TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/28 W266 2169628-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2018
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Entscheidungsdatum

28.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2169626-1/14E

W266 2169628-1/13E

W266 2169622-1/9E

W266 2169617-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am XXXX und 4) XXXX , geboren am XXXX , 3) und 4) vertreten durch 2), alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz jeweils vom 16.8.2017, Zahlen 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.4.2018, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.11.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Sie stellten für sich und die Drittbeschwerdeführerin am 21.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren, für ihn wurde der Asylantrag am 4.1.2017 gestellt.

Der Erstbeschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, welcher der Volksgruppe der Hazara und der Konfession der Schiiten angehört, gab anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung im Asylverfahren am 22.12.2015 im Beisein eines Dolmetschers zu seinem Fluchtgrund an, dass er im Jahr 2010 als Soldat für das Militär in Afghanistan gedient habe. Insgesamt sei er eineinhalb Jahr als Soldat tätig gewesen. Während dieser Zeit habe seine Einheit ein Mitglied der Taliban gefangen. Die Kollegen des Erstbeschwerdeführers hätten diesen geschlagen, der Erstbeschwerdeführer habe nur zugesehen. Der Taliban sei von einem Offizier mitgenommen worden und nicht mehr gesehen worden. Kurz darauf seien wöchentlich jene Kollegen des Erstbeschwerdeführers verschwunden, welche an dem Vorfall beteiligt gewesen seien. Der Erstbeschwerdeführer wisse nicht, ob diese noch leben würden oder getötet worden seien. Der Erstbeschwerdeführer habe Angst um sein Leben bekommen und sei in den Iran geflohen. Zuvor habe er noch den betroffenen Offizier aufgesucht. Dieser habe aber nur gemeint, die verschwundenen Kollegen seien nur Deserteure gewesen. Im Iran sei der Erstbeschwerdeführer von der Polizei aufgegriffen worden, weil er sich illegal im Land aufgehalten habe. Er sei vor die Wahl gestellt worden, entweder in den Syrienkrieg zu ziehen oder nach Afghanistan zurückgeschoben zu werden und habe dazu fünf Tage Bedenkzeit erhalten. Während dieser fünf Tage habe er seine Flucht nach Europa angetreten. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er um sein Leben.

Die Zweitbeschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, welche der Volksgruppe der Hazara und der Konfession der Schiiten angehört, gab bei der Erstbefragung am 22.12.2015 zu ihren Fluchtgründen an, sie sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe sich nur kurz in Afghanistan aufgehalten. Wegen der unsicheren Lange in Afghanistan sei sie wieder in den Iran gegangen. Sowohl in Afghanistan als auch im Iran habe sie keine Rechte gehabt und im Iran sei sie illegal aufhältig gewesen. Aus Angst um das Leben des Erstbeschwerdeführers, der von einem Taliban verfolgt worden sei und der Zukunft der Drittbeschwerdeführerin seien sie nach Europa geflüchtet.

Für die Drittbeschwerdeführerin gab die Zweitbeschwerdeführerin bei der Erstbefragung an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe habe und deshalb auf jene der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen werde.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) am 4.7.2016 gab der Erstbeschwerdeführer unter anderem an, dass er in Mazar-e Sharif geboren sei und mit zwei Jahren mit der Familie in den Iran gezogen sei. Dort habe er acht Jahre lang die Schule besucht und danach sieben Jahre in einer Landwirtschaft als Blumenzüchter gearbeitet. Ca. 2005 sei er mit seiner Familie wieder nach Afghanistan zurückgegangen. In den folgenden Jahren sei er zweimal wieder in den Iran gegangen und sei von dort wegen fehlender Papiere nach Afghanistan zurückgeschoben worden. Kurze Zeit danach sei er ein drittes Mal in den Iran gegangen aber freiwillig wieder nach Afghanistan zurückgekehrt und in die Armee eingetreten. Nach etwas mehr als eineinhalb Jahren sei er wieder in den Iran gegangen, wo er ungefähr genauso lange geblieben sei. Zu dieser Zeit habe er die Zweitbeschwerdeführerin geheiratet und ein Kind bekommen. Im letzten Jahr im Iran habe er in einer Fliesenfabrik gearbeitet. Zuletzt sei er dann nach Österreich gegangen. Seine Eltern, sowie zwei Brüder und zwei Schwestern würden noch in Afghanistan leben, der Erstbeschwerdeführer wisse aber nicht genau wo.

Zu seinen Fluchtgründen führte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er in der Armee Probleme gehabt habe. Ein Kommandant, mit welchem der Beschwerdeführer als Fahrer zusammengearbeitet habe, habe unter anderem Nahrungsmittel und Benzin unterschlagen. Der Erstbeschwerdeführer habe dagegen protestiert und den Kommandanten darauf angesprochen, es habe aber nur für den Erstbeschwerdeführer Konsequenzen gegeben, nicht aber für den Kommandanten. Weiters habe es einen Vorfall bei einer Straßenkontrolle gegeben, bei welchem ein Taliban von Kollegen des Erstbeschwerdeführers verletzt worden sei. Nach zwei Wochen seien plötzlich zwei Kollegen, die an jener Kontrolle beteiligt gewesen seien, verschwunden. Der Beschwerdeführer habe noch ca. zwei Wochen weiter in der Armee gearbeitet, danach habe er den Kommandanten nach den beiden verschwundenen Kollegen gefragt. Da er darauf keine klare Antwort bekommen habe, habe er Angst bekommen, dass ihm dasselbe Schicksal wie seinen beiden Kollegen drohen könnte, weshalb er in den Iran gegangen sei. Des Weiteren habe er familiäre Probleme in Afghanistan gehabt. Er habe um die Hand der Zweitbeschwerdeführerin angesucht, was abgelehnt worden sei. Daraufhin sei er gemeinsam mit ihr in den Iran gegangen. Deswegen sei er von Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin mit dem Tode bedroht worden.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Erstbeschwerdeführer Angst um sein Leben, weil er von Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin, den Taliban wegen seines Dienstes in der Armee und auch wegen seines Desertierens aus der Armee in Afghanistan verfolgt werden würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 4.7.2016 unter anderem an, dass sie in XXXX bei Teheran, Iran geboren und im Iran aufgewachsen sei. Dort habe sie acht Jahre eine Schule besucht. Ca. 2011 sei sie mit ihrer Familie nach Mazar-e Sharif gegangen. Dort habe sie ein Jahr lang ebenfalls eine Schule besucht. Insgesamt habe sie knapp zwei Jahre in Afghanistan gelebt, ehe sie in den Iran zurückgegangen sei. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin, bestehend aus ihren Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern lebe noch in Mazar-e Sharif, es bestehe aber seit der Flucht in den Iran kein Kontakt mehr.

Zu ihren Fluchtgründen führte die Zweitbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde aus, sie habe den Erstbeschwerdeführer geliebt und habe mit diesem zusammen sein wollen. Als der Erstbeschwerdeführer einmal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei, habe die Zweitbeschwerdeführerin ihn kennengelernt. Der Erstbeschwerdeführer habe beim Vater der Zweitbeschwerdeführerin mehrmals um ihre Hand angehalten, was aber abgelehnt worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe daraufhin heimlich mit dem Erstbeschwerdeführer telefoniert. Als ihre Heirat mit einem anderen Mann in die Wege geleitet werden sollte, seien sie in den Iran geflüchtet. Dort hätte die Zweitbeschwerdeführerin einmal einen Onkel von sich auf einem Markt gesehen und sie habe Angst gehabt, dass dieser nach ihr suchen würde. Daraufhin wäre der Entschluss gefallen, nach Europa zu flüchten. Die letzten Monate vor der Ausreise habe die Zweitbeschwerdeführerin das Haus nicht mehr verlassen wollen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde die Zweitbeschwerdeführerin große Probleme mit ihrer Familie bekommen, welche ihr etwas antun wolle.

Bezüglich der Drittbeschwerdeführerin wiederholte die Zweitbeschwerdeführerin ihr Vorbringen, wonach diese keine eigenen Fluchtgründe habe.

Hinsichtlich des zwischen Erstbefragung und der Befragung vor der belangten Behörde geborenen Viertbeschwerdeführers gab die Zweitbeschwerdeführerin ebenfalls an, dass auch dieser keine eigenen Fluchtgründe habe.

Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 16.8.2017, Zahlen 1) XXXX ,

2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 (Spruchpunkt I.) - sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz und gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Mit Verfahrensanordnung vom 16.8.2017 wurde die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Gegen die Bescheide vom 16.8.2017 wurde von den Beschwerdeführern durch die eben genannte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 30.8.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 10.4.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und ein Rechtsvertreter anwesend waren. Die belangte Behörde hat auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet.

In der Verhandlung wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nochmals umfassend zu ihren Fluchtgründen sowie zu jenen der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers befragt und es wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, zu den eingebrachten Länderberichten Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 24.4.2018 nahmen die Beschwerdeführer Stellung zu den eingebrachten Länderberichten bezüglich Afghanistans.

Mit Schreiben vom 4.9.2018 wurde in Beschwerdeführern der aktuelle Länderbericht Afghanistan der Staatendokumentation vom 29.06.2018 übersandt und ihnen die Möglichkeit eingeräumt dazu binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit wurde nicht Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahmen der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten steht folgender entscheidungswesentlicher

Sachverhalt fest:

Zu den Personalien der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers.

Die Identität der Beschwerdeführer kann nicht festgestellt werden.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Mazar-e Sharif, Afghanistan geboren. Im Kleinkindalter ist er mit seiner Familie in den Iran gegangen. Er ist in XXXX bei Teheran aufgewachsen und hat dort acht Jahre lang eine Schule besucht. Im Iran hat er zunächst in einer Landwirtschaft als Blumenzüchter gearbeitet, im den letzten Jahren vor der der Flucht nach Europa hat der Erstbeschwerdeführer in einer Fabrik gearbeitet. Der Erstbeschwerdeführer kehrte insgesamt drei Mal vom Iran nach Afghanistan zurück, zwei Mal wurde er abgeschoben, einmal war die Rückkehr freiwillig. In Afghanistan hat er etwas mehr als eineinhalb Jahre in der Armee gedient. Seine Eltern, sowie zwei Brüder und zwei Schwestern leben in Afghanistan, zu diesen gibt es keinen Kontakt.

Der Erstbeschwerdeführer ist ein junger, arbeitsfähiger Mann und ist körperlich gesund, leidet aber an Migräne. Diese steht einer möglichen Beschäftigung des Erstbeschwerdeführers aber nicht entgegen. Zudem spricht er eine Landessprache Afghanistans (Dari/Farsi) und hat die Möglichkeit, sich durch Gelegenheitsarbeiten (z.B. als Hilfsarbeiter) bzw. als Fahrer seine Existenzgrundlage und die der anderen Beschwerdeführer zu sichern. Er ist mit den kulturellen bzw. landesspezifischen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in XXXX bei Teheran, Iran geboren und ist auch dort aufgewachsen. Im Iran hat sie acht Jahre eine Schule besucht, aber noch nie gearbeitet. Im Jahr 2011 ging sie nach Afghanistan und besuchte auch dort für ein Jahr eine Schule. Danach verließ sie mit dem Erstbeschwerdeführer Afghanistan und ging zurück in den Iran, wo sie bis zu ihrer Flucht nach Europa lebte.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres Aufenthalts in Afghanistan mit den kulturellen bzw. landesspezifischen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut obwohl sie im Iran geboren wurde. Sie Spricht eine der Landessprachen und kann sich aufgrund ihrer Schulbildung zusammen mit dem Erstbeschwerdeführer in Afghanistan eine Existenz aufbauen.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde im Iran, der Viertbeschwerdeführer in Österreich geboren. Beide befinden sich noch im Kleinkindalter und leben im Familienverband mit den Eltern.

Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Vorweg ist festzuhalten, dass für die Drittbeschwerdeführerin und den Viertbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden, es wird jeweils auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin berufen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund eines Vorfalls mit einem Mitglied der Taliban während seiner Tätigkeit in der afghanischen Armee, von den Taliban in asylrelevanter Art und Weise verfolgt wird bzw. eine solche Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchten müsste. Es kann ebenfalls nicht festgestellt werden, dass dem Erstbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan von Angehörigen der Armee als Deserteur Verfolgung in asylrelevanter Intensität droht. Des Weiteren kann nicht festgestellt werden, dass dem Erstbeschwerdeführer in Afghanistan asylrelevante Verfolgung durch seine oder die Familie der Zweitbeschwerdeführerin droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund der Heirat mit dem Erstbeschwerdeführer in Afghanistan asylrelevante Verfolgung durch ihre Verwandten droht. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan Verfolgung in ihrer Eigenschaft als Frau oder wegen einer "westlichen Orientierung" in asylrelevanter Intensität drohen würde.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

Die persönliche Haltung der Zweitbeschwerdeführerin zur grundsätzlichen Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nicht in maßgeblichem Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Sie ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild orientiert. Zwar gibt es Merkmale an der "westlichen Art" zu leben, die die sie schätzt, und sich wünscht, doch ist sie nicht derart selbständig und lebt auch nicht völlig eigenständig, sondern vielmehr noch in Abhängigkeit von ihrem Mann. Sie weiß, zwar, wieviel Geld ihrer Familie im Monat zur Verfügung steht und woher dieses Geld kommt, das Geld der Familie wird aber von ihrem Mann verwaltet, auch wenn sie selbst Geld abheben kann. Der von der Erstbeschwerdeführerin in Österreich gepflegte Kleidungsstil (sie kam mit in moderner Kleidung, vor der Verhandlung trug sie aber noch ein Kopftuch, zu mündlichen Verhandlung) verstößt jedenfalls nicht in einer solchen Form gegen die sozialen Normen in Afghanistan, dass er bereits eine asylrelevante Verfolgung auslösen würde. Eine vorübergehende intensivere Verhüllung zur Vermeidung einer etwaigen sozialen Ausgrenzung wäre der Zweitbeschwerdeführerin im Übrigen zumutbar. Es konnte auch nicht glaubhaft dargelegt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin während ihres kurzen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Insbesondere bestünde keine reale Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn sie versuchen sollte, ihren Kindern eine schulische Ausbildung zukommen zu lassen.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin mit Ausnahmen noch nach der konservativen islamisch geprägten Lebensweise lebt, wie sie auch von der afghanischen Mehrheitsgesellschaft gelebt wird. Soweit Sie in Ansätzen in Österreich ein etwas freieres Leben führt und den Wunsch verspürt, die Sprache zu lernen und einen Beruf zu erlernen, ist jedoch festzustellen, dass sie die von ihr als "westlich" bezeichnete Lebensweise jedenfalls noch nicht verinnerlicht hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Keiner der Beschwerdeführer war in Afghanistan Mitglied einer politischen Partei oder hat sich anderweitig politisch betätigt. Der Erstbeschwerdeführer war in der Armee kurzzeitig aus disziplinären Gründen inhaftiert, eine sonstige staatliche Haft, insbesondere Strafhaft, ist nicht ersichtlich.

Auch wären die Beschwerdeführer, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund der Tatsache, dass sie sich für mehrere Jahre im Iran bzw. in Europa aufgehalten haben, keiner psychischen und/oder physischen Gewalt oder anderen erheblichen (asylrelevanten) Eingriffen ausgesetzt.

Hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres jungen und anpassungsfähigen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung abzusehen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte. Dasselbe gilt für den noch jüngeren Viertbeschwerdeführer. Auch eine asylrelevante Verfolgungsgefahr der Drittbeschwerdeführerin bzw. des Viertbeschwerdeführers aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder kann nicht festgestellt werden.

Die Drittbeschwerdeführerin wäre in Afghanistan aufgrund ihres Geschlechts auch nicht von der Inanspruchnahme von Bildungsmöglichkeiten (insbesondere Schulbesuch) ausgeschlossen oder maßgeblich beschränkt. In Afghanistan besteht Schulpflicht. Auch faktisch ist, insbesondere in den Städten, ein Schulangebot für Mädchen (und Jungen) vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist auch keine asylrelevante Verfolgung der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin für den Fall zu befürchten, dass die Eltern ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine grundlegende Bildung zukommen lassen wollten. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass Mädchen in den urbanen Zentren Afghanistans - wie etwa in Kabul - durch regierungsfeindliche Gruppierungen oder sonstige Privatpersonen gewaltsam am Besuch von allgemeinen Bildungseinrichtungen gehindert werden.

Schließlich konnte nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität drohen würde.

Dem Erstbeschwerdeführer wäre es des Weiteren möglich und zumutbar, sich auch in der Hauptstadt Kabul niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari/Farsi) vertraut. Er ist im Iran in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und hat eine Schule besucht. Er kann lesen und schreiben. Angesichts seines Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich in Kabul eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung nutzen könnte. Der Erstbeschwerdeführer konnte auch bisher durch seine beruflichen Tätigkeiten für sich sorgen. Ihm wäre daher auch der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul möglich. Der Erstbeschwerdeführer wäre in der Lage, in Kabul eine einfache Unterkunft zu finden. Der Erstbeschwerdeführer hätte zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis ist aufgrund der Schulbildung, der Schreib- und Lesekompetenz, der Arbeitsfähigkeit und der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers auszugehen.

Der Zweitbeschwerdeführerin wäre ebenso möglich und zumutbar, sich in der Hauptstadt Kabul niederzulassen. Sie verfügt über Schulbildung. Des Weiteren könnte die Zweitbeschwerdeführerin auch von zuhause einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Hinsichtlich des Erst- Zweitbeschwerdeführerin wäre ebenfalls eine Niederlassung in der Stadt Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Mit Ausnahme der Sicherheitslage, welche sich in Mazar-e Sharif als erheblich besser erweist, ist die sonstige Lage mit jener der Stadt Kabul vergleichbar und werden als sohin sowohl dem erst-als auch der Zweitbeschwerdeführerin möglich und zumutbar und sich dort eine Existenz aufzubauen.

Bei der Drittbeschwerdeführerin und beim Viertbeschwerdeführer handelt es sich um unmündige Minderjährige, die im Familienverband mit ihren Eltern leben und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen. In Afghanistan besteht eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern. Vor allem Kinder sind zudem besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Ob ihres Alters ist es der Dritt und dem Viertbeschwerdeführer auch noch nicht möglich zu ihrem Unterhalt durch eigene Arbeit beizutragen, weshalb ebenfalls ihr Unterhalt in Afghanistan gefährdet ist. In Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der Beschwerdeführer und der besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern war seitens des Bundesverwaltungsgerichts im Lichte einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen Beschwerdeführer sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat festzustellen, dass die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer einem realen Risiko ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkrete und individuelle, asylrelevante physische oder psychische Gewalt oder eine sonstige Verfolgung aus den Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung drohen würde.

Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:

Festgestellt wird, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Deutschkurse besucht haben, Zertifikate sind nicht ersichtlich. Beide haben sowohl Freunde als auch Bekannte in Österreich. Sie sind weder Mitglied in einem Verein, einer politischen Partei noch sonst einer Organisation in Österreich. Der Erstbeschwerdeführer unterstützt die Zweitbeschwerdeführerin im Haushalt.

Der Erstbeschwerdeführer hat in Österreich bisher nur gemeinnützige Hilfsarbeiten in der Umgebung seiner Unterkunft ausgeübt. Die Familie lebt von der Grundversorgung.

Die Zweitbeschwerdeführerin versucht in Österreich ein freieres, selbstbestimmteres Leben zu führen, sie trägt lockerere Kleidung, trägt Schmuck und schminkt sich. Grundsätzlich arbeitet sie im Haushalt und versorgt die Kinder. Sie hätte Interesse an einer Tätigkeit in einem Kindergarten, hat sich aber noch nicht darüber informiert. Das Geld der Familie wird vom Erstbeschwerdeführer verwaltet, er hat das Konto und es gibt nur eine Bankkarte. Die Zweitbeschwerdeführerin kann aber Geld abheben.

Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind noch im Kleinkindalter und werden von den Eltern versorgt. Es ist beabsichtigt, dass sie in Österreich einen Kindergarten besuchen sollen.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten (die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind noch nicht strafmündig).

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, ergänzt um eine Kurzinformation vom 22.08.2018 [Schreibfehler teilweise korrigiert]:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3/ Sicherheitslage)

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).

IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018

Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

Zu Kabul:

Bei Kabul handelt es sich um eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, über den Flughafen gut und sicher erreichbare, sichere und relativ stabile Stadt, auch wenn es dort in jüngster Zeit vermehrt zu vereinzelten öffentlichkeitswirksamen Anschlägen kommt. Diese richten sich weiterhin größtenteils gegen ausländische Organisationen bzw. Einrichtungen oder solche der Regierung. Die Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie hinsichtlich der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern ist zwar sehr angespannt, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit diesen grundlegend gesichert. Der Erstbeschwerdeführer ist, aufgrund seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung, in der Lage sich in Kabul eine Existenz aufzubauen, auch wenn er seinen Lebensunterhalt in der ersten Zeit mit Gelegenheitsjobs finanzieren wird müssen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in Kabul in eine, seine Existenz gefährdende, exzeptionelle Notlage geraten würde. Dasselbe gilt auch für die Zweitbeschwerdeführerin, welche ihren Ehegatten durch Arbeit von Zuhause aus unterstützen kann.

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Zu Ghazni:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.-15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

Zur aktuellen Sicherheitslage im Allgemeinen, zur Lage der Schiiten, Hazara und Rückkehrer, zur Menschenrechts-, Wirtschafts- und Versorgungslage, zur Erreichbarkeit, zur Lage der Frauen und Kinder und weiteren einschlägigen Themen:

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

? Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

? Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

? Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

? Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

? Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

? Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

? Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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