TE Bvwg Beschluss 2018/11/14 W175 2203860-1

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Veröffentlicht am 14.11.2018
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Entscheidungsdatum

14.11.2018

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W175 2203860-1/7E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, StA. Elfenbeinküste, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018, Zl. 1192652507-180494636, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben

und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (in Folge: BF), eine Staatsangehörige der Elfenbeinküste, stellte am 27.05.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde hiezu am nächsten Tag einer Erstbefragung unterzogen. Hierbei gab sie an, der Einvernahme ohne (gesundheitliche) Probleme folgen zu können und keine Familienangehörigen in Österreich oder in einem anderen EU-Staat zu haben. Ihre Mutter, Geschwister und drei Kinder würden noch in der Heimat leben. Die BF habe ihre Heimat im März 2018 verlassen und sei nach Portugal geflogen; anschließend sei sie über Frankreich nach Österreich gekommen. Österreich sei ihr Reiseziel gewesen, weil ihr Freund ihr gesagt habe, hier zu leben. Sie habe ihn im August 2017 kennengelernt, als er an die Elfenbeinküste gereist sei. Ihr Freund befinde sich derzeit aber vermutlich in Frankreich. Er habe sie in eine Wohnung an einen ihr unbekannten Ort gebracht, wo sie seit 30.03.2018 aufhältig gewesen sei.

Eine Visa-Abfrage ergab, dass die BF im Besitz eines vom 20.03.2018 bis zum 19.04.2018 gültigen französischen Schengenvisums war.

Am 30.05.2018 stellte das BFA ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO an Frankreich und stimmte Frankreich mit Schreiben vom 29.06.2018 zu, die BF gemäß der genannten Bestimmung aufzunehmen.

Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 16.07.2018 gab die BF an, oft Schmerzen im Bauch zu haben und deshalb auch mehrmals beim Arzt gewesen zu sein. Zudem nehme sie Augentropfen, da sie Probleme mit ihrem linken Auge habe. Über Vorhalt, dass die BF eigenen Angaben zufolge am 29.03.2018 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei, jedoch erst am 27.05.2018 einen Asylantrag gestellt habe, meinte sie, dass sie in der Zeit an einem ihr unbekannten Ort gewesen sei; als sie von dort habe weggehen können, habe sie um Asyl angesucht. Näher dazu befragt, gab die BF an, nach ihrer Einreise in Österreich von ihrem Freund am Flughafen abgeholt worden zu sein und mit ihm zwei Tage in einer Wohnung verbracht zu haben. Am dritten Tag habe er sie in ein anderes Haus gebracht und gemeint, er müsse geschäftlich nach Frankreich reisen und sie solle in der Zwischenzeit bei seiner Schwester bleiben. Anstelle seiner Schwester sei dann jedoch ein fremder Mann in dieses Haus gekommen und habe die BF bedroht. Er habe gemeint, er sei ihr Ehemann und habe ihre Reise organisiert. Er habe auch alle Fotos von ihr gehabt, die ihr Freund von ihr gemacht habe. Er habe gesagt, sie solle kooperieren, andernfalls ihren Kindern etwas passieren würde. Am 27.05.2018 habe sie zufällig beim Reinigen des Hauses zwei Schlüssel gefunden und so fliehen können. Zuletzt gab die BF an, dass ihr Freund ihr ein besseres Leben versprochen und gemeint habe, dass hier die Rechte der Frauen respektiert werden würden.

Im Zuge der Einvernahme legte die BF eine Vereinbarung über die Prozessbegleitung zwischen ihr und LEFÖ-IBF sowie ärztliche Schreiben vor.

Mit Bescheid vom 18.07.2018 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Frankreich für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Frankreich gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Im Bescheid wurde zusammengefasst festgehalten, dass aus den Angaben der BF keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass diese tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Frankreich Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Im Verfahren hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Frankreich ergeben. Frankreich habe sich mit Schreiben vom 29.06.2018 ausdrücklich bereit erklärt, die BF im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin-VO zur Prüfung ihres Asylantrages zu übernehmen und es könne daher nicht erkannt werden, dass ihr der Zugang zum Asylverfahren in Frankreich verweigert werde. Mangels familiären Anknüpfungspunkten und mangels Anhaltspunkten für eine Integrationsverfestigung in Österreich sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei.

Aus einem E-Mail-Schreiben der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 26.07.2018 geht hervor, dass das BFA die Niederschrift über die Einvernahme mit der BF übermittelt hat, um einen möglichen Verdacht des Menschenhandels zu klären.

Am 16.08.2018 wurde eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 18.07.2018 erhoben und darin vorgebracht, dass die BF überzeugt gewesen sei, eine ernsthafte Beziehung mit ihrem Freund zu führen und wegen ihm nach Europa gereist sei. Sie sei gemeinsam mit ihm nach Österreich gekommen, wo sie zu der Wohnung eines fremden Mannes gebracht worden sei, der ihr erklärt habe, dass er ihre Reise organisiert habe. Die BF sei gezwungen worden, zu kooperieren, weil dieser Mann nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder bedroht habe. Kurz danach, sei es ihr gelungen, aus seiner Wohnung zu fliehen. Sie sei mittlerweile auch in einer Schutzeinrichtung von LEFÖ untergebracht, wo sie auch sozial und psychologisch betreut werde. Aufgrund ihrer mangelnden Kenntnisse über das österreichische Rechtssystem würde sie erst jetzt eine Anzeige bei der Polizei erstatten, weil sie Opfer von Menschenhandel geworden sei. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflichten verletzt, indem sie die Eigenschaft der BF als Opfer von Menschenhandel nicht berücksichtigt habe. Somit sei das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet. Die BF habe nicht die Absicht gehabt, einen Asylantrag in Österreich zu stellen, bis sie ein Opfer von Menschenhandel geworden sei. Sie wolle, dass ihr Asylverfahren im gleichen Land wie das bevorstehende Strafverfahren geführt werde.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.08.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

II.1. Mit 1.1.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung lauten:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Gemäß Art 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

In Kapitel 3 bzw. den Artikeln 7 ff der Dublin-III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.

Artikel 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

II.2. Im gegenständlichen Verfahren ging das BFA unter der Annahme, dass die BF im Besitz eines vom 20.03.2018 bis zum 19.04.2018 gültigen Visums für Frankreich war sowie aufgrund der Zustimmung Frankeichs vom 29.06.2018 zur Aufnahme der BF zunächst zurecht von der Zuständigkeit Frankreichs zur Führung des Asylverfahrens der BF beziehungsweise von der diesbezüglichen Unzuständigkeit Österreichs aus. Allerdings erweist sich der angefochtene Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte. Dies aus folgenden Erwägungen:

Im vorliegenden Fall ergaben sich in der Einvernahme der BF vom 16.07.2018 Indizien dafür, dass sie in Österreich Opfer von Menschenhandel geworden sein könnte. Aus diesem Grund hat das BFA auch Kontakt mit der zuständigen Landespolizeidirektion aufgenommen und ihr die Niederschrift über die Einvernahme mit der BF übermittelt, um einen möglichen Verdacht des Menschenhandels zu klären.

Trotz dieses wesentlichen Aspektes im vorliegenden Fall hat sich das BFA im angefochtenen Bescheid in keinster Weise damit auseinandergesetzt und lediglich ausgeführt, dass die BF keine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte in Frankreich vorgebracht habe. Es wurden keine weiteren Erhebungen zum Verdacht des Menschenhandels getroffen noch entsprechende Feststellungen im angefochtenen Bescheid getätigt.

Im vorliegenden Fall spricht jedoch viel dafür, dass die BF in Österreich tatsächlich Opfer von Menschenhandel beziehungsweise grenzüberschreitender Prostitution wurde; am Rande bemerkt, liegt diesbezüglich ein wesentlicher Unterschiede zu jenem dem Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0077 zugrunde liegenden Fall vor, da es dort um eine Beschwerdeführerin ging, die in Italien (und nicht wie im vorliegenden Fall in Österreich) Opfer von Menschenhandel beziehungsweise grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden ist.

Die BF ist in einer Schutzeinrichtung von LEFÖ untergebracht, wo sie auch sozial und psychologisch betreut wird. Dem erkennenden Gericht ist zur Kenntnis gebracht worden, dass sie nunmehr eine Anzeige wegen Menschhandel erstattet hat und sich eine polizeiliche Befragung der BF, inwieweit sie Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden sei, aufgrund eines Ortswechsels innerhalb Österreichs verzögert habe.

Die Beschwerde verweist jeweils zutreffend darauf, dass bei Opfern von Menschenhandel ein Eingriff nach Art. 4 EMRK vorliegt und diesbezüglich auch weitere Übereinkommen und Richtlinien gelten, die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu einem Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 17 Dublin III-VO führen können.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin Erhebungen zum Stand des Verfahrens wegen der Anzeige der BF sowie zu einer möglichen Stellung der BF als Zeugin bzw. Opfer in diesem Verfahren zu tätigen haben. In der Folge werden nach Erläuterung der Ergebnisse dieser Erhebungen mit der BF entsprechende Feststellungen hiezu zu treffen und insbesondere ein Eingriff in Art. 4 EMRK zu prüfen sein.

Art. 4 EMRK verbietet Menschenhandel als solchen. Der EGMR hat in seiner Entscheidung Rantsev gg. Zypern und Russland, Urteil vom 7.1.2010, Bsw.Nr. 25965/04 dargelegt, dass die Staaten verpflichtet sind, einen rechtlichen und administrativen Rahmen zu seiner Bekämpfung zu schaffen und (potentielle) Opfer zu schützen. Bestehen Gründe für die Annahme, eine bestimmte Person sei Opfer von Menschenhandel oder in Gefahr Opfer zu werden, so müssen die Behörden operative Maßnahmen zu ihrem Schutz treffen und eine Untersuchung durchführen.

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei der BF eine reale Gefährdung ihrer insbesondere durch Art. 4 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle ihrer Überstellung nach Frankreich beziehungsweise ob die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt Österreichs nach Art. 17 Dublin III-VO vorliegen.

Wie dargelegt, wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeit nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend nach § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Menschenhandel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W175.2203860.1.01

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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