TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/26 W252 2148092-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2018
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Entscheidungsdatum

26.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W252 2148092-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 13.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elisabeth SHALA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 03.03.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass er im Iran aufgewachsen sei und dort ohne Dokumente nicht zur Schule gehen und nicht arbeiten habe können. Um eine besserer Leben zu haben und um zu lernen, sei der Beschwerdeführer nach Österreich gekommen. In Afghanistan habe er niemanden.

3. Das in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 15.07.2016 nennt betreffend den Beschwerdeführer den XXXX als spätestmögliches "fiktives" Geburtsdatum. Gestützt auf das Sachverständigengutachten stellt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) mit Verfahrensanordnung vom 25.08.2016 das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX fest.

4. Am 08.11.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) statt, bei der der Beschwerdeführer im Wesentlichen angab, dass er schon als Kind sein Heimatland gemeinsam mit seiner Familie verlassen habe und in den Iran gegangen sei. Den Iran habe er verlassen, da er nicht zum Kampf nach Syrien geschickt werden wollte.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

6. Mit Verfahrensanordnung vom 31.01.2017 gem. § 63 Abs. 2 AVG wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

7. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine fehlerhafte Beweiswürdigung durchgeführt habe. Der Beschwerdeführer könne aufgrund wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung auf Grund seiner Zugehörigkeit zu der ethnischen Minderheit der Hazara, sowie der nicht vorhandenen Möglichkeit der Inanspruchnahme von Schutz in seinem Heimatstaat, nicht nach Afghanistan zurückkehren. Die belangte Behörde habe zudem unvollständige und teilweise veraltete Länderfeststellungen herangezogen. Die Beschwerde verweist auf aktuelle Länderberichte insbesondere zu der Lage von Hazara und zu der aktuellen Sicherheits- und Versorgungssituation in Afghanistan.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.11.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2018 erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde dem Bundesamt samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt. Mit Schreiben vom 16.11.2018 beantragte das Bundesamt gem. § 29 Abs. 4 VwGVG um Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX alias XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, spricht Dari als Muttersprache, ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat ein Kind (AS 19 f, 199 f; Protokoll vom 13.11.2018 - OZ 10, S. 6 ff).

Der Beschwerdeführer ist in Teheran im Iran geboren und hat dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt. Er hat elf Jahre lang die Schule besucht und danach zwei Jahre lang als Schneider gearbeitet (AS 57, 59; OZ 10, S. 6 f).

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 03.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 21).

Der Beschwerdeführer war noch nie in Afghanistan und verfügt auch über keine Familienangehörigen dort. Zu seinen Familienangehörigen gehören seine Eltern, seine vier Schwestern und seine drei Brüder (AS 21, 198 ff; OZ 10, S. 7). Zwei seiner Brüder leben in Österreich und die restliche Familie lebt im Iran (AS 198 ff, OZ 10, S. 8)

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist homosexuell. Der Beschwerdeführer hatte bereits vor seiner Einreise nach Österreich homosexuellen Kontakt. Im Alter von 15. oder 16. Jahren hatte der Beschwerdeführer im Iran einen männlichen Partner. In Österreich hat der Beschwerdeführer eine homosexuelle Beziehung zu einem anerkannten Flüchtling aus Afghanistan.

Es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht ausleben würde. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner sexuellen Orientierung (Homosexualität) physische und/oder psychische Gewalt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1 Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 29.10.2018, wiedergegeben:

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (DeobandiHanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für NichtMuslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nichtmuslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der TalibanHerrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Homosexuelle

Homosexuelle Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück (AA 5.2018). Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, verbietet in den Artikeln 645 und 649 die Praktiken des Tafkhez, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, Anm.], und der Mosahiqah, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Frauen, Anm.] (MoJ 15.5.2017). Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen (AA 5.2018). Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren (USDOS 20.4.2018). Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen, agieren im Untergrund und sind nicht registriert (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 20.4.2018).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Auch existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push [Anm.: auch Bacha Posh; "Bacha" heißt auf Dari "Kinder"], junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um bestimmten, den Frauen vorenthaltenen Tätigkeiten nachzugehen (AA 5.2018) und die Bacha Bazi [Anm.: auch Bacha Baazi], Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 5.2018; vgl. NGI 6.3.2018). Sobald sie volljährig werden, müssen sich die Bacha Posh wieder wie "ordentliche" afghanische Frauen verhalten (AB 27.10.2016). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (HRC 21.2.2018; vgl. MoJ 15.5.2017).

Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Transsexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds etwa durch Kleidung an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 5.2018).

1.3.2. "Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Provinz Balkh, Mazar-e Sharif: Organisationen zur Unterstützung von Homosexuellen, Vorfälle mit Homosexuellen, Verfolgung von Tätern vom 31.08.2017 [a-10271-2 (10272)]:

Unterstützungsorganisationen

In einem älteren Projektbericht vom Juli 2012 der Naz Foundation International, einer in London ansässigen Organisation, die Projekte in Südasien zur Unterstützung von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) fördert, wird eine Klinik in Mazar e-Sharif erwähnt. Der Bericht beschreibt die erste Phase eines regionalen Partnerschaft-Programmes zur HIV-Prävention, - Behandlung und -Pflege namens "Diversity in Action" (DIVA), das MSM-, Hijra- und Transgendernetzwerke und -organisationen in sieben Ländern in Südasien unterstütze. In Afghanistan arbeite das Projekt DIVA mit der Youth Health and Development Organisation (YHDO) zusammen, die zwei Kliniken für Personen, die stark von HIV oder anderen sexuell übertragebaren Krankheiten gefährdet seien, betreibe. Diese Klinken würden sich in Kabul und Masar-e Sharif befinden. Die Kliniken seien erfolgreich darin, Männern, die sich austauschen und Kontakte knüpfen ("socialise") und frei über ihre Sexualität und ihr sexuelles Verhalten sprechen wollen, einen sicheren Ort zu bieten und Zugang zu Beratung, Untersuchung, Behandlung, Pflege und Unterstützung für HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten zu schaffen.

Programmplanung im Gesundheitsbereich für MSM in Afghanistan müsse ein hohes Maß an religiösem und sozialem Konservatismus, der versuche Sexualität und Geschlechterrollen zu kontrollieren, bewältigen. Wie in jedem Land gebe es Männer, die miteinander Sex hätten, und es gebe eine Bandbreite an Geschlechteridentitäten und Sexualität. Menschen würden aber getötet, wenn diese Gegebenheit an die Öffentlichkeit dringe. Klinken seien aufgrund der Annahme, dass ihre Gesundheitsdienste diese Gegebenheiten akzeptieren, angegriffen worden:

Any health programming in Afghanistan must confront the context of armed conflict, threat of violence, and an uncertain political and economic future. Health programming for MSM must also deal with a high degree of religious and social conservatism that seeks to control sexuality and gender roles. As in every country, men do have sex with each other, and people do have a range of sexualities and gender identities, but people are killed for revealing this reality and clinics have been attacked on the perception that their health services are accepting of this reality.

Project DIVA works with the Youth Health and Development Organisation (YHDO), which operates two clinics and drop-in services for men at high vulnerability for HIV and other sexually transmitted infections. These clinics, in Kabul and Mazar-e-Sharif, have been successful in providing a safe space for men to socialise, speak freely about their sexuality and sexual behaviours, and access counselling, testing, treatment, care, and support for HIV and other sexually transmitted infections. In total, YHDO has reached more than 2100 men, providing HIV testing to nearly 500 of them and STI testing to 370, diagnosing and treating more than 50 cases of syphilis and more than 30 cases of hepatitis." (Naz Foundation International, Juli 2012, S. 3)

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zu der oben genannten Klinik in Masar-e Scharif, oder zu anderen Organisationen zur Unterstützung von Homosexuellen in Masar-e Sharif und der Provinz Balch, gefunden werden.

Auf der Webseite der oben genannten Youth Health and Development Organisation (YHDO), einer afghanischen NGO mit Sitz in Kabul, befindet sich ein undatierter Beitrag zu einem Projekt zur Verbesserung von HIV-Interventionen ("scaling up HIV Interventions"), das vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) finanziert und in den Provinzen Balch, Kundus und Badachschan umgesetzt werde. Das Projekt unterstütze unter anderem Männer mit hohem Risikoverhalten ("Men with high risk behavior", MHRB):

"YHDO is recipient of NFM3 grant from UNDP to implement HIV project in 3 provinces:

Kunduz, Badkhshan and Balkh.

Target Group/Beneficiaries:·People living with HIV (PLHIV); People who inject drugs (PWID) and their partners; Men with high risk behavior (MHRB); Women with high risk behavior (WHRB) Prisoners; Other vulnerable populations such as mobile populations in border areas." (YHDO, ohne Datum)

Die schwedische Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit (SIDA) erwähnt in einem Bericht vom November 2014, dass die pakistanische Organisation Naz Male Health Alliance regionale Kooperationen mit Gesundheitskliniken und Organisationen in Afghanistan, die MSM unterstützen, habe. Es gebe nicht viele Organisationen in Afghanistan, die sich den Rechten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen (LGBTI) Personen widmen würden. Organisation würden vielleicht LGBTI Personen in ihrer Arbeit miteinbeziehen, aber aufgrund des Sicherheitsrisikos seien nur wenige in ihrer Arbeit dafür offen:

"There are not many organistions within Afghanistan working with LGBTI rights in any form. Pakistani organisation, Naz Male Health Alliance works in regional cooperation with health clinics in Afghanistan and organisations that support MSM. Other organisations might include LGBTI persons in their work, but due to the security risks there are few that are open with their work." (SIDA, November 2014, S. 3)

Das UK Home Office beruft sich in einem Bericht vom Jänner 2017 auf eine von der Advisory Group on Country Information (IAGCI) in Auftrag gegebene Bewertung von Dr. Orzala Ashraf Nemat. Demnach gebe es in Afghanistan keine Organisationen, die offen oder öffentlich Unterstützung für die LGBT-Gemeinschaft anbieten würden. Sie habe aber hinzugefügt, dass LGBT Personen, besonders Frauen, bei manchen Organisationen Hilfe und Unterstützungsleistungen beanspruchen könnten. Solche Organisationen würden die sexuelle Orientierung einer Person vertraulich behandeln, um die Organisation selbst und die Person zu schützen:

"Dr Orzala Ashraf Nemat indicated in her October 2016 Independent Advisory Group on Country Information (IAGCI)-commissioned review of the February 2016 version of the country information and guidance on Afghanistan: Sexual Orientation and Gender Identity that no organisations in Afghanistan openly or publicly offer support to the LGBT community. However she added that, LGBT persons, women in particular, would be able to seek help and services from some organisations. Such organisations would keep the person's sexual orientation and identity confidential to protect both the person and the organisation." (UK Home Office, Januar 2017, S. 20-21)

Im Allgemeinen Amtsbericht zu Afghanistan vom November 2016 gibt das Außenministerium der Niederlande unter Bezug auf eine vertrauliche Quelle sowie den Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums (USDOS) für das Jahr 2015 an, dass es keine Menschenrechtsorganisationen, die sich offen für die Rechte von Homosexuellen in Afghanistan einsetzen würden, gebe. Es sei rechtlich unmöglich das zu tun, da sich die Organisationen nicht registrieren könnten, und aus gesellschaftlicher Perspektive wären solche Organisationen ebenfalls nicht in der Lage zu arbeiten:

"There are no human rights organisations openly campaigning for the rights of homosexuals in Afghanistan. It would be legally impossible to do so, as they would be unable to register, and would also be unable to do their work from a social viewpoint." (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, 15. November 2016, S. 85)

Der Menschenrechtsbericht des USDOS vom März 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) gibt an, dass Organisationen, die sich für den Schutz der Freiheit von LGBTI-Personen einsetzen, verborgen halten würden, da sie sich nicht legal registrieren könnten. Mitglieder der LGBTIGemeinschaft hätten berichtet, dass sie weiterhin Diskriminierung, Angriffen, Vergewaltigung und Inhaftierung ausgesetzt seien: "Organizations devoted to protecting the freedom of LGBTI persons remained underground because they could not be legally registered. Members of the LGBTI community reported they continued to face discrimination, assault, rape, and arrest."

(USDOS, 3. März 2017, Section 6)

Im Februar 2017 berichtet die international tätige, nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einer Pressemitteilung, dass das afghanische Gesetz keinen Schutz vor Diskriminierung und Schikanen auf Grund der sexuellen Orientierung biete. Gruppierungen, die zum Schutz von LGBT-Personen arbeiten, würden im Untergrund operieren, um Angriffe und Schließung zu verhindern:

"Afghan law provides no protection against discrimination or harassment on the basis of sexual orientation or gender identity. Groups working to protect LGBT people operate underground to avoid being shut down or attacked." (HRW, 26.Februar 2017)

In ihrem Jahresbericht 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) gibt HRW ebenfalls an, dass Unterstützer der LGBT-Gemeinschaft aus Angst vor Verfolgung im Untergrund operieren würden:

"Advocates for the lesbian, gay, bisexual, and transgender (LGBT) community function largely underground out of fear of persecution" (HRW, 12. Jänner 2017)

Vorfälle und strafrechtliche Verfolgung von Tätern

Die in Großbritannien ansässige, nicht-profitorientierte Medienplattform openDemocracy veröffentlicht im März 2017 einen Artikel zu homosexuellen Männern in Afghanistan. Der Artikel enthält ein Interview mit einem 28-Jährigen, der sich in Masar-e Scharif aufhalte und aus Sicherheitsgründen nur unter dem Pseudonym Khyber genannt werde. Khyber sei derzeit auf der Flucht in Masar-e Sharif und berichte, dass homosexuelle Männer systematisch dem Risiko von Ehrenmorden, "sexueller Säuberung" ("sexuality cleansing") und körperlicher Gewalt von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ausgesetzt seien. Mit 17 hätten ihn seien Eltern eingesperrt, ihm das Essen verwehrt und versucht, ihn zu ändern. Sie würden ihn töten, wenn er sich nicht ändere. Sie hätten ihn bedroht. Daraufhin sei er weggelaufen. Er sei nun in Masar-e Scharif und würde ein Zimmer mieten und gemeinsam mit Freunden wohnen. Sollten seine Eltern ihn finden, würden sie versuchen ihn zu ändern. Vor einem Monat hätten Verwandte von seinem Aufenthaltsort erfahren und hätten ihn verletzt. Sie hätten seinen Zahn und die Rückseite seines Ohres gebrochen:

"I also spoke to 28-year-old Khyber (a pseudonym used for his protection) who is currently on the run in Mazar-e-Sharif. He reported that Afghan gay men are at risk of systematic honour-killings, 'sexuality cleansing' and physical violence by state and non-state actors. 'When I was 17 my parents imprisoned me. They didn't give me food and they tried to change me. They made me fear from religious punishment and Quran and they tried to kill me if I didn't change my nature. They threatened me. I ran away after that. I am in the city (Mazar-e-Sharif). I rent a room for myself and live with friends. I am displaced but I am free from my home. If my parents find me they will try to change me. A month ago some of my relatives found my whereabouts and injured me. They broke my tooth and the back of my ear.'"(openDemocracy, 3. März 2017)

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zu Vorfällen mit homosexuellen Männern in Masar-e Scharif gefunden werden.

Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR), ein internationales NGO-Netzwerk, das durch Reportagen und Kapazitätsaufbau Journalismus stärkt, veröffentlicht im März 2017 einen Artikel zu Prostitution von Jungen in der Provinz Balch und zur Bacha Bazi ("Knabenspiel")

genannten Praxis. Laut MenschenrechtsaktivistInnen gebe es einen florierenden Sex-Handel mit jungen Burschen in der Provinz Balch.

Die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen in der afghanischen Gesellschaft vollkommen Tabu und nach der Scharia und afghanischen Gesetzen illegal seien, würde die Problematik von sexueller Ausbeutung weiter komplizieren. Homosexualität würde generell als Abweichung eingestuft und würde mit Prostitution und Pädophilie in Verbindung gebracht.

Laut Mohammad Khaliq, Direktor für Information und Kultur der Provinz Balch, würden mächtige Personen, die das Gesetz brechen, nicht strafrechtlich verfolgt und die Justiz sei unfähig das Gesetz umzusetzen, was zu einer Zunahme von Kinderschändung und Geschlechtsverkehr mit Buben in Afghanistan geführt habe:

"Human rights activists say there is a flourishing trade in sex with young boys in the northern province of Balkh. As well as male prostitution, there remains the time-honoured practice, deplored by human rights defenders and clerics, of 'bacha bazi' or boy play.

[...]

DEFINING THE CRIME

What complicates the issue of sexual exploitation is that homosexual acts are utterly taboo in Afghan society, as well as being illegal under both Sharia and Afghan law. Homosexuality is generally categorised as a form of deviance and associated with prostitution and pedophilia. [...]

'Due to the fact that that powerful people who break the law are not prosecuted and punished, and because of the inability of the judicial services to implement the law, pederasty and sex with young boys has increased in Afghanistan,' Khaliq [Saleh Mohammad Khaliq, Balkh's director of information and culture] continued." (IWPR, 2. März 2017)

Der oben angeführte Artikel der Medienplattform openDemocracy vom März 2017 weist darauf hin, dass es wichtig sei den Unterschied zwischen "bacha bazi", was sexuellen Kindesmissbrauchs gleichkomme, und Homosexualität zu verstehen. Afghanistan habe bis jetzt noch keine strenge Bestrafung für bacha bazi umgesetzt (obwohl der Präsident versprochen habe, die Praxis zu kriminalisieren), aber verweigere Rechte für Personen, die es bevorzugen würden, in Freiheit zu leben:

"It is important to understand the difference between bacha-bazi and homosexuality. Bacha-bazi is equivalent to child sexual abuse whereas having a self-defined sexual identity is a human right set forth in the Universal Declaration of Human Rights., Afghanistan is yet to provide stringent penalties and govern bacha-bazi activities (although the president has vowed to criminalise the practice), however it has denied rights to those who choose a life of freedom."

(openDemocracy, 3. März 2017)

In den bereits oben genannten USDOS-Menschenrechtsbericht vom März 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) wird angegeben, dass das Gesetz einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisiere. Berichten zufolge würden Schikanen, Gewalt und Inhaftierung durch die Polizei weiter bestehen. Laut NGOs würde die Polizei homosexuelle Männer festnehmen, inhaftieren, ausrauben und vergewaltigen. Das Gesetz verbiete Diskriminierung und Schikanen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität nicht. Homosexualität werde weitgehend als Tabu und unsittlich wahrgenommen. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft hätten keinen Zugang zu bestimmten Gesundheitsdiensten und könnten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren:

"The law criminalizes consensual same-sex sexual conduct, and there were reports that harassment, violence, and detentions by police continued. NGOs reported police arrested, detained, robbed, and raped gay men. The law does not prohibit discrimination or harassment based on sexual orientation or gender identity. Homosexuality was widely seen as taboo and indecent. Members of the lesbian, gay, bisexual, transgender, and intersex (LGBTI) community did not have access to certain health services and could be fired from their jobs because of their sexual orientation." (USDOS, 3. März 2017, Section 6)

Human Rights Watch (HRW) gibt in seinem Menschenrechtsbericht vom Jänner 2017 an, dass es Berichte zu Schikanen, Gewalt und Inhaftierung durch die Polizei gebe und dass das afghanische Gesetz einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisiere:

"Afghan law criminalizes consensual same-sex sexual conduct, and there were reports of harassment, violence, and detentions by police". (HRW; 12. Januar 2017)

Der Jahresbericht der Nichtregierungsorganisation Freedom House mit Hauptsitz in Washington D.C., vom Jänner 2017 beschreibt ebenfalls, dass es keinen rechtlichen Schutz für LGBT-Personen gebe. LGBT-Personen seien mit gesellschaftlicher Missbilligung und mit Misshandlung durch die Polizei konfrontiert. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen seien unter dem Strafgesetz und der Scharia illegal:

"There is no legal protection for LGBT (lesbian, gay, bisexual and transgender) people, who face societal disapproval and abuse by police. Same-sex sexual activity is considered illegal under the penal code and Sharia" (Freedom House, Jänner 2017)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) beschreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016, dass die vorhandenen strafrechtlichen Maßnahmen für gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Sperre für staatlichen Schutz von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten darstelle, was Verfolgungshandlungen, die von nicht-staatlichen Akteuren wie Familien- und Gemeindemitgliedern verübt würden, miteinschließe:

"Furthermore, the existence of significant criminal sanctions for same-sex relations is a bar to State protection for individuals of diverse sexual identities, including where persecutory acts are perpetrated by non-State actors such as family or community members." (UNHCR, 19. April 2016, S. 73)

Associated Press (AP), eine Nachrichten- und Presseagentur mit Hauptsitz in New York, veröffentlicht im November 2016 einen Artikel zu homosexuellen Männern in Afghanistan, der ein Interview mit zwei jungen schwulen Männern aus Kabul enthält. Beide Männer würden beschreiben, dass sie ausgeraubt, geschlagen und erpresst worden seien und Morddrohungen erhalten hätten. Sie hätten Fallen ("honey traps") der Polizei vermieden, bei denen sie ohne Anklage ins Gefängnis gebracht werden könnten, nur auf den Verdacht hin, dass sie homosexuell sein könnten. Sie wüssten, dass sie getötet werden könnten und dass die Täter ungestraft bleiben würden, wenn sie ihre Sexualität preisgeben würden. Ein Bekannter sei von seiner Familie bei einem sogenannten Ehrenmord getötet worden, nachdem er sich als homosexuell geoutet habe:

"To be homosexual in Afghanistan is to live in fear. Naveed and Rameen, young gay men in the capital Kabul have lost count of the number of times they've been lured into dangerous situations on what they believed to be dates. Both men describe being robbed, beaten up and blackmailed, and receiving death threats. They've even eluded police 'honey traps' that could have seen them thrown in prison without charge, simply on suspicion of being gay. They know they could be killed, with impunity, if they reveal their sexuality. Rameen, 31, tells the story of his friend, Zabi, who was killed by his family after coming out as gay, a so-called 'honor killing' usually reserved for young women." (AP, 5. November 2016)"

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in einen Strafregisterauszug und einen Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommene

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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