TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/9 W208 2202020-1

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Veröffentlicht am 09.11.2018
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Entscheidungsdatum

09.11.2018

Norm

BDG 1979 §103 Abs3
BDG 1979 §123 Abs2
BDG 1979 §126 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W208 2202020-1/6E

IM NAMEN DER REPBUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Tomas BLAZEK und Mag. Renate LANZENBACHER als Beisitzer über die Beschwerde von ChefInsp XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Karl Erich PUCHMAYR, 4020 LINZ, Landstraße 101-103 und des Disziplinaranwaltes Obstlt XXXX gegen den Bescheid/das Disziplinarerkenntnis der DISZIPLINARKOMMISSION BEIM BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES; SENAT IV, vom 30.05.2018, BMI-46030/5-DK/4/2018, nach Durchführung einer nichtöffentlichen Sitzung,

A)

I. zu Recht erkannt: Der Beschwerde des Beschuldigten wird stattgegeben und der Bescheid aufgehoben.

II. beschlossen: Die Beschwerde des Disziplinaranwaltes wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer/Beschuldigte (BF) steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund als Kriminalbeamter einer Landespolizeidirektion.

2. Am 13.01.2018 erstattete der Leiter des Landeskriminalamtes (Ltr LKA) Disziplinaranzeige gegen den BF bei der Dienstbehörde. Eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft (StA) erging bereits am 11.01.2018 nach Erhebungen zu einem anonymen Mail, dass dem Ltr LKA bereits am 12.12.2017 über das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung zugegangen war. Der Leiter der Dienstbehörde - der Landespolizeidirektor - leitete die Anzeige mit Schreiben vom 26.02.2018 an die zuständige Disziplinarkommission (DK) weiter.

3. Am 30.04.2018 (zugestellt durch Hinterlegung am 04.05.2018) fasste die DK einen Einleitungsbeschluss (EB) mit folgendem Inhalt (Anonymisierung und Kürzung auf das Wesentliche im kursiven Text durch BVwG):

Der BF sei verdächtig:

"1. am 20.10.2017, in der Zeit von 10.00 Uhr bis ca. 17.30 Uhr, mit dem Dienst- Kfz BP-[...], zum Begräbnis des MinRat. Mag. [U.] von

XXXX (Bundesamtsgebäude - [...]) nach [S.] gefahren zu sein, an diesem Begräbnis teilgenommen zu haben und für den angeführten Zeitraum (Hinfahrt - Teilnahme am Begräbnis - Rückfahrt) in der elektronischen Dienstdokumentation (EDD) die Kennzahl "521", krim. Er-mittlungsleistung - Betrug, eingetragen und als Begründung "Aktenstudium, Bearbeitung der zugewiesenen Strafsachen, Administration" vermerkt zu haben.

2. am 20.10.2017, in der Zeit von 10.00 Uhr bis 17.15 Uhr das Dienstkraftfahrzeug BP-[...] verwendet zu haben und als Zwecken der Fahrt im elektronischen Fahrtenbuch "Kriminaldienst" eingetragen zu haben, obwohl der tatsächliche Zweck der Fahrt die Teilnahme am Begräbnis des MinRat. Mag. [U.] in [St.] war,

3. eine Reiserechnung für den 20.10.2017 (datiert mit 31.10.2017), 10.00 Uhr bis 17.30 Uhr verfasst und als Grund der Dienstreise "krim. Erh" eingetragen zu haben, obwohl [der BF] tatsächlich am Begräbnis des MinRat. Mag. [U.] in [St.] teilgenommen hat, weiters

4. am 27.11.2017, in der Zeit von ca. 14.00 Uhr bis ca. 15.30 Uhr, an der Verab-schiedung des verstorbenen Cheflnsp [G.] am XXXX Urnenhain teilgenommen zu haben und in der EDD die Kennzahl "521", Krim. Ermittlungsleitung - Betrug und als Begründung die GZ: XXXX , Berichterstattung gern. § 100 StPO wegen § 302 StGB, eingetragen zu haben, sowie

5. "am 27.11.2017, in der Zeit von ca. 14.00 Uhr bis ca. 15.30 Uhr, an der Verab-schiedung des verstorbenen Cheflnsp [G.] [...] auf Basis von bezahlter Mehrdienstleistung (Überstunden) teilgenommen zu haben."

Die DK sah darin - trotz Einstellung eines Strafverfahrens wegen Amtsmissbrauch am 23.01.2018 - mit näherer Begründung den Verdacht eines Verstoßes gegen die Dienstpflichten des § 43 Abs 1 BDG und § 44 Abs 1 BDG iVm einer Reihe von angeführten und mit Geschäftszahlen bezeichneten Erlässen zur EDD (Elektronischen Dienstdokumentation), Dienstkraftfahrzeugnutzung und Zeitabrechnung, die auch auszugsweise in der Begründung wiedergegeben wurden.

4. Am 30.05.2018 fand - trotz noch offener Beschwerdefrist für den Einleitungsbeschluss - eine mündliche Verhandlung vor der DK statt, bei der der BF in allen Punkten schuldig gesprochen und eine Geldbuße in Höhe von € 300,-- ausgesprochen wurde. Der BF habe gegen die Dienstpflichten des § 43 Abs 1 BDG und § 44 Abs 1 BDG iVm mit näher bezeichneten Erlässen zur EDD, Dienstkraftfahrzeugnutzung, elektronischem Fahrtenbuch und Dienstzeit schuldhaft verstoßen.

5. Der rechtsfreundlich vertretene BF brachte mit Schreiben vom 01.06.2018 (Postaufgabedatum) fristgerecht Beschwerde gegen den EB ein. Er beantragte die Aufhebung und die Einstellung des Disziplinarverfahrens.

6. Mit Erkenntnis des BVwG W208 2197854-1/2E vom 21.06.2018 (zugestellt am 27.06.2018) wurde die Beschwerde gegen den Einleitungsbeschluss abgewiesen und trat dieser in Rechtskraft.

7. Am 13.06.2018 unterschrieb der Vorsitzende der DK (mit Amtssignatur), die mit 11.06.2018 datierte schriftliche Ausfertigung des bereits am 30.05.2018 mündlich verkündeten Disziplinarerkenntnisses.

8. Mit Schreiben vom 09.07.2018 brachte der Disziplinaranwalt Obstlt

XXXX (im Folgenden: J.) im Verfahren vor der DKS Beschwerde gegen das ihm am 12.06.2018 zugestellt Disziplinarerkenntnis ein, welche am selben Tag bei der DKS einlangte.

9. Mit Schreiben vom 11.07.2018 brachte der BF über seinen Rechtsanwalt Beschwerde gegen das ihm am 13.06.2018 zugestellte Disziplinarerkenntnis ein, welche am 12.07.2018 bei der DKS einlangte. Unter anderem wurde darin auch angeführt, dass die DK am 30.05.2018 einen Schuldspruch gefasst habe, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Einleitungsbeschluss noch nicht rechtskräftig gewesen sei.

10. Mit Schriftsatz vom 25.07.2018 (eingelangt beim BVwG am 27.07.2018) legte die DK - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - die Beschwerden dem BVwG vor. Im Vorlageschreiben räumte die DK ein, irrtümlich tatsächlich einen Tag vor Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses verhandelt und den Schuldspruch gefasst zu haben. In der Folge wurden diverse rechtliche Argumente angeführt, warum dies zulässig gewesen wäre.

11. Am 09.08.2018 wurde der Disziplinaranwalt J. vom BVwG aufgefordert mitzuteilen, ob er - wie in § 103 Abs 3 BDG für das Verfahren vor dem BVwG vorgesehen - rechtskundig sei.

12. Mit Schreiben vom 10.08.2018 (eingelangt am 16.08.2018) teilte der Disziplinaranwalt J. mit, dass er selbst nicht rechtskundig sei, aber durch den Leiter des Referates I/1/f im BMI, Disziplinaranwalt Brigadier XXXX , BA, MA, (im Folgenden: R). im gegenständlichen Verfahren bevollmächtigt worden sei, eine Beschwerde beim BVwG einzubringen (ON 2).

13. Mit Schreiben vom 30.08.2018 ersuchte das BVwG Brigadier R. die Vollmacht vorzulegen und mitzuteilen, ob er im Sinne des § 103 Abs 3 BDG rechtskundig sei.

14. Mit Schriftsatz vom 17.09.2018 teilte der Bundesminister für Inneres mit, das R. der Disziplinaranwalt des BMI sei und J. (seinen Stellvertreter) aus verfahrensökonomischen Gründen telefonisch beauftragt habe, Beschwerde einzubringen. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass die DK eine Beschwerdevorentscheidung treffe. Nach Vorlage der Beschwerde sei beabsichtigt gewesen einen rechtskundigen Bediensteten des BMI, welcher mit der Funktion eines stellvertretenden Disziplinaranwaltes betraut sei, mit der weiteren Vertretung der Interessen zu beauftragen. Hinsichtlich der Rechtskundigkeit werde auf § 243 Abs 7 BDG verwiesen und beginne das Verfahren vor dem BVwG erst mit der Vorlage der Beschwerde an das BVwG.

15. Am 09.11.2018 fand eine nichtöffentliche Sitzung des zuständigen Senates des BVwG in der Sache statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Exekutivbeamter in einem Landeskriminalamt in einer Leitungsfunktion und steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis.

Dem BF wurden die in Punkt I.3. angeführten Handlungen im EB vom 30.04.2018 (diesem zugestellt durch Hinterlegung am 04.05.2018) von der DK vorgeworfen und wurde er bereits in der mündlichen Verhandlung der DK am 30.05.2018 schuldig gesprochen. Zum Zeitpunkt des mündlich verkündeten Disziplinarerkenntnisses war die Beschwerdefrist gegen den EB am 30.05.2018 noch offen.

Der BF und sein Rechtsvertreter haben weder in der mündlichen Verhandlung am 30.05.2018 - wie sich aus der Verhandlungsschrift ergibt - noch sonst aktenkundig eine Erklärung abgegeben, dass sie auf eine Beschwerde gegen den EB verzichten würden. Am 01.06.2018 (Postaufgabedatum) brachte der BF eine Beschwerde gegen den EB ein.

Der Disziplinaranwalt im Kommissionsverfahren, der auch die Beschwerde vor dem BVwG gegen das Disziplinarerkenntnis eingebracht hat, ist nicht rechtskundig und hat diese im Namen der "BMI Disziplinaranwaltschaft" geschrieben und mit seinem eigenen Namen (ohne eine spezielle Unterschriftsklausel) unterschrieben. Er wurde dazu vom zuständigen Disziplinaranwalt im BMI - der ebenfalls nicht rechtskundig ist - telefonisch bevollmächtigt. Beabsichtigt war, erst nach der Vorlage der Beschwerde an das BVwG einen rechtskundigen stellvertretenden Disziplinanwalt zu beauftragen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt sowie den im Verfahrensgang angeführten Stellungnahmen und ist unstrittig.

Aus der Unterschriftsklausel und dem Kopf des Schreibens, dass die Beschwerde des Disziplinaranwaltes enthält, ergibt sich weder dessen Rechtskundigkeit noch, dass er in Vertretung oder im Auftrag eines rechtskundigen Disziplinaranwaltes gehandelt hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zulässigkeit und Verfahren

Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde beim BVwG vier Wochen. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingebracht. Zur Beschwerde des Beschuldigten sind keine Gründe hervorgekommen, dass diese unzulässig wäre. Die Beschwerde des Disziplinaranwaltes ist mangels Rechtskundigkeit im Verfahren vor dem BVwG unzulässig (dazu näher unten).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 135a BDG sieht bei Beschwerden der Disziplinaranwältin bzw des Disziplinaranwaltes eine Senatszuständigkeit vor.

Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt und wird auch vom BVwG nicht für notwendig erachtet, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 24 Abs 2 VwGVG).

Zu A)

3.2. Gesetzliche Grundlagen

Die anzuwendenden Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG) lauten (Auszug, Hervorhebungen durch BVwG):

"Disziplinaranwalt

§ 103. (1) Zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren sind von den Leitern der Zentralstellen Disziplinaranwälte und die erforderliche Anzahl von Stellvertretern zu bestellen.

(2) Auf den Disziplinaranwalt ist § 100 sinngemäß anzuwenden.

(3) Der Disziplinaranwalt hat rechtskundig zu sein.

(4) Der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt wird das Recht eingeräumt,

1.-1. gegen Bescheide der Disziplinarkommission gemäß Art. 132 Abs. 5 B-VG Beschwerde

an das Bundesverwaltungsgericht und

2.- 2. gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG

Revision an den Verwaltungsgerichtshof

zu erheben.

(5) Stehen dem Leiter der Zentralstelle zu wenige geeignete Bedienstete seines Ressorts für die Bestellung zum Disziplinaranwalt zur Verfügung, können geeignete Bedienstete eines anderen Ressorts bestellt werden, die in dieser Eigenschaft an seine Weisungen gebunden sind. Vor der Bestellung von Bediensteten anderer Ressorts ist das Einvernehmen mit den Leitern der betreffenden Ressorts schriftlich herzustellen.

[...]

Einleitung

§ 123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.

(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Einleitungsbeschluss der oder dem Beschuldigten, der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Im Einleitungsbeschluss sind die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen und die Zusammensetzung des Senates einschließlich der Ersatzmitglieder bekanntzugeben.

[...]

§ 243

[...]

7) Im Verfahren vor der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres muss die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt nicht rechtskundig sein."

3.3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes

3.3.1. Die Beschwerde des BF richtet sich in erster Linie gegen den Schuldspruch, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kein rechtskräftiger Einleitungsbeschluss vorgelegen ist.

Fest steht, dass der BF die Beschwerde gegen den EB (zugestellt am 04.05.2018) am 01.06.2018 fristgerecht eingebracht hat (§ 7 Abs 4 VwGVG). Der EB war folglich zum Zeitpunkt des mündlich verkündeten Disziplinarerkenntnisses am 30.05.2018 nicht rechtkräftig, weil die Beschwerdefrist noch offen war und darüber hinaus einer Beschwerde an das BVwG gem. § 13 VwGVG aufschiebende Wirkung zukommt sofern die DK keinen gegenteiligen Beschluss gefasst hat.

Die Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses trat erst mit der Zustellung des abweisenden Erkenntnisses des BVwG über die am 01.06.2018 eingebrachte Beschwerde gegen den EB, am 27.06.2018 ein.

Die Bestimmungen des § 123 Abs 1 und Abs 2 BDG sind so zu interpretieren, dass ein rechtskräftiger EB eine unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung eines Disziplinarverfahrens ist (arg: "Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, ...").

Solange dieser nicht rechtskräftig vorliegt - weil wie hier ein Beschwerdeverfahren dagegen noch offen war - besteht keine Zuständigkeit der DK über allfällige Dienstpflichtverletzungen abzusprechen, weil vor Rechtskraft des EB noch gar nicht klar ist, was überhaupt Prozessgegenstand des Disziplinarverfahrens sein wird. Der VwGH hat in ständiger Rechtsprechung die Bedeutung des EB für das Disziplinarverfahren - auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Anforderungen - klargestellt (vgl. statt vieler VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0007 mwN).

Wenn die DK nun anführt, dass sich der BF auf die Verhandlung eingelassen habe, ohne auf die fehlende Rechtskraft hinzuweisen und somit "konkludent" zum Ausdruck gebracht habe, dass er auf eine Beschwerde gegen den EB verzichtet habe, übersieht sie, dass gemäß § 7 Abs 2 VwGVG ein Rechtsmittelverzicht nur "ausdrücklich" erfolgen kann (vgl auch VwGH 16.11.2016 Ra 2016/02/0227) und der gesamten Verhandlungsschrift (und dem Akt) keine diesbezüglich zu deutende Erklärung zu entnehmen ist.

Der Ansicht der DK, die fehlende Rechtskraft des EB im Spruchzeitpunkt des verurteilenden Disziplinarerkenntnisses sei durch die spätere Abweisung der Beschwerde durch das BVwG saniert worden, verkennt, dass ein rechtskräftiger EB eine Prozessvoraussetzung ist (vgl dazu folgende VfGH-Entscheidungen:

Gegenstand eines Disziplinarverfahrens ist nur die im Einleitungsbeschluss konkret umschriebene Tat [vgl. VfSlg 5523/1967]; spricht die Behörde über Anschuldigungen ab, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren, so wird eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die der Behörde nicht zukommt [vgl. VfSlg 11350/1987, 12698/1991, 12915/1991]. Bei einem Einleitungsbeschluss handelt es sich lediglich um eine prozessleitende Verfügung, die der Durchführung eines Disziplinarverfahrens vorauszugehen hat [vgl VfSlg 9425/1982, 10944/1986, 11448/1987, 11608/1988, 12698/1991, 12881/1991]).

In der von der DK zur Unterstützung ihres Argumentes zitierten VwGH-Entscheidung vom 18.12.2001, 99/09/0089, ging es hingegen um die fehlende Zustimmung des Dienststellenausschusses zur Verfolgung eines Personalvertreters, die im Nachhinein erteilt und damit der Verfahrensmangel saniert wurde; der Fall ist daher nicht vergleichbar mit dem gänzlichen Fehlen eines rechtskräftigen EB zum Spruchzeitpunkt.

Aus dem Umstand, dass dem BF dem Grunde nach die Vorwürfe bekannt waren und er sich in der mündlichen Disziplinarverhandlung vor der DK entsprechend zur Wehr gesetzt hat, kann die fehlende gesetzliche formale Voraussetzung des Vorliegens eines rechtskräftigen EB - vor dem Hintergrund der zitierten Rsp der Höchstgerichte - nicht abgeleitet werden, weil die gesetzliche Regelung des § 123 Abs 2 BDG diesbezüglich völlig eindeutig ist und eine rechtskräftiger EB die Voraussetzung für eine Entscheidung in der Sache (den Prozessgegenstand) darstellt.

Zusammengefasst liegt eine Rechtswidrigkeit iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG aus den vom BF angeführten Grund des Nichtvorliegens eines rechtskräftigen Einleitungsbeschlusses zum Zeitpunkt des Schuldspruches vor, sodass der Beschwerde des BF stattzugegeben und der Bescheid/das Disziplinarerkenntnis zu beheben ist.

3.3.2. Gemäß § 103 Abs 1 BDG sind zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren von den Leitern der Zentralstellen Disziplinaranwälte und die erforderliche Anzahl von Stellvertretern zu bestellen, gemäß § 103 Abs 3 BDG hat der Disziplinaranwalt rechtskundig zu sein und gemäß § 103 Abs 4 BDG wird der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt das Recht eingeräumt, (1.) gegen Bescheide der Disziplinarkommission gemäß Art 132 Abs 5 B-VG Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und (2.) gegen die Entscheidung des BVwG gemäß Art 133 Abs 8 B-VG Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Allerdings muss im Verfahren vor der Disziplinarkommission beim BMI die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt gemäß § 243 Abs 7 BDG nicht rechtskundig sein.

Das bedeutet im Wesentlichen, dass in Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission beim BMI auch eine nicht rechtskundige Disziplinaranwältin oder ein solcher Disziplinaranwalt einschreiten darf, im Verfahren vor dem BVwG aber nicht (mehr).

Da der stellvertretende Disziplinaranwalt J., der die Beschwerde seitens des BMI eingebracht hat - entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 103 Abs 3 BDG - nicht rechtskundig war, fehlt ihm die Beschwerdelegitimation vor dem BVwG. Die Frage, ob er dann beschwerdelegitimiert wäre, wenn er von einem rechtskundigen Disziplinaranwalt bevollmächtigt gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben, weil auch Brigadier R. - der Vollmachtgeber - nicht rechtskundig ist.

Die Ansicht, dass das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG erst mit der Vorlage der Beschwerde an das BVwG beginne, ist verfehlt, weil der Umstand, dass die belangte Behörde (hier die DK) innerhalb einer bestimmten Frist ein Beschwerdevorverfahren durchführen und eine Beschwerdevorentscheidung erlassen kann (§ 14 VwGVG), nicht dazu führt, dass auch in diesem Fall die Ausnahmebestimmung des § 243 Abs 7 BDG greift. Zweifellos ist die Beschwerdeergreifung der erste Schritt des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und eben kein Teil des Verfahrens vor der Disziplinarkommission mehr, da sich die Beschwerde an das Verwaltungsgericht richtet, dessen Verfahrensgegenstand festlegt und eine allfällige Entscheidung im Beschwerdevorverfahren - ohne dass dies einer weiteren Begründung bedarf - vom BF mit Vorlageantrag dem Verwaltungsgericht vorzulegen ist. Darüber hinaus ergibt sich nur aus der Beschwerde, selbst wenn ein Vorlageantrag ergangen ist, ob diese zulässig ist.

Da Obstlt J. ein nicht rechtskundiger (stellvertretender) Disziplinaranwalt ist, ist die zwar über Auftrag aber doch im eigenen Namen eingebrachte Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

3.3.3. Mit der Behebung tritt das Verfahren wieder in den Status vor Erlassung des Disziplinarerkenntnisses zurück. Weil mittlerweile der EB durch das Erkenntnis des BVwG vom 21.06.2018 rechtskräftig geworden ist, ist die DK nicht gehindert, neuerlich eine Verhandlung auszuschreiben und über die Sache inhaltlich neu zu entscheiden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auf die oben dargestellte Judikatur zur Bedeutung des Einleitungsbeschlusses darf verwiesen werden. Die Rechtsfrage der Beschwerdelegitimation des nicht rechtskundigen Disziplinaranwaltes vor dem BVwG, ist für die Lösung des konkreten Falles nicht relevant, weil der Bescheid schon aufgrund des Fehlens eines rechtskräftigen Einleitungsbeschlusses zum Entscheidungszeitpunkt der DK zu beheben ist.

Schlagworte

Beschwerdelegimitation, Disziplinaranwalt - Zurückweisung,
Einleitungsbeschluss, ersatzlose Behebung, Rechtskraft, Rechtskunde,
Schuldspruch, Unzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W208.2202020.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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