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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §60;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des M D in P, vertreten durch Dr. Helmut Steiner u.a., Rechtsanwälte in 2500 Baden, Kaiser-Franz-Ring 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 10. Februar 1999, Zl. Senat-BN-98-484, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 13. Mai 1998 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe am 19. Dezember 1996 um 16.49 Uhr an einer näher bezeichneten Stelle auf der Südautobahn ein dem Kennzeichen nach bezeichnetes Kraftfahrzeug gelenkt und dabei den Pannenstreifen befahren. Er habe dadurch gegen § 46 Abs. 4 lit. d StVO verstoßen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) verhängt wurde.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers - mit Ausnahme einer sprachlichen Anpassung - keine Folge.
Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er erachtet sich erkennbar in seinem Recht verletzt, wegen des ihm vorgeworfenen Verhaltens nicht bestraft zu werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde traf in ihrem Bescheid Feststellungen betreffend die Tatzeit, den Tatort und die Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers. Danach führte sie aus:
"Auf Höhe des km 27,500 im Gemeindegebiet von Kottingbrunn fuhr der Beschuldigte am Pannenstreifen, obwohl es sich bei seinem Fahrzeug um kein Fahrzeug des Straßendienstes, der Straßenaufsicht oder des Pannendienstes handelt und sich an Ort und Stelle weder Straßenverkehrszeichen noch Bodenmarkierungen befanden, die das Befahren des Pannenstreifens erlaubt hätten. Dabei wurde der Beschuldigte von zwei Beamten des Landesgendarmeriekommandos für NÖ, Verkehrsabteilung, Außenstelle T. beobachtet, die ihrerseits auf einer Einsatzfahrt am Pannenstreifen fuhren."
Im Zusammenhang mit der rechtlichen Beurteilung führt die belangte Behörde im bekämpften Bescheid weiters aus:
"Wendet der Rechtsmittelwerber in seinem Schriftsatz vom 22.1.1997 im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens ein, er habe, da im Fahrzeug eine Batteriekontrolllampe geleuchtet habe, sein Fahrzeug bei der Notrufsäule unweit des Strkms. 27,500 angehalten, habe den Motor neu gestartet, (es) sei daraufhin die Batteriekontrollleuchte erloschen, worauf er, um sich in der Folge in den fließenden Verkehr einzuordnen, zwischen der Notrufsäule und dem Beschleunigungsstreifen des Parkplatzes - dieser beginne etwa 1 m nach km 27,5 - den Pannenstreifen benutzen haben müssen.
So gesteht damit der Beschuldigte, inhaltlich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Denn gemäß § 46 Abs. 3 StVO darf auf der Autobahn ein Fahrzeug wegen eines Gebrechens odgl., sofern es angehalten werden muss, auf dem Pannenstreifen nur abstellen. Ein Befahren des Pannenstreifens aus den genannten Gründen ist jedoch nicht gestattet. In diesem Sinne hätte der Beschuldigte demnach auch für den Fall, dass sein Kraftfahrzeug ein Gebrechen aufgewiesen hätte, sein Fahrzeug lediglich dort abstellen dürfen und in der Folge so lange warten müssen, bis ein ungehindertes Einfahren auf den ersten Fahrstreifen der Autobahn möglich gewesen wäre.
Zu Beschleunigungszwecken den Pannenstreifen zu befahren, wie der Beschuldigte dies eingesteht, ist, wie obigen zitierten Rechtsnormen zu entnehmen ist, nicht gestattet.
In diesem Zusammenhang war es demnach auch entbehrlich, die vom Beschuldigten im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens gestellten Beweisanträge durchzuführen, zumal sie für die Entscheidungsfindung nicht zweckdienlich waren. ..."
Der Verwaltungsgerichtshof entnimmt diesen Ausführungen, dass die belangte Behörde ihrer Entscheidung ein "Beschleunigen" des Beschwerdeführers mit seinem Kraftfahrzeug auf dem Pannenstreifen zu Grunde gelegt hat; sie hat dabei den vom Beschwerdeführer behaupteten Geschehensablauf weder ihren Feststellungen zu Grunde gelegt noch - etwa als unglaubwürdig - ausgeschlossen. (Hinweise in der Gegenschrift, wonach das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sehr wahrscheinlich sei, vermögen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen.)
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 6a StVO ist ein Pannenstreifen der rechts neben dem Fahrstreifen einer Richtungsfahrbahn befindliche befestigte Teil der Straße, sofern diese nicht durch Bodenmarkierungen als Verzögerungs- oder Beschleunigungsstreifen gekennzeichnet ist. Ein Verzögerungsstreifen ist nach Z. 6b leg. cit. der Fahrstreifen, der bei Ausfahrten zum Einordnen in die Ausfahrt dient, ein Beschleunigungsstreifen nach Z. 6c leg. cit. der Fahrstreifen, der bei Einfahrten zum Einordnen in den fließenden Verkehr dient.
Nach § 46 Abs. 3 StVO ist ein Fahrzeug, das auf der Autobahn wegen eines Gebrechens oder dgl. angehalten werden muss, möglichst auf dem Pannenstreifen abzustellen. Der Lenker des Fahrzeuges hat dafür zu sorgen, dass er mit ihm die Fahrt ehestens fortsetzen kann. Ist dies nicht möglich, so ist das Fahrzeug unverzüglich über die nächste Abfahrtsstraße von der Autobahn zu entfernen.
Nach § 46 Abs. 4 lit. d StVO ist es auf der Autobahn verboten, den Pannenstreifen zu befahren, ausgenommen mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Straßenaufsicht oder des Pannendienstes und sofern sich nicht aus Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen etwas anderes ergibt.
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer keines der im § 46 Abs. 4 lit. d StVO erwähnten Fahrzeuge lenkte und daher auch nicht aus diesem Grunde zum Befahren des Pannenstreifens berechtigt war.
Die belangte Behörde verdeutlichte vor dem Verwaltungsgerichtshof noch ihre Rechtsansicht, wonach die Fortsetzung der Fahrt nach Vorliegen eines (behobenen) Gebrechens durch (unmittelbares) Einordnen in den fließenden Verkehr zu erfolgen habe. Der Pannenstreifen dürfe nicht zum "Beschleunigen" verwendet werden.
Dem gegenüber vertritt der Beschwerdeführer unter Berufung auf Haupfleisch, Die 10. StVO-Novelle - eine kritische Betrachtung, ZVR 1983, 168, die Ansicht, dass das Beschleunigen auf dem Pannenstreifen, um das Wiedereinordnen in den fließenden Verkehr gefahrlos zu ermöglichen, auf jeden Fall zulässig sei, da es nicht als Befahren des Pannenstreifens, sondern als Beginn der Fortsetzung der Fahrt anzusehen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass sich der Verkehrsteilnehmer nach den der Straßenverkehrsordnung vom Gesetzgeber zu Grunde gelegten Prinzipien so zu verhalten hat, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet. Unter Berücksichtigung des dem § 46 Abs. 4 lit. d StVO entnehmbaren Gebotes, den Pannenstreifen möglichst schnell zu verlassen, muss es einem Fahrzeuglenker aber rechtlich möglich sein, den Pannenstreifen derart zu benützen, dass er sich - entsprechend der Verkehrslage - gefahrlos in einer möglichst kurzen Strecke in den fließenden Verkehr einordnen kann.
Dem steht auch nicht der in der Gegenschrift angesprochene Gedanke entgegen, dass bei Parkplatzausfahrten und bei Auffahrten in Baustellenbereichen vielfach das Vorschriftszeichen "Halt" den Lenker eines Fahrzeuges dazu verpflichtet, unter Einhaltung der Bestimmungen der StVO ohne vorangegangene Beschleunigung mit seinem Fahrzeug in den Fließverkehr einzufahren. In den hier angesprochenen Bereichen hat es nämlich der Verordnungsgeber in der Hand, besondere Gefahrenmomente, wie sie sich z.B. aus der Unübersichtlichkeit der Geländegestaltung ergeben können, zu berücksichtigen und so die für die Verkehrsteilnehmer möglicherweise entstehenden Gefahren weitgehend zu reduzieren.
Die belangte Behörde hat zutreffend festgehalten, dass der Pannenstreifen insofern zur Verkehrssicherheit auf den Autobahnen beitragen soll, als er gewährleistet, dass sich auf den Fahrstreifen der Autobahnen keine stehenden Hindernisse befinden und die Einsatzfahrzeuge der Rettung, Feuerwehr und Gendarmerie bei Verkehrsunfällen den Zielort erreichen können. In diesem Sinne zählt es aber auch zur Verkehrssicherheit, dass sich auf den Fahrstreifen der Autobahnen nach Möglichkeit keine Hindernisse in Form von erst anfahrenden Fahrzeugen befinden.
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde - ausgehend von ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - Feststellungen über das Fahrverhalten des Beschwerdeführers und die Verkehrssituation unterlassen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Auf das weitere Beschwerdevorbringen, insbesondere zur Strafhöhe, war daher beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht weiter einzugehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Juli 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999020111.X00Im RIS seit
21.02.2002