TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/21 W208 2197527-1

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Veröffentlicht am 21.11.2018
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Entscheidungsdatum

21.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W208 2197527-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG DIAKONIE UND VOLKSHILFE, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Oberösterreich BAL vom 26.04.2018, Zl. 1088081410-151360075, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Spruchpunkt IX. des angefochtenen Bescheides wird insoweit abgeändert, als dieser zu lauten hat: Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die männliche beschwerdeführende Partei (im Folgenden: bP) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), gestellt.

2. Am 22.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Befragung der bP statt, bei der sie in der Sprache Dari zum Fluchtweg und ihrem Fluchtgrund (Verfolgung durch eine Privatperson) befragt wurde.

3. Bei ihrer Einvernahme am 15.12.2017 gab die bP vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass ihre bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen und machte nähere Ausführungen zu ihrer Herkunft und zu den Gründen ihrer Flucht. Im Wesentlichen, dass sie aufgrund eines Grundstücksstreites in einen Messerkampf mit "Privatfeinden" der Familie geraten und verletzt worden sei.

Die bP legte ua. medizinische Unterlagen zu einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus (Krampfanfall im Rahmen einer Anpassungsstörung) vom 10.06.2017 bis 11.06.2017, diverse Empfehlungsschreiben, Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen, Orientierungskursen, und Kopien afghanischer Dokumente ihren Vater betreffend (AS 409-431) vor.

4. Am 03.01.2018 wurde die bP vom Landesgericht XXXX (im Folgenden: LG) wegen des Verbrechens der versuchten schweren Körperverletzung (§§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB), Vergehen des Diebstahls (§ 127 StGB), vergehen der dauernden Sachentziehung (§135 StGB), Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB), Vergehen der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) und Vergehen der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs 1 StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten bedingt verurteilt, weil sie

-

am 02.06.2016 eine schwere Körperverletzung durch Faustschläge und einen Tritt gegen eine andere Person begangen hatte und bei dieser einen Nasenbeinbruch, eine Wunde am Hals und eine Prellung des Unterkiefers herbeigeführt hat;

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am 06.12.2016 einen Ladendiebstahl (Pullover) begangen hat;

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am 05.04.2017 einer anderen Person ein Mobiltelefon dauernd entzogen hat;

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am 04.07.2017 ihre schwangere Ex-Freundin am Körper verletzt hat, indem sie ihr zweimal ins Gesicht schlug und sie oberhalb der Hüfte mit dem Fuß trat;

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am 10.07.2017 ihre schwanger Ex-Freundin durch gefährliche Drohung (Schlagen) und Gewalt (wegstoßen) dazu genötigt hat, ihr ihr Mobiltelefon zu überlassen und deren Bekannten mitzukommen sonst würde sie ihn mit dem Fahrrad überfahren;

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am 03.07 2017 den vermuteten neuen Freund der Ex-Freundin mit der Zufügung einer Körperverletzung bedrohte, indem sie gegenüber der Ex-Freundin mehrfach äußerte: Sie werde mit dem Messer kommen und ihn umbringen, afghanische Freunde rufen und die würden ihn mit dem Messer tot machen, ihn zu schlagen. (AS 451-461).

5. Mit Verfahrensanordnung vom 05.04.2018 wurde der bP aufgrund dieser Verurteilung das Aufenthaltsrecht gem. § 13 Abs 2 AsylG 2005 entzogen.

6. Das BFA hat mit dem im Spruch angeführten Bescheid vom 26.04.2018, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der bP gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach AFGHANISTAN zulässig ist (Spruchpunkt V.), dass sie gem. § 13 Abs 2 Z 1AsylG 2005 ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe (Spruchpunkt VI.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot von fünf Jahren verhängt werde (Spruchpunkt VII.), einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 1 Z 2 BFA-VG keine aufschiebende Wirkung zukomme (Spruchpunkt VIII.) und gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für ihre freiwillige Ausreise eingeräumt werde (Spruchpunkt IX.).

7. Gegen den am 27.04.2018 zugestellten Bescheid wurde von der gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG der bP zur Seite gestellten und im Spruch genannte Rechtsberatungsorganisation am 25.05.2018 beim BFA Beschwerde eingebracht und insbesondere die aufschiebende Wirkung unter Beilage von Unterlagen zum psychischen Zustand (Selbstmordversuch am 27.04.2018) der bP beantragt.

8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 07.06.2018 vom BFA vorgelegt.

9. Mit Beschluss des BVwG vom 13.06.2018, W208 2197527-1/3E wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt und der Spruchpunkt VIII. des oa. Bescheids ersatzlos behoben.

10. Am 16.05.2018 informierte das BFA, dass die bP am 06.03.2018 in einen Raufhandel am Bahnhofsplatz in einer genannten Landeshauptstadt verwickelt gewesen sei (BVwG, ON 16).

11. Mit Ladungen vom 19.06.2018 wurde vom BVwG eine Verhandlung in der Sache anberaumt und die bP darauf hingewiesen, dass das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (zuletzt aktualisiert am 30.01.2018), der EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke", Stand: Jänner 2018; der EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation, Dezember 2017, Deutsche Übersetzung von Kristina Pröstler und Jonas Erkanzu sowie der FACT FINDING MISSION REPORT AFGHANISTAN, April 2018, der Staatendokumentation in das Verfahren eingebracht und falls nicht bekannt angefordert werden können und/oder Akteneinsicht genommen werden könne.

12. Das BFA verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung legte aber am 10.07.2018 Informationen zum Umgang und der Betreuung von selbstmordgefährdeten Personen bei einer Abschiebung, um eine Selbstgefährdung zu vermeiden, bei. Demnach würden Abschiebungen durch Amtsärzte bzw. ein Medic-Team betreut werden (BVwG/ON 9, ON 10).

13. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 16.08.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die bP im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari/Farsi/Hazaragi und ihrer bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm und ausführlich zu ihren Fluchtgründen und zu ihrer Person befragt wurde, sowie zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung nehmen konnte.

Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

Die bP legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung weitere Unterlagen zu ihrem Gesundheitszustand vor: die erste Seite eines bezirksgerichtlichen Tagsatzungsprotokolls vom 11.05.2018 betreffend ihre Unterbringung im Neuromed Campus einer Universitätsklinik; Befund ihres Hausarztes, eines Allgemeinmediziners vom 18.12.2017, wonach eine "mittelgradig depressive Episode mit som Symtomen bei schwerer psychosozialer Belastung" diagnostiziert wurde; ein Rezept vom 23.03.2018 über SETRALIN 100mg (1) und SAROTEN 25mg (2); einen Kurzartbrief eines genannten Universitätsklinikums vom 17.05.2018, mit der Diagnose bei Entlassung "Depression ggw schwere Episode, Intermittierende Makrohämaturie, Z.n. Medikamenten-Intoxination am 27.04.2018 in suizidaler Absicht mit Z.n. QTc-Zeit, Verlängerung und anticholinerges Syndrom DD serotenerges Syndrom, Z.n. dissziativen Krampfanfällen, Episodischer Spannungskopfschmerz, Z.n. Hämoptysen nach Toraxtrauma, Allergie: Katzenhaare; Medikamentation: SERTRALIN 50mg (1), QUETIAPIN 25mg (2), TRITTICO RET 200mg (1), empfohlene Maßnahmen: regelmäßige Kontrolle bei niedergelassenem Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie", drei Empfehlungsschreiben und eine abgelehnte Bewerbung bei einer Gemeinde als "Straßenerhaltungsfachmann".

14. Mit Stellungnahmen vom 30.08.2018, 19.09.2018 und 24.10.2018 wurden von der bP weitere Beweismittel (die bereits in der Verhandlung angesprochen wurden) vorgelegt: drei Fotos; ein Empfehlungsschreiben; Aktenbestandteile aus dem Familienrechtsverfahren des Bezirksgerichtes XXXX (im Folgenden: BG), wegen von der bP behaupteten Vaterschaft von einer von ihrer zeitweiligen österreichischen Freundin geborenen Tochter; zwei Links zu Youtube-Videos die den Selbstmordversuch der bP zeigen; die vollständige Niederschrift der Tagsatzung vom 11.05.2018 des BG, hinsichtlich der Unterbringungssache der bP nach seinem Selbstmordversuch am 27.04.2018; zwei Kurzarztbriefe vom 17.09.2018 und vom 05.10.2018, wonach die bP im Zeitraum vom 08.09.-25.09.2018 und vom 02.10.-05.10.2018 wegen psychischer Probleme nach Zuweisung durch den Hausarzt im Krankenhaus in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie erschienen ist, stationär aufgenommen wurde und jeweils bei der Entlassung keine Hinweise auf Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden haben.

15. Am 12.11.2018 legte das BFA einen Abschlussbericht der zuständigen Landespolizeidirektion an die Staatsanwaltschaft vom 05.11.2018 vor, wonach gegen die bP der Verdacht auf (versuchten) Diebstahl einer Geldbörse eines Asylwerbers bestünde und dieser Asylwerber die bP deshalb angegriffen und leicht am Körper verletzt habe (Prellungen, Abschürfungen). Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass die bP das Krankenhaus indem sie erstversorgt worden war, nach einer ausgesprochenen Selbstmorddrohung verlassen habe, dann aber nach 20 Minuten zurückgekehrt sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

1.1. Zur Person

Die bP führt den im Spruch angeführten Namen, sie wurde am XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz DAIKUNDI, (Afghanistan) geboren. Sie ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist sie Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der bP ist Hazaragi, außerdem spricht sie noch Dari und Farsi und verfügt über Deutschkenntnisse.

Die bP ist ca. im Jahr 2003 zu ihrem Vater in den IRAN gekommen und dort nur 7-8 Monate bzw. bis 2005 (hierzu liegen widersprüchlichen Angaben vor) in eine Schule gegangen. Sie kann in Dari/Farsi nicht lesen und schreiben. Danach hat sie im IRAN als Mechaniker und in der Landwirtschaft gearbeitet. 2011 wurde sie nach HERAT/Afghanistan abgeschoben, wo ihr ein Freund eine Arbeitsstelle als Küchenhilfe bei der Polizei besorgt hat (BVwG, 8).

Die bP ist arbeitsfähig und hat Berufserfahrung als Mechaniker (BVwG, 5), Küchenhilfe (BVwG, 7) und in der Landwirtschaft (BVwG, 6). Es kann nicht festgestellt werden, dass sie als Polizist gearbeitet hat und ins Elternhaus nach DAIKUNDI zu ihrer Mutter zurückgegangen ist.

Sie bestritt ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie durch ihre eigene Arbeit und die des Vaters, der für eine iranische Firma in der Landwirtschaft (Nutztierhaltung) arbeitete (BVwG, 6).

Die bP hat folgende Angehörige im IRAN: Vater, der seit 23 Jahren dort lebt, Mutter, Tante (die Zweitfrau seines Vaters), zwei Brüder (8 und 11 Jahre alt) und eine Schwester (19 Jahre alt). Der Vater ist auch mit der Schwester der Mutter im IRAN verheiratet und hat die bP Halbbrüder (BVwG, 15). Ein Onkel väterlicherseits (vs) lebt seit 40 Jahren im IRAN (BVwG, 16).

Ein jüngerer Bruder "Ahmad" (14 Jahre) lebt in Österreich (BVwG, 17).

Die Familie bestreitet Ihren Lebensunterhalt im IRAN durch die Arbeit des Vaters, der in einer Kühlschrankfabrik als Security arbeitet (BVwG, 16). Der Vater hat AFGHANISTAN wegen Grundstücksstreitigkeiten verlassen, die er vor Gericht verloren hat. Der Vater hat während der Russenbesatzung für die Polizei gearbeitet (BVwG, 17).

Es kann nicht festgestellt werden, ob die bP noch Familienangehörige in AFGHANISTAN hat. Es ist - aufgrund der Erfahrungen aus zahlreichen Einvernahmen von afghanischen Staatsbürgern - aber eine gerichtsnotorische Tatsache, dass afghanische Familien wegen der schwachen staatlichen Sozialstrukturen in der Regel über mehrere Kinder verfügen und enge Beziehungen zu ihrer erweiterten Großfamilie pflegen, auf deren Netzwerk sie auch angewiesen sind. Fest steht, dass die bP einen Freund in HERAT (BVwG, 8) und Freunde in KABUL (BVwG, 12). hat.

Die bP leidet an keinen schweren bzw. lebensbedrohenden Krankheiten, ist arbeitsfähig und will als Mechaniker arbeiten (BVwG, 20). Für das Vorhandensein von "inneren Blutungen" (Behauptung in der Verhandlung vor dem BVwG, 6) gibt es keine Anhaltspunkte in den vorgelegten ärztlichen Befunden.

Eine diagnostizierte depressive Störung, mittelgradige Episode, wird seit Dezember 2017 (Beilage 2 zur VHS/BVwG) ärztlich behandelt, daraus resultierende Einschränkungen liegen nicht vor.

Die Depressionen äußert sich durch Gedankenkreisen, Stimmungstief, Schlafschwierigkeiten, Appetitmangel; auftretende Kopfschmerzen, wurden von den Ärzten auf Somatisierungstendenzen zurückgeführt. Sie bekommt diverse Medikamente gegen Kopfschmerzen, Schlafstörungen und ihre Depressionen und wurde die Weiterbehandlung durch einen psychiatrischen Facharzt und eine Psychotherapie empfohlen (Arztbriefe 17.09. und 15.10.2018, BVwG/ON 26). Sie hat am 27.04.2018 (Tag der Zustellung des abweisenden Bescheides) einen Selbstmordversuch mit Medikamenten begangen und sich dabei gefilmt. Sie wurde im Krankenhaus behandelt und war seit diesem Vorfall zweimal, von 08.09.2018-25.09.2018 sowie von 02.10.2018-05.10.2018, wieder wegen psychischer Probleme im Krankenhaus, wo sie zuletzt mit den Medikamenten SETRALIN 25mg (1 Tablette täglich), QUETIAPIN 25mg (1 Tablette täglich), MIRTAZAPIN 15mg (1/2 Tablette täglich), IBUPROFEN 400mg bei Kopfschmerzen und BURONIL (MELPERON) 25mg bei Unruhe/Schlafstörungen, entlassen wurde, weil keine Hinweise auf Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden haben.

Ob die Eltern und Geschwister der bP das Video über den Selbstmordversuch (dazu gleich unten in der Beweiswürdigung) im Internet gesehen haben, steht nicht fest. Dass die Eltern aufgrund dessen einen Herzanfall bekommen haben, konnte ebenso nicht festgestellt werden.

Die bP ist in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war zwar Mitglied einer politischen Partei (AS 183), sie hat sich aber nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Heimatland.

1.2. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei

Die bP war vor ihrer Flucht keiner konkreten individuellen Verfolgung durch Taliban, Daesh oder sonstige kriminelle Personen, aufgrund ihrer politischen Gesinnung ausgesetzt oder würde ihr diese drohen.

Der bP droht auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara in Afghanistan keine konkret gegen sie gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

Die bP war auch sonst keiner konkreten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt oder hätte eine solche, im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr der bP in ihr Herkunftsland

Die bP wäre im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keinem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung ihres Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt.

Die bP wäre im Falle einer allfälligen Rückkehr nach KABUL, HERAT oder MAZAR-E SHARIF im Stande, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen und wäre sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der Gefahr ausgesetzt in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Es wird von den Ärzten eine psychiatrische Behandlung empfohlen und nimmt die bP diverse Medikamente. Bei einer Ansiedelung in den angeführten Städten hat sie Zugang zu dieser Behandlung, wobei sie die Kosten der Behandlung und der Medikamente auch tragen kann, weil sie für eine Übergangszeit einen Tablettenvorrat aus Österreich mitnehmen kann und diese Medikamente oder ähnlich wirkende auch in den Krankenhäusern/Apotheken der angeführten Städte vorhanden sind und sie auf die Hilfe von NGO's und das sozialen und familiäre Netzwerk ihrer Familie bzw. ihrer Freunde zurückgreifen kann. Die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegenden Wegstrecken in der Stadt sind für sie zu bewältigen, da es dort billige Taxis gibt und sie auch keine Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat hat.

Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK oder für eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz liegen bei der bP nicht vor.

Sie kann auf das soziale Netzwerk ihres Clans im IRAN sowie ihren Freunden in HERAT und KABUL zurückgreifen. Aufgrund der modernen Kommunikationsmittels und des Bankwesens ist eine Unterstützung auch aus der Ferne möglich.

Die bP leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde.

Die bP wurde über die Möglichkeit von Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

1.4. Zum Leben der bP in Österreich

Die bP hält sich seit September 2015 in Österreich auf und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Oberösterreich.

Sie besuchte Deutschkurse und hat sich bereits brauchbare Deutschkenntnisse angeeignet.

Sie ist kein Mitglied von Vereinen und politischen Parteien und war bisher auch sonst politisch nicht aktiv.

Referenzschreiben belegen das persönliche Verhalten und Engagement der bP in der Gesellschaft, wobei sie ihr näheres Umfeld offenbar hinsichtlich ihrer Vorstrafen getäuscht hat, weil davon - bis zur Verhandlungsteilnahme einiger dieser Personen - keine Rede in den Empfehlungsschreiben war. Die bP ist in Österreich wegen mehrerer (teilweise als Verbrechen gewerteter Gewaltdelikte) vorbestraft (vgl. I.4.). Sie hat in der Verhandlung die Verantwortung für diese Taten geleugnet und von Unschuld, Lügen und Unterschiebungen gesprochen (BVwG, 18, 19). Derzeit besteht wieder der Verdacht eines versuchten Diebstahls und wurde von Zeugen von einer Rauferei berichtet (vgl. I.14.).

Die bP war bisher nicht erwerbstätig. Sie lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügt sie über keine Einstellungszusage.

Die bP ist in Österreich nicht verheiratet, nicht verlobt, lebt nicht in einer Lebensgemeinschaft. Ob sie Vater einer Tochter mit einer Österreicherin ist, wird derzeit durch das zuständige Bezirksgericht geklärt und hat die bP die Mutter des Kindes während der Schwangerschaft angegriffen, weswegen sie auch verurteilt wurde und diese nicht sehen darf (vgl. wiederum vorne I.4. und Beilage 6 zur VHS/BVwG). Ob die Kindesmutter dennoch mit ihr zusammenleben will, wie von ihm behauptet, steht nicht fest. Sie hat einen jüngeren Bruder im Bundesgebiet, der in einem Flüchtlingsheim für Minderjährige lebt. Sie lebt derzeit mit keiner nahestehenden Person zusammen.

Die bP pflegt private Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat

Das BVwG trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 19.10.2018, indem bereits die EASO-Berichte "Afghanistan Netzwerke"; Stand: Jänner 2018; Country of Origin Information Report "Afghanistan Security Situation" Dezember 2017 sowie der FACT FINDING MISSION REPORT AFGHANISTAN der Staatendokumentation vom April 2018 eingearbeitet wurde.)

""Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden. [Grafik]

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018). [Grafik]

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten

wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

[...]

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.01.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 Verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräften zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

[...]

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.08.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.03.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.03.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.04.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.04.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.04.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.03.2018; vgl. LWJ 20.04.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.03.2018; vgl. LWJ 20.04.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.03.2018; vgl. Reuters 30.03.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.03.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.03.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 05.02.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.03.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.01.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bez

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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