Beschwerdeführer würden bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz in Afghanistan kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Es kann ausgeschlossen werden, dass eine allfällige Rückführung der Beschwerdeführer in die Stadt XXXX mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden ist.

Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Stadt XXXX Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Bei einer Rückkehr finden die Beschwerdeführer familiäre Anknüpfungspunkte in der Stadt XXXX vor. Zudem wurde der BF1 in der Stadt XXXX geboren, ist dort aufgewachsen und hat dort mehrere Jahre gelebt. Der BF1 und die BF2 sind mit den örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten vertraut.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Stadt XXXX ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Sie können dort wieder im Elternhaus des BF1 wohnen und zusätzlich durch die Familie des BF1 finanziell unterstützt werden. Des Weiteren kann der BF1 - wie sein Bruder - im Unternehmen seines Vaters arbeiten oder zumindest einfache Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten in der Stadt XXXX ausüben. Darüber hinaus können die Beschwerdeführer auf ein familiäres Netzwerk in der Stadt XXXX zurückgreifen. Sie können in der Stadt XXXX ihre Existenz sichern.

Im Falle einer Rückkehr in die Stadt XXXX können keine Faktoren festgestellt werden, die eine Gefahrenverdichtung für die BF3 und BF4 aufgrund ihrer Minderjährigkeit bzw. ihres jungen Alters darstellen. Es besteht für sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit bzw. ihres jungen Alters insbesondere keine erhöhte Gefahr, in der Stadt XXXX zivile Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Die BF3 und die BF4 laufen nicht Gefahr, in der Stadt XXXX Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

Die Stadt XXXX ist über den Flughafen direkt erreichbar.

1.4. Zum Leben in Österreich:

Der BF1, die BF2 und die BF3 halten sich seit September 2015 in Österreich auf. Die BF4 wurde im Mai 2017 in Österreich geboren und ist seitdem in Österreich aufhältig. Die Beschwerdeführer leben in einer privaten Wohnung und werden von der Caritas unterstützt.

Der BF1 hat bereits mehrere Deutschkurse besucht. Er verfügt über ein Deutschzertifikat des Niveau B1 und kann sich dementsprechend auf Deutsch artikulieren. Er kann sich im normalen Alltag auf Deutsch verständigen. Die BF2 hat im Jahr 2017 einen Alphabetisierungskurs besucht. Eine ehrenamtliche Lehrerin unterrichtete sie bis zur Geburt der BF4 zu Hause. Sie hat sehr geringe Deutschkenntnisse und ist nicht in der Lage, sich in Alltagssituationen auf Deutsch zu verständigen. Einen Deutschkurs besucht sie nicht.

Da der BF1 und die BF2 keine Arbeitserlaubnis haben, waren sie bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Der BF1 hat jedoch für die XXXX als Dolmetscher gearbeitet und sich beim XXXX , um eine ehrenamtliche Tätigkeit beworben. Zudem unterstützt er Jugendliche durch Freizeit- und Sportangebote. Der BF1 und die BF2 leben in Österreich von der Grundversorgung. Ferner verfügen sie über keine Einstellzusage in Österreich. Der BF1 und die BF2 sind nicht Mitglied in einem Verein. Als die Familie noch in XXXX gelebt hat war der BF1 für die Organisation "Willkommen in XXXX " tätig.

In seiner Freizeit geht der BF1 ins Fitnesscenter, schwimmen, spazieren, unterstützt seine Ehefrau bei den Hausarbeiten und kümmert sich um seine ältere Tochter. Die BF2 geht in ihrer Freizeit mit ihrem Ehemann schwimmen und in den Park. Die BF2 nimmt mit ihrer Tochter (BF3) am Bildungs- und Frühförderungsprogramm XXXX teil. Dabei kommt eine geschulte Pädagogin zu ihnen nach Hause. Es besteht Besuchskontakt. Die BF2 hat zu einer afghanischen Nachbarin Kontakt. Ein Österreicher besucht die Familie gelegentlich. Dessen Ehefrau unterstützt die Familie durch gelegentliche Fahrtransporte. Sonst hat die BF2 keinen regelmäßigen Kontakt zu anderen Personen in Österreich. Der BF1 hat neben afghanischen Bekanntschaften auch österreichische Freunde und Bekanntschaften. Die BF3 besucht seit 03.10.2018 einen privaten Kindergarten in Österreich. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis zu in Österreich lebenden Personen pflegen. Sonstige substanzielle Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens konnten nicht festgestellt werden. Es leben keine nahen Angehörigen der Beschwerdeführer in Österreich.

1.5. Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018:

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

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Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

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Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

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Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Rechtsschutz / Justizwesen:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländli

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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