Entscheidungsdatum
10.12.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W152 2189941-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zl. 1073932501-150693009, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste nach ihren Angaben am 17.06.2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.06.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sie gab im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.06.2015 an, ihr Name sei XXXX und sie sei am XXXX in XXXX , China, geboren. Dabei brachte sie zu ihrem Fluchtgrund zusammengefasst vor, die Regierung habe ihr Grundstück enteignen wollen, wobei sie zu wenig Entschädigung bekommen habe. Aus diesem Grund sei es zu einem Streit zwischen der zuständigen Person und ihr gekommen. Im Zuge von Handgreiflichkeiten habe sie diese mit einem Hocker leicht verletzt. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie die Rache dieser Person. Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab sie an, dass ihre Eltern bereits verstorben seien und sie seit 2005 geschieden sei. Sie habe keine Kinder. Weiters wurden hiebei keine Geschwister angegeben. In China habe sie drei Jahre lang die Schule besucht und zuletzt als Landwirtin gearbeitet.
1.2. Mit Schreiben vom 09.05.2016 gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass ihr tatsächlicher Name XXXX laute und legte gleichzeitig eine Kopie ihrer Wohnsitzmeldebestätigung einschließlich einer beglaubigten Übersetzung vor, worin der zuletzt genannte Name und das Geburtsdatum XXXX angeführt werden.
1.3. Am 10.08.2016 wurde der Reisepass der Beschwerdeführerin vom Stadtpolizeikommando Wien-Innere Stadt sichergestellt. Im Reisepass, der auf das zuletzt genannte Nationale ausgestellt ist, befindet sich ein Schengenvisum für den Zeitraum vom 13.06.2015 bis 26.06.2015, ausgestellt am 28.05.2015. Der Ausreisestempel aus der Volksrepublik China trägt als Datum den 14.06.2015 und der Einreisestempel in Italien als Datum den 15.06.2015.
1.4. Am 12.02.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Sie gab dabei zusammengefasst an, ihre Eltern seien bereits verstorben, sie habe jedoch zwei Brüder und zwei Schwestern in China. Sie sei seit 2005 geschieden und habe keine Kinder. Im Herkunftsstaat habe sie drei Jahre lang die Grundschule besucht und danach als Abwäscherin bzw. Hilfskraft gearbeitet. In Österreich habe sie keine Verwandte, führe sie kein Familienleben, lebe sie nicht in einer Lebensgemeinschaft und gehöre sie keinem Verein oder einer sonstigen Organisation an. In ihrer Freizeit würde sie Deutsch lernen und aufs Land fahren, um Kräuter und Gemüse zu pflücken. Sie arbeite als Prostituierte.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab sie im Wesentlichen an, ihr Grundstück sei enteignet worden und sie sei in Handgreiflichkeiten mit dem Dorfvorsteher verwickelt gewesen. Deshalb sei sie ausgereist. Der Dorfvorsteher sei sehr mächtig gewesen und sie habe diesen Ort verlassen müssen. Zum Zwischenfall gab sie an, der Dorfvorsteher sei bei ihr zu Hause gewesen. Sie habe mit ihm über ihre Entschädigung reden wollen, welche zu niedrig gewesen sei. Es sei zum Streit und zu Handgreiflichkeiten gekommen. Dann habe sie einen Holzhocker genommen und damit auf seinen Kopf "zugeschlagen". Er sei verletzt gewesen und zu Boden gefallen. Dann sei sie schnell weggelaufen. Mehrmals aufgefordert, die Handgreiflichkeiten detailliert zu schildern, gab die Beschwerdeführerin an, der Dorfvorsteher sei desinteressiert gewesen und habe nicht mit ihr reden wollen. Sie sei wütend gewesen, habe den Hocker genommen und auf seinen Kopf geschlagen. Abschließend verzichtete die Beschwerdeführerin auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zur Volksrepublik China. Dem zur Einvernahme der Asylwerberin nicht erschienen Vertreter wurden die Länderfeststellungen zur Stellungnahme übermittelt, wobei im Rahmen einer solchen vom 14.02.2018 diese Länderfeststellungen zur Kenntnis genommen wurden und auf die individuelle schwierige Situation der Beschwerdeführerin hingewiesen wurde. Eine substantiierte Bestreitung des Inhaltes der Länderfeststellungen erfolgte hiebei jedenfalls nicht.
1.5. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018 wurde unter Spruchpunkt I der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 17.06.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Volksrepublik China abgewiesen. Unter Spruchpunkt III wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China zulässig ist. Gleichzeitig wurde unter Spruchpunkt IV die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubwürdig sei und die Beschwerdeführerin in Österreich weder über ein entsprechendes Familienleben noch ein nennenswertes Privatleben verfüge.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte hiebei zur Lage in der Volksrepublik China Folgendes fest (gekürzt und bereinigt):
"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.
Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018). Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018). International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018). Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).
Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018). Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018). Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden
Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).
Politische Lage
Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).
China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).
Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut
wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).
An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).
Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).
Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).
Sicherheitslage
Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).
Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter- Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016). Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).
Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).
Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).
Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).
Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).
Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).
2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).
Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).
Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017). Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).
Sicherheitsbehörden
Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016).
Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).
Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a).
Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016). Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016).
Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).
Korruption
Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017). Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein, 172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017). Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Unabhängige Menschenrechtsinstitutionen gibt es in China (mit Ausnahme Hongkongs) nicht. Die bestehenden strengen Regeln für NGOs machen deren Registrierung unmöglich. Die wenigen staatlichen chinesischen Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, sind im Sinne der Information über und Werbung für das staatliche Konzept der Menschenrechtspolitik aktiv, darunter z.B. die Gesellschaft zur Förderung der Menschenrechte (China Society for Human Rights Studies), die für Außenkontakte zuständig ist, oder die Society for Human Rights Studies, die auch innerhalb Chinas Aufklärungsarbeit leistet. Bei beiden Organisationen handelt es sich um sogenannte "Governmentally Organized NGOs". Laut chinesischen Angaben sind derzeit mehr als 7.000 internationale NGOs - mit einer sehr breiten Definition sogar mehr als 460.000 registrierte NGOs - in China tätig. Davon ein Großteil aus den USA. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann als "unabhängig" qualifiziert werden. Unabhängige NGOs erhalten keine staatliche Unterstützung und es besteht keine "Spendenkultur" für solche Organisation (bzw. wären Spender Schikanen ausgesetzt). Unabhängigen und manchen internationalen Organisationen (z.B. UNHCR) ist darüber hinaus das Spendensammeln verboten. In den letzten Jahren wurde es für NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger, Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Seit Xi Jinping im Amt ist, sind NGOs vermehrten Repressalien ausgesetzt, z.B. Inhaftierung ihrer Führungskräfte, Durchsuchungen sowie Einfrierung ihrer Konten (AA 15.12.2016; vgl. ÖB 11.2016). In China selbst werden unabhängige Menschenrechts-Organisationen streng kontrolliert und oft unterdrückt. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird von der KP nur in kleinteiliger Organisationsform bzw. in Bereichen wie Umwelt und Wohlfahrt dann zugelassen, wenn keine öffentliche Kritik an Behörden, KP oder Politiken geübt wird (ÖB 11.2016).
Ein neues Gesetz für eine Verwaltung von ausländischen NGO-Aktivitäten innerhalb des chinesischen Festlandes stellt ausländische NGOs fortan unter die Aufsicht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Nach dem neuen Gesetz müssen alle Finanzierungen durch ausländische NGOs von den chinesischen Sicherheitsbehörden vor Erhalt genehmigt werden und dürfen ausländische NGOs in China nur gewisse Aktivitäten in Partnerschaft mit offiziellen Stellen ausüben. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind noch offen. Obgleich dieses Gesetz dazu beitragen kann, das nebulose Regelwerk der NGOs zu erhellen, wird befürchtet, dass das Gesetz eine weitere Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden darstellt, die Zivilgesellschaft zur Selbstzensur und zu unkritischem Verhalten zu zwingen (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a). Durch den großen Ermessensspielraum der Polizei für die Kontrolle und Regulierung der Arbeit ausländischer NGOs erhöhte sich das Risiko, dass das Gesetz dazu missbraucht werden könnte, Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (AI 22.2.2017). Viele ausländische NGOs und deren inländischen Partner begannen schon vor dem 1.1.2017 aufgrund der vagen Ausformulierung des Gesetzes, ihre Tätigkeiten vor dem Jahresende zu kürzen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a).
Ausländischen Menschenrechts-NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International ist es nicht erlaubt, die Menschenrechtssituation in der VR China zu beobachten bzw. Einzelfällen nachzugehen. Die meisten Beobachter arbeiten und publizieren daher von Hongkong aus. Größerer Spielraum für zivilgesellschaftliche Akteure im Menschenrechtsbereich besteht immer noch in Internetforen und sozialen Netzwerken - soweit die Zensur umgangen werden kann (AA 15.12.2016).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die VR China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von UN-Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an und hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwar 1998 gezeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert (AA 4.2017a).
Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der Kommunistischen Partei (KP) oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Seit dem Führungswechsel im März 2013 ist ein noch einmal verstärkt repressives Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber Kritikern der Regierung oder der Partei zu beobachten. Einschüchterungsmaßnahmen umfassen u.a. Hausarrest, willkürliche Haft in sog. Schwarzen Gefängnissen ("black jails" bzw. "legal education center"), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige; in einigen Fällen wurden lange Haftstrafen verhängt. Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die KP, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein - noch so loses - Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 15.12.2016).
Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch Strafverfolgung aus politischen Gründen, Administrativhaft (Haftstrafe ohne Gerichtsurteil), Verletzung von allgemeinen Verfahrensgarantien im Strafverfahren (z.B. Unschuldsvermutung), sehr häufige Verhängung der Todesstrafe sowie Fälle von Misshandlungen und Folter. Daneben gibt es das Bekenntnis der Regierung zu einem an Recht und Gesetz ausgerichteten sozialen Regierungshandeln und vermehrt Reformbemühungen im Rechtsbereich (AA 4.2017a).
Grundlegende Rechte, wie Rede- und Versammlungsfreiheit, sowie Reisefreiheit werden den Bewohner der autonomen Region Tibet (TAR) und anderen tibetischen Gebieten, sowie den Uiguren in der autonomen Region Xinjiang (XUAR) weiter verweigert (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).
Besonders außerhalb der Großstädte werden häufig Fälle gemeldet, in denen von Behörden beauftragte Kräfte, gegen unliebsame Personen vorgehen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenz hat (AA 15.12.2016).
Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten, oder illegal in sog. "Black Jails", psychiatrischen Institutionen und anderen Orten inhaftiert, wo sie der Gefahr von Gewalt, psychischem Missbrauch oder sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um Unliebsame aus dem Verkehr zu ziehen (AA 15.12.2016; vgl. FH 1.2017a).
Meinungs- und Pressefreiheit
Pressefreiheit ist in China nicht gewährleistet. Das in der chinesischen Verfassung theoretisch gewährte Recht wird durch Vorbehalte in der Verfassung selbst sowie durch zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen und administratives Vorgehen weitgehend ausgehöhlt. Die Möglichkeiten von Bürgern zur offenen Meinungsäußerung im privaten Kreis und etwas abgestuft in den sozialen Medien ist teilweise gewährleistet. De facto unterliegt die Meinungsfreiheit jedoch nach wie vor strenger Reglementierung. Regierungskritik - v. a. bei Verbreitung über Flugblätter oder (elektronische) Medien - wird immer wieder als Gefährdung der Staatssicherheit verfolgt und drakonisch bestraft. Journalisten, Blogger und Intellektuelle werden regelmäßig bedroht und verhaftet. Die Festlandmedien sind politisch gleichgeschaltet. Ausländische Fernsehsender werden bei China betreffenden Meldungen sensiblen Inhalts in der Regel abgeschaltet, Internetseiten wie Facebook, Twitter und YouTube sind dauerhaft gesperrt, Inhalte mit sensiblen Schlüsselwörtern werden geblockt.
Die Privatsphäre und das Briefgeheimnis sind verfassungsrechtlich geschützt. Art. 40 der Verfassung lässt jedoch Ausnahmen zu. Diese Ausnahmetatbestände werden breit ausgelegt. Immer wieder gibt es Hinweise auf staatliche Eingriffe durch Telefon-, Brief-, Fax-, E-Mail-, SMS- und Internetüberwachung (AA 15.12.2016; vgl. ÖB 11.2016). Presse- und Informationsfreiheit in konventionellen Medien (Print, Radio, TV) sind durch zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten von Partei und Staat stark eingeschränkt. Partei und Staat dominieren mit eigenen Medien die öffentliche Meinungsbildung; als Informationsquelle genießen sie in der Bevölkerung jedoch wenig vertrauen. Die wachsende Kommerzialisierung der Medien trägt dazu bei, dass bei einer größeren Themenbreite auch eine kritische Kommentierung möglich ist. Bei sensiblen Themen, vor allem im politischen Bereich, sind die Spielräume der Berichterstattung jedoch weiterhin eng begrenzt und nehmen seit einigen Jahren wieder ab (AA 4.2017a).
Die "staatliche Verwaltung für Radio, Film und Fernsehen" hat im Juli 2014 eine Richtlinie erlassen, die verlangt, dass chinesische Journalisten eine Vereinbarung unterzeichnen, die besagt, dass sie unveröffentlichte Informationen nicht ohne vorherige Zustimmung ihres Arbeitgebers veröffentlichen. Weiters wird dabei gefordert, dass sie Prüfungen in politischer Ideologie ablegen, bevor sie einen amtlichen Presseausweis ausgestellt bekommen (HRW 28.1.2015). Im Februar 2016 besuchte Präsident XI drei bedeutende staatliche Medien und forderte Sie auf, der Partei absolute Loyalität zu versprechen (HRW 12.1.2017). Als Sprachrohr von Partei und Staat bleibt es Hauptaufgabe der Medien, die "Einheit von Volk, Staat und Partei" und die politischen Ziele der Staatsführung zu propagieren. Soziale Defizite, Umweltverschmutzung, Wirtschafts- und Bildungspolitik werden offen problematisiert, die Berichterstattung hierüber kann durchaus kontrovers sein und wird geduldet, solange sie nicht als Systemkritik verstanden werden könnte. Demgegenüber unterstehen politische Inhalte, die für den Erhalt des Systems und der Herrschaft zentral sind, weiterhin einer strengen staatlichen Kontrolle (z.B. nationale Sicherheit, Partei und politisches System, Vermögenssituation der Führung, Minderheitenpolitik). Verstöße gegen die Regeln werden teilweise empfindlich bestraft, etwa mit Verlust des Arbeitsplatzes oder gar Inhaftierung (AA 15.12.2016).
Allerdings durchläuft die chinesische Gesellschaft radikale und spürbare Wandlungsprozesse. Es hat sich eine immer besser informierte und über die neuen Kommunikationsmedien interaktive chinesische Öffentlichkeit als politischer Akteur etabliert, der hinterfragt und kritisiert und so versucht, die Agenda der Verwaltungen auf allen Ebenen mitzubestimmen. Das Internet (Anfang 2016 rund 688 Mio. Internetnutzer) und soziale Netzwerke sind zu mächtigen Sprachrohren von Frustrationswellen geworden. Mit massiver, flächendeckender staatlicher Zensur, der sog. "Großen Firewall", einer restriktiven Internet-Politik und harten Strafen für die Verbreitung verbotener Inhalte wirken staatliche Stellen dem mit zunehmendem Erfolg entgegen (AA 15.12.2016). Dabei unternahm China 2016 weitere Anstrengungen, um seine bereits repressiven Maßnahmen der Internetzensur weiter auszubauen. Tausende von Webseiten und Angebote der sozialen Medien waren nach wie vor gesperrt, darunter Facebook, Instagram und Twitter. Außerdem mussten Anbieter von Internetdienstleistungen und -inhalten auf ihren Plattformen eine weitreichende Zensur ausüben. Am 7.11.2016 verabschiedete der Nationale Volkskongress das Gesetz über Internetsicherheit, das vorgeblich dem Schutz der personenbezogenen Daten von Internetnutzer vor Hackerangriffen und Diebstahl dienen soll, mit dem jedoch in China tätige Internetunternehmen die Auflage erhielten, Inhalte zu zensieren, Nutzerdaten im Land zu speichern und zwingend ein Registrierungssystem mit Klarnamen einzuführen. Das Gesetz enthält das Verbot für Einzelpersonen und Gruppen, das Internet zu nutzen, um damit "die nationale Sicherheit zu beeinträchtigen", "die Gesellschaftsordnung zu stören" oder "nationalen Interessen zu schaden", was vage und unpräzise Begriffe im geltenden chinesischen Recht sind, die dazu benutzt werden könnten, das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter zu beschneiden (AI 22.2.2017). Ein Gesetz vom Juli 2015 ermächtigt die Ermittler zu "allen notwendigen
Maßnahmen", um die Sicherheit im Internet zu gewährleisten (Die Presse 19.8.2015). China gehört nach der Evaluierung von "Reporter ohne Grenzen" aus dem Jahr 2015 (Untersuchungszeitraum 2014) weiter zu den Ländern mit den stärksten Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Es nimmt dort den 176. Platz von 180 Ländern ein (2011/2012: 174 von 179) (AA 15.12.2016).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Art. 35 der Verfassung gewährt das Recht auf Freiheit der Rede, der Presse, der Versammlung, der Vereinigung und zu Demonstrationen; Art. 41 schützt das Recht der Bürger, Kritik oder Vorschläge hinsichtlich eines jeden Staatsorgans oder Funktionärs zu unterbreiten. Diese Verfassungsrechte sind jedoch für den Einzelnen nicht einklagbar und in der Praxis durch die Regierung stark eingeschränkt. Nach Art. 7 des Versammlungsgesetzes bedürfen Versammlungen, Prozessionen und Demonstrationen der vorherigen behördlichen Genehmigung. Pressekonferenzen von Menschenrechtsaktivisten werden öfters ohne weitere Begründung verhindert. Jeder Anschein von Organisation wird als Bedrohung für die Stabilität verstanden und umfassend unterbunden. Art. 296 des Strafgesetzbuches sanktioniert "rechtswidrige Versammlung" mit bis zu 5 Jahren Haft, was immer wieder als Delikt gegen Aktivisten in Stellung gebracht wird (AA 15.12.2016). Chinas Verfassung schützt das Demonstrationsrecht der Bürger. Doch in der Praxis erhalten Demonstranten selten eine Genehmigung zur Abhaltung von Demonstrationen und riskieren Strafen für Versammlungen ohne Erlaubnis. Die Vereins- und Versammlungsfreiheit ist wesentlich eingeschränkt. Spontane Demonstrationen stellen eine gemeinsame Form des Protestes dar. Ein staatliches Forschungszentrum zählte jährlich 100.000 solcher "Massenansammlungen" in den letzten Jahren, von denen einigen mit polizeilicher Gewalt begegnet wurde (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a). Oftmals werden Kundgebungen durch vorab verhängte Hausarreste im Keim erstickt. Auch rund um sensible Jahrestage (4. Juni, Jahrestag der Unruhen in Xinjiang, Internationaler Tag der Menschenrechte) werden "sensible" Personen unter Hausarrest gestellt (ÖB 11.2016).
Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Beschränkungen von politischen Tätigkeiten betreffen besonders ethnische Minderheiten, einschließlich Tibeter, Uiguren und Mongolen. Selbst eine Organisation scheinbar harmloser gesellschaftlicher Aktivitäten unter solchen Gruppen wird von den Behörden als bedrohlich empfunden (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Die in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes organisierten acht "demokratischen Parteien" sind nach ehemals sowjetischem Muster "gleichgeschaltet". Sie werden in Konsultationsprozesse z.B. in den Bereichen Wirtschaft und Gesetzgebung einbezogen, haben aber sehr begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten (AA 15.12.2016). Die Kommunistische Partei versucht, alle Formen der politischen Organisation in ihrer Organisation zu konzentrieren (FH 1.2017a). Aufklärung über die und Bekämpfung der von extremen Vertretern der uigurischen Minderheit getragenen Ostturkistan-Bewegung zählen zu den obersten Prioritäten des Staatsschutzes. Anhänger dieser Bewegung werden mit unnachgiebiger Härte politisch und strafrechtlich verfolgt (AA 15.12.2016).
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Frauen genießen denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte wie Männer (USDOS 3.3.2017). Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist seit 1949 erklärtes politisches Ziel der Regierung. Allerdings gibt es noch immer wenige Frauen in gehobenen Positionen, so auch in der Politik (AA 15.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Die Regierung ermutigt Frauen in den Dorfkomitees zu wählen und sich zur Wahl aufstellen zu lassen, jedoch sind nur wenige der gewählten Mitglieder Frauen. Das Wahlgesetz sieht Quoten für Frauen vor (USDOS 3.3.2017). Reaktionen der Regierung auf diese Missstände hinsichtlich einer Gleichstellung der Geschlechter bleiben weiterhin unzureichend. Frauen sind in China einer systemisch bedingten Diskriminierung in der Hochschulausbildung und am Arbeitsplatz ebenso ausgesetzt, wie häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung (HRW 12.1.2017).
Es gibt Gesetze zum Schutz von Frauen, dennoch kommt es zu Diskriminierung von Frauen (USDOS 3.3.2017). In der patriarchalisch veranlagten chinesischen Gesellschaft sind Frauen vor allem in ländlichen Gebieten benachteiligt (AA 15.12.2016).
Die Regierung betrachtet häusliche Gewalt gegen Frauen als ernstes Problem und ergreift Maßnahmen zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten. Aktivisten zufolge sind Frauen ethnischer Minderheiten häufiger häuslicher Gewalt ausgesetzt. Die Regierung unternahm Anfang März 2016 einen bedeutenden Schritt, um Frauen gesetzlich vor häuslichem Missbrauch zu schützen. Das Gesetz definiert häusliche Gewalt als Ausdruck körperlicher und geistige Gewalt zwischen Familienmitgliedern. NGOs berichten, dass infolge dieses Gesetzes mehr Frauen bereit waren, Vorfälle häuslicher Gewalt bei der Polizei zu melden. Dennoch bleibt die Umsetzung des Gesetzes im ersten Jahr uneinheitlich, was weitgehend auf mangelnde Sensibilisierung der Behörden für die Durchführungsmaßnahmen des Gesetzes zurückzuführen ist. Auch führt eine Zuordnung häuslicher Gewalt als private Angelegenheit zu Untätigkeit und folglich zu einer hohen Dunkelziffer von Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a).
Berichten zufolge kommt es in mindestens einem Viertel der Familien zu häuslicher Gewalt, mehr als 85 Prozent der Opfer sind Frauen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Die All China Women's Federation berichtete im Jahr 2013 von jährlich 70.000 Beschwerden. Laut der letzten verfügbaren Statistik aus dem Jahr 2008 gibt es landesweit bei der Polizei 12.000 spezielle Kabinen für Anzeigen von häuslicher Gewalt, 400 Schutzhäuser für Gewaltopfer und 350 medizinische Untersuchungszentren für Frauen, die Anzeige erstatten (USDOS 25.6.2015). Einige Gerichte bieten Schutz für die Opfer durch Verhängung einstweiliger Verfügungen an, welche Täter von einer Kontaktaufnahme mit dem Opfer abhalten sollen. Dennoch erreichte die offizielle Unterstützung nicht immer die Opfer. Auch wird häusliche Gewalt durch die öffentlichen Sicherheitskräfte oftmals ignoriert (USDOS 3.3.2017).
Vergewaltigung ist illegal, Strafen für Vergewaltigung reichen von drei Jahren Gefängnis bis zur Hinrichtung. Manche Fälle von Vergewaltigung werden durch private Vergleiche beendet. Von 2013 bis 2015 wurden von den Gerichten 66.736 Vergewaltigungsfälle behandelt. In 62.551 Fällen wurden die Angeklagten strafrechtlich verurteilt. Einige Personen, welche wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, sind hingerichtet worden. Das Gesetz wird bei Vergewaltigung in der Ehe nicht angewendet (USDOS 3.3.2017).
Zwangsprostitution und Menschenhandel werden strafrechtlich verfolgt. Prostitution ist keine Straftat, aber ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, der mit Administrativhaft geahndet wird. Mitte 2014 gab es 116 Umerziehungslager, in denen ca. 118.000 Frauen einsaßen und zu fabrikähnlicher Arbeit gezwungen wurden. Es gibt glaubhafte Berichte, dass lokale Behörden an Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, beteiligt sind. Nach dem Gesetz über den Schutz und die Rechte von Frauen ist sexuelle Belästigung von Frauen strafbar. Das Gesetz ist jedoch sehr vage formuliert, entsprechende Regelungen im Strafgesetz fehlen (AA 15.12.2016).
Bewegungsfreiheit
Die Behörden verschärften die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Personen vor wichtigen Jubiläen, Besuchen ausländischer Würdenträger oder großer politischer Ereignissen, welche als politisch sensibel empfunden werden, um Demonstrationen vorzubeugen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a).
Repressionen erfolgen landesweit nicht einheitlich. Da wegen der Größe des Landes und der historisch überkommenen Strukturen Einfluss und Kontrolle der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich ausgeprägt sind, treten staatliche oder dem Staat zurechenbare Übergriffe in den Regionen unterschiedlich häufig auf. Daher kann es im Einzelfall möglich sein, durch einen Ortswechsel Repressalien auszuweichen. So berichten beispielsweise protestantische Hauskirchen von besonders großem Druck in den Provinzen Zhejiang, Hubei, Hebei und Heilongjiang, während sie in Peking relativ ungehindert praktizieren können. Allerdings ist ein Umzug von in der VR China lebenden Chinesen in einen anderen Landesteil durch die restriktive Registrierungspraxis ("Hukou"-System) nur schwer möglich (Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen). Für Personen aus ländlichen Gebieten ist es schwierig, legal in eine Stadt überzusiedeln. Insbesondere für aus politischen Gründen Verfolgte gibt es nach Ansicht des Auswärtigen Amtes keine sichere Ausweichmöglichkeit innerhalb Chinas (AA 15.12.2016).
Ein Untertauchen, also eine nicht registrierte Niederlassung in einen anderen Landesteil als jenem des Melde-Wohnorts, ist schwierig. Sowohl bei Inlandsflügen als auch bei Zugfahrten wird systematisch die Identität überprüft, auch Zugtickets können nur mit Personalausweis gekauft werden und sind nicht übertragbar. KFZ mit Kennzeichen von außerhalb der Stadt oder der Provinz und deren Passagiere werden systematisch überprüft. Es besteht ein sehr effizientes System der Überwachung durch Nachbarschaftskomitees ("Blockwarte"). In der Tibetischen Autonomen Region und in Xinjiang besteht besonders strenge Überwachung unter anderem durch das System der kollektiven Bestrafung von Dorfgemeinschaften und starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, wonach Personen, die ihr Dorf oder ihre Region verlassen wollen, hierfür Genehmigungen einholen müssen welche teilweise nur für bestimmte andere Regionen ausgestellt werden. In Xinjiang werden darüber hinaus in von Uiguren bewohnten Gegenden an Straßensperren Identitätskontrollen - vor allem von jungen männlichen Uiguren - durch die bewaffnete Volkspolizei und die Volksbefreiungsarmee durchgeführt (ÖB 11.2016).