TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/6 W251 2156032-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2018
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Entscheidungsdatum

06.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2156032-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2017, Zl. 1079770901 - 150943085, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 27.07.215 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Junge Leute haben keine Chance auf eine Ausbildung. Die Taliban und die neue IS-Gruppe würden sie (Anm. BVwG: die jungen Leute) zwingen mit diesen zu arbeiten. Da der Beschwerdeführer dies jedoch nicht wolle, sei er nach Europa gegangen um ein sicheres Leben aufzubauen.

3. Am 04.04.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass in Afghanistan seit Jahren Krieg herrsche. Die Jungen können keine Schule besuchen. Die Taliban und die Daesh würden die Jungen unter Zwang rekrutieren, Häuser durchsuchen und die Todesstrafe verteilen. Die Taliban haben zweimal versucht ihn mitzunehmen, er habe sich aber bei einem Brunnen versteckt. Die Taliban haben das Haus des Beschwerdeführers aufgesucht und verwüstet.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft habe machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Heimatregion des Beschwerdeführers sei zwar volatil, der Beschwerdeführer sei jedoch ein gesunder und junger Mann der sich in der Stadt Kabul niederlassen und sich dort ein Leben ohne unbilligen Härten aufbauen könne. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass der maßgebliche Sachverhalt von der Behörde nicht ermittelt worden sei. Die Taliban haben zweimal versucht den Beschwerdeführer mitzunehmen. Zudem sei dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der Beschwerdeführer könne auf Grund der Sicherheitslage nicht in seine Heimatprovinz zurück, eine Ansiedlung in der Stadt Kabul sei dem Beschwerdeführer jedoch auch nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer habe noch nie in Kabul gelebt und verfüge dort auch über kein soziales Netzwerk, er sei daher auf sich alleine gestellt und würde in eine ausweglose Situation geraten.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Sorgepflichten (AS1; Verhandlungsprotokoll vom 04.12.2018, OZ 16, S. 6).

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren. Er ist gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Schwester und vier Brüdern in der Stadt Kabul aufgewachsen (OZ 16, S. 7). Der Beschwerdeführer hat von 2004 bis 2014 in der Stadt Kabul die Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der Stadt Kabul gelebt (AS 1; AS 5). Der Beschwerdeführer hat keinen Beruf gelernt (OZ 16, S. 6).

Der Beschwerdeführer wurde mit den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig.

Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers leben noch in Afghanistan in der Stadt Kabul. Zwei Tanten mütterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits leben mit den Ehepartnern und deren Kindern im Iran. Eine Tante väterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Afghanistan. Vier Onkeln väterlicherseits des Beschwerdeführers leben in Afghanistan, zwei von diesen leben ebenfalls in der Stadt Kabul (OZ 16, S. 8-9). Der Beschwerdeführer hat zweimal im Monat über das Internet Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern (OZ 16, S. 8)

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest Juli 2015 durchgehend in Österreich auf (AS 3).

Der Beschwerdeführer hat nur sehr geringe Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht. Der Beschwerdeführer hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau des Alphabetisierungskurses bestanden. Die Deutschprüfung für das Niveau A1 hat der Beschwerdeführer nicht bestanden. Der Beschwerdeführer hat ein halbes Jahr einen Kurs zur Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss besucht (OZ 16, S. 11-12).

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er geht keiner regelmäßigen bezahlten Beschäftigung nach. Als der Beschwerdeführer die ersten eineinhalb Jahre in seiner ersten Unterkunft in Österreich untergebracht war, hat er in der Unterkunft ehrenamtliche Arbeiten ausgeführt. Seit der Beschwerdeführer in eine andere Unterkunft verlegt wurde, hat er keine ehrenamtlichen Arbeiten mehr ausgeübt (OZ 16, S. 12-13). Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich (OZ 16, S. 14).

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer Österreicherin hat.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund (OZ 16, S. 15).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer erwirbt und konsumiert gelegentlich Drogen in Österreich (OZ 16, S. 15; OZ 12).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan von den Taliban aufgesucht oder von diesen bedroht. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Die Taliban haben nicht versucht den Beschwerdeführer unter Zwang zu rekrutieren oder den Beschwerdeführer zu einer Zusammenarbeit zu überreden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass zwei Brüder des Beschwerdeführers verschollen sind.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlasen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

1.2.2. Der Beschwerdeführer hatte wegen seiner Religionszugehörigkeit und wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit keine Schwierigkeiten in Afghanistan.

1.2.3. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Kabul sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Heimatstadt Kabul kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Zudem kann der Beschwerdeführer zumindest vorübergehend Unterstützung durch seine in Kabul lebende Familie erhalten.

Zudem kann sich der Beschwerdeführer auch in der Stadt Mazar-e Sharif niederlassen. Der Beschwerdeführer verfügt dort zwar über kein familiäres oder soziales Netzwerk. Als alleinstehender, junger und gesunder Mann kann er jedoch in der Stadt Mazar-e Sharif, auf Grund der dort herrschenden Versorgungs- und Sicherheitslage, Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 19.10.2018 - LIB 19.10.2018, S.36).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 19.10.2018, S. 37).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 19.10.2018, S. 39).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 19.10.2018, S. 47).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 19.10.2018, S. 40).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 19.10.2018, S. 40). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 19.10.2018, S.40 ff).

Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt. In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen durch den die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 19.10.2018, S. 61f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich überwiegend in der Hauptstadt Kabul ereigneten (LIB 19.10.2018, S. 62f).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB 19.10.2018, S. 48).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt (LIB 19.10.2018, S. 63f).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch das Haqqani-Netzwerk soll Angriffe in der Stadt Kabul verübt haben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (LIB 19.10.2018, S. 64).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 19.10.2018, S. 79).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 19.10.2018, S. 80).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 19.10.2018, S. 80).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 19.10.2018, S. 79f).

Dürre:

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014 (Beilage ./VI, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Beilage ./V, S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (Beilage ./VI, S. 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Beilage ./V, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Beilage ./V, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Beilage ./V, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Beilage ./V, S. 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Beilage ./V, S. 15f).

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Beilage ./VI, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Beilage ./V, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Beilage ./V, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (Beilage ./VI, S. 10; Beilage ./V, S. 2).

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (Beilage ./VI, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Beilage ./V, S. 3; Beilage ./VI, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (Beilage ./VI, S. 2).

Rekrutierung durch die Taliban:

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Aus Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlenden Zukunftsperspektiven schließen sich viele den Taliban an (Beilage ./III, S. 12-13). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Beilage ./III, S. 14).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Beilage ./III, S. 18). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Beilage ./III, S. 19).

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 19.10.2018, S. 332f).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad (LIB 19.10.2018, S. 334 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 19.10.2018, S. 334).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 19.10.2018, S. 328).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 19.10.2018, S. 328f).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./IV, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./IV, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 19.10.2018, S. 341).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 19.10.2018, S. 342f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 19.10.2018, S. 343f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 19.10.2018, S. 344f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 19.10.2018, S. 345f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 19.10.2018, S. 346).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 19.10.2018, S. 346).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 19.10.2018, S. 289f).

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan, sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 19.10.2018, S. 294f). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 19.10.2018, S. 279). Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (LIB 19.10.2018, S. 282).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran. Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (LIB 19.10.2018, S. 283).

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen, dennoch gibt es lokale Diskriminierungsfälle. Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter sowie andere Regierungsposten (LIB 19.10.2018, S. 282).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Schiiten in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./VI (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 19.10.2018, Beilage ./II; Bericht Landinfo, Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, Beilage ./III;

Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./IV;

Anfragebeantwortung ACCORD, Folgen der Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018, Beilage ./V; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Lage in der Stadt Herat und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2108, Beilage ./VI).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angegebenen Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Bei der Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers findet in die Beweiswürdigung Eingang, dass es sich beim Beschwerdeführer bei den Einvernahmen teilweise um einen Minderjährigen handelte und das behauptete fluchtauslösende Ereignis in der Jugend zurückliegen würde, sodass die Dichte des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mit "normalen" Maßstäben gemessen werden kann (vgl. VwGH 24.09.2014, 2014/19/0020). Der Beschwerdeführer war bei der Erstbefragung ca. 17 Jahre alt. Bei der Einvernahme beim Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung war der Beschwerdeführer volljährig.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in der Stadt Kabul aufgewachsen ist, dort zur Schule gegangen ist und dort auch bis zur Ausreise gewohnt hat. Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung an, dass er von 2004 bis 2014 in Kabul in die Schule gegangen ist, er gab auch zweimal in der Erstbefragung eine Adresse in der Stadt Kabul als seine Wohnadresse im Heimatland an (AS 1, AS 5). Weiters führte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung aus, dass er seine Reisebewegung von dieser besagten Adresse in der Stadt Kabul aus begonnen habe. Bei den Angaben zur Fluchtroute wiederholte der Beschwerdeführer erneut, dass er seine Fluchtroute von Kabul aus begonnen habe (AS 7). Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass die Angaben bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechen, richtig protokolliert wurden und auch rückübersetzt wurden (AS 141). Auch in der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer trotz konkreter Befragung keine Unrichtigkeiten in den Protokollen nennen (OZ 16, S. 5). Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, kommen der Wahrheit in der Regel am nächsten (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH), sodass das Gericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführerin in Kabul gelebt hat und auch dort zur Schule gegangen ist, und nicht wie beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angegeben in der Provinz Maidan Wardak. Zudem ist von einem 17-Jährigen zu erwarten, dass er stringente Angaben zu seinem Wohnort machen kann, sodass davon auszugehen ist, dass die Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechen. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass er bei der Erstbefragung die Adresse seiner Großeltern angegeben habe, überzeugen das Gericht nicht und sind als Schutzbehauptung zu werten (OZ 16, S. 7).

Da der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und seinen Geschwistern aufgewachsen ist und der Beschwerdeführer in Kabul 10 Jahre lang die Schule besucht hat, ist davon auszugehen, dass er gemeinsam mit seiner Familie bisher in Kabul gelebt hat. Da die Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtvorbringen einerseits nicht glaubhaft sind und eine Verfolgung des Beschwerdeführers bzw. seiner Familie nicht festgestellt werden konnte (siehe Punkt II.2.2.) ist es für das Gericht unplausibel, dass die Familie des Beschwerdeführers die Stadt Kabul verlassen sollte. Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer noch über seine Eltern und Geschwister in der Stadt Kabul verfügt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Da der Beschwerdeführer in Afghanistan mit seiner Familie aufgewachsen ist, geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer nach den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert wurde. Dass der Beschwerdeführer anpassungsfähig ist, ergibt sich draus, dass der Beschwerdeführer noch in einem jungen und anpassungsfähigen Alter ist und er in Österreich in der Lage war sich zu orientieren und auch ehrenamtliche Arbeiten zu übernehmen.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem) sowie auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer konnte nur vage Angaben zu seinen Freunden manche, insbesondere konnte der Beschwerdeführer die Namen seiner Freunde nicht angeben. Der Beschwerdeführer gab auch an, keinen telefonischen Kontakt zu diesen zu haben, sondern diese lediglich zweimal in der Woche zum Fußballspielen zu treffen (OZ 16, S. 14f), sodass das Gericht nicht von engen sozialen Kontakten ausgeht.

Auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Freundin, mit der er bereits seit eineinhalb Jahren eine Beziehung habe, waren vage und ausweichend. So konnte er weder einen Nachnamen noch eine genaue Wohnadresse angeben (OZ 16, S. 14). Das Gericht konnte daher nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer eine Liebesbeziehung mit einer Österreicherin hat.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen konnten auch vom Gericht getroffen werden, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen nur teilweise verstanden hat und diese auch nur teilweise auf Deutsch beantworten konnte. Hinweise auf nachhaltige Integrationsschritte (soziale/berufliche Integration) des Beschwerdeführers in Österreich sind weder dem Verwaltungs- noch dem Gerichtsakt zu entnehmen und wurden auch im Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht vorgebracht.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gelegentlich Drogen erwirbt und konsumiert, ergibt sich zum einen aus dem Polizeibericht vom 02.02.2018 (OZ 12) dem zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer Cannabis bei sich hatte, sowie aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach er losgehe und Drogen kaufe, wenn er welche braucht, er würde mit Drogen zwar nicht handeln aber manchmal selber rauchen (OZ 16, S. 15).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr durch die Taliban, die Daesh bzw. den IS, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Vorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen detailliert und umfassend zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden. Er präsentierte insbesondere vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die er erst auf konkrete Nachfrage weiter ausführte. Selbst dann machte der Beschwerdeführer jedoch keine detailreichen oder lebensnahen Angaben. Zudem ergaben sich viele Unplausibilitäten und auch Widersprüche, die seine Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurück und in der Jugend des Beschwerdeführers liegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings trotz seines jungen Alters nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte konstruierte Rahmengeschichte handelt.

Der Beschwerdeführer machte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nur sehr allgemein gehaltene und unkonkrete Angaben, die sich ausschließlich auf die Sicherheitslage und die allgemeine Situation mit den Taliban bezogen (OZ 16, S. 16). Konkrete, ihn selber betreffende Vorfälle, konnte der Beschwerdeführer jedoch in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung nicht angeben.

Der Beschwerdeführer räumte auch ein, dass er selber von den Taliban weder angesprochen noch von diesen persönlich kontaktiert oder bedroht wurde (OZ 16, S. 16-17).

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass die Taliban zweimal versucht haben ihn mitzunehmen, die Taliban hätten das Haus durchsucht und verwüstet (AS 148). Derartiges gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung jedoch nicht an (OZ 16, S. 16).

Es fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung immer wieder betont hat, dass er nicht lernen und nicht zur Schule gehen kann (OZ 16, S. 16). Der Beschwerdeführer gab im Verfahren jedoch mehrfach an, dass er die Schule besucht habe, auch wenn die Dauer zwischen acht Jahren und zehn Jahren variiert. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind daher nicht nachvollziehbar.

2.2.2. Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er selber nicht gesehen hat, dass die Taliban aus seinem Dorf andere Jungen mitgenommen haben (OZ 16, S. 17). Der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung aufgefordert anzugeben, ob er die Taliban, wenn auch nur aus der Ferne, jemals selber gesehen hat. Der Beschwerdeführer gab daraufhin an, dass er die Taliban aus der Ferne gesehen habe, sie hätten die Lage gecheckt wen sie rekrutieren können und seine am Abend gekommen um die Zielpersonen mitzunehmen (OZ 13, S. 19). Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer bei der Aufforderung genau zu schildern wie er die Taliban gesehen hat, angibt, dass diese am Abend kamen und Zielpersonen mitnahmen, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung auch angab selber nicht gesehen zu haben, dass die Taliban Jungen aus dem Dorf mitgenommen haben. Die Angaben des Beschwerdeführers zu Zwangsrekrutierungen sowie zur Durchsuchung und Verwüstung des Hauses sind daher nicht glaubhaft.

2.2.3. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass ihm eine Zwangsrekrutierung in Afghanistan gedroht habe bzw. drohen würde, sind zudem nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. So ist diesen zu entnehmen, dass die Taliban nunmehr bemüht sind Personen mit militärischem Wissen, Erfahrung sowie mit militärischen Fertigkeiten, wie das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte, zu rekrutieren. Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen. Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen. Da der Beschwerdeführer weder über militärisches Wissen noch über militärische Erfahrung verfügt und Zwangsrekrutierungen durch die Taliban nicht üblich sind, steht das Fluchtvorbringen in Widerspruch zu den Länderfeststellungen und ist daher nicht glaubhaft.

2.2.4. Da die Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtvorbringen aus den oben genannten Gründen insgesamt nicht glaubhaft waren und die Angaben des Beschwerdeführers zum Verschwinden seiner Brüder zudem sehr vage war, konnte nicht festgestellt werden, dass zwei Brüder des Beschwerdeführers verschollen sind.

2.2.5. Da der Beschwerdeführer angab, abgesehen von den Taliban keine weiteren Probleme in Afghanistan zu haben (OZ 16, S. 17) und die Angaben des Beschwerdeführers zu einer Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft waren, geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen hat.

2.2.6. Der Beschwerdeführer gab selber an, dass er wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan nicht bedroht wurde (AS 151), sodass die entsprechende Feststellung zu treffen war.

2.2.7. Aufgrund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es ist weder den Angaben des Beschwerdeführers noch den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatstadt Kabul ergeben sich aus den o. a. Länderberichten. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers relativ sicher ist.

In der Hauptstadt Kabul finden überwiegend Angriffe in Regierungs- und Botschaftsnähe, also mit möglichst hoher medialer Reichweite, statt. Dabei kam es immer wieder zu zivilen Opfern. Die Regierung ist jedoch in der Lage hier die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten. Das Gericht geht daher davon aus, dass es in der Stadt Kabul zu Anschlägen kommt, jedoch nicht in allen Stadtteilen.

Dass die Wohnraum- und Versorgungslage angespannt ist, ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in Kabul zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt, sodass die Lage angespannt ist. Auch gibt es nicht genügend Arbeitsplätze

Der Beschwerdeführer ist mit seinen Eltern und Geschwister in Afghanistan aufgewachsen, sodass der Beschwerdeführer entsprechend der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert ist. Der Beschwerdeführer hat 10 Jahre lang eine Schule besucht. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich in der Lage sich zu Recht zu finden und sich an neue Situationen anzupassen. Der Beschwerdeführer ist zudem im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, alleinstehend und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Zudem verfügt der Beschwerdeführer über Ortskenntnisse in Kabul. Er kann zumindest vorübergehend wieder bei seiner Familie in Kabul wohnen und dort auch auf ein familiäres und soziales Netzwerk zurückgreifen.

Der Beschwerdeführer gab zwar an, dass er keine Unterstützung von seiner Familie erhalten könne, da jeder für sich selbst verantwortlich sei, dies überzeugt das Gericht jedoch nicht. Der Beschwerdeführer stammt aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Der Beschwerdeführer hat auch bisher bei seiner Familie in Kabul wohnen können. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin bei seiner Familie wird wohnen kann und seine Familie ihn auch bei der Beschaffung einer Arbeit unterstützen wird. Zudem ist aufgrund des besonders großen familiären Umfeldes des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass der große Familienverband des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer zumindest vorübergehend auch finanziell unterstützen kann. Da der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Befragung keine konkreten Angaben machen konnte, wie viel Geld er seiner Familie aus Österreich nach Afghanistan geschickt habe, und das Schicken eines einmaligen großen Geldbetrages wohl in Erinnerung bleiben würde, geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer seine Familie bisher nicht finanziell unterstützt hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zud

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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