Entscheidungsdatum
25.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W229 2166442-1/11E
W229 2166446-1/13E
W229 2166447-1/8E
W229 2166445-1/8E
W229 2166439-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerden der 1.) XXXX , geb. am XXXX , 2.) des XXXX , geb. am XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Zeige, Ottakringer Straße 54/4/Top 2, 1170 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017 und 30.06.2017, Zl. 1.) 1094876806/151777901, 2.) 1094877302-151777804, 3.) 1094877400-151777987, 4.) 1094877509-151777936, 5.) 1094877607-151777952, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.06.2018, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 25.10.2019 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (BF3), XXXX (BF4) und XXXX (BF5), alle afghanische Staatsangehörige, reisten in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 15.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten.
2.1. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF1 zusammengefasst an, sie sei in Kundus, Afghanistan, geboren. Sie sei traditionell verheiratet, ihre Muttersprache sei Dari und sie gehöre der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Sie habe zwei Jahre privaten Schulunterricht erhalten. Zuletzt sei sie Hausfrau gewesen. Als Angehörige in Österreich gab sie den BF2 als ihren Ehegatten, ihre Kinder BF3 bis BF5, ihre Schwiegermutter und einen Bruder an. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat oder einem anderen Drittstaat gab die BF1 ihre Eltern, vier Brüder und zwei Schwestern, alle in Afghanistan wohnhaft sowie einen Bruder, der in Belgien lebt, an. Als ihren Wohnsitz in Afghanistan gab sie Kabul, XXXX an. Die letzten 18 Monate habe sie in Teheran, Iran gelebt. Ihr Ehemann besitze ein Haus und Grundstücke. Die finanzielle Situation ihrer Familie sei mittelmäßig gewesen. Ihre Geschwister würden ihre Eltern versorgen.
Zu ihren Fluchtgründen gab die BF1 an, in Afghanistan sei es ihnen finanziell sehr gut gegangen, jedoch habe sie Angst gehabt, dass aufgrund dessen ihre Kinder entführt würden. Sie seien nach Teheran geflüchtet und dort hätten sie keine Aufenthaltsberechtigung erhalten obwohl sie finanziell abgesichert gewesen seien. Ihr Mann und sie hätten für ihre Kinder keine Zukunft in Iran gesehen und als sie gehört hätten, dass die Grenzen offen seien, hätten sie die Reise angetreten. Bei einer Rückkehr habe sie Angst, dass ihrem Mann etwas passiere und ihre Kinder keine Zukunft im Iran hätten.
Die BF1 stellte für die BF3-BF5 einen Antrag auf internationalen Schutz mit denselben Fluchtgründen.
2.2. Der BF2 gab bei der Erstbefragung zusammengefasst an, er sei am XXXX in Kabul, Afghanistan, geboren. Er sei traditionell verheiratet, seine Muttersprache sei Dari, er sei Moslem und Sunnit. Er habe neun Jahre lang die Grundschule in Afghanistan besucht. Zuletzt habe er als Schweißer gearbeitet. Als Bezugspersonen in Österreich nannte er die BF1 sowie dieB3 bis BF5 und seine Mutter. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat oder einem anderen Drittstaat gab der BF2 drei Brüder und drei Schwestern, alle in Afghanistan wohnhaft, an. Als seinen Wohnsitz in Afghanistan gab er Kabul, XXXX an. Zuletzt habe er in Teheran, Iran gelebt. Sein Elternhaus und weitere landwirtschaftliche Grundstücke würden ihm und seinen Geschwistern gehören. Die finanzielle Situation in Afghanistan und die seiner Familie sei mittelmäßig. Seine Geschwister seien alle verheiratet, jeder sorge für sich selbst. Er habe 18 Jahre im Iran gelebt. Die Kosten der Schleppung hätten USD 20.000,- betragen.
Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF2 an, in Afghanistan sei es ihnen finanziell sehr gut gegangen, jedoch habe er Angst gehabt, dass aufgrund dessen seine Kinder entführt werden. Sie seien nach Teheran geflüchtet und dort hätten sie keine Aufenthaltsberechtigung erhalten, obwohl sie finanziell abgesichert gewesen seien. Er habe für seine Kinder keine Zukunft im Iran gesehen und als er gehört habe, dass die Grenzen offen seien, hätten sie die Reise angetreten.
Befragt was er bei einer Rückkehr befürchte, gab er an, er könne nicht zurück, da er wegen seiner finanziellen Lage so viele Feinde in Afghanistan habe und im Iran müssten sie wieder illegal leben.
Seine Kinder hätten dieselben Fluchtgründe wie der BF2.
3. Mit Schreiben vom 21.02.2017 legte der nunmehrige Rechtsvertreter seine Vollmacht für die Vertretung der BF1- BF5 vor.
4.1. Im weiteren Verfahrensverlauf gab die BF1 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 08.03.2017 zusammengefasst weiter an:
In Österreich lebenihr Bruder, ihre Schwiegermutter, ihrEhemann und ihre Kinder. Sie sei Tadschiken und Sunnitin. Sie habe ihren Ehemann vor 14 Jahren traditionell geheiratet. Sie habe nie eine Schule besucht. Vor ihrer Ausreise aus Afghanistan habe sie sich zuletzt regelmäßig in Kabul, im Stadtteil XXXX aufgehalten. Während des dreimonatigen Aufenthalts habe ihr Ehemann sein Elternhaus hergerichtet. Sie hätten Geld aus ihren Ersparnissen gehabt. Ihre wirtschaftliche Situation in Afghanistan sei mittelmäßig gewesen.
Zu ihren Fluchtgründen gab sie in freier Erzählung an, sie sei erst ein Jahr alt gewesen, als ihr Großvater sie verlobt habe. Als sie zwölf Jahre alt geworden sei, habe dann diese Familie gewollt, dass sie heirate. Weder ihr Vater noch ihre Mutter seien damit einverstanden gewesen. Eines Abends seien sie zu ihnen gekommen und hätten die BF1 mitnehmen wollen. An diesem Abend sei ihr Vater nicht zu Hause gewesen, er sei in der Arbeit gewesen. Ihr Vater sei nicht zu Hause gewesen, ihre zwei Onkel, die mit ihnen in einem Haus gelebt hätten, seien zu Hause gewesen. Sie hätten die BF1 mitnehmen wollen. Es sei zu einem Streit gekommen, wobei ihre beiden Onkel erschossen worden seien. Ihre Onkel hätten verhindern wollen, dass sie sie mitnehmen. Sie hätten ihre beiden Onkel getötet, ihre Mutter sei gemeinsam mit ihren Geschwistern und der BF1 zu den Nachbarn geflüchtet. Sie hätten die Absicht gehabt sie zu töten. Am Beginn ihrer Gasse sei nämlich ein Stützpunkt des Kommandanten, XXXX , gewesen, diese Leute hätten zu diesem Kommandanten gehört. Als ihr Vater von der Arbeit zurückgekommen sei, hätten die Nachbarn ihm erzählt, dass diese Leute die Absicht haben, sie zu töten. Er solle mit der Familie flüchten. In der Nacht seien sie von dort geflüchtet und seien nach Kabul gefahren. Von Kabul seien sie dann nach Pakistan weitergereist. Ein Jahr hätten sie in Pakistan gelebt. In Pakistan habe ihr Vater als Straßenverkäufer gearbeitet. Einer seiner Freunde habe ihm gesagt, dass die Leute ihm nach Pakistan gefolgt seien. Aus diesem Grund seien sie einige Tage später in den Iran geflüchtet. Sie hätten in einem abgelegenen Ort von Teheran gelebt. Nach etwa drei oder vier Jahren habe ihr jetziger Ehemann um ihre Hand angehalten. Sie hätten geheiratet und eine Familie gegründet. Sie hätten ihr Leben unter Angstzuständen geführt, sie hätten Angst gehabt, dass sie ihre Kinder finden würden. Ihr Ehemann habe große Probleme gehabt. Er habe keine Dokumente gehabt und ihre Kinder hätten keine Schule besuchen können. Sie seien dort in den Schulen nicht aufgenommen worden. Das sei alles gewesen.
Näher befragt gab sie u.a. an, vor drei Jahren seien sie nach Afghanistan gegangen. Ihr Ehemann habe dort sein Elternhaus. Er habe sein Haus hergerichtet und sie hätten dort leben wollen. Das habe drei Monate gedauert. Ihre Mutter habe angerufen, dass sie ihre Sachen packen und flüchten sollen, da ihr Leben dort in Gefahr sei. Das sei der Grund für die neuerliche Ausreise aus Afghanistan gewesen. Dort sei das Leben ihrer Kinder sowie auch ihr Leben in Gefahr gewesen und zwar durch die Feinde, ihr Verlobter heiße XXXX und sei der Cousin ihres Großvaters. Er sei eine schlechte Person. Er habe unter Zwang alles erreicht. Er habe mit Kommandanten mitgewirkt. Das sei alles. Damals sei er zwischen 35 und 40 Jahre alt gewesen. Sie sei damals 12 Jahre alt gewesen, sie wisse nur dass er XXXX heiße. Über die Cousine ihrer Mutter hätten sie erfahren, dass sie nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Die Cousine ihrer Mutter lebe in der unmittelbaren Nachbarschaft des Verlobten. Befragt wie die Cousine von der Rückkehr der BF erfahren habe, gab die BF1 an, sie habe Kontakt zur Mutter der BF1 gehabt. Sie seien auf der Suche nach ihrer Adresse gewesen. Befragt woher sie wisse, dass sie auf der Suche nach der Adresse gewesen seien, gab die BF1, die Cousine ihrer Mutter lüge ihre Mutter nicht an. Der Verlobte habe sie damals nicht direkt bedroht, weil er ihre Adresse nicht herausgefunden habe. Sie wisse nicht ob der Verlobte verheiratet sei. Er habe aber andere junge Frauen gezwungen, das zu machen was er wolle.
Befragt, warum ein nun 57-jähriger Mann ihr noch immer nach dem Leben trachten würde, gab sie an, in Afghanistan erreiche man alles mit Gewalt und einer Waffe. Es gehe um die afghanische Ehre. Entweder müsse man das Mädchen töten oder man räche sich an dem Sohn oder Tochter und entführe diese.
Sie sei nicht zur Polizei gegangen, XXXX sei ein einflussreicher Kommandant in Kunduz gewesen und sie hätten selbst zur Polizei gehört. XXXX sei einer der Leute von XXXX gewesen.
Nach Vorhalt, dass die BF1 bei der Erstbefragung andere Angaben gemacht habe, gab die BF1 an, sie hätten gesagt, dass sie sich kurzfassen sollen und sie seien auch sehr erschöpft und müde gewesen.
Sie habe keinen Kontakt zu ihren Verwandten in Afghanistan, nur ihre zwei Schwägerinnen leben in Afghanistan. Später gab sie an, die Angehörigen ihrer Mutter leben in Afghanistan.
Die BF1 könne hier in Österreich etwas lernen. Sie möchte, dass ihre Kinder hier eine bessere Zukunft haben. Im Iran hätten sie das nicht gekonnt.
Es wurde festgehalten, dass die BF1 bei der Einvernahme ein Kopftuch und konservativ- traditionelle afghanische/iranische Kleidung für Frauen trug.
Ihre Kinder hätten dieselben Fluchtgründe wie die BF1.
4.2. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der BF2 in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 31.05.2017 zusammengefasst weiter an:
In Österreich leben sein Neffe, sein Schwager und seine Mutter. Er sei Tadschike und Sunnit. Die Ehe mit der BF1 sei traditionell ca. 2003/04 in Teheran geschlossen worden. Er sei zuletzt am 11.10.2014 in Afghanistan, in Kabul, Stadtteil XXXX , XXXX , XXXX gewesen. Dort habe er 17 Jahre lang bis zu seiner Ausreise in den Iran gelebt. Am 26.09.2014 seien sie neuerlich aus Afghanistan geflüchtet. Nach Vorhalt eines Widerspruches bzgl. des Ausreisezeitpunktes gab der BF2 an, er habe das am Handy umgerechnet. Er habe sich geirrt, er sei im Juni/Juli 2014 zuletzt in Afghanistan gewesen. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1994/95 habe er sowohl die Schule besucht und habe auch als Verkäufer von Wollhandschuhen gearbeitet. Es sei ihnen in Afghanistan finanziell gut gegangen.
Aufgefordert seine Fluchtgründe detailliert zu schildern, gab er in freier Erzählung an, ca. 1994/95 sei sein Vater gestorben. Ca. 1997/98 hätten die Taliban Kabul eingenommen. Sie hätten junge Burschen gezwungen gegen die Truppen von Masud zu kämpfen. Masud habe zu den Dari-sprechenden und die anderen zu den Paschtunen gehört. Er sei auch damals ein Jugendlicher gewesen. Das sei der Grund gewesen warum er erstmals Afghanistan verlassen hätten. Der Grund bei ihrer neuerlichen Ausreise sei jener, dass sie im Jahr 2014/15 nach Afghanistan gegangen seien, weil sie die Absicht gehabt hätten dort zu leben. Es betreffe die Probleme seiner Ehefrau. Wegen seiner Ehefrau habe man ihn auch töten wollen. Laut ihren Erzählungen sei sie im Alter von einem Jahr von ihrem Großvater verlobt worden. Als sie zwölf Jahre alt gewesen sei, habe man sie verheiraten wollen. Ihre Eltern seien damit nicht einverstanden gewesen. Man habe sie mitnehmen wollen. Es sei zu einem Streit gekommen. Ihr Vater sei nicht zu Hause gewesen. Ihre Onkel väterlicherseits hätten dies verhindert. Beide Onkel seiner Ehefrau seien angeschossen worden und verstorben. Als es zu einer Rangelei gekommen sei, sei ihre Mutter zu den Nachbarn gegangen. In der Nacht sei ihr Vater nach Hause gekommen. Daraufhin sei die Familie nach Pakistan geflüchtet. Ca. 2014/2015 seien sie nach Afghanistan gegangen, sie hätten dort leben wollen. Sie haben ihr Elternhaus hergerichtet, damit sie dort leben können. Seine Schwiegermutter habe mit ihnen Kontakt aufgenommen und ihnen gesagt, dass diese Leute hinter ihnen her seien. Deshalb hätten sie neuerlich in den Iran flüchten müssen. Ihr Leben sei in Gefahr gewesen, da man ihre Kinder entführen habe wollen.
Näher befragt gab er u.a an, seine Schwiegermutter habe sie benachrichtigt. Die Angehörigen seiner Schwiegermutter seien in Kunduz. Die Feinde seiner Ehefrau seien ihnen nach Kabul gefolgt, sie hätten sie töten und ihre Kinder entführen wollen.
Befragt wie er zu der Aussage komme, dass seine Kinder entführt werden sollten, gab der BF2 an, sie seien einflussreich. Sie hätten sich bei seiner Ehefrau und seinen Kindern rächen wollen.
Der Feind heiße XXXX und sei Kommandant. Seine Frau wisse mehr über ihn. Er wisse nicht von welchen Angehörigen seine Schwiegermutter von der Bedrohung gehört habe. Seine Frau müsste es wissen. Später gab er an, der Verlobte sei kein Kommandant gewesen, er habe nur mit den Kommandanten gearbeitet.
Nach Vorhalt, dass der BF2 bei der Erstbefragung andere Angaben gemacht habe, gab der BF2 an, es sei ihm gesagt worden, dass er über die Fluchtroute erzählen solle. Er solle bei dem BFA alles vorbringen.
Er habe gelegentlich Kontakt mit seiner Schwester. Er habe in Kabul zwei Schwestern. Weiters habe er Freunde oder Bekannte in Kabul, mit diesen stehe er aber nicht in Kontakt.
Bei einer Rückkehr befürchte er, dass man sie töten werde. Wenn sein Leben nicht in Gefahr gewesen wäre, hätte er seine Heimat nicht verlassen. Wer liebe sein Heimatland nicht.
5. Mit Bescheiden vom 29.06.2017 (BF1, BF2) und 30.06.2017 (BF3 bis BF5) wies das BFA die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).
6. Mit Verfahrensanordnung vom 06.07.2017 wurden den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
7. Die BF erhoben gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerden, die in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurden.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil; die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt. Den Parteien wurde eine zweiwöchige Frist zwecks Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten und Erhebung von Einwendungen zum Protokoll der Verhandlung eingeräumt. Die BF ließen die Frist ungenutzt verstreichen.
9. Mit Schreiben vom 03.10.2018 wurden den BF aktualisierte Länderberichte zur Stellungnahme übersendet, darunter das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 11.09.2018, die "UNHCR- Richtlinie zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender" sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan zur "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre". Die BF bezogen zu den Berichten mit Schreiben vom 08.10.2018 schriftlich Stellung und führten darin insbesondere die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 an.
1. Feststellungen:
1.1. Zu den BF:
1.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die volljährige BF1 führt den Namen XXXX , geb. am XXXX , ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Dari. Die BF1 ist in der Stadt Kunduz geboren und aufgewachsen.
Sie hat zwei Jahre lang einen privaten Schulunterricht im Iran erhalten.
Sie hat keine Berufsausbildung und war als Hausfrau tätig.
Im Iran leben noch ihre Eltern, vier Brüder und zwei Schwestern. Die Familie lebt unter gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen.
Die BF1 steht im regelmäßigen Kontakt mit ihrer Familie.
Eine Cousine sowie weitere Angehörige ihrer Mutter leben in Kunduz, , Afghanistan.
BF1 ist die Mutter des BF3 XXXX geb. XXXX , der BF4 XXXX geb. XXXX und der BF5 XXXX geb. XXXX , alle Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und alle geboren im Iran. Der BF2 ist der Vater der BF3 bis BF5 und der Ehegatte der BF1.
Der volljährige BF2 führt den Namen XXXX , geb. am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari.
Der BF2 stammt aus Kabul und lebte dort ca. 17 Jahre lang bis zu seiner Ausreise in den Iran.
Der BF2 besuchte neun Jahre die Grundschule in Kabul und kann lesen und schreiben.
Der BF2 war in Kabul als Verkäufer für Wollhandschuhe tätig. Der BF2 war im Iran selbständig tätig. Die BF lebten unter gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen.
In Kabul leben zwei Schwestern und vier Tanten des BF2.
Der BF2 hat Freunde und Bekannte in Kabul.
Der BF2 bzw. seine Familie besitzt nach wie vor ein Haus in Kabul.
Im Iran leben noch eine Schwester des BF2.
Alle BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Die BF waren bisher in Österreich nicht erwerbstätig und nicht selbsterhaltungsfähig.
Die BF pflegen in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen.
Die BF1 besuchte von Anfang 2016 bis ca. Mitte 2017 gemeinsam mit der BF2 Deutschkurse (Niveau A1) und weist dies durch Teilnahmebestätigungen nach. Eine Deutschprüfung hat sie nicht absolviert. Derzeit besucht sie keinen Deutschkurs.
Die BF1 verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Das deutsche Alphabet kann sie nach ihren eigenen Angaben nicht lesen. In der Beschwerdeverhandlung gab sie an, dass sie einiges verstehe, sie traue sich aber nicht auf Deutsch zu antworten bzw. "weil sie es nicht ausreichend gut könne".
Die BF3 bis BF5 sind gesund.
1.1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:
Die BF stellten am 15.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Ihre Anträge auf internationalen Schutz begründeten die BF im Wesentlichen damit, dass der ehemalige Verlobte der BF1 die BF1 sowie ihre Familie verfolge.
Das von den BF dargelegte Fluchtvorbringen (betreffend die ihnen drohende Gefahr, in Afghanistan aufgrund einer versuchten Zwangsverheiratung physischer und/oder psychischer Gewalt durch den ehemaligen Verlobten der BF1 ausgesetzt zu sein) kann nicht festgestellt werden.
Die BF1 und BF4 und BF5 sind in ihrem Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Bei der BF1 handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, deren persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen steht, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Es war nicht erkennbar, dass die BF1 eine "westliche" Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, sodass von ihnen erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.
Bei den BF4 und BF5 ist aufgrund ihres jungen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung anzunehmen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann. Die BF4 und BF5 wären in Afghanistan, insbesondere in Kabul, aufgrund ihres Geschlechts auch nicht von der Inanspruchnahme von Bildungsmöglichkeiten, dem Schulbesuch, ausgeschlossen oder maßgeblich beschränkt. In Afghanistan besteht Schulpflicht. Auch ist, insbesondere in den Städten, ein Schulangebot für Mädchen und Buben vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist auch keine asylrelevante Verfolgung der unmündig minderjährigen BF4 und BF5 für den Fall zu befürchten, dass ihre Eltern ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine grundlegende Bildung zukommen lassen wollten.
Spezifische sonstige Antragsgründe der minderjährigen BF konnten nicht festgestellt werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die BF auf Grund der Tatsache, dass sie sich im Iran und in Europa aufgehalten haben (bzw. jeder derartige "Rückkehrer") in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt sind bzw., dass sie eine solche im Falle der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätten.
Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass die BF ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit (Tadschiken), ihrer Religion (sunnitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung im Falle ihrer Rückkehr zu erwarten hätten.
1.1.3.1 Zur Situation im Fall einer Rückkehr der BF1 und BF2:
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 und BF2 im Falle einer Rückkehr in die Stadt Kabul, aus der sie stammen und in die sie im Jahr 2014 bereits vom Iran zurückgekehrt sind, Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Die BF1 und BF2 leiden an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Sie sind mobil, anpassungsfähig und befinden sich im erwerbsfähigen Alter.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr der BF1 und des BF2 nach Kabul ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden. Die kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates sind den BF1 und BF2 vertraut.
1.1.3.2 Zur Situation im Fall einer Rückkehr der BF3-BF5:
Es besteht für die unmündig minderjährigen BF3 bis BF5 eine allgemeine Gefährdungslage im Herkunftsstaat. Die BF3 bis BF5 leben im Familienverband mit ihren Eltern und verfügen weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung. Vor allem Kinder sind in Afghanistan besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Auch besteht für die minderjährigen Beschwerdeführer - selbst wenn sie im Familienverband zurückkehren - die Gefahr, dass sie Kinderarbeit leisten müssen, für den Fall, dass der BF2 zu wenig verdienen würde, um die gesamte Familie zu erhalten. Weiters besteht in Afghanistan eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern. Es wird festgestellt, dass die BF3 bis BF5 bei einer Rückkehr nach Kabul einem realen Risiko ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten. Da die festgestellte Situation für Kinder des Alters der BF3 bis BF5 nicht bloß für einzelne Teile Afghanistans zutrifft, besteht dieses Risiko nicht bloß in der Herkunftsprovinz Kabul bzw. Kabul Stadt, sondern auch in Städten wie Mazar e Sharif oder Herat.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.06.2018
1.2.1.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Anschläge in Nangarhar 11.9.2018
Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).
Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).
Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018
Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).
Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).
IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018
Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).
IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018
Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).
KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018
Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz- Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).
IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018
in Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).
Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab
Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).
Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).
Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).
IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018
Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).
IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018
Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).
1.2.1.2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
1.2.1.3. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch
gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .
* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart- e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).
* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen
legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als S