TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/21 W250 2148574-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2018
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Entscheidungsdatum

21.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W250 2148574-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.01.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 02.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 16.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerde-führer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Iran geboren worden sei. Er könne weder im Iran noch in Afghanistan leben, da er keinen Glauben habe. Seine Familie sei gegen ihn, deshalb habe er den Iran verlassen.

3. Am 13.12.2016 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) statt, bei der der Beschwerdeführer im Wesentlichen angab, dass er im Iran geboren sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und seine Eltern seit etwa 30 Jahren im Iran leben. Er sei seit drei Jahren Atheist und habe keinen Glauben, davor sei er shiitischer Moslem gewesen. Er sei nicht in Afghanistan aufgewachsen und habe sich lediglich etwa eine Woche in Herat aufgehalten, um ein Visum zu erlangen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.01.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.01.2018 (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer jedoch eine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, volljähriger Asylwerber, der im Iran geboren worden sei und dessen Lebensmittelpunkt im Iran gewesen sei. Auf Grund der aktuellen instabilen Sicherheitslage im Entscheidungszeitpunkt bedeute seine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder könne für den Beschwerdeführer als Zivilperson ohne familiärem und sozialem Netzwerk in Afghanistan eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Die sprachliche Entwicklung des Beschwerdeführers die deutsche Sprache betreffend und sein Bemühen sein Studium weiter zu betreiben, lasse auf eine gute Integration schließen, die bei der Entscheidung berücksichtigt worden sei.

5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 20.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Verfahren beim Bundesamt nicht den Anforderungen des amtswegigen Ermittlungsverfahrens gemäß § 18 Abs. 1 AsylG genügt habe. So seien die getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig. Dem Beschwerdeführer drohe als ein vom Glauben abgefallener und vom Iran zurückkehrender Angehöriger der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan Verfolgung. Zum Beweis der atheistischen Glaubenseinstellung des Beschwerdeführers wurde die Einvernahme einer namhaft gemachten Zeugin beantragt.

7. Am 09.11.2017 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt den Antrag auf Verlängerung der mit Bescheid vom 20.01.2017 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung.

8. Mit Schreiben vom 19.01.2018 teilte das Bundesamt dem Beschwerdeführer mit, dass ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes und zur Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung eingeleitet worden sei. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben.

9. In seiner Stellungnahme vom 25.01.2018 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seit seiner Geburt keinerlei Kontakte in Afghanistan gehabt habe und daher im Falle seiner Rückkehr auf sich alleine gestellt wäre und mit keinerlei Unterstützung rechnen könne. Durch seine Abschiebung nach Afghanistan wäre er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt, in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten noch immer vorlägen.

10. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.02.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 20.01.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 20.01.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FRG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.)

Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen, da der Beschwerdeführer eine gesunde, volljährige Person im arbeitsfähigen Alter sei, er die Sprache seines Herkunftsstaates spreche und er eine fundierte Schulbildung und Arbeitserfahrung habe. Dem Beschwerdeführer sei auf Grund seiner damaligen besonderen Hilfsbedürftigkeit der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, da er noch jung und ohne familiäres Netzwerk gewesen sei.

11. Mit Verfahrensanordnung vom 14.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer auch im Verfahren betreffend die Aberkennung des subsidiären Schutzes ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

12. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid vom 14.02.2018 fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die Sicherheitslage in ganz Afghanistan und im speziellen auch in Kabul als unsicher einzustufen sei, weshalb dem Beschwerdeführer eine Neuansiedelung in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht zumutbar sei. Der Beschwerdeführer beantragte eine mündliche Verhandlung samt Einvernahme einer namhaft gemachten Zeugin durchzuführen.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seinem Fluchtvorbringen und seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.

14. Mit Stellungnahme vom 18.06.2018 brachte der Beschwerdeführer vor, dass aus den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten hervorgehe, dass Atheisten aufgrund der ihnen vorgeworfenen Apostasie in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Es wäre eine Verletzung der in Art. 9 EMRK gewährleisteten Rechte des Beschwerdeführers, würde man von ihm verlangen, seine Überzeugung nicht zu äußern. Dem Beschwerdeführer drohe auch aufgrund seines Interesses am Tanz eine Verfolgung aufgrund des als "unislamisch" interpretierten Verhaltens des Beschwerdeführers.

15. Mit Parteiengehör vom 07.11.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.10.2018 sowie die UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018 dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hat von der Möglichkeit der Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara (AS 9, 53; Protokoll vom 23.05.2018 - OZ 7, S. 5 f).

Der Beschwerdeführer wurde im Iran in XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern (zwei Brüder, zwei Schwestern) aufgewachsen. Er hat elf Jahre lang die Schule im Iran besucht und abgeschlossen sowie vier Semester Elektrotechnik an einer Universität im Iran studiert. Er hat das Studium jedoch nicht abgeschlossen (OZ 7, S. 6 f).

Der Beschwerdeführer wurde im Iran als schiitischer Moslem erzogen. Er hat sich jedoch bereits im Iran aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit sowie Nachhaltigkeit getragen vom Islam abgewendet, was sich u.a. darin äußert, dass er Alkohol trinkt, nicht mehr betet oder fastet und die Moschee nicht mehr besucht. Er ist nunmehr Atheist, weshalb sich auch seine Eltern von ihm abgewendet haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer diese Abkehr vom islamischen Glauben (in seinem Herkunftsstaat) Afghanistan verleugnen würde.

Der Abfall vom Islam wird in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen und gilt als schwerer Verstoß gegen das Werteverständnis der afghanischen Gesellschaft.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abkehr vom islamischen Glauben physische und/oder psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.10.2018, wiedergegeben:

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht- muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

1.2.2. Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

"[...] Nach Angaben des US-Nachrichtendiensts Central Intelligence Agency (CIA) seien 99,7 Prozent der Bevölkerung Afghanistans Muslime. Der Anteil der Sunniten liege bei 84,7 bis 89,7 Prozent, während jener der Schiiten bei 10 bis 15 Prozent liege. Nichtmuslimische Gruppen würden 0,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen (CIA, Stand 1. Mai 2017). Laut US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) würden zu den nichtmuslimischen Gruppen vor allem Hindus, Sikhs, Bahá'í und Christen zählen. Bezüglich Zahl der christlichen Gemeinden im Land würden keine verlässlichen Schätzungen vorliegen (USDOS, 10. August 2016, Section 1). Nach Angaben des niederländischen Außenministeriums handle es sich dabei wahrscheinlich um einige Dutzend Personen (BZ, 15. November 2016, S. 65). Laut Angaben der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), eines evangelikalen Netzwerks verschiedener Kirchen und Gemeinschaften in Deutschland, gehe "[e]ine optimistische Schätzung [...] davon aus, dass es mehrere Tausend einheimische Christen" im Land gebe (EAD, 9. Juni 2015). Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt unter Berufung auf Berichte afghanischer Flüchtlinge in Europa, dass unter anderem die Zahl der Christen in Afghanistan seit dem Wiedererstarken der Taliban im Jahr 2015 vermutlich erheblich zurückgegangen sei (USCIRF, 26. April 2017).

1) Vom Islam abfallende Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als "Weggehen" vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe: [...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die "heilige Religion des Islam" als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten: [...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten "Freedom of Thought Report 2016", dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei: [...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 "Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan" des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ?ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.'

(UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her "reif" seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige: [...]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden "gefangen gehalten". Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem: [...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).' (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien: [...]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von "Ungläubigen" bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange: [...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen: [...]

2) Christliche KonvertitInnen

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016), dass Christen als religiöse Gruppe in der afghanischen Verfassung "(wohl bewusst) nicht genannt" würden, während Sikhs und Hindus in der Verfassung genannt würden und die gleichen Rechte hinsichtlich der Religionsausübung zuerkannt bekämen wie Muslime schiitischer Konfession. Da es jedoch niemanden gebe, der in der Lage sei, die Verfassung umzusetzen, könne "die Verfassung einen Christen wohl auch dann nicht schützen, wenn die Verfassung die Religionsausübung von Christen garantieren würde und sich ein Christ auf die Verfassung berufen könnte". (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

UNHCR bemerkt in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, dass nichtmuslimische religiöse Minderheiten, darunter Christen, "weiterhin im geltenden Recht diskriminiert" würden. Die sunnitische Hanafi-Rechtssprechung gelte für "alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion". Die "einzige Ausnahme" würden "Personenstandsachen [bilden], bei denen alle Parteien Schiiten sind", in diesem Fall würde "das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet". Für andere religiöse Gruppen gebe es "kein eigenes Recht". Wie UNHCR weiter ausführt, würden unabhängig davon "nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt" erfahren. So würden Mitglieder religiöser Minderheiten wie etwa der Christen "aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung" es vermeiden, "sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln". (UNHCR, 19. April 2016, S. 57-58)

Ähnlich schreibt das US-Außenministerium (USDOS) in seinem im August 2016 veröffentlichten Jahresbericht zur Religionsfreiheit (Berichtsjahr: 2015) unter Berufung auf Vertreter von Minderheitenreligionen, dass die afghanischen Gerichte Nichtmuslimen nicht dieselben Rechte wie Muslimen zugestehen würden und Nichtmuslime häufig der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung unterworfen würden (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

Ruttig geht im Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) wie folgt auf die Lage von christlichen Konvertiten ein:

Die Gleichberechtigung gilt nicht für die zunehmende Zahl von Christen, bei denen es sich ausschließlich um Konvertiten (oft durch evangelikale Gruppen; aber auch bewusste Abwendungen vom Islam unter Gebildeten) und nicht um autochthone Gruppen handelt. Als ehemalige Muslime gelten sie als Abtrünnige, worauf nach der Scharia (siehe Rechtssysteme) die Todesstrafe stehen kann. Ihre Zahl ist nicht bekannt. Es gibt heute eine ganze Reihe von Afghanen, die zum Christentum übergetreten sind. Sie tun alle sehr wohl daran, ihren Glaubensübertritt nicht (weitestgehend nicht einmal gegenüber der eigenen Familie) bekanntzugeben. Es handelt sich zum Teil um Angehörige stark unterprivilegierter Gruppen (Straßenkinder, sehr arme Familien), die über humanitäre Ausreichungen konvertiert worden sind und ich habe auch Leute von denen getroffen, die oft nur geringe Kenntnisse über das Christentum haben. Aber es gibt auch sehr bewusste Entscheidungen unter gebildeten Afghanen, die sich bewusst vom Islam abwenden und Christen werden. Mir sind persönlich Fälle von drei oder vier Leuten bekannt (aber es gibt natürlich viel mehr!), deren Konversion bekannt geworden ist, die dann aus Afghanistan gerettet und ausgeflogen werden mussten. Konversion ist einfach nicht vorgesehen, deswegen stehen diese Christen unter starkem Verfolgungsdruck.' (ACCORD, Juni 2016, S. 8-9)

Afghanen, die einer Konversion beschuldigt werden, stehen völlig im Regen. Es gibt niemanden, der ihnen helfen kann. Falls die Sache vor ein staatliches Gericht kommt (was unwahrscheinlich ist), dann sehen sich die Richter ideologisch derart gezwungen, nach der Scharia zu urteilen, dass der Fall nur schlecht für den Betroffenen ausgehen kann.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Wie UNHCR bemerkt, dürften Nichtmuslime "Berichten zufolge nur dann untereinander heiraten, wenn sie sich nicht öffentlich zu ihren nicht-islamischen Überzeugungen bekennen" würden (UNHCR, 19. April 2016, S. 58). [...]

UNHCR schreibt Folgendes über gesellschaftliche Haltungen gegenüber Christen sowie über das Vorgehen der Taliban gegen (vermeintlich) christliche ausländische Hilfsorganisationen:

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. Im Jahr 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind. Die Taliban haben Berichten zufolge ausländische Hilfsorganisationen und ihre Gebäude auf der Grundlage angegriffen, dass diese Zentren des christlichen Glaubens seien.' (UNHCR, 19. April 2016, S. 58-59)

Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt im April 2017, dass nichtmuslimische religiöse Gemeinschaften weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung, Schikanierung und mitunter auch Gewalt betroffen seien. Es würden unter anderem Berichte über Schikanen gegen vom Islam konvertierte Personen vorliegen. Mitglieder nichtmuslimischer Gemeinschaften hätten berichtet, dass allgemein vorherrschende Unsicherheit und Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten sie dazu bewegt hätten, das Land zu verlassen: [...]

Das USDOS bemerkt, dass Christen aus Angst vor staatlichen Repressalien weiterhin Situationen aus dem Weg gehen würden, die geeignet wären, bei der Regierung den Eindruck zu erwecken, sie würden versuchen, ihre Religion zu verbreiten. Weiters hätten Christen angegeben, dass die öffentliche Meinung gegenüber christlichen Konvertiten und der Idee der christlichen Missionierung feindselig sei. Mitglieder der kleinen christlichen Gemeinde, von denen viele im Ausland zum Christentum konvertiert seien, würden aus Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung weiterhin alleine oder in kleinen Gruppen in Privathäusern Gottesdienst halten. Es gebe weiterhin keine öffentlichen christlichen Kirchen in Afghanistan. Für nichtafghanische Staatsangehörige unterschiedlicher Glaubensrichtungen gebe es Gebetsstätten innerhalb von Militäreinrichtungen der Koalitionstruppen sowie in Botschaften in Kabul: [...]

Laut Angaben der USCIRF befinde sich die einzige bekannte christliche Kirche im Land auf dem Gelände der italienischen Botschaft (USCIRF, 26. April 2017).

Der Deutschlandfunk, ein öffentlich-rechtlicher Radiosender mit Sitz in Köln, zitiert im Februar 2017 den deutschen reformierten Theologen und Religionswissenschaftler Thomas Schirrmacher mit folgender Aussage, die sich auf Übertritte afghanischer Asylwerber zum Christentum bezieht:

Für viele Muslime ist die Sache hoch gefährlich, weil im Islam eine Strafe auf Apostasie und Blasphemie steht. Und sie können dann so oder so nicht mehr in ihre Länder zurück. Im Regelfall wird aber auch die Familie sie verstoßen. In Afghanistan gibt es - ja man kann schon sagen - ein Kampf auf Leben und Tod zwischen dem offiziellen Islam und allen abweichenden Formen und der zweitgrößten Religion im Land, dem Christentum.' (Deutschlandfunk, 13. Februar 2017)

Die Evangelische Allianz in Deutschland (EAD) beschreibt die Lage von Christen wie folgt:

Gemeinden leben fast ausschließlich als Untergrundkirche, und es gab nur eine leichte Verbesserung seit dem Sturz der Taliban. Gläubige aus dem Ausland, die stark zugenommen haben, können nur sehr vorsichtig ihren Glauben bezeugen. Die Zahl der afghanischen Gläubigen wächst, ebenso die Mittel, die zur Verfügung stehen, um ihnen zu helfen. [...] Werden spirituellen Aktivitäten unter den Gläubigen entdeckt, wird auf dem muslimischen Hintergrund in den Medien intensiv darüber berichtet und versichert, hart durchzugreifen bis hin zur Todesstrafe.' (EAD, 9. Juni 2015)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass sich die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Christen in Afghanistan unterworfen seien, nicht anders gestalten würden als für andere Gruppen mit Meinungen, Weltansichten, politischen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die als Abfall vom Islam wahrgenommen werden könnten. Ebenso wie Personen mit säkularen Ansichten, Atheisten und nichtgläubige Afghanen müssten auch Christen ständige Selbstzensur üben und könnten sich wegen drohender Angriffe nicht zu ihrem Verhältnis zum bzw. ihrer Sicht auf den Islam äußern. Angehörige solcher Gruppen seien gezwungen, sich konform mit dem Islam, d.h. so zu verhalten, als wären sie Muslime. Nach außen hin müssten alle Afghanen die religiösen Erwartungen ihrer lokalen Gemeinschaft hinsichtlich religiösen Verhaltensweisen, Gebeten etc. erfüllen. Laut Angaben unter anderem der norwegischen Kulturberatungsfirma Hansen Cultural Coaching (HCC) gebe es viele Afghanen (nicht nur christliche Konvertiten), die lokale religiöse Sitten befolgen und an religiösen Ritualen teilnehmen, ohne dass diese Handlungen ihre tatsächlichen inneren Glaubensvorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln würden: [...]

Die US-Tageszeitung New York Times (NYT) berichtet in einem älteren Artikel vom Juni 2014, dass es aus offizieller Sicht keine afghanischen Christen gebe. Die wenigen Afghanen, die das Christentum praktizieren würden, würden dies aus Angst vor Verfolgung im Privaten tun und eine der wenigen Untergrundkirchen besuchen, von denen man annehme, dass sie im Land existieren würden. Ausländische Christen würden Kapellen in Botschaftseinrichtungen besuchen, doch diese seien für Afghanen praktisch unzugänglich. Im vergangenen Jahrzehnt seien nur wenige Fälle von Konversion öffentlich bekannt geworden. In der Regel sei die Regierung dann rasch und lautlos vorgegangen: Die Betroffenen seien dazu aufgefordert worden, ihren Glaubensübertritt zu widerrufen, und wenn sie sich geweigert hätten, seien sie aus dem Landes vertrieben worden, in der Regel nach Indien: [...]"

1.2.3. Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Situation von Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017:

"[...] 6. Gibt es Berichte zu Personen, die vom Islam abgefallen sind, sowie deren Behandlung in Afghanistan? [...]

6. Es gibt fast keine öffentlichen Vorfälle zu der Behandlung von Abtrünnigen, da Abtrünnige in den meisten Fällen - gleich wie Christen - sich nicht öffentlich zu ihrem Glauben bekennen; nichtsdestotrotz gibt es Berichte, dass sie in sozialen Medien ihrem Glauben Ausdruck verliehen haben. [...]

Behandlung in Afghanistan?

7. Gibt es Berichte zu deren gesellschaftlicher Behandlung? Allgemeine Situation dieser Personen? [...]

7. Es gibt fast keine öffentlichen Vorfälle, um zu evaluieren, wie sie [Anm.: Abtrünnige] von der Gesellschaft behandelt werden. Aber es ist offensichtlich, dass, sollten sie ihrer Meinung kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, sie von der Gesellschaft schlecht behandelt werden. [...]

8. Gibt es Berichte zu staatlicher Behandlung? [...]

8. Sofern sie sich nicht auf Diskussionen einlassen, die den/ihren Glauben betreffen, welche zu sozialen Unruhen führen, werden staatliche Behörden keine Maßnahmen gegen sie setzen. Sollten sie aber soziale Probleme hervorrufen, indem sie sich auf Diskussionen einlassen, um ihren Abfall vom Glauben zu unterstützen, so werden die staatlichen Behörden ihnen das nicht erlauben und sie belangen.

[...]

8.1. Gibt es Berichte zu Verhaftungen? Gibt es Berichte zu Behandlung in Haftanstalten? [...]

8. a. In Haftanstalten können Behörden [Anm.: Staatsbedienstete] sie nicht schlechter behandeln und tun es auch nicht; aber sollten Abtrünnige mit anderen Häftlingen leben, würden andere Häftlinge schlechte Absichten gegen sie hegen und es gäbe die Möglichkeit Schikane durch andere Häftlinge. Nichtsdestotrotz gibt es keine Berichte zu solchen Vorfällen. [...]

9. Gibt es Berichte zum Zugang von Personen, die vom Islam abgefallen sind? [...]

9. Zugang von Abtrünnigen zu staatlichen Leistungen

Ja, sie haben Zugang; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen. [...]

10. Gibt es Berichte zur Behandlung von Personen, die sich nicht an die Regel des Islams halten (Kein Fasten des Ramadans, kein Freitagsgebet etc.)? Wie werden sie von der Gesellschaft behandelt?

[...]

10. Ja, es gibt viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. [...]

11. Gibt es unterschiedliche Behandlung in ländlichen bzw. städtischen Gebieten? [...]

11. Ja, die Behandlung auf dem Land und der Stadt unterscheidet sich total; es ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten.

11. a. Es gibt keine offiziellen Berichte; nichtsdestotrotz kam und kommt es zu Vorfällen: Jene, die nicht während des Ramadans fasten und freitags nicht beten, wird von der Gesellschaft nahegelegt [Anm.: zumindest] das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten; die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen [Anm.: wörtliche Übersetzung - wenig obszön]. Das Nicht-Fasten während des Ramadans ist eine heiklere Angelegenheit; Vorfälle schlechter Behandlung aufgrund des Nichtfastens durch die Gesellschaft kommen vor.

11. b. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden sie nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun; für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Berichte zu stundenlangen Polizeiverhören mit Nichtfastenden-des-Ramadan existieren, dennoch bestehen keine Berichte zu offizieller Strafverfolgung. [...]

12. Sind diese Menschen Sanktionen durch Staat oder Gesellschaft ausgesetzt? [...]

12. Es gibt keine offiziellen und traditionellen Sanktionen gegen sie [Anm.: Nichtfastende des Ramadans].[...]

12.1.Existiert in irgendeiner Weise Ungerechtigkeit? [...]

12. a. Nein, sie werden keine Schlechterstellung erfahren. [...]

13. Gibt es Gesetze zum Umgang mit Konvertiten/ Personen, die vom Islam abgefallen sind/ Personen, die sich nicht an die Regeln des Islams halten? Z.B. ist dies rechtlich sanktioniert; gibt es gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Strafen sowie zivilrechtliche Nachteile? Falls ja, werden diese Gesetze auch tatsächlich angewandt? Wenn ja, in welcher Form? Existieren Statistiken über Anzeigen, Verurteilungsraten und/oder Verfahrensergebnisse? [...]

13. Wenn Konvertiten/Atheisten [Anm.: ihren Glauben] veröffentlichen, dann wird der Staat aktiv, um Chaos und Unruhe zu vermeiden; dabei werden Gesetze für solche Verhandlungsverfahren angewendet. Dennoch gibt es keine klaren Bestimmungen für solche Angelegenheiten in den afghanischen Gesetztexten somit kommt es zur Anlehnung an das Sharia-Gesetz, während die Regierung in solchen Fällen noch nicht das Sharia-Gesetz angewendet hat. [...]

14. Gibt es Berichte zu Personen, die öffentlich Kritik am Islam geäußert haben? [...]

14. Wenige solcher Berichte existieren über jene, die den Islam öffentlich kritisiert haben: Es existieren einige solcher Berichte zu derartigen Vorfällen in sozialen Medien. [...]

14.1. Werden diese Menschen bestraft oder werden sie vom Staat beschütz? [...]

14. a. Höchstwahrscheinlich werden jene, die den Islam öffentlich kritisiert haben, strafrechtlich verfolgt werden; aber die meisten strafrechtlichen Verfolgungen werden nicht zu einer schnellen und bestimmten Bestrafung führen. Auch ist unklar, ob die strafrechtlichen Verfolgungen dem Schutz oder der Bestrafung dienen. In wenigen Fällen werden die Schuldigen verhaftet und aus dem Land gebracht. [...]

14.2. Gibt es regionale Unterschiede - Stadt und Land? [...]

14. b. Selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Gegenden; die städtische Gesellschaft ist flexibler und gleicht in diesen Fällen die Situation aus, während in ländlichen Gebieten die Gesellschaft und Menschen strenger und harscher sind. [...]

15. Gibt es internationale Organisation in Afghanistan, die sich für Konvertiten bzw. oben genannte Personengruppen einsetzen? [...]

15. Obwohl keine Organisationen - die Atheisten/Abtrünnige und Christen unterstützen - existieren, glauben gewisse Menschen, dass Strafen für diese Organisationen anfallen würden, die unter dem Deckmantel von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe arbeiten. [...]

16. Gibt es Zusammenschlüsse von Betroffenen? Was wird hierzu berichtet?

16.1. Gibt es zu allen oben stehenden Fragen Unterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen Bereich? [...]

16. Wie bereits erwähnt, existieren keine Organisationen, um ihnen Schutz oder öffentliche Sicherheit zu gewähren; dennoch könnten solche Organisationen (wenn überhaupt) durch die Regierung schützen, und könnten ihnen geheimen Schutz gewähren. [...]

17. Bzw. in Gebieten in denen die Taliban oder der IS/Daesh sind?

[...]

17. Ja, die Situation unterscheidet sich in den Regionen in denen IS/Daesh die Kontrolle hat; jeder von den bereits erwähnten Vorfällen wird mit sehr harten Reaktionen durch den sog. IS konfrontiert sein. [...]"

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in beide Verwaltungs- und Gerichtsakten (W250 2148574-1, W250 2148574-2), in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in einen Strafregisterauszug und einen Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte (UNHCR-Richtlinie vom 19.04.2016; ACCORD-Anfragebeantwortung zur Situation von vom Islam abgefallenen Personen usw. vom 12.07.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017) sowie in die in der mündlichen Verhandlung zum Akt genommenen Urkunden (Teilnahmebestätigung Tanzkurs: Voguing - Gegen Exklusion und Intoleranz - Beilage ./A; Empfehlungsschreiben XXXX vom 13.02.2018 - Beilage ./B; Empfehlungsschreiben XXXX vom 17.05.2018 - Beilage ./C; Bestätigung des Univ.-Prof. XXXX vom 23.05.2018 - Beilage ./D) sowie durch Einsichtnahme in die Stellungnahme vom 18.06.2018 und die mit Parteiengehör vom 07.11.2018 ins Verfahren eingebrachten Länderberichte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.10.2018; UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018).

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Fluchtvorbringen:

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor dem Bundesamt, in d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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