TE Bvwg Beschluss 2018/11/28 W153 2199359-1

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Veröffentlicht am 28.11.2018
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Entscheidungsdatum

28.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W153 2199370-1/4E

W153 2199359-1/4E

W153 2199365-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. aus Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2018, Zlen 1.) 1092981508-151662896, 2.) 1092981606-151662900, 3.) 1092981704-151662926, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer stellte am 30.10.2015 für sich und die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin sowie den minderjährigen Drittbeschwerdeführer die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und wurde hierzu am 01.11.2015 einvernommen. Hierbei gab er an, Moslem und Sunnit zu sein sowie der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. Weiters führte er aus, dass in seiner Heimat Kunduz Krieg herrsche und seine Frau von den Taliban getötet worden sei. Aus Angst vor dem Krieg und den Taliban habe er seine Heimat mit seinen Kindern und seinem Bruder verlassen. Seinen Bruder habe er aber auf der Reise aus den Augen verloren. Er stelle hier als Erziehungsberechtigter der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 19.04.2017 wurde der Erstbeschwerdeführer einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA) unterzogen. Hierbei gab er an, dass er und seine Kinder gesund seien. Er sei 33 Jahre alt, kenne aber sein genaues Geburtsdatum nicht. Er habe in Kabul die Schule besucht (zuvor habe er sich für sechs Monate mit seinem Vater in Pakistan aufgehalten), danach habe er in einem Dorf gelebt. Er habe insgesamt vier Kinder, wobei alle in einem Dorf geboren worden seien. Seine mitgereisten Kinder seien 5 und 6 Jahre alt; die anderen beiden (seine 6 und 13 Jahre alten Töchter) seien in Kabul bei seinem Vater, seinem Bruder und seiner Schwester, weil sie bei der Flucht gemeinsam mit dem Bruder und Vater des Erstbeschwerdeführers an der iranischen Grenze erwischt und wieder nach Afghanistan zurückgeschickt worden seien. Er habe mit ihnen 1 bis 2 Mal im Monat Kontakt. Seine Kinder seien in Afghanistan nicht zur Schule gegangen, sondern von seiner Schwägerin zu Hause unterrichtet worden. Der Erstbeschwerdeführer habe Angst, dass die Kinder entführt werden könnten. Es gebe viele Fälle von Entführungen von Mädchen. Seine Frau sei ca. 45 Tage vor seiner Ausreise bei einer Auseinandersetzung zwischen den Taliban und dem Bezirkspolizisten getötet worden. Dies habe ihm sein Nachbar erzählt. Der Erstbeschwerdeführer sei zu diesem Zeitpunkt nicht im Dorf gewesen. Er habe in einem Geschäft gearbeitet, das 2 1/2 bis 3 Stunden von dort entfernt gewesen sei. Nach dem Tod seiner Frau habe es noch einen Vorfall in der Moschee des Dorfes gegeben. So seien junge Männer, darunter auch der Erstbeschwerdeführer, vom Kommandanten des Dorfes zur Verteidigung des Dorfes aufgerufen worden. Da seine Kinder durch den Krieg verängstigt gewesen seien und der Erstbeschwerdeführer Angst um seine Kinder gehabt habe, habe er sich letztlich zur Flucht aus seiner Heimat entschieden. Über Nachfrage gab er an, dass er nicht wieder geheiratet habe und die vier von ihm genannten Kinder die gemeinsamen Kinder mit seiner verstorbenen Frau seien. Die beiden älteren Kinder, sein Vater, und ein paar seiner Geschwister würden in Kabul leben. Eine weitere Schwester lebe derzeit in den USA und zwei Brüder würden sich noch in Dänemark aufhalten.

Mit Eingabe vom 12.04.2018 wurden einige integrationsbestätigende Unterlagen die Beschwerdeführer betreffend vorgelegt.

Am 26.04.2018 langte eine Stellungnahme zu den dem Erstbeschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Länderfeststellungen ein.

Das BFA hat mit den angefochtenen Bescheiden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Zusammengefasst führte das BFA aus, dass das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers unglaubwürdig gewesen sei und im gegenständlichen Fall eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul vorliege. Der Erstbeschwerdeführer könne im Fall der Ansiedlung in Kabul seinen Lebensunterhalt bestreiten, zumal er dort auch auf die Unterstützung eines familiären Netzwerks zurückgreifen könne.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers wurde lediglich festgehalten, dass die Fluchtgründe ihres Vaters - des Erstbeschwerdeführers - nicht glaubwürdig gewesen seien und für sie selbst keine eigene Verfolgungsgefahr in Afghanistan abzuleiten gewesen sei. Kinder seien flexibel und würden sich der Umgebung anpassen. Die Behauptung in der Stellungnahme, dass die Zweitbeschwerdeführerin schon so verwestlicht wäre, dass sie ein Ziel der Taliban wäre, sei nicht nachvollziehbar. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer würden sich bei einer Rückkehr unter der Obhut ihrer Familie befinden. Aufgrund der Arbeitsfähigkeit ihres Vaters sei der Lebensunterhalt der Familie gewährleistet.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zur thematisierten Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers ausgeführt, dass in der Erstbefragung Fehler unterlaufen könnten, besonders da Antragsteller unmittelbar nach ihrer Ankunft in Österreich befragt würden und noch von den Strapazen der Flucht gezeichnet seien und es bei der notwendigen Heranziehung von Dolmetschern leicht zu Missverständnissen kommen könne. So sei es beim Erstbeschwerdeführer, der Dari spreche, aber von einer Dolmetscherin in Farsi einvernommen worden sei, gewesen. Auch wenn die Unterschiede zwischen Dari und Farsi nicht gravierend seien, gebe es verschiedene Dialekte, die zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten führen könnten. Im vorliegenden Fall sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen keine Verfolgung durch die Taliban feststellen könne und eine Weigerung, gegen die Taliban zu kämpfen, als realitätsfremd ansehe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wie die Behörde unter Berücksichtigung der aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan von einer stabilen Sicherheitslage ausgehen und keine drohende Art. 2 oder 3 EMRK Verletzung im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführer erkennen könne. Die Beweiswürdigung zur innerstaatlichen Fluchtalternative sei mangelhaft. Es könne auch nicht pauschal ausgeschlossen werden, dass die mj. Zweitbeschwerdeführerin bereits eine westliche Orientierung angenommen habe, die zu asylrelevanter Verfolgung im Fall der Rückkehr führe. Sie besuche die Volksschule und werde danach aller Voraussicht nach das Gymnasium besuchen. Sie sei fast 9 Jahre alt. Streng erzogene afghanische Mädchen müssten ab dem 9. Lebensjahr die islamischen Regeln einhalten, was bei ihr jedoch nicht der Fall sei. Sie könnte sich aufgrund ihrer bisherigen Erziehung und ihren Erfahrungen einer solchen Lebensweise nicht mehr unterordnen. Auch wenn Kinder in diesem Alter grundsätzlich anpassungsfähig seien, könne der gravierende Unterschied zwischen der in einer westlichen Gesellschaft gelebten Lebensweise junger Mädchen und Frauen im Vergleich zu ihrer Lebenswirklichkeit in Afghanistan nicht ausgeglichen werden. Obwohl die Behörde nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Situation von Minderjährigen in Afghanistan unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen zu ermitteln habe, um eine drohende Art. 2 oder 3 EMRK Verletzung im Fall der Rückkehr auszuschließen, habe die belangte Behörde gegenständlich sämtliche Feststellungen und Ermittlungen zur Situation der mj. Beschwerdeführer unterlassen. Die Behörde hätte sich jedenfalls mit dem Kindeswohl beschäftigen müssen, da die mj. Kinder bereits einen Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht hätten. Aufgrund der bereits gesetzten Integrationsschritte in Österreich hätte zumindest ein humanitärer Aufenthaltstitel zuerkannt werden müssen.

Mit Eingabe vom 03.09.2018 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführer weitere integrationsbestätigende Unterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A):

Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwVGV (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, ist der Erstbeschwerdeführer mit der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer ins Bundesgebiet eingereist und hat hier für alle Asylanträge gestellt. Diese wurden in allen Spruchpunkten negativ entschieden, zumal der Erstbeschwerdeführer als "absolut unglaubwürdig" (Seite 69 des angefochtenen Bescheides des Erstbeschwerdeführers) erachtet wurde, dies auch insbesondere in Hinblick auf die zu seinen Familienangehörigen getätigten Angaben. Ein Dokument betreffend die Obsorge des Erstbeschwerdeführers für die mj.

Zweitbeschwerdeführerin und den mj. Drittbeschwerdeführer wurde nicht vorgelegt. Eine Prüfung des tatsächlichen Familienverhältnisses zwischen dem Erstbeschwerdeführer und den beiden mj. Beschwerdeführern wurde nicht vorgenommen und hat dementsprechend in den angefochtenen Bescheiden auch keine Würdigung erfahren. In Hinblick auf die im Bescheid besonders hervorgehobene Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers wäre es in Hinblick auf das Kindeswohl der mj. Zweitbeschwerdeführerin und des mj. Drittbeschwerdeführers jedoch erforderlich gewesen, diesbezüglich entsprechende Ermittlungen zu tätigen.

Die belangte Behörde ist gegenständlich weiters zu dem Schluss gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer keine aktuelle, individuelle Verfolgungsgefahr für Afghanistan glaubhaft gemacht habe. Da auch in Hinblick auf die persönlichen Merkmale der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers (beispielsweise Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion) keine Verfolgungsgefahr in Afghanistan abzuleiten sei, könne es bei ihnen auch nicht zur Gewährung des Asylstatus kommen. Sie würden sich bei einer Rückkehr in der Obhut der Familie befinden, hätten in Afghanistan soziale Anknüpfungspunkte und würden demnach auch über Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten verfügen.

Im vorliegenden Fall wurde im Ermittlungsverfahren nicht darauf hingewirkt, das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers zu konkretisieren und sich insbesondere (ausreichend) mit der allgemeinen Lage von Kindern in Afghanistan sowie der konkreten Lage der mj. Beschwerdeführer in Afghanistan auseinanderzusetzen.

In Zusammenhang mit der Situation von Kindern wird auf die bereits zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde als bekannt vorauszusetzende umfangreiche Judikatur der Höchstgerichte verwiesen.

So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, auf die Minderjährigkeit von Beschwerdeführern aus Afghanistan sowie ihre allgemeine Gefährdungslage ausreichend einzugehen und hat Entscheidungen ohne eine entsprechende, ausführliche Ermittlungstätigkeit bzw. ohne fundierte Länderfeststellungen hierzu behoben (siehe etwa VfGH vom 21.09.2017, E 2130-2132/2017-14; VfGH vom 11.10.2017, E 1734-1738/2017; VfGH vom 11.10.2017, E 1803-1805/2017-17, VfGH vom 13.12.2017, E 2497-2499/2016-17 oder jüngst VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10).

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass man sich im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern in erforderlicher Art und Weise mit den aufgrund der Minderjährigkeit von Kindern bestehenden besonderen Schwierigkeiten bei der Niederlassung in Kabul auseinanderzusetzen habe (siehe etwa VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357). In seiner Entscheidung vom 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 sowie in einer aktuellen Entscheidung vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 hat der Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf die besondere Vulnerabilität von mj. Kindern eine konkrete Auseinandersetzung dazu verlangt, welche Rückkehrsituation diese tatsächlich vorfinden würden. Diesbezüglich befand der Verwaltungsgerichtshof allgemeine Ausführungen zur Lage in Kabul als zu wenig (und verwies in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet habe). In der letztgenannten Entscheidung wurde ausgeführt, dass eine konkrete Beurteilung der Versorgungslage (insbesondere der Unterkunftsmöglichkeiten) notwendig sei. Die bereits schon bei der Erlassung der angefochtenen Bescheide bekannte - unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern dargelegte - Verpflichtung, sich konkret mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation einer Familie mit minderjährigen Kindern auseinanderzusetzen, hat der Verwaltungsgerichtshof auch jüngst in einer behebenden Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten betont (VwGH vom 04.10.2018, Ra 2018/18/0229).

Aufgrund des jungen Alters der mj. Zweitbeschwerdeführerin und des mj. Drittbeschwerdeführers in Verbindung mit der allgemein bekannten, sehr schlechten Situation für Kinder (die aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind) und speziell für Mädchen wäre die erstinstanzliche Behörde zur Einholung (zusätzlicher) Kinder betreffender Länderberichte amtswegig verpflichtet gewesen. In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom Juni 2018 ausgeführt, dass bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich sind. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung entsprechender und aktueller Länderfeststellungen in Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl. VfGH vom 11.06.2018, E1815/2018-10 mwN).

Demnach wird sich das BFA im fortgesetzten Verfahren näher mit der spezifischen Situation der mj. Zweitbeschwerdeführerin und des mj. Drittbeschwerdeführers in Afghanistan auseinanderzusetzen haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob die minderjährigen Beschwerdeführer konkreten, unzumutbaren Gefahren ausgesetzt sind und die Drittbeschwerdeführerin allfälligen geschlechtsspezifischen Verfolgungshandlungen ausgesetzt ist bzw. ob sie einen gesicherten Zugang zu angemessener Bildung mit ausreichenden Garantien beim Schulbesuch hätten (siehe an dieser Stelle: VfGH vom 30.11.2017, E2528-2532/2017-24 zur mangelhaften Auseinandersetzung mit den Bildungsmöglichkeiten von drei minderjährigen Mädchen im schulpflichtigen Alter) und die mj. Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auch eine adäquate Versorgungslage vorfinden können. In Hinblick auf das Kindeswohl werden auch aufgrund der starken Zweifel der Behörde an der Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers Ermittlungen hinsichtlich des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen dem Erstbeschwerdeführer und den mj. Beschwerdeführern notwendig sein.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - im konkrete Fall nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Verwiesen wird diesbezüglich auch auf die jüngste Entscheidung des VwGH vom 25.10.2018 zu Ra 2018/20/0014-6, in der festgestellt wird, dass sich die Behörde nicht offenkundig notwendiger Erhebungen entledigen und diese auf das BVwG übertragen kann.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA unter Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W153.2199359.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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