Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art140 Abs7Leitsatz
Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer bereits als verfassungswidrig aufgehobenen Bestimmung der BAO; vor Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses eingebrachte Beschwerde ist einem Anlassfall gleichzuhaltenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführer war im Jahr 1999 als Kommanditist an zwei gewerblich tätigen Personengesellschaften beteiligt. Die vom Beschwerdeführer erklärten Gewinn- bzw Verlusttangenten wurden mit Einkommensteuerbescheid 1999 vom 15. Februar 2001 erklärungsgemäß veranlagt. Betreffend die Personengesellschaften wurden (nach ursprünglich erklärungsgemäß erfolgten Feststellungen) Feststellungs- bzw Nichtfeststellungsbescheide erlassen und in der Folge vom Finanzamt der Einkommensteuerbescheid 1999 gemäß §295 Abs1 BAO abgeändert. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. In der Folge wurden die erlassenen Feststellungs- bzw Nichtfeststellungsbescheide vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. September 2012, 2011/15/0024, als Nichtbescheide qualifiziert.
2. Am 15. Dezember 2012 beantragte der Beschwerdeführer hinsichtlich des Einkommensteuerverfahrens für 1999 die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §303 Abs1 litb BAO und regte in eventu eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens an. Am 3. April 2013 beantragte der Beschwerdeführer mit einem weiteren Schreiben "die Aufhebung" des geänderten Einkommensteuerbescheides 1999 vom 18. Dezember 2006. Mit Bescheid vom 17. April 2014 wies das Finanzamt die angeführten Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§303 BAO) und auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1999 zurück.
2.1. Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 12. September 2017 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend führt das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, dass die Anträge des Beschwerdeführers erst nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist eingebracht worden seien. Der Beschwerdeführer habe einen abgeänderten Einkommensteuerbescheid rechtskräftig werden lassen und seine Aufhebung erst zu einem Zeitpunkt beantragt, in dem auch ein Wiederaufnahmeantrag sowohl nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2013 (wegen Antragstellung mehr als fünf Jahre nach Rechtskraft) als auch nach nunmehriger Rechtslage (wegen Antragstellung nach Eintritt der Verjährung) gemäß §304 BAO nicht mehr zum Erfolg geführt hätte. Durch die Zurückweisung der Anträge aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer – infolge der Verweisung des §295 Abs4 auf §304 BAO – somit nicht in seinen Rechten verletzt worden.
2.2. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 30. November 2017, G131/2017, G286/2017, §304 BAO, BGBl 194/1961 idF BGBl I 14/2013, als verfassungswidrig aufgehoben.
3.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 3.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
3.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 30. November 2017. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 25. Oktober 2017 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Das Bundesfinanzgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
4. Diese Entscheidung konnte ohne weiteres Verfahren (§19 Abs3 Z4 VfGG) und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§19 Abs4 VfGG) getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
VfGH / Anlassfall, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E3711.2017Zuletzt aktualisiert am
31.01.2019