TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/4 W261 2169130-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2018
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Entscheidungsdatum

04.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2169130-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg, vom 03.08.2017, Zahl: XXXX nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Wesentliche Entscheidungsgründe:

I. Gang des Verfahrens:

Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach seinen Angaben am 05.11.2015 als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling irregulär in Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am 07.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Salzburg gab der damals noch mj. BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Parwan, Afghanistan geboren. Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er habe 10 Jahre lang die Schule in Kabul besucht. Seine Familie habe den Aufenthaltsort seines Cousins, XXXX, der sich in Österreich befinde, erfahren. Der Großvater, der kriminell sei, habe unbedingt wissen wollen, wo sich XXXX befinde. Er habe die Familie mit dem Umbringen bedroht.

Mit Schreiben vom 10.02.2016 teilte die Bezirkshauptmannschaft Hallein als Jugendwohlfahrtsträger mit, dass dem XXXX Vollmacht zur Vertretung im Asylverfahren erteilt werde.

Am 16.05.2017 fand die Einvernahme des BF im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg (im Folgenden belangte Behörde oder BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, der Rechtsvertreterin und einer Vertrauensperson des BF statt.

Bereits vor dieser Verhandlung übermittelte die Rechtsvertretung des BF eine Reihe von Integrationsunterlagen.

Der BF gab im Rahmen der Einvernahme bekannt, dass er mit seiner Familie in Afghanistan öfters umgezogen sei, was mit seinen Fluchtgründen zusammenhängen würde. Er habe drei Jahre lang in Parwan gelebt, dann ca. sechs Jahre lang in Kabul, dann ca. zwei Jahre in Mazar-e Sharif und schließlich wieder für ca. fünf Jahre in Kabul. Er habe gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern, die sich im Iran befinden würden, ausreisen wollen. Diese seien jedoch an der Grenze aufgehalten worden, weswegen sie im Iran hätten bleiben müssen. Der Vater seines Cousins, XXXX , sei in Parwan getötet worden. Dessen Vater, der Großvater von XXXX, habe den Vater des BF beschuldigt, diesen getötet zu haben. Die Familie sei dann nach Kabul gezogen, wo sie Opfer eines Brandanschlages geworden seien. Daraufhin seien sie nach Mazar-e Sharif gezogen. Dort hätte den BF ein Unbekannter entführen wollen, woraufhin die Familie wieder nach Kabul gezogen sei. In Kabul sei eines Tages ein alter Mann gekommen und habe gewaltsam nach seinem Vater gefragt. Zwei Tage später sei es wieder zu einem weiteren gewaltsamen Angriff gekommen. Unbekannte Männer seine über die Mauer gesprungen, und hätten die Familie bedroht. Es handle sich um die Männer des Großvaters seines Cousins, XXXX. Dieser sei sehr mächtig, habe mit Drogen zu tun. Diese Männer seien bewaffnet, wie die Taliban. Er vermute, dass dies alles wegen seines Cousins sei. Der Großvater glaube, dass die Familie des BF dessen Flucht unterstützt habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 03.08.2017 wies diese im Spruchpunkt I den Antrag des BF auf internationalen Schutz ab. Im Spruchpunkt II wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Im Spruchpunkt III erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Im Spruchpunkt IV legte die belangte Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in seinem Herkunftsstaat einer staatlichen Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass dem BF bei seiner Rückkehr eine Gefährdung durch Privatpersonen drohe. Das diesbezügliche Vorbringen sei nicht glaubhaft. Im Falle einer Rückkehr habe der BF Familienangehörige, auf deren Unterstützung er zurückgreifen könne. Es würden daher weder die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes vorliegen, noch erfülle der BF die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes. Die Voraussetzungen für ein humanitäres Bleiberecht würden nicht vorliegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 17.02.2017 stellte die belangte Behörde dem BF die juristische Person ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe amtswegig zur Seite. Mit Verfahrensordnung vom selben Tag informierte die belangte Behörde den BF über die Verpflichtung, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid brachte der BF, vertreten durch den die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, fristgerecht mit Eingabe vom 17.08.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legte eine Vertretungsvollmacht vor. In der Beschwerdebegründung führte der BF aus, dass der Bescheid zur Gänze angefochten werde. Der BF sei psychisch krank und laufe in seinem Herkunftsstaat Gefahr, Opfer von Blutrache zu werden. Zudem werde er in Afghanistan als Hazara verfolgt. Der BF könne keinen staatlichen Schutz erwarten. Die Lage der Rückkehrer sei prekär.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Akt mit Schreiben vom 18.08.2017 dem BVwG vor, wo dieser am 29.08.2018 einlangte.

Der BF legte durch seinen bevollmächtigten Vertreter am 06.10.2017 eine fachärztliche Stellungnahme vor, wonach der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide.

Am 15.02.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seiner bevollmächtigten Rechtsvertreterin erschien. Bereits mit der Ladung zu dieser Verhandlung übermittelte das BVwG eine Reihe von Länderinformationen zu Afghanistan. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Der BF gab dabei auf richterliche Befragung zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen das Gleiche an, was er bereits in seinen bisherigen Einvernahmen ausgesagt hatte. Er legte eine Reihe von Integrationsunterlagen und ärztlichen Bestätigungen vor. Nach eingehender Befragung des BF vertagte das BVwG die mündliche Beschwerdeverhandlung zur zeugenschaftlichen Einvernahme des Cousins des BF, der in Österreich als anerkannter Flüchtling lebt.

Mit Eingabe vom 20.02.2018 legte der BF durch seinen bevollmächtigten Vertreter weitere Integrationsunterlagen vor, wonach der BF seinen Pflichtschulabschluss absolviert und eine Lehrstelle angetreten habe.

Am 14.03.2018 fand eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung statt, bei welcher der Cousin des BF als Zeuge einvernommen wurde. Im Zuge dieser Beschwerdeverhandlung informierte der Cousin des BF sowohl das BvWG als auch den BF darüber, dass dessen Vater im Syrienkrieg verstorben sei. Die Verhandlung wurde sodann auch Wunsch des BF vorzeitig abgebrochen.

Die belangte Behörde teilte dem BVwG mit Schreiben vom 05.03.2018 mit, dass der BF über eine Beschäftigungsbewilligung verfüge und legte die entsprechenden Unterlagen vor.

Mit Schreiben vom 23.05.2018 legte das BVwG den Parteien des Verfahrens das Länderinformationsblatt Afghanistan, Stand 30.01.2018 vor und räumte die Möglichkeit ein, hierzu ebenso eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wie zur Zeugenaussage des Cousins des BF vom 14.03.2018.

Mit Eingabe vom 14.06.2018 gab der BF durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine umfassende Stellungnahme zu den Länderinformationen ab. Die belangte Behörde übermittelte keine Stellungnahme.

Das BVwG führte am 29.11.2018 eine Abfrage im Strafregister durch, wonach für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Laut Speicherauszug aus dem Betreuungssystem, den das BVwG ebenfalls am 29.11.2018 abfragte, befindet sich der BF in der aufrechten vorübergehenden Grundversorgung.

Die am 29.11.2018 erfolgte Einsicht in das AJ-WEB Verfahren ergab, dass der BF in der Zeit vom 19.02.2018 bis 13.04.2018 als Arbeiterlehrling tätig war.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt A)

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geb. am XXXX , im Dorf XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz Parwan und ist afghanischer Staatsbürger. Der BF gehört zur Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF verbrachte die ersten zwei bis drei Lebensjahre in seinem Geburtsdorf. Die Familie übersiedelte sodann nach Kabul, wo er für ca. fünf Jahre lebte. Während dieser Zeit besuchte er für ca. drei Jahre eine Schule in Kabul. Danach zog die Familie nach Mazar-Sharif, wo die Familie ca. zwei Jahre lang lebte und der BF ebenfalls die Schule besuchte. Die Familie zog dann wieder nach Kabul, wo der BF mit seiner Familie weitere fünf Jahre lang lebte und die Schule besuchte. Insgesamt besuchte der BF 10 Jahre lang die Schule in seinem Herkunftsstaat.

Der Vater des BF hieß XXXX , er ist bereits verstorben. Die Mutter des BF heißt XXXX , und ist ca. 38 Jahre alt. Der BF hat drei Brüder und eine Schwester, die allesamt jünger als der BF sind, und gemeinsam mit ihrer Mutter in XXXX , im Iran leben. Der BF hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie. Der Cousin des BF, XXXX XXXX , geboren am XXXX in der Provinz Helmand, der in Österreich als anerkannter Flüchtling lebt, unterstützt die Mutter und die Geschwister des BF finanziell.

Die Eltern des BF waren Eigentümer eines Hauses in Kabul. Sie verkauften dieses Haus, um die Flucht zu finanzieren. Der Vater des BF betrieb zuletzt in Kabul ein Lebensmittelgeschäft, in welchem ihm der BF aushalf.

Der BF hat einen Onkel väterlicherseits und eine Cousine mütterlicherseits, die im Iran leben.

Der BF hat zwei Freunde in Afghanistan, es sind dies zwei Mitschüler, mit denen er über Facebook in Kontakt ist.

Der BF war in seinem Herkunftsstaat kein Mitglied einer politischen Partei. Der BF ist in seinem Heimatstaat strafrechtlich unbescholten. Der BF ist Zivilist.

Der BF reiste im Jahr 2015 gemeinsam mit seiner Familie aus Afghanistan aus. Die Familie wurde an der Grenze zwischen der Türkei und dem Iran getrennt. Der BF reiste alleine nach Europa weiter und stellte am 05.11.2015 als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Familie des BF verblieb im Iran. Dem Cousin des BF, XXXX, gelang es, die Mutter und die Geschwister des BF an der iranisch-türkischen Grenze von Österreich aus "freizukaufen", während der Vater des BF gezwungen wurde, in den Syrienkrieg zu ziehen. Der Vater des BF verstarb bei seinem zweiten Einsatz in Syrien, dem er zugestimmt hatte, um für sich und seine Familie einen legalen Aufenthaltsstatus im Iran zu erhalten.

Der BF absolvierte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau B 2.1. Er spricht bereits sehr gut Deutsch. Der BF legte am 07.07.2017 die Pflichtschulabschlussprüfung erfolgreich ab. Der BF hat im September 2016 erfolgreich am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.

In seiner Freizeit wandert der BF, geht schwimmen, besucht österreichische Freunde.

In der Zeit vom 01.02.2018 bis 30.04.2018 war der BF mit Genehmigung des AMS als Arbeiterlehrling in der Gastronomie tätig. Der BF lebt aktuell wieder von der vorübergehenden Grundversorgung und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der BF leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiver Symptomatik und ist in laufender medizinischer Therapie.

1.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Vater des BF hatte eine Schwester, eine Hazara, die mit einem Mann aus der Provinz Helmand, einem Paschtunen, verheiratet war. Dieser Ehe entstammt der Cousin des BF, XXXX, und dessen im Jahr 2016 im Iran an Krebs verstorbene Schwester. Diese Familie lebte zuerst in der Provinz Helmand und übersiedelte in weiterer Folge in das Heimatdorf des BF in der Provinz Parwan.

Der Vater des Cousins des BF war dort als Koch für die Taliban auf deren Stützpunkt in der Hauptstadt des Bezirkes XXXX tätig. Er gab auch Informationen über andere Bewohner aus dem Bezirk weiter. Nach dem Sturz der Taliban wurde dieser von anderen Dorfbewohnern verfolgt und schwer misshandelt. Er verstarb im Jahr 2002.

Dessen Vater, der Großvater von XXXX, bezichtigte den Vater des BF, etwas mit dem Tod seines Sohnes zu tun zu haben. Die Familie verließ in weiterer Folge mit dem damals etwa zwei- bis dreijährigen BF aufgrund dieser Bedrohungen durch diesen Mann ihr Heimatdorf und übersiedelte nach Kabul. Der Vater des BF betrieb in Kabul ein Lebensmittelgeschäft. Die Familie lebte ca. fünf Jahre unbehelligt bis ca. 2007/2008 in Kabul. Dann jedoch zündeten Unbekannte das Lebensmittelgeschäft des Vaters des BF an, und die Nachbarn berichteten diesem, dass diese Personen nach dem Vater des BF gesucht haben. Der Vater des BF vermutete einen Zusammenhang damit, dass der Schwiegervater seiner Schwester, der Großvater von XXXX, noch immer nach ihm sucht. Daraufhin beschloss die Familie, neuerlich umzuziehen, und sie ließen sich in Mazar- e Sharif nieder. Auch in Mazar- e Sharif kam es zu einem Vorfall, bei welchem zwei dem BF unbekannte Personen versuchten, den damals ca. 10-jährigen BF auf der Straße zu entführen. Dem BF gelang die Flucht, indem er sich an einen Geschäftsinhaber eines Geschäftes, bei welchem er zuvor eingekauft hatte, wandte. Einer seiner Kunden begleitete den BF sicher nach Hause und erzählte dem Vater des BF von diesem Vorfall. Etwa eine Woche nach diesem Vorfall verließ die Familie des BF nach ca. zweijährigen Aufenthalt ca. im Jahr 2009/2010 die Stadt Mazar e Sharif und zog wieder nach Kabul. Die Eltern des BF waren in dieser Zeit sehr auf dessen Sicherheit bedacht und erlaubten ihm nur, für den Schulbesuch und für seine Mithilfe im familieneigenen Lebensmittelgeschäft das Haus zu verlassen. In weiterer Folge lebte die Familie für ca. fünf Jahre unbehelligt in Kabul.

Der Cousin des BF, floh in der Zwischenzeit, ca. im Jahr 2008, in den Iran, von wo aus er ca. im Jahr 2010 nach Afghanistan abgeschoben wurde. Er floh in weiterer Folge von Afghanistan aus nach Österreich, wo er im Juli 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Diesem wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.06.2012, Zl. XXXX , rechtskräftig der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

XXXX nahm von Österreich aus im Jahr 2013 Kontakt mit seinem Großvater auf, weil er ihn um Geld bitten wollte, um Krebstherapien für seine Schwester bezahlen zu können. Der Großvater, der im Drogengeschäft tätig ist, und Opium aus Afghanistan, genauer seiner Herkunftsprovinz Helmand in den Iran verkauft, und Benzin im Iran kauft, und dieses an die Taliban weiterverkauft, war grundsätzlich bereit, ihn finanziell zu unterstützen. Er wollte von seinem Enkelsohn XXXX jedoch, dass dieser zurückkehre, um bei ihm in das Drogengeschäft einzusteigen, was XXXX verweigerte. XXXX wechselte daraufhin mehrfach die Telefonnummer, damit ihn sein Großvater nicht mehr erreichen kann.

Eines Abends im Jahr 2015 kam der Großvater XXXX in das Haus der Familie des BF in Kabul. Er verlangte nach dem Vater des BF, schrie und schlug herum. Er warf die Mutter des BF zu Boden und verpasste dem BF zwei Ohrfeigen. Er drohte, die beiden zu töten, sollten sie ihm nicht sagen, wo sich der Vater des BF befinde. Er fragte auch, wo sich XXXX befindet. Nachdem die Mutter mitteilte, dass sich der Vater des BF im Geschäft befindet, verließ der Mann das Haus. Zwei Tage später versuchten zwei bewaffnete Männer über die Mauer in das Haus der Familie des BF, welche sich zu dieser Zeit im Haus befand, einzudringen. Sie schossen auch auf die Mutter des BF, verfehlten diese jedoch. Zwei Nächte nach diesem Vorfall verließ die Familie gemeinsam Afghanistan in Richtung Iran.

Sowohl der BF als auch sein Cousin fürchten sich vor einer Bedrohung, die von XXXX Großvater ausgeht.

1.3 Zur Situation im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers

Dem BF droht im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr eines Eingriffes in seine körperliche Unversehrtheit durch den Großvater seines Cousins, XXXX. Die afghanischen Behörden sind nicht dazu in der Lage, den BF ausreichend vor dieser physischen und/oder psychischen Gewalt durch den Großvater seines Cousins zu schützen. Dem BF steht keine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in Afghanistan offen.

1.4 Zur Situation im Herkunftsstaat

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 30.01.2018 und in der Schnellrecherche der SFH-Länderanlalyse vom 07.06.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Afghanistan ist damit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen.

Ehre und Vergeltung bei Ehrverletzungen (badal) spielen zentrale Rolle im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali) und sind vielfach zusätzlicher Auslöser für Gewalt. UNHCR weist mit Bezug auf verschiedene Quellen darauf hin, dass Vergeltung durch Blutrache auf einem traditionellen Verständnis von Verhalten und Ehre beruht. Eine Blutfehde besteht zwischen zwei Familien, wobei Mitglieder der einen Familie solche der anderen zur Vergeltung einer Tat töten. Die Blutrache sei hauptsächlich eine paschtunische Tradition und im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali) verankert, wird aber auch von anderen ethnischen Gruppen praktiziert. Auslöser einer Blutfehde könne ein Mord oder eine ungelöste Streitigkeit sein. Das Recht auf Rache und die Erwartung einer Vergeltung ist zentral für das nichtstaatliche Rechtssystem des Paschtunwali. Die Verantwortung für die Bestrafung von immoralischem Verhalten wie Diebstahl, Vergewaltigung oder Mord liegt nicht bei der Gemeinschaft, sondern beim Opfer, und Rache ist eine akzeptable Reaktion. Die Grenzen der Legitimität der Rache sind durch lokale Traditionen, die öffentliche Meinung und den Paschtunwali bestimmt. Wird keine Rache ausgeübt, kann dies als moralische Schwäche ausgelegt werden, die auf ganze Familienverbände bezogen werden kann. Sowohl das Anzeigen eines Mordes bei den staatlichen Behörden als auch Verhandlungen über finanzielle Entschädigung mit der Täterfamilie können als Schwäche und als Zeichen ausgelegt werden, dass die Familie nicht stark genug ist, ihre Ehre zu verteidigen. Der Familienverband des Opfers hat eine kollektive Verantwortung, Vergeltung zu üben und die Ehre wiederherzustellen. Blutrache ist in Afghanistan sowohl auf dem Land als auch in den Städten einschließlich Kabul und zwischen allen Volksgruppen verbreitet. Blutrache kann auch nach Jahren oder Jahrzehnten ausgeübt werden. Blutrache zielt hauptsächlich auf diejenige Person ab, die einer Tat wie beispielsweise eines Mordes bezichtigt wird, unabhängig von ihrem Alter. Unter bestimmten Bedingungen kann auch die Tötung des Bruders des Täters oder eines anderen Verwandten der väterlichen Linie eine Alternative darstellen. Es gibt keine klaren Regeln für die Ausübung von Blutrache, wie beispielsweise ein Mindestalter, ab dem eine Person Ziel einer Blutrache werden kann. Wenn eine Familie Rache üben wolle, würde sie nach einer Gelegenheit dafür suchen.

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums. Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums.

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen.

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden. Die Polizei (ALP) wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Staatliche Institutionen bieten kaum Schutz vor Blutrache. Der Zugang zu staatlichem Schutz hängt von finanziellen Mitteln und vom Einfluss der betroffenen Familie ab. Generell kann die Polizei von einer Blutrache betroffene Personen nicht wirksam schützen.

Die strategisch bedeutsame Provinz Parwan, die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, liegt 64 km nördlich von Kabul. Die Provinz Parwan grenzt an die Provinzen (Maidan) Wardak, Bamyan, Baghlan, Panjshir und Kapisa. Charikar ist die Provinzhauptstadt, während Jabal Saraj, Salang, Sayed Khel, Shinwar, Syiah Gird, Shikh Ali, Ghorband und Shurk Parsa zu den restlichen Distrikten zählen. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 675.795 geschätzt, und die der Provinzhauptstadt Charikar auf 57.746. Rund 70% der Bevölkerung sind ethnische Tadschiken, 18% Paschtunen und 11% Hazara - Turkmenen kommen auf 1%.

Das Bagram Airfield liegt in der Provinz Parwan. Als eine der sichersten Einrichtungen in Afghanistan ist dieser Flughafen Ziel von high-profile Angriffen durch Taliban und andere Aufständische. Aktiv sind die Taliban unter anderem in dem abgelegenen Dorf Dara Saidan in der Provinz. Militärische Operationen werden in der Provinz durchgeführt und Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Taliban finden statt. Die Polizei hat in der Vergangenheit große Drogenmengen auf der Route der nördlichen Regionen beschlagnahmt. Etwa 100 Personen wurden in Zusammenhang mit Drogenschmuggel im Norden verhaftet. Die Provinz Parwan zählt nach den notorischen EASO Richtlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 zu jenen Provinzen, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr bestehen kann, dass der Antragsteller ernsthaften Schafen an Leib und Leben im Sinne von Artikel 15(c) der Status Richtlinie nehmen könnte, vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Die Provinz Helmand, die Herkunftsprovinz XXXX und seines Großvaters, hat eine Fläche von 36.402 km2 und ist damit die größte Provinz Afghanistans. Helmand ist eine der landwirtschaftlich fruchtbarsten Provinzen Afghanistans. Das Klima eignet sich zum Anbau eines großen Spektrums an Kulturen, so auch Opium, welches in hohem Maße die Finanzen der Taliban stützt. Helmand zählt zu den volatilen Provinzen in Südafghanistan, in welcher Talibanaufständische in verschieden Distrikten operieren und öfters Angriffe durchführen.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist generell festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Korruption ist eines der großen Probleme Afghanistans, welches auch die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst. Auf dem Korruptionsindex des Jahres 2015 belegte Afghanistan von 168 Ländern den 166. Platz. Dem Bericht von Asia Foundation zufolge, sind 90% der Afghan/innen im Alltag Korruption ausgesetzt; angegeben wurde hauptsächlich Bestechungsgelder an Polizei und Regierungsbeamte zu bezahlen. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist - Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und des Drogenhandels verstärken das Problem.

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Kabul und Mazar- e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33,3 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welcher auch der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Paschtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Diese gesellschaftlichen Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf.

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10 bis 15 % Schiiten, wie es auch der BF ist. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam.

Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran. Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen. Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

2. Beweiswürdigung

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Angaben der persönlichen Verhältnisse des BF ergeben sich aus dem Akt, insbesondere auch aus der persönlichen Einvernahme des BF vor dem BVwG am 15.02.2018 und am 14.03.2018, aus der Einvernahme des Cousins des BF am 14.03.2018 bzw. aus den vom BF im Verfahren vorgelegten Urkunden. Das erkennende Gericht erachtet diese Angaben des BF und des Zeugen als glaubhaft.

2.2 Zu den Feststellungen zur Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das Vorbringen des BF hinsichtlich konkreten Anlasses des Verlassens des Herkunftslandes wird vom erkennenden Gericht - entgegen den Ausführungen im Bescheid der belangten - als in sich schlüssig, nachvollziehbar und in Summe als glaubhaft angesehen. Der BF zeigte sich in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG offen und bemüht, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken und vermittelte insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck. Das diesbezügliche Vorbringen des BF im Verlauf des Verfahrens ist schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, hinreichend substantiiert, angereichert mit lebensnahen Details sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

Der BF zeichnete insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 15.02.2018 in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten, das auch authentisch wirkende Emotionen zeigte, ein glaubhaftes Bild der geschilderten Vorfälle und vermittelte den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben. Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen des BF spricht auch, dass er während des gesamten Verfahrens in etwa die gleichen Angaben machte, und vor allem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018 sein Fluchtvorbringen zwar detaillierter ausführte, jedoch nicht übersteigerte. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde konnte der BF allfällige Widersprüche zu seinen Ausführungen in der Erstbefragung plausibel erklären. Die Aussagen des BF werden zusätzlich noch durch die zeugenschaftlichen Aussagen seines Cousins, Ahmand, vor dem BvWG am 14.03.2018 ergänzt. Auch eine Einsicht in das Urteil des Asylgerichtshofes vom 26.06.2012, Zl. XXXX , mit welchem XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, rundete den Gesamteindruck des BVwG ab.

Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid erachtet das erkennende Gericht die vom BF geschilderte Bedrohung seiner Person durch XXXX Großvater in Gesamtschau aus seinen Angaben, der Zeugenaussage XXXX am 14.03.2018 und dem genannten Urteil des Asylgerichtshofes mit den im Verfahren eingebrachten Länderberichten als glaubhaft.

Die Feststellungen zu XXXX und seiner Familie beruhen im Wesentlichen auf dessen Zeugeneinvernahme vor dem BVwG am 14.03.2018. Dabei gab dieser an, dass sein Vater Paschtune war, und seine Mutter, die Schwester des Vaters des BF, eine Hazara.

Der BF hat nach seinen glaubhaften Aussagen im gesamten Verfahren seit seinem zweiten oder dritten Lebensjahr im Eindruck der Angst vor XXXX Großvater gelebt. Dieser ist nach den Aussagen seines Enkels in der Provinz Helmand, wo auch XXXX geboren wurde, ein mächtiger Mann, der mit Drogen handelt und Einfluss hat. (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 14.03.2018). Er macht, wie viele andere Drogenhändler in Afghanistan auch, Geschäfte im Iran und hält auch Kontakte zu den Taliban. Sein Sohn, der Vater XXXX, zog mit seiner Familie und dem damaligen Kleinkind XXXX in das Heimatdorf des BF, wo auch der Bruder der Mutter von XXXX, der Vater des BF mit seiner Familie lebte. Diese Feststellung ergibt sich aus Zusammenschau der Feststellungen aus dem genannten Urteil des Asylgerichtshofes mit den Angaben des BF bei seiner Einvernahme am 15.02.2018 (vgl. S 6f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 15.02.2018)

XXXX Vater war in weiterer Folge Koch für die Taliban und spionierte auch für diese. Nach dem Ende des Talibanregimes war nicht nur der XXXX Vater, sondern dessen gesamte Familie Repressalien durch die Dorfbevölkerung ausgesetzt. XXXX Vater verstarb im Jahr 2002, nachdem er von Leuten geschlagen wurde (vgl. Zeugenaussage, S 6f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 14.03.2018 bzw. S 12 des Urteiles des Asylgerichtshofes vom 26.06.2012). Der BF war damals ca. 3 Jahre alt. Aus den Erzählungen seiner Eltern weiß der BF, dass seine Familie in etwa in dieser Zeit sein Heimatdorf verließ, und nach Kabul zog, weil der Großvater XXXX den Vater des BF beschuldigte, etwas mit dessen Tod zu tun zu haben (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 15.02.2018). Diese Aussage ist im Lichte der dem BVwG vorliegenden Informationen über den Cousin des BF und dessen Fluchtgrunde plausibel und nachvollziehbar. Ebenso plausibel ist, dass der BF über diese Zeit kaum Informationen hat, und auch keine eigenen Erinnerungen haben kann, weil er zu diesem Zeitpunkt erst um die drei Jahre alt war. Fakt ist auch, dass die Familie des BF zumindest seit dem Jahr 2002 auf der Flucht vor XXXX Großvater ist, wobei diese zuerst durch einen Umzug nach Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative wählte.

Die Familie des BF baute sich während der folgenden fünf Jahr in Kabul ein neues Leben auf, der Vater war Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts, der Familie ging es gut und der BF konnte die Schule besuchen. Dann geschah wieder ein Vorfall, bei welchem das Lebensmittelgeschäft des Vaters des BF angezündet wurde (vgl. AS 88). Der BF war zu diesem Zeitpunkt ca. acht Jahre alt. Da der Vater des BF einen Zusammenhang mit dem Tod seines Schwagers und der daraus resultierenden Bedrohung durch dessen Vater sah, floh die Familie neuerlich und zog aus Kabul weg, um sich in Mazar-e Sharif niederzulassen. Obwohl der BF diesen ersten Vorfall in der Stadt Kabul anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018 nicht im Detail schilderte, geht die erkennende Richterin dennoch davon aus, dass dieser so passierte, wie der BF ihn bei seiner Ersteinvernahme vor der belangten Behörde aussagte. Der BF war in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018 sehr bemüht, an der Aufklärung des Sachverhaltes von sich aus mitzuwirken (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018)

Auch in Mazar- e Sharif gab es einen Vorfall, bei welchem der BF als ca. 10-jähriges Kind beinahe von zwei Männern entführt worden wäre. Der Vater des BF brachte diese versuchte Entführung mit XXXX Großvater in Verdingung, weswegen dieser Vorfall die Familie des BF neuerlich bewog, aus Mazar- e Sharif zu fliehen, und wieder nach Kabul zurückzukehren (vgl. S 12 f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018). Der BF hat an diesen Vorfall in Mazar- e Sharif noch lebhafte Erinnerungen, er weiß sogar noch, welche Kleidung er damals trug (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Es ist auch plausibel und schlüssig, dass der BF um die näheren Umstände der neuerlichen Flucht der Familie von Mazar- e Sharif nach Kabul nicht genau Bescheid weiß. Der BF war damals ein Kind, und es ist der afghanischen Tradition entsprechend nicht anzunehmen, dass Eltern mit ihren Kindern die Gründe, weswegen die Familie neuerlich übersiedelte, im Detail erörtern.

In Kabul lebte die Familie wieder einige Jahre in Frieden. Der BF kann sich daran erinnern, dass seine Eltern nach der versuchten Entführung in Mazar-e Sharif besonders vorsichtig waren, und er nur das Haus verlassen durfte, um in die Schule zu gehen bzw. seinem Vater im Lebensmittelgeschäft zu helfen (vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018) Diese Aussage deckt sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung von Eltern und spricht auch dafür, dass die Familie des BF auch in Kabul nach wie vor in Angst vor XXXX Großvater lebte, und ihm zutraute, dass er diese wird wieder finden können.

In der Zwischenzeit war XXXX, der Cousin des BF, aufgrund des Drucks, den die Bevölkerung auf ihn und seine Familie wegen der Tätigkeit seines Vaters für die Taliban ausübte, zuerst in den Iran, und nachdem er nach ca. zweijährigem Aufenthalt von dort wieder nach Afghanistan abgeschoben wurde, aus Afghanistan nach Europa geflohen (vgl. Urteil des Asylgerichtshofes vom 26.06.2012 und Zeugenaussage, S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 14.03.2018). Er erhielt in weiterer Folge in Österreich internationalen Schutz (Urteil des Asylgerichtshofes vom 26.06.2012). Nachdem seine Schwester im Jahr 2012 an Krebs erkrankte und XXXX erfahren hatte, dass sein Großvater ein reicher Mann ist, versuchte er im Jahr 2013 von ihm Geld für die Behandlungen seiner Schwester zu erbitten. Aus diesem Grund nahm er Kontakt zu seinem Großvater auf. Dieser wollte XXXX dazu bewegen, in das Drogengeschäft einzusteigen, was dieser jedoch ablehnte. In weiterer Folge wechselte XXXX mehrfach seine Telefonnummer, damit ihn sein Großvater nicht mehr erreichen kann. XXXX hatte von Österreich aus Kontakt zur Familie des BF, und diese wusste offensichtlich, dass er sich in Salzburg aufhielt (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 14.03.2018). Im Lichte dieser Ausführungen ist auch das Vorbringen des BF bei seiner Erstbefragung am 07.11.2015, wonach er zu seinem Fluchtgrund befragt angab, dass XXXX Großvater diesen finden wollte, und die Familie mit dem Umbringen bedroht hat (vgl. AS 11), plausibel, schlüssig und nachvollziehbar.

Im Jahr 2015 kam es zu zwei weiteren Vorfällen, bei welchem XXXX Großvater die Familie des BF in Kabul aufsuchte und bedrohte (vgl. AS 11, AS 88 und S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 15.02.2018) bzw. zwei Männer auf die Mutter des BF schossen. Der BF schilderte diese Vorfälle in allen seinen Einvernahmen in etwa gleichlautend, wobei er bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018 detaillierter darüber berichtete. Sowohl bei der Ersteinvernahme vor der belangten Behörde (vgl. AS 88 "Anmerkung: "Die VP beginnt zu weinen und verlässt Hals über Kopf den EV-Raum"), als auch bei seiner Einvernahme vor dem BVwG am 15.02.2018 (vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung "BF kämpft mit den Tränen") zeigte der BF eine tiefe Betroffenheit über diese Vorfälle, schilderte erlebnisbasierte Details, wodurch die erkennende Richterin davon ausgeht, dass diese Vorfälle tatsächlich stattfanden. Nachdem dies die letzten Vorfälle waren, die der BF in einem Alter von ca. 16 Jahren unmittelbar selbst erlebte, und die einen nachhaltigen Eindruck bei ihm hinterließen, ist es auch nachvollziehbar, dass er bei seiner Erstbefragung am 07.11.2015 diese Vorfälle als Grund für die Flucht seiner Familie aus Afghanistan in den Iran angab. Im Lichte der weiteren Einvernahmen ergibt sich für das BVwG jedoch ein Gesamtbild, wonach der BF und seine Familie bereits seit dem Jahr 2002 gezwungen waren, vor den Bedrohungen durch XXXX Großvater zu fliehen, und sich in verschiedenen Städten niederzulassen.

Die Schilderungen zu seinem Fluchtgrund decken sich auch mit den zu

1.4 zitierten Länderinformationen. Einerseits ist damit belegt, dass in der Provinz Helmand, der Herkunftsprovinz XXXX und seines Großvaters, Opium angebaut wird, und die Gelder aus dem Verkauf der Drogen auch zur Unterstützung der Taliban verwendet werden. XXXX Großvater ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in dieses Drogengeschäft verwickelt und hat Macht, Geld und Einfluss, wie dies sowohl der BF als auch sein Cousin in deren Einvernahmen vor dem BVwG bestätigen (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 15.02.2018 und Zeugenaussage, S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 14.03.2018).

XXXX Großvater, ein Paschtune, geht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Vater des BF etwas mit dem Tod seines Sohnes, der im Jahr 2002 im Heimatdorf des BF verstarb, zu tun hat. Aus den zitierten Länderinformationen zu Blutrache ist zu entnehmen, dass derartige Annahmen dazu führen, dass der Kreislauf der Blutrache in Bewegung gesetzt wird. Dafür spricht auch, dass die Familie des BF bereits seit dem Jahr 2002 mehrfach Vorfällen ausgesetzt gewesen war, die sie jeweils bewogen, zuerst aus dem Heimatdorf nach Kabul, dann aus Kabul nach Mazar- Sharif, dann aus Mazar- e Sharif nach Kabul, und zuletzt aus Kabul in den Iran zu fliehen. Ganz offensichtlich war es, entgegen den Ausführungen der belangten Behörde, XXXX Großvater möglich, die Familie des BF immer wieder zu finden, obwohl diese mehrfach den Wohnsitz wechselte. Der Grund für diese Bedrohungen der Familie des BF liegt einerseits darin, dass XXXX Großvater den Tod seines Sohnes rächen will, und andererseits darin, dass er von der Familie des BF den Aufenthaltsort seines Enkels und wohl auch dessen Kontaktdaten erfahren will, um diesen dazu zu bewegen, in sein Drogengeschäft einzusteigen.

In einer Gesamtschau der Angaben des BF im Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen des BF zu seiner Furcht vor XXXX Großvater in Afghanistan insgesamt glaubhaft, plausibel, schlüssig und nachvollziehbar.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche den BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

2.3 Zu den Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers

Im Lichte der Ausführungen zu den Fluchtgründen des BF unter 2.2. ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr eines Eingriffs in seine körperliche Unversehrtheit durch den Großvater seines Cousins, XXXX, ausgesetzt ist. Aus den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass die afghanischen Behörden nicht in der Lage sind, den BF vor derartigen Bedrohungen des BF zu schützen. Nachdem die Familie des BF bereits seit dem Jahr 2002 auf der Flucht vor XXXX Großvater ist, und es diesem immer wieder gelang, die Familie des BF auch nach Jahren zu finden, wird davon ausgegangen, dass dem BF in Afghanistan keine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative zur Verfügung steht.

2.4 Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen und wurden, mit Ausnahme der notorischen EASO Leitlinie zu Afghanistan vom Juni 2016, die der Rechtsvertretung des BF bekannt ist, den Parteien des Verfahrens zur Kenntnis gebracht, es wurde allen Parteien mehrfach die Gelegenheit geboten, hierzu Stellung zu nehmen. Bei den genannten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten entscheidungsrelevanten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (Aktualisierungen des Länderinformationsblatts 23.11.2018) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Von einer (weiteren) Aktualisierung der Länderfeststellungen konnte daher abgesehen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Im Rahmen der asylrelevanten Fluchtgründe iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK stellt das Anknüpfungsmerkmal der soziale Gruppe einen Auffangtatbestand dar, der eine sachlich nicht gerechtfertigte Repression umfasst, die ausschließlich Personen betrifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen und die somit nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten, sei es, dass dieses Merkmal unabänderlich ist, sei es, dass diesem Merkmal eine dermaßen bedeutsame Funktion für die Identitätsstiftung oder Gewissensbildung zukommt, dass den Gruppenmitgliedern ein Verzicht auf dieses Merkmal nicht zugemutet werden kann (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; VwSlg. 17.225 A/2007, jeweils mwN; vgl. auch Art 10 Abs 1 lit d Statusrichtlinie).

Ein unabänderliches Merkmal, das den Verfolgungstatbestand der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfüllt, kann auch die Zugehörigkeit zu einem Familienverband darstellen (s. VfGH 20.2.2014, U1067/2012) und zwar unabhängig davon, ob die Zugehörigkeit zu einem Familienverband den Grund für eine Verfolgung von staatlicher Seite darstellt (s. etwa VwSlg. 15.743 A/2001; VwGH 24.6.2004, 2002/20/0165) oder ob auf Grund der Angehörigeneigenschaft Verfolgung von privater Seite droht, der Staat aber nicht fähig oder willig ist, dem Verfolgten Schutz zu gewähren (s. etwa VwGH 14.1.2003, 2001/01/0508; 16.12.2010, 2007/20/1490). Eine derartige asylrelevante Verfolgung ist gegeben, wenn eine Person auf Grund ihrer Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied verfolgt wird, dem seinerseits aus anderen Konventionsgründen, etwa wegen seiner politischen Gesinnung, Verfolgung droht, mithin die Verfolgung auf das Familienmitglied "durchschlägt" (vgl. zur so genannten Sippenhaftung etwa VwSlg. 15.743 A/2001; VwGH 14.1.2003, 2001/01/0508). Der Fluchtgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie kann aber auch dann erfüllt sein, wenn der einzige Grund für die Verfolgung einer Person ihre Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied ist, bei dem selbst entweder gar keine asylrelevante Verfolgung oder ebenfalls nur die Zugehörigkeit zum Familienverband als Anknüpfungsmerkmal iSd GFK vorliegt (vgl. VwGH 21.3.2007, 2006/19/0083 bis 0085 mwN; 4.3.2008, 2006/19/0358; 26.5.2009, 2007/01/0077; 16.12.2010, 2007/20/1490; vgl. auch Aleinikoff, Protected characteristics and social perceptions: an analysis of the meaning of 'membership of a particular social group', in: Feller/Türk/Nicholson [Hrsg.], Refugee Protection in International Law, 2003, 263 [306]).

Eine derartige Konstellation, in der die Angehörigeneigenschaft bei sämtlichen verfolgten Familienmitgliedern das einzige Anknüpfungsmerkmal iSd GFK ist, liegt vor, wenn sich die private Verfolgung auf Grund eines Verhaltens, das die Verfolger einem Familienmitglied anlasten, gegen einen unbeteiligten Dritten bloß wegen dessen Abstammung richtet (vgl. zur so genannten Blutrache VwGH 26.2.2002, 2000/20/0517; 22.8.2006, 2006/01/0251).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Der BF hat glaubhaft dargelegt, dass seine Familie und er vom Großvater seines Cousins, XXXX, seit dem Jahr 2002 verfolgt und bedroht werden, weil dieser davon ausgeht, dass der Vater des BF etwas mit dem Tod seines Sohnes zu tun hat. Der Familie des BF droht daher Blutrache.

Zwar handelt es sich bei XXXX Großvater nicht um einen staatlichen Akteur, sondern eindeutig um einen privaten Verfolger, doch kann angesichts der angeführten Berichtslage nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig wären, um die den BF von seinem Verfolger ausgehende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden. Aus den Länderberichten lässt sich ableiten, dass in Afghanistan derzeit - insbesondere außerhalb der Städte - kein funktionierender Sicherheits- oder Justizapparat besteht. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage und auch nicht gewillt wären, den BF angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos in ausreichendem Maß zu schützen.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kommt einer von privaten Personen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einen Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat den Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra2014/18/0112, VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233).

Der BF stützt sich mit seinem Antrag auf internationalen Schutz auf einen Konventionsgrund, genauer jenem der soziale

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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