TE Bvwg Beschluss 2018/11/15 I416 2209334-1

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Veröffentlicht am 15.11.2018
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Entscheidungsdatum

15.11.2018

Norm

AVG §37
AVG §66 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
FPG §52 Abs6
StGB §165
VwGVG §24 Abs2
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I416 2209334-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX StA. Nigeria, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2018, Zl. XXXX (EAM) beschlossen:

A) Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG idgF

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ein nigerianischer Staatsangehöriger wurde am 17.09.2017 von Beamten des Landeskriminalamtes Wien festgenommen. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde wegen des Verdachtes des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens der Vorbereitung des Suchtgifthandels die Untersuchungshaft über ihn verhängt.

Mit Datum 25.09.2017 wurde dem in der Justizanstalt XXXX einsitzenden Beschwerdeführer ein mit "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" überbetiteltes Schreiben, zugestellt, wonach eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu erlassen beabsichtigt sei, in eventu die Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides gem. § 76 FPG und ihm die Gelegenheit gegeben (schriftlich) innerhalb von 10 Tagen eine Stellungnahme unter Beantwortung der im Schreiben angeführten Fragen abzugeben. Eine Einvernahme des Beschwerdeführers erfolgte jedoch nicht. Innerhalb der festgesetzten Frist wurde keine Stellungnahme abgegeben.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.01.2018, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1, zweiter und dritter Fall sowie Abs. 2 Z 3 SMG, dem Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter und dritter Fall sowie Abs. 2 SMG und wegen dem Vergehen der Geldwäscherei nach § 165 Abs. 2 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt, wobei erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen und ein Vergehen gewertet wurde und mildernd sein teilweises Geständnis, sein bisheriger ordentlicher Lebenswandel und die Sicherstellung des Suchtgiftes.

Im Akt befinden sich weiters eine schwarz-weiß Kopie eines Reisepasses der Republik Nigeria lautend auf den Namen des Beschwerdeführers mit Gültigkeit vom 10.03.2016 bis 09.03.2021, Kopien diverser Einreisestempel und die schwarz-weiß Kopie eines Aufenthaltstitels von Spanien "Permiso de Residencia" als Residente de larga duración-UE, gültig bis 26.03.2019.

Am 08.05.2018 wurde ein Festnahmeauftrag gegen den Beschwerdeführer erlassen und darin verfügt, dass diese Festnahme spätestens am 17.09.2010 erfolgen solle und dieser Auftrag zur Vollziehung im Falle der Entlassung aus der U/Strafhaft dient.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.10.2018, Zahl: XXXX (EAM), wurde unter Spruchteil I. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen und unter Spruchteil II. festgestellt, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und unter Spruchteil III. keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt und unter Spruchpunkt IV. wurde ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. In der Begründung des Bescheides wurde kurz der bisherige Verfahrensgang unter ausführlicher Behandlung seiner strafrechtlichen Verurteilung dargestellt und darauf hingewiesen, dass der Antragsteller die Möglichkeit des Parteiengehörs nicht wahrgenommen hat. In der Folge wurden Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffen, sowie Feststellungen zu seiner Person, seinem Aufenthalt und seinem Privat- und Familienleben, die fast ausschließlich dem Urteil des Straflandesgerichtes entnommen wurden und wurde auch im Rahmen der Beweiswürdigung überwiegend auf das vorliegende Strafurteil zurückgegriffen. Rechtlich wurden zu Spruchteil I. die bezughabenden rechtlichen Bestimmungen dargelegt und insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge und aufgrund der fehlenden Stellungnahme davon auszugehen sei, dass sich sein Lebensmittelpunkt in Nigeria befinden würde. Die Tatsache, dass er in Österreich straffällig geworden sei, bedinge, dass sein Aufenthalt unrechtmäßig geworden sei und rechtfertige die Annahme, dass ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würde und sei daher die Erlassung einer Rückkehrentscheidung dringend geboten. Zu Spruchpunkt II. wurde insbesondere ausgeführt, dass er keine Stellungnahme abgegeben habe und sohin keine Gründe angeführt habe, die gegen eine Rückkehr nach Nigeria sprechen würden. Spruchpunkt III. wurde mit § 18 Absatz 2 Z 1 BFA-VG begründet, dass die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei, begründet. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass im vorliegenden Fall der § 53 Absatz 3 Z 1 FPG erfüllt sei und auf Grund der Schwere des Fehlverhaltens davon auszugehen ist, dass eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bestehe. Außerdem lägen keine privaten oder familiären Bindungen zu Österreich vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 09.11.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass er mangels der erforderlichen Sprachkenntnisse der deutschen Sprache keine persönliche Stellungnahme zum Parteiengehör bezüglich der Erlassung der Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot habe abgeben können. Es sei ihm auch keine amtswegige Rechtsberatung zur Verfügung gestanden, an die er sich habe wenden können. Zur beabsichtigten Abschiebung nach Nigeria führte er aus, dass er entgehen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl über ein berücksichtigungswürdiges Privat- und Familienleben in Spanien verfügen würde. Er führte weiters aus, dass er über eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung von Spanien verfügen würde, in Spanien leben und dort in einer Wäscherei arbeiten würde. Er lebe gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin XXXX und habe diese erst kürzlich den gemeinsamen Sohn Daniel XXXX zur Welt gebracht. Nach seiner Haftentlassung wolle er zu diesen zurückkehren. Unter Zitierung des § 52 Abs. 6 FPG führte er weiters aus, dass ihm die Möglichkeit einer Ausreise in das Hoheitsgebiet von Spanien nicht eingeräumt worden, sondern sofort eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen worden sei. Er führte weiters aus, dass er kein Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich habe und bereit sei, nach seiner Haftverbüßung unverzüglich zu seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind auszureisen. Sein Privat- und Familienlebenspunkt würde sich in Spanien befinden und würde ihn die Verhängung eines Einreiseverbotes für den gesamten Schengenraum daher schwer treffen. Hinsichtlich des gegen ihn erlassenen Einreiseverbotes führte er aus, dass er nicht der Meinung sei, dass eine solche erhebliche Gefahr von seiner Person ausgehen würde, dass dieser mit der Erlassung eines 10-jährigen Einreiseverbotes entgegen zu wirken sei. Es werde daher beantragt den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben, der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, die Abschiebung nach Nigeria für unzulässig erklären, das Einreiseverbot zur Gänze zu beheben, in eventu die Dauer des Einreiseverbotes auf ein verhältnismäßiges Ausmaß zu reduzieren. Letztlich wurde noch hinsichtlich der Gebührenentrichtung ausgeführt, dass in der gegenständlichen Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auch über einen Aufenthaltstitel nach dem AsylG abgesprochen worden sei, weshalb die gegenständliche Beschwerde von der Gebühr befreit sei.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 vorgelegt und eine Stellungnahme abgegeben, in der ausgeführt wurde, dass es dem Beschwerdeführer sehr wohl möglich gewesen wäre, eine Stellungnahme abzugeben, dies allenfalls mit dem Sozialen Dienst der Justizanstalt. Es wurde weiters ausgeführt, dass es der Behörde frei stehe, im Falle fehlender oder unzureichender Mitwirkung auch negative Schlüsse zu ziehen. Darüberhinaus sei die Höhe des Einreiseverbotes gerechtfertigt und verfüge der Beschwerdeführer lediglich über einen spanischen Aufenthaltstitel, er habe in Spanien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sei er daher in Spanien weder asyl- noch subsidiär schutzberechtigt. Somit sei eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot nach Nigeria zulässig. Letztlich wurde angemerkt, dass der Sohn des Beschwerdeführers ebenfalls in Nigeria wohnhaft sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen, Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Dieser ergibt sich bedenkenlos aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid:

2.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (...). (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG 11).

Zur aktuellen Judikatur zu § 28 Abs. 3 VwGVG ist festzuhalten, dass mit Erkenntnis des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Sachentscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes ausgeführt wurde, dass die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme zur grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 VwGVG verankerte System verlange im Sinne der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Im angeführten Erkenntnis des VwGH wird diesbezüglich ausgeführt:

"Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...]".

Bei aufenthaltsbeendender Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes besondere Bedeutung zu (VwGH vom 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, VwGH vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0002).

Bei der Dauer der Festsetzung eines Einreiseverbotes hat die Behörde

-

abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden

-

darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwSlg. 8.295A mit weiteren Hinweisen). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (VwGH a.a.O.).

Darüber hinaus ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbotes auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen; im Hinblick darauf, dass die Maßnahme grundsätzlich das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten umfasst, ist auch auf das in einem anderen Mitgliedsstaat, für den die Rückführungsrichtlinie gilt, geführte Familienleben Bedacht zu nehmen (VwGH vom 28.05.2015, Ra 2014/22/0037).

Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- und Familienleben eines Drittstaatsangehörigen darf nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt worden, sondern ist auch die Situation in anderen Mitgliedsstaaten in den Blick zu nehmen. Dies folgt unzweifelhaft daraus, dass Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten bezogen sein soll (VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237, VwGH vom 26.03.2015, 2013/22/0284).

Dabei ist auch auf die jüngere Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu verweisen (EGMR Urteil vom 16.04.2013, Udeh gg. Schweiz, Nr. 12020/09), wonach eine Ausweisung in einem zum Beschwerdeführer ähnlich gelagerten Fall, eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt. Im genannten Urteil handelte es sich nämlich um einen Staatsbürger von Nigeria, der unter falscher Identität 2001 in die Schweiz eingereist war, zuvor in Österreich wegen Drogenhandels jedoch strafrechtlich verurteilt worden war und auch sein Asylantrag war abgewiesen worden. 2003 heiratete er eine Schweizer Staatsangehörige, mit der er gemeinsame Zwillingstöchter hat (2003 geboren); mittlerweile war er geschieden und hat mit einer anderen Schweizerin ein weiteres Kind. Der Beschwerdeführer wurde 2006in Deutschland erneut wegen Drogenhandels zu 3 Jahren und sechs Monaten Haftstrafe verurteilt, jedoch bereits 2008 entlassen und ist wieder in die Schweiz zurückgekehrt. 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisungsanordnung erlassen Laut EGMR liegt es aber im höherrangigen Interesse der Kinder, bei beiden Elternteilen aufzuwachsen, daher ist eine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz für den Beschwerdeführer die einzige Möglichkeit, um einen regelmäßigen Kontakt zu seinen Zwillingstöchtern aufrechterhalten zu können. Unter Beachtung seiner familiären Beziehung zu seinen Kindern, seiner Straflosigkeit nach Begehung der schweren Straftat im Jahr 2006 und somit einer positiven Zukunftsprognose stellt der EGMR im Falle der Ausweisung des BF eine Verletzung von Art. 8 EMRK fest.

Erstmals benannte der EGMR im Urteil Üner in Erweiterung der BOULTIF-Kriterien das Kindeswohl als eigenständiges Kriterium der Interessensabwägung. In diesem Urteil wurde das Kindeswohl (als untergeordnetes Element) sowie das sehr stark ausgeprägte Privat- und Familienleben des Vaters (noch) von den ebenfalls sehr gewichtigen öffentlichen Interessen an einem Aufenthaltsverbot überwogen. Im Urteil Rodrigues da Silva und Hoogkamer überwog das explizit genannte Kindeswohl die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung. [...] Aus diesen Urteilen ist erkennbar, dass der EGMR in zunehmender Intensität die Bedeutung der Beziehung zwischen Kindern und dem Elternteil, welches die wichtigste Bezugsperson für diese ist, für das Kindeswohl anerkannt hat. Mit den Urteilen Nunez und Udeh hat der EGMR nunmehr hervorgehoben, dass es für das Kindeswohl von großer Bedeutung ist, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen. Gleichzeitig wurde das Recht des Beschwerdeführers auf ein gemeinsames Leben (mit der Kernfamilie) als eines der grundlegenden Aspekte des Rechtes auf Achtung des Familienlebens hervorgehoben. In einer Gesamtbetrachtung in der das Kindeswohl zu berücksichtigen ist, tritt jedoch die Frage, ob das Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist (bzw. das Kind zu einem Zeitpunkt geboren wurde), in dem der Aufenthalt eines Elternteils unsicher war, in den Hintergrund (Chmielewski, Kindeswohl als Kriterium der Interessensabwägung, MIGRALEX, 03/2013, 71).

In diesem Zusammenhang ist aber auch besonders das Kindeswohl (vgl. auch Urteil des EGMR v. 28.06.2011, Nunez gegen Norwegen, Kammer IV, Bsw Nr. 55-597/09) zu berücksichtigen, das in diesem Zusammenhang auf Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention verweist, wo das Wohl des Kindes als vorrangiger Gesichtspunkt hervorgestrichen wird (vgl. z. B. auch AsylGH vom 17.04.2012, Zl. D3 401794-1/2008/9E, AsylGH vom 04.06.2012, Zl.: D3 414251-2/2011/5E u.a.).

Nach der jüngeren Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR-Urteil vom 16.04.2013, Udeh gegen Schweiz, Nr. 12020/09) besteht eine gewisse Priorität zumindest des Familienlebens gegenüber der Unbescholtenheit (siehe zum Beispiel auch BVwG vom 30.10.2015, W 159 1248124-2/15E).

Wenn auch im fremdenpolizeilichen Verfahren keine so eindeutige gesetzliche Regelung hinsichtlich der Verpflichtung der persönlichen Einvernahme vor den wie in Asylverfahren (§ 19 Asylgesetz), so ergibt sich aus der oben angeführten ständigen eindeutigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes doch das unabdingbare Erfordernis der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vor Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, was nur durch eine persönliche Einvernahme gewährleistet wird, welche im vorliegenden Verfahren von der belangten Behörde völlig unterlassen wurde.

Darüber hinaus hat sich die belangte Behörde auch in keiner Weise mit dem Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Spanien und seinen dortigen Lebensverhältnissen (Arbeit) auseinandergesetzt. Im fortgesetzten Verfahren wäre in diesem Zusammenhang insbesondere zu prüfen, ob im vorliegenden Fall nicht mit einer Anordnung nach § 52 Absatz 6 FPG, dass der Beschwerdeführer sich nach Entlassung aus der Strafhaft unverzüglich in das Hoheitsgebiet Spanien begibt, in Anbetracht des dort offenbar vorhandenen Privat- und Familienleben das Auslangen gefunden werden könne.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks und Vorhandenseins eines Privat- und Familienlebens in einem Mitgliedsstaat, im konkreten Fall in Spanien, unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zu der quasi eine Vorgängerbestimmung des anzuwendenden § 28 Absatz 3 VwGVG darstellenden § 66 Absatz 2 AVG ausgeführt hat, dass es nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre, wenn nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde (nunmehr Verwaltungsgericht) verlagert würde und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde,... bzw. dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der "obersten Berufungsbehörde (nunmehr: Verwaltungsgericht) beginnen würde (VwGH vom 21.11.2002, 2002/20/0315, VwGH vom 21.12.2000, Zahl:

2000/20/0084).

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Verfahren jedenfalls die in der eingangs zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs genannten krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken vorliegen. Im vorliegenden Fall spiegelt der Akteninhalt für den erkennenden Richter sehr klar die Intention der belangten Behörde wieder, welche augenscheinlich mit gegenständlichem Bescheid in nicht zulässiger Weise die notwendige Ermittlungstätigkeit auf das erkennende Gericht zu überwälzen versucht.

Dabei wird seitens des erkennenden Richters auch nicht verkannt, dass sich der Beschwerdeführer bis einschließlich 03.04.2018 im räumlichen Nahebereich der bescheiderlassenden Behörde befunden hat und es nicht ersichtlich ist, weshalb die Behörde lediglich ein schriftliches Parteiengehör gewährt, wobei die zu beantwortenden Fragen allgemein gehalten und somit, selbst bei Beantwortung, nicht geeignet gewesen wären, sich ein Bild seiner persönlichen familiären und privaten Verhältnisse, insbesondere unter Zugrundelegung des nachweislich bekannten Aufenthaltstitel von Spanien, zu machen.

Eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall ist weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, da abgesehen von den dargelegten umfassenden Ermittlungen auch eine weitere Befragung des Beschwerdeführers unumgänglich ist und würde überdies im Falle einer Ersetzung der Erstinstanz der verwaltungsbehördlichen Einvernahme durch eine Beschwerdeverhandlung der Beschwerdeführer Rechtsmittelinstanz verlustig werden.

Deshalb war der angefochtene Bescheid wegen des engeren Zusammenhangs aller Spruchteile zur Gänze gemäß § 28 Abs. 3 (2. Satz) VwGVG mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen (vgl. auch BVwG vom 19.11.2016, W159 1416950-1/17E). Da der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben war, war auch eine ausdrückliche Entscheidung zur Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung obsolet.

Im vorliegenden Fall konnte die Verhandlung im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25 a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor dem Bundesasylamt notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 (2. Satz) VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 (2. Satz) inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen heranzuziehen ist. Im Übrigen wurde die gegenständliche Entscheidung mit der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch insbesondere mit aktueller Judikatur des des EGMR, sowie des BVwG begründet.

Schlagworte

Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltstitel, Begründungsmangel,
Begründungspflicht, Behebung der Entscheidung,
berücksichtigungswürdige Gründe, Einreiseverbot, Ermittlungspflicht,
freiwillige Ausreise, Gefährdungsprognose, Kassation, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Nachvollziehbarkeit, öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit,
Privat- und Familienleben, Prognose, Prognoseentscheidung,
Rechtskraft der Entscheidung, Rückkehrentscheidung, strafrechtliche
Verurteilung, Suchtgifthandel, Suchtmitteldelikt, Verbrechen,
Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I416.2209334.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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