TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/22 L516 2209592-1

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Veröffentlicht am 22.11.2018
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Entscheidungsdatum

22.11.2018

Norm

ASVG §5 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2209592-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXXX, StA Pakistan, vertreten durch Mag. Manuel DIETRICH, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2018, XXXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 58 Abs 10 AsylG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, stellte am 29.12.2017 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gem § 55 Abs 1 AsylG.

2. Das BFA verständigte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.08.2018 vom Ergebnis einer Beweisaufnahme und der Beschwerdeführer gab dazu mit Schriftsatz vom 28.08.2018 eine Stellungnahme ab.

3. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers vom 29.12.2017 (laut Spruchpunkt I jenes Bescheides offenbar irrtümlich "16.07.2014") gem § 58 Abs 10 AsylG zurück (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides). Das BFA erließ unter Einem gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG (Spruchpunkt II), stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III), gewährte gemäß § 55 Abs 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV). Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Der Beschwerdeführer hat gegen ihn am 17.10.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des BFA durch seinen nunmehr ausgewiesenen Vertreter am 12.11.2018 Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der Beschwerdeführ ist Staatsangehöriger von Pakistan, seine Identität steht fest und lautet auf den Namen XXXXX.

1.2. Der Beschwerdeführer stellte am 16.07.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 01.09.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Jene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erwuchs mit der Zustellung an die damalige Rechtsvertretung am 01.09.2016 in Rechtskraft. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte einer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zunächst mit Beschluss vom 10.02.2017, Ra 2017/01/0041-3, die aufschiebende Wirkung zu und wies einen in weiterer Folge gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom 13.11.2017, Ra 2017/01/0041-10, ab; gleichzeitig wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision zurück.

1.3. Am 29.12.2017 stellte der Beschwerdeführer den dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gem § 55 Abs 1 AsylG.

1.4. Der Beschwerdeführer absolviert seit 05.10.2015 eine Lehre als Restaurantfachmann in einem österreichischen Betrieb. Er hat am 27.10.2017 an der Landesberufsschule XXXXX die dritte Fachklasse für den Lehrberuf Restaurantfachmann positiv abgeschlossen (AS 27-29). Die Lehrabschlussprüfung hat er im Teilbereich "Fachgespräch" am 11.05.2018 zwar nicht bestanden, er ist jedoch berechtigt, diesen Teilbereich zu wiederholen (AS 81). Der Lehrherr bescheinigt in seinem Schreiben vom 27.08.2018, dass der Beschwerdeführer in den drei Lehrjahren die Schule mit extrem großem Aufwand erfolgreich absolviert hat, die deutsche Sprache sehr gut beherrscht und sich inzwischen sogar als Lehrling bereits zum Stationskellner mit Inkasso hochgearbeitet hat (AS 105). Der Beschwerdeführer verfügt über eine Zusage seines Lehrherren vom 28.12.2017, von diesem auch nach seiner Lehrabschlussprüfung als Restaurantfachkraft weiterbeschäftigt zu werden, welche in der Beschwerde vom 12.11.2018 bekräftigt wurde (AS 43, 243). Der Beschwerdeführer hat inzwischen auch seinen bestehenden Freundeskreis in Österreich weiter verfestigt (AS 98).

Der Beschwerdeführer hat des Weiteren am 17.07.2018 die Integrationsprüfung bestehen aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Niveau B1 und zu Werte- und Orientierungswissen bestanden (AS 83).

Der Beschwerdeführer ist geht seit 05.10.2015 einer unselbstständigen versicherungspflichtigen Erwerbsarbeit nach, bezieht seither durchgehend auch keine Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde (GVS-Betreuungsinformationssystems über die Gewährung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich) und ist inzwischen vollkommen selbsterhaltungsfähig.

Beim Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung liegen betreffend den Beschwerdeführer auch keine negativen Erkenntnisse vor (AS 59). Er ist auch strafrechtlich unbescholten (Strafregisterauszug der Republik Österreich).

2. Beweiswürdigung:

Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen

2.1. Die Feststellungen zur Identität (oben II.1.1.) ergeben sich aus der im Akt einliegenden Reisepasskopie, wurden auch bereits vom BFA getroffen, und sind unstrittig.

2.2. Die Feststellungen zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.07.2014 sowie zur Stellung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gem § 55 Abs 1 AsylG vom 29.12.2017 (oben II.1.2. und II.1.3.) beruhen auf dem Inhalt des vom BFA vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes im Einklang mit dem im angefochtenen Bescheid des BFA wiedergegebenen Verfahrensganges und den Verfahrensakten Bundesverwaltungsgerichtes.

2.3. Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten und erreichten Integrationsschritten (oben II.1.4.) beruhen auf den diesbezüglich von der Behörde unbestritten gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers in Verbindung mit den im Verwaltungsverfahrensakt befindlichen und von der Behörde nicht in Zweifel gezogenen Dokumenten, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden Aktenseiten des Verwaltungsverfahrensaktes bzw Quellen angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Stattgabe der Beschwerde und ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides

Rechtsgrundlagen

3.1. Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird. Gem Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

3.3. Gemäß § 58 Abs 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass "- als Nachfolgeregelung des § 44b Abs 1 Z 1 NAG 2005 -" nunmehr § 58 Abs 10 AsylG 2005 bestimmt, dass Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Nach dieser Judikatur liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs 10 AsylG 2005 zulässig. (VwGH Ra 12.11.2015, Ra 2015/21/0101)

3.5. Im vorliegenden Fall sind seit der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung vom 01.09.2016 bis zu gegenständlichen Entscheidung über zwei Jahre und zwei Monate vergangen. Der Beschwerdeführer hat entsprechend den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen (siehe dazu oben, II.1.4.) aufgezeigt, dass er Schritte gesetzt hat, um seine Integration zu verbessern. Dass der Verwaltungsgerichtshof in verschiedenen Konstellationen einzelne der hier maßgeblichen Aspekte für sich genommen als nicht hinreichend erachtet hat, um eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu bewirken, führt nicht dazu, dass bei einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Umstände eine abweichende Beurteilung nach Art 8 MRK jedenfalls ausgeschlossen werden kann (vgl VwGH 19.04.2016, Ra 2015/22/0052).

Vor diesem Hintergrund kann fallbezogen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (auch unter Einbeziehung seines inzwischen knapp unter viereinhalbjährigen Inlandsaufenthaltes) eine zu Gunsten des Fremden vorzunehmende Interessenabwägung nach Art 8 MRK jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten, weshalb sich die Zurückweisung des Antrags gem § 58 Abs 10 AsylG als unzulässig erweist.

3.6. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

3.7. Es war daher im Ergebnis der Beschwerde stattzugeben und die angefochtene Entscheidung ersatzlos zu beheben. Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist. Über diesen Antrag wird daher das BFA nun unter Beachtung der höchstgerichtlichen Judikatur und nach Durchführung der dafür erforderlichen Ermittlungsschritte neuerlich, diesmal in der Sache selbst abzusprechen haben (vgl VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Zur ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte II bis IV des angefochtenen Bescheides

3.8. Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides mangels einer gesetzlichen Grundlage dafür nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig die betreffenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben sind (vgl VwGH 27.07.2017, Ra 2017/22/0007).

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.9. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B)

Revision

3.10. Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage klar bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

3.11. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylverfahren, Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltstitel,
Behebung der Entscheidung, ersatzlose Behebung, Erwerbstätigkeit,
geänderte Verhältnisse, Gesamtbetrachtung, Interessenabwägung,
Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.2209592.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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