Entscheidungsdatum
04.12.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W175 2109754-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2015, Zahl: 820641207-2063505, nach
Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag, dem Beschwerdeführer unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben, wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 8a VwGVG iVm § 52 Abs. 1 BFA-VG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
II. Der Antrag, dem Beschwerdeführer unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben, wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 8a VwGVG iVm § 52 Abs. 1 BFA-VG als unzulässig zurückgewiesen.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 24.05.2012 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1
Z 13 Asylgesetz 2005 (in Folge: AsylG) und wurde am 24.05.2012 einer Erstbefragung unterzogen. Hierbei gab er an, aus Afghanistan aus dem Dorf S zu stammen; das Dorf liege in der Provinz Nangarhar. Vor ca. 8 bis 9 Monaten habe er mitbekommen, dass die Taliban im Dorf einen Anschlag auf die US Soldaten hätten ausführen wollen. Er habe Angst bekommen, den Notruf gewählt und den Vorfall geschildert. Da die US Soldaten zuvor einen Angriff auf diese Personen durchgeführt und einige von den Taliban getötet hätten, habe dieser Anschlag nie stattgefunden. Nach einigen Tagen seien dann die Taliban zur Familie des BF gekommen und hätten seinen Vater getötet. Sie hätten den BF mitgenommen und ihn in Haft gehalten. Sie hätten ihn täglich misshandelt und nach 16 Tagen freigelassen. Nachdem seine Eltern verstorben seien und der BF Angst vor den Taliban gehabt habe, habe er Afghanistan unbedingt verlassen wollen. Er sei von Afghanistan in den Iran und danach weiter über Griechenland nach Europa gereist.
Nachdem der BF in der Erstbefragung angab, am XXXX geboren worden und demnach minderjährig zu sein, wurde in weiterer Folge am 04.07.2012 ein Röntgenbefund angefertigt. Aus diesem ist folgendes Ergebnis ersichtlich: "GP 31, Schmeling 5. NB: Metalldichter Fremdkörper in der distalen Phalanx des 3. Strahls offenbar intraossär gelegen (AS 67)".
In der Einvernahme vom 02.08.2012 gab der BF wiederholt an, dass seine Eltern verstorben seien, er keine Geschwister habe und 16 Jahre alt sei. Über Vorhalt des Röntgenergebnisses, welches auf seine Volljährigkeit hinweise, gab der BF an, bei seinen Angaben zu bleiben; er sei 16 Jahre alt. Er werde noch eine Geburtsurkunde vorlegen. Sollten Zweifel an seinem Alter bestehen, sei er mit einer Altersfeststellung einverstanden.
Das in weiterer Folge in Auftrag gegebene Altersgutachten vom 19.09.2012 hat - unter Berücksichtigung einer Schwankungsbreite der Untersuchungsergebnisse - ein Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt von 17 Jahren für den BF ergeben.
Mit Beschluss eines näher bezeichneten Bezirksgerichts vom 22.03.2013 wurde dem Amt für Jugend und Familie die Obsorge für den minderjährigen BF übertragen.
Am 26.06.2013 wurde der BF einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt unterzogen. Hierbei legte er einige integrationsbestätigende Unterlagen vor und gab an, in Afghanistan regelmäßig in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein, weil er Tuberkulose gehabt habe; diese sei jetzt aber ausgeheilt. Er sei auch in Österreich untersucht worden. Er nehme Schmerzmittel ein, die ihm ein Arzt in Österreich verschrieben habe; er sei hier aber nicht in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Die im Akt aufliegende Tazkira habe ihm ein Freund geschickt. Der BF sei in Jalalabad geboren und habe dort die Schule besucht. Die letzten 4 - 5 Jahre habe er im Dorf Shechmesri Khargote in der Provinz Nangarhar gemeinsam mit seinen Eltern gelebt. Drei Monate vor seiner Ausreise sei sein Vater gestorben; einen Monat danach seine Mutter. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden; seine Mutter sei durch den dadurch verursachten Stress und die Schwierigkeiten gestorben. Der BF habe keine Geschwister, aber noch zwei Onkel und eine Tante. Der BF habe in der Heimat mit seinem Vater im Geschäft gearbeitet; seine Familie habe keine Landwirtschaft gehabt; nur ein Haus. Ein Onkel habe eine Apotheke; der andere sei bei der internationalen Armee gewesen. In Österreich habe der BF keine familiären Anknüpfungspunkte. Er würde hier aber gerne die Berufsschule besuchen und einen Beruf erlernen.
Nachdem der BF erneut zu seinen Fluchtgründen befragt wurde, gab er zusammengefasst an, dass er damals gemeinsam mit seinem Vater im Geschäft - einer Schneiderei - gearbeitet habe; sie hätten Kleidung für die internationale Armee, aber auch für private Personen angefertigt. Eines Abends seien sie am Heimweg von der Arbeit von bewaffneten Personen angehalten und gefragt worden, warum sie zu dieser Zeit noch unterwegs seien. Sie seien nach ihrer Adresse gefragt sowie gewarnt worden, dass sie nicht so spät unterwegs sein sollten. Zu Hause habe der Vater des BF den Vorfall gemeldet. Danach seien Personen von der staatlichen Behörde gekommen; es habe eine Schießerei gegeben; es seien auch Personen festgenommen worden. Einen Monat später seien unbekannte Personen zum Haus der Familie des BF gekommen und hätten den BF und seinen Vater mitgenommen; jeder sei in ein anderes Auto verbracht worden. Sie hätten den BF in einen dunklen Raum gesperrt und ihm erst einige Tage danach den Grund dafür genannt; sie hätten ihm gesagt, dass sie von ihm und seinem Vater an die Polizei verraten worden und dadurch Leute umgekommen wären. Sie hätten ihm auch gesagt, dass sie seinen Vater getötet hätten. Die Taliban hätten vom BF verlangt, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er hätte wieder im Geschäft arbeiten und die Adressen von jedem Kunden (der internationalen Armee) an die Taliban weitergeben sollen, was er jedoch verweigert habe. Daraufhin sei er bewusstlos geschlagen worden und erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Als er nach Hause gekommen sei, habe er erfahren, dass es seiner Mutter gesundheitlich sehr schlecht gegangen und sie von einem Onkel für Untersuchungen nach Pakistan gebracht worden sei. Einige Tage danach sei seine Mutter verstorben. Der BF habe sich bis zu seiner Ausreise bei seinem Onkel versteckt gehalten. Er sei nur einmal zur Ausstellung seines Passes und einmal zur Ausstellung eines Visums mit seinem Onkel zu den Behörden gegangen. Bis zu seiner Ausreise habe es keine weiteren Vorfälle gegeben.
Mit Eingabe vom 10.07.2014 wurde weitere integrationsbestätigende Unterlagen den BF betreffend an das Bundesamt übermittelt.
Im Zuge der Einvernahme vom 12.11.2014 gab der BF an, der Volksgruppe der Pashtunen anzugehören, Moslem und Sunnit zu sein. Zudem wiederholte der BF im Wesentlichen seine Fluchtgründe und wurde noch nach mehr Details der von ihm geschilderten Entführung gefragt. Hiezu gab er an, dass er aufgrund der Kommunikation der Männer untereinander - sie hätten sich mit Mullah angesprochen - davon ausgehe, dass es Taliban gewesen seien. Als sie zu ihnen nach Hause gekommen seien, habe er nicht genau bemerkt, wie sie aussehen würden. Die bewaffneten Personen hätten ihn und seinen Vater gefesselt und ihnen die Augen verbunden. Der BF sei dann im Kofferraum eines Autos in einen dunklen Raum gebracht worden; er habe daher nicht mitbekommen, was mit seinem Vater geschehen sei. Als er wieder zu Hause gewesen sei, habe man ihm bestätigt, dass sein Vater getötet und seine Mutter zur Behandlung nach Pakistan gebracht worden sei. Sie habe Herzprobleme bekommen, die in Afghanistan nicht hätten behandelt werden können. Dazu befragt, ob für den BF nicht die Möglichkeit bestanden hätte, innerhalb von Afghanistan zu flüchten, gab dieser an, damals 15 Jahre alt gewesen zu sein. Ohne Unterstützung sei es nicht möglich, alleine in einer Stadt zu überleben. Zudem bestehe auch die Gefahr, in einer Stadt wie Kabul gefunden zu werden. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan müsste der BF entweder in den Dschihad ziehen oder er würde getötet werden. Hinsichtlich der Situation seiner beiden Onkel führte der BF aus, zuletzt vor zwei Monaten mit ihnen telefoniert zu haben. Er telefoniere alle zwei Monaten mit ihnen. Er habe bislang nicht gehört, dass sie Probleme gehabt hätten. Im Zuge der Einvernahme legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Es handelt sich hierbei um u.a. Unterstützungsschreiben, Deutschkursbestätigungen, Schulzeugnisse und Teilnahmebestätigungen sowie eine Übersetzung der vorgelegten Tazkira.
Mit weiterer Eingabe vom 13.11.2014 wurde der Antrag auf Zustellung der Länderinformationsblätter sowie auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gem. § 51 AsylG 2005 gestellt. Zudem wurde auf die Liste der (vorgelegten) Integrationsunterlagen des BF verwiesen.
Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) mit Bescheid vom 10.06.2015, Zahl 820641207-2063505, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem BF den Status eines Asylberechtigten nicht zu. Das BFA erkannte dem BF weiters den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung gültig bis 10.06.2016 (Spruchpunkt III.).
In der Bescheidbegründung traf die Erstbehörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Er habe zusammengefasst angegeben, dass er aufgrund der Taliban aus Afghanistan geflohen wäre, jedoch seien seine vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gewesen. Im Fall des BF gehe das Bundesamt aber derzeit davon aus, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen des subsidiären Schutzes vorliegen würden, da es sich bei ihm um eine unbegleitete minderjährige Person handle und er über kein soziales Netz in Afghanistan verfüge.
Mit Verfahrensanordnung vom 11.06.2015 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig zur Seite gestellt.
Mit Schreiben vom 29.06.2015 brachte der BF das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem der Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochten und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beantragt wurde.
In der Beschwerdebegründung wurde ausführt, dass es die belangte Behörde zur Gänze unterlassen habe, sich mit der Bedrohung beziehungsweise Verfolgung des BF durch die Taliban auseinander zu setzen. Hätte die belangte Behörde entsprechende Länderberichte herangezogen, hätte sie zu der Feststellung kommen müssen, dass das Vorbringen des BF in Bezug auf die drohende Verfolgung durch die Taliban in den Länderfeststellungen Deckung finde und der BF aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung, Entführung und Zwangsrekrutierung geflohen sei. Auch unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde selbst angeführten Quellen sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden könne. Ebenso hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass sich der Lebens- und Kleidungsstil des BF aufgrund seiner langen Abwesenheit aus Afghanistan und seines Aufenthaltes im westlich geprägten Ausland verändert habe. Das BFA habe im vorliegenden Fall nicht näher erhoben, inwieweit sich der BF von den vorherrschenden traditionellen konservativen Wertevorstellungen in Afghanistan distanziert und sich zunehmend an den "westlichen" Lebens- und Kleidungsstil angepasst habe. Angesichts der Angaben des BF, wonach dieser zurzeit in eine Modeschule gehe, wäre dies jedoch erforderlich gewesen. Der UNHCR nehme auch für afghanische Männer, die nicht gewillt seien, sich entsprechend der Interpretation des Islams der Taliban zu verhalten, eine asylrelevante Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aus politischen bzw. aus religiösen Gründen an. Der BF sei nicht gewillt, sich den traditionellen Werten in Afghanistan im Allgemeinen und im Besonderen jenen der Taliban zu unterwerfen und befürchte daher bei seiner Rückkehr aufgrund seines religiösen bzw. politischen Verhaltens bzw. aufgrund der ihm unterstellten politischen Gesinnung, welche in Afghanistan als unislamisch interpretiert werde, verfolgt zu werden. Beim BF handle es sich um einen jungen Mann im wehrfähigen Alter, der bereits ins Visier der Taliban geraten sei. Nach der Ermordung des Vaters hätten die Taliban beim Nachbarn des BF immer wieder nach dem BF gefragt. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sei daher eine Verfolgung beziehungsweise Zwangsrekrutierung durch die Taliban keinesfalls auszuschließen. Zuletzt wurde in der Beschwerde der Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers gestellt.
Mit Eingaben vom 04.07.2017 wurden weitere integrationsbestätigende Unterlagen den BF betreffend übermittelt. Es handelt sich hierbei um das Schulabschlusszeugnis des BF in der Fachschule für Mode sowie ein Anerkennungszertifikat für außerordentliches Engagement bei Schulveranstaltungen und Wettbewerben.
Am 14.11.2018 fand eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Zu seiner Person gab der BF an, dass er in Afghanistan in Jalalabad und die letzten drei Jahre in "S"(ca. 40 Minuten von der Jalalabad entfernt) gelebt habe. Er sei nur drei Jahre lang in die Schule gegangen, danach habe er bei seinem Vater als Schneider gearbeitet. Sie hätten sieben Mitarbeiter, ein Büro und eine Werkstatt gehabt. Sie hätten dort Kleidung für die Zivilbevölkerung, aber auch für das Militär genäht. In Österreich habe er auch eine Ausbildung für die Schneiderei gemacht und abgeschlossen. Der BF wurde sodann erneut ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und gab im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er und sein Vater zunächst eines Nachts von bewaffneten Leuten angehalten worden seien; sie hätten gedacht, es wären Räuber oder Leute der Taliban gewesen. Die Leute hätten sie gewarnt, in Zukunft nicht mehr zu dieser Zeit unterwegs zu sein. Sie hätten zum BF und seinem Vater gesagt, dass sie lieber vergessen sollten, sie gesehen zu haben. Nachdem der Vater den Vorfall der Polizei geschildert habe, seien sie ca. einen Monat später von fremden Leuten zu Hause entführt worden. Vom Nachbar beziehungsweise Onkel wisse er, dass sein Vater getötet worden sei. Der BF selber sei in Gefangenschaft mehrmals dazu überredet worden, für die Taliban zu arbeiten. Es wäre seine Aufgabe gewesen, sie über jene Militärangehörigen zu informieren, die als Kunden zu ihm in die Schneiderei kommen würden beziehungsweise ihnen den Zeitpunkt zu nennen, wann diese ihre genähte Kleidung wieder übernehmen würden. Er habe aber abgelehnt. Er sei auf den Kopf und auf die Schulter geschlagen worden und ohnmächtig geworden. Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er sich in einem Krankenhaus befunden. Er wisse jedoch nicht, wie er dort hingekommen sei; er habe diesbezüglich auch nicht die Ärzte gefragt. Als er im Krankenhaus aufgewacht sei, sei er noch höchstens 15 bis 20 Minuten dort geblieben und sei danach nach Hause gegangen.
Über Nachfrage des anwesenden Rechtsvertreters gab der BF noch an, dass er trotz der langen Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban wieder gefunden werden könnte. Zudem sei er "anders geworden" und es wäre für ihn sehr schwierig, dort wieder Fuß zu fassen. Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass er als Rückkehrer erkannt werden könnte. Es sei an der Tageordnung, dass man als Rückkehrer als Ungläubiger bezeichnet werde. Über Vorhalt der Rechtsvertretung, dass der BF schon allein aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes und seines mittlerweile sehr modernen Lebens- und Kleidungsstils in Afghanistan sehr schnell auffallen würde, wurde er dazu gefragt, was er unter einem modernen Lebensstil verstehe. Hiezu gab er an, dass er in Afghanistan immer nur die afghanische Nationalkleidung getragen und fünf Mal täglich gebetet habe. Er führe hier ein anderes Leben. Beispielsweise könne er hier trinken und habe weibliche Schulfreunde; all das wäre in Afghanistan nicht möglich.
Im Zuge der Einvernahme legte der BF eine schriftliche Stellungnahme zur Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar, eine Visitenkarte seiner Schneiderei sowie das Ergebnis einer Magnetresonanztomographie des rechten Schultergelenks betreffend vom 07.01.2017 vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:
-
den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung am 24.05.2012, die Niederschrift der Einvernahmen vor dem BAA und BFA am 02.08.2012, 26.06.2013 sowie am 12.11.2014 und die Beschwerde vom 29.06.2015
-
die im Bescheid des BFA getroffenen Länderfeststellungen sowie durch die Einsichtnahme in aktuelle, dem BVwG vorliegende aktuelle Länderfeststellungen
Weiters herangezogen wurden die Angaben des BF in der Verhandlung vor dem BVwG am 14.11.2018.
2. Feststellungen (Sachverhalt):
2.1. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig. Er war nicht politisch aktiv.
2.2. Die Angaben über die Organisation und Abwicklung der Ausreise nach Österreich sind nicht gegenstandrelevant. Eine weitere Überprüfung erübrigt sich.
2.3. Der BF ist in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft, noch wurde er jemals inhaftiert oder hatte mit den Behörden des Herkunftsstaates sonstige Probleme.
Eine wie auch immer geartete Verfolgung in seiner Heimat aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung konnte der BF weder glaubhaft machen, noch geht sie aus dem Akt hervor.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie auch immer gearteten Verfolgungsgefahr (durch die Taliban) ausgesetzt sein wird.
Der BF konnte eine an asylrelevante Merkmale im Sinne der GFK anknüpfende Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft machen, noch kam eine solche im Verfahren sonst wie zu Tage.
3. Beweiswürdigung:
3.1. Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA, und dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Akt des BVwG.
3.2. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese rein auf den Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA sowie vor dem BVwG und in der Beschwerde, sowie auf der Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen Verfahren.
Das Vorbringen des BF war in seiner Gesamtheit - wie noch auszuführen sein wird - nicht geeignet, die Notwendigkeit weiterer Erhebungen zu bedingen, in deren Zusammenhang oder zu deren Durchführung der korrekte Name des BF notwendig gewesen wäre. Zur Individualisierung der Person als Verfahrenspartei war der vorgebrachte Name ausreichend.
3.3. Die Feststellungen zur Ausreise, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt. Eine weitere Überprüfung hiezu erübrigt sich, da es für das Fluchtvorbringen nicht relevant ist.
3.4. Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates beruht auf den Angaben des BF in der Erstbefragung, in den Einvernahmen vor dem BAA und BFA und in der Verhandlung vor dem BVwG.
Wie sich aus der Erstbefragung und den Einvernahmen vor dem BAA und BFA ergibt, hatte der BF ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel oder Belege vorzulegen. Der BF wurde vom BAA/BFA und vor dem BVwG auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe aufgefordert, sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Die Fragen waren prägnant und altersgerecht gehalten.
Der BF hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht seinen Antrag auf internationalen Schutz ohne unnötigen Aufschub zu begründen und alle zur Begründung des Antrages erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen, worauf der BF zu Beginn des Verfahrens auch hingewiesen wurde. Auch vor dem BVwG wurde der BF angehalten, wahrheitsgemäße Angaben zu machen.
3.5. Der BF begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit, dass er in der Heimat Probleme mit den Taliban gehabt habe und diese sogar seinen Vater getötet hätten. So hat er in der Erstbefragung davon berichtet, mitbekommen zu haben, dass die Taliban im Dorf des BF einen Anschlag auf die US Soldaten hätten ausführen wollen. Aus Angst habe er (sic) den Notruf in Afghanistan gewählt und den Vorfall geschildert; der Anschlag habe verhindert werden können. In der Einvernahme vom 26.06.2013 führte der BF aus, dass er und sein Vater eines Abends von bewaffneten Personen angehalten und gefragt worden seien, was sie noch so spät hier machen würden; sie sollten nicht so spät unterwegs sein. Zu Hause hätte sein Vater (sic) - und nicht wie zuvor angegeben der BF - den Notruf gewählt (AS 227). In der Befragung vom 12.11.2014 wiederholte der BF im Wesentlichen die Angaben vom 26.06.2013, gab jedoch noch weiters an, dass ihnen die bewaffneten Personen gesagt hätten, dass "dieses Treffen nie stattgefunden habe" (AS 363). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.11.2018 erwähnte der BF explizit noch einmal, dass die bewaffneten Leute zum BF und seinem Vater gesagt hätten, "dass sie lieber vergessen sollten, dass sie sie gesehen hätten".
Im vorliegenden Fall scheint es nicht nachvollziehbar, weshalb die Taliban - hätten sie tatsächlich einen Anschlag auf das Dorf der Familie des BF geplant - zwei Schneider aus dem Dorf in der Nacht aufhalten sollten, um sie lediglich darüber zu belehren, dass sie nicht so spät unterwegs sein und diesen Zwischenfall vergessen sollten, wodurch sie sich eigentlich erst erkennbar und verdächtig gemacht hätten.
Befremdend und unplausibel erscheint auch, dass sich der BF eigenen Angaben zufolge nicht weiter nach dem Telefonat zwischen seinem Vater und der Polizei erkundigt haben soll. Obwohl es um eine bewaffnete Gefährdungssituation mit den Taliban gegangen sein soll, in die der BF auch selbst involviert gewesen sei, sei er laut eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung danach "schnell schlafen gegangen; es sei für ihn nicht so interessant gewesen sei, um das Gespräch zwischen seinem Vater und der Polizei abzuwarten". Am Tag danach habe er mit seinem Vater über den Anruf gesprochen, aber nicht danach gefragt, was er gesprochen habe. Sein Vater hätte ihm auch nicht mehr über das Telefonat erzählt.
Unplausibel erscheinen auch die weiteren Angaben des BF, wonach er nach der Entführung und den Misshandlungen durch die Taliban in Gefangenschaft sowie seiner Weigerung, mit ihnen zu kooperieren, plötzlich in einem Krankenhaus aufgewacht sei, und dieses eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge danach bereits nach 15 bis 20 Minuten verlassen habe, ohne sich (bei den Ärzten) danach zu erkundigen, wie lange er dort aufhältig und wie er dort hingekommen sei beziehungsweise wer ihn dort hingebracht habe.
Zusammengefasst war dem Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates und zu seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat auf Grund der unglaubwürdigen, unplausiblen Angaben vor dem BAA, dem BFA sowie dem BVwG die Glaubhaftigkeit zu versagen. Auch sonst sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine konkret gegen die Person des BF gerichtete asylrelevante Verfolgung für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.
3.6. Soweit der BF eine Verfolgung als Rückkehrer behauptet, so ist es ihm nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung als Rückkehrer glaubhaft zu machen. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige Gruppenverfolgung kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden. Allfällige Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer ausgehen zu können.
3.7. In der Beschwerde wurde angeführt, dass sich der Lebens- und Kleidungsstil des BF aufgrund seiner langen Abwesenheit aus Afghanistan und seines Aufenthalts im westlich geprägten Ausland verändert habe; diesbezüglich wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der BF derzeit eine Modeschule besuche. In der mündlichen Verhandlung wurde erneut auf den modernen Lebens- und Kleidungsstil des BF verwiesen, woraufhin er genauer hiezu befragt wurde. Diesbezüglich gab er jedoch lediglich an, in Afghanistan immer die afghanische Nationalkleidung getragen und fünf Mal täglich gebetet zu haben, wohingegen er hier "in allen Aspekten des Lebens anders lebe", beispielsweise könne er hier trinken und habe weibliche Schulfreunde; dies wäre in Afghanistan so nicht möglich. Daraus allein lässt sich jedoch keine "westliche Orientierung" des BF erkennen beziehungsweise keine wesentlichen und lebensbestimmenden Verhaltensweisen, die der BF bereits so internalisiert hätte, dass sie einen Teil seiner Persönlichkeit ausmachen würden. Es ist dem BF aufgrund dieses Vorbringens nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Aus den vorhandenen Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen ist nicht ableitbar, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
3.8. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde sind im Verfahren auch sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine konkret gegen die Person des (mittlerweile) volljährigen BF gerichtete asylrelevante Verfolgung für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten. Aus dem in der Beschwerde geäußerten Vorbringen, wonach der BF aufgrund seines wehrfähigen Alters bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet sein könnte, konnte ebenso wenig eine tatsächliche, konkrete individuelle Verfolgungsgefahr für den BF erkannt werden. Weder aus den Länderberichten noch dem notorischen Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ist ersichtlich, dass jeder Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene automatisch einer Verfolgung auf Grund von drohender Zwangsrekrutierung in Afghanistan ausgesetzt wäre, weshalb die dahingehenden allgemeinen Ausführungen in der Beschwerde ins Leere gehen.
3.9. Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatstaates beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen beziehungsweise Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).
Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, dass der Inhalt des Bescheides des BFA an Rechtswidrigkeit leiden und eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegen würde, zumal im gesamten Verfahren vor dem BFA keinerlei Anhaltspunkte dahingehend ersichtlich sind, dass die belangte Behörde rechtswidrig oder gar willkürlich entschieden hätte. Vielmehr wurden dem BF ausreichende Möglichkeiten eingeräumt, sein Fluchtvorbringen darzulegen, gegebenenfalls zu ergänzen, beziehungsweise aufgetretene Unklarheiten oder Widersprüche zu beseitigen, sowie allfällige Beweismittel vorzulegen. Die maßgebenden Erwägungen, von denen sich die belangte Behörde bei ihrer Begründung leiten ließ, sind im angefochtenen Bescheid in umfassender und übersichtlicher Art dargelegt.
Die von der belangten Behörde im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid ausführlich dargelegten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem BVwG von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des BVwG, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Insoweit die belangte Behörde ihren Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt hat, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) I.:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl.
Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zahl: 99/01/0334; 21.12.2000, Zahl:
2000/01/0131; 25.01.2001, Zahl: 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zahl: 98/01/0370; 21.09.2000, Zahl: 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zahl: 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zahl:
94/20/0858; 23.09.1998, Zahl: 98/01/0224; 09.03.1999, Zahl:
98/01/0318; 09.03.1999, Zahl: 98/01/0370; 06.10.1999, Zahl:
99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zahl: 98/20/0233; 21.12.2000, Zahl:
2000/01/0131; 25.01.2001, Zahl: 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zahl:
98/01/0318; 19.10.2000, Zahl: 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zahl: 92/01/0792; 09.03.1999, Zahl: 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zahl: 94/19/0183).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zahl: 94/18/0263; 01.02.1995, Zahl: 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zahl: 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl: 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl: 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zahl: 98/01/0503 und Zahl: 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zahl: 98/20/0399; 03.05.2000, Zahl: 99/01/0359).
Der BF konnte keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende an asylrelevante Merkmale im Sinne der GFK anknüpfende Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen. Eine solche ist auch im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt. Dem BF wurde gerade aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan in Zusammenhang mit seiner individuellen Situation bereits der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchteil A) II.:
Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Fremden oder Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung (ausgenommen Entscheidungen nach § 53 BFA-VG und §§ 76 bis 78 AVG) oder einer Aktenvorlage gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. unterstützen und beraten Rechtsberater Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. verordnet der Bundeskanzler die Höhe der Entschädigung der Rechtsberater für den Zeit- und Arbeitsaufwand. Ist eine juristische Person mit der Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht betraut, verordnet der Bundeskanzler die Höhe der Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Rechtsberatung einschließlich der Dolmetschkosten in Form von Pauschalbeträgen pro beratenem Fremden oder Asylwerber. Die Entschädigung hat sich am zuvor eingeholten Angebot der betrauten juristischen Person zu orientieren.
Nach der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht kein Anspruch auf einen Verfahrenshilfeverteidiger, wenn eine Partei in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht einen Rechtsanspruch auf Vertretung durch einen Rechtsberater (§52 Abs. 1 BFA-VG) hat (26.04.2016, Zl. Ra 2016/20/0043).
Im gegenständlichen Fall beantragte der BF in der Beschwerde die unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers. Allerdings ist auf die besonderen Verfahrensbestimmungen im Asyl- und Fremdenwesen zur Beigebung eines Rechtsberaters hinzuweisen, der im vorliegenden Fall den gesetzlichen Vorschriften entsprechend auch dem BF beigegeben wurde und mit dessen Hilfe der BF auch die vorliegende Beschwerde eingebracht hat:
Im vorliegenden Verfahren wurde dem BF mit Verfahrensanordnung vom 11.06.2015 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig zur Seite gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass durch die Bestellung eines Rechtsberaters und im Hinblick auf dessen in § 52 Abs. 2 BFA-VG geregelten Aufgabenbereich eine zweckmäßige und ausreichende Wahrung der Interessen der beschwerdeführenden Partei auch nach Maßgabe unionsrechtlicher Bestimmungen und der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gewährleistet ist. Es ist weder aus § 8a VwGVG noch aus § 52 BFA-VG oder aus unionsrechtlichen Bestimmungen ein Anspruch auf die Bestellung eines weiteren Verfahrenshelfers ableitbar. Um nämlich ein den Grundrechten entsprechendes Verfahren zu gewährleisten, werden die Interessen durch den von Amts wegen bestellten Rechtsberater ausreichend wahrgenommen. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht notwendig, wobei zu beachten ist, dass die beschwerdeführende Partei ein umfangreiches Rechtsmittel unter Berücksichtigung höchstgerichtlicher Judikatur eingebracht hat.
Durch die Beigabe des Rechtsberaters ist der in Art. 47 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) normierte wirksame Zugang des BF zu Gericht gewährleistet.
Insgesamt ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im vorliegenden Fall liegen die tragenden Elemente der Entscheidung allein in der Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen und zu seiner allgemeinen Situation im Heimat- oder Herkunftsstaat, die auf den umfassenden und aktuellen Feststellungen der Behörde über die Lage im Heimat- oder Herkunftsstaat beruht, und demgemäß in Tatbestandsfragen.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR beziehungsweise auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Glaubwürdigkeit, individuelle Verfolgungsgefahr, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W175.2109754.1.00Zuletzt aktualisiert am
29.01.2019