TE Vfgh Erkenntnis 2018/12/12 E475/2018 ua

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Veröffentlicht am 12.12.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung von Rückkehrentscheidungen einer afghanischen Familie mangels Prüfung des besonderen Schutzbedarfs auf Grund der Religionszugehörigkeit zu den Sikhs, der einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul ohne Unterstützungsnetzwerk entgegensteht

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntätigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.379,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Erstbeschwerdeführerin ist Ehepartnerin des Zweitbeschwerdeführers. Sie sind Eltern des Drittbeschwerdeführers (17 Jahre) und des Viertbeschwerdeführers (20 Jahre). Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Sie stellten am 30. Mai 2014 Anträge auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Mai 2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Dezember 2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr in ihre Heimatprovinz Helmand auf Grund der schlechten Sicherheitslage zwar nicht zumutbar sei, den Beschwerdeführern aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offenstehe. Die Zweit- und Viertbeschwerdeführer seien arbeitsfähig und gesund, sie könnten daher in Kabul eine berufliche Tätigkeit aufnehmen. Der Drittbeschwerdeführer sei zwar noch minderjährig, ihm drohe aber keine erhöhte Gefahr, weil er im Familienverband nach Afghanistan zurückkehre. In größeren Städten wie Kabul sei auch Angehörigen der Sikh der Schulbesuch möglich. Die Erstbeschwerdeführerin verfüge zwar weder über Schuldbildung noch über Berufserfahrung, sie könne sich aber weiterhin darauf verlassen, dass sie von ihrer Familie unterstützt werde. Die Beschwerdeführer hätten außerdem weitere Familienangehörige in Afghanistan. Im Hinblick auf die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer verweist das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf das Gutachten des Sachverständigen *********, das die Frage, ob die Existenzsicherung für Angehörige einer bestimmten Volksgruppe ungleich schwieriger sei, verneine. Außerdem zieht das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und ein Gutachten "eines länderkundigen Sachverständigen" zur allgemeinen Lage der Sikh und Hindus in Afghanistan vom 15. November 2016 heran.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) sowie eine Verletzung des Art3 und Art8 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Äußerung unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die Beschwerde ist zulässig.

2.       Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan richtet, ist sie auch begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

3.       Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

4.       Die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 führen zur innerstaatlichen Fluchtalternative Folgendes aus:

"UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig."

5.       Aus den vom Bundesverwaltungsgericht zur Situation von Sikh und Hindus herangezogenen Länderberichten geht Folgendes hervor:

"Von den Sikhs wird angenommen, vor etwa 200 Jahren nach Afghanistan gekommen zu sein. Bis 1992 stieg ihre Zahl auf bis zu 50.000, wobei sie sich vor allem in Jalalabad, Kabul, Kandahar und Ghazni ansiedelten. Jahrzehntelange Instabilität und Intoleranz haben Emigrationswellen verstärkt und dadurch die Gemeinschaft landesweit verkleinert (RAWA 17.6.2013; vgl auch: CRS 8.11.2016). Fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt sei – laut Sikhführern – der Hauptgrund für die Emigration. Sie berichteten von einer gesteigerten Emigration, nachdem sich die wirtschaftliche Lage für ihre Gemeinschaften verschlechtert hat und es zu erhöhten Sicherheitsbedenken gekommen war (USDOS 10.8.2016). Derzeit wird die Bevölkerung der Sikhs in Afghanistan auf 5.000 geschätzt (Sikh24 22.9.2016).

Nichtmuslim/innen, wie z.B. Sikhs, Hindu und Christen waren Belästigung ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt. Nachdem Religion und Ethnie stark miteinander verbunden sind, ist es schwierig die vielen Vorfälle nur als Vorfälle bezüglich religiöser Identität zu kategorisieren (USDOS 10.8.2016). Hindus und Sikhs verlautbarten, es sei ihnen möglich ihre Religion öffentlich zu praktizieren; dennoch leiden sie an gesellschaftlicher Diskriminierung, inklusive Einschränkungen bei Bildung und wirtschaftlichen Möglichkeiten (CRS 8.11.2016).

Sikhs und Hindu waren Diskriminierung ausgesetzt und berichteten von ungleichem Zugang zu Regierungsjobs und Belästigungen in Schulen, sowie verbaler und physischer Misshandlung an öffentlichen Orten. Präsident Ashraf Ghani hat sich mit Sikhs und Hindus im September 2016 getroffen, um das Opferfest zu zelebrieren (USDOS 13.4.2016).

Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus/Sikhs schon auf Grund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 9.2016). Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Dieser Sitz wird zurzeit durch eine Frau eingenommen (AA 9.2016). Nach jahrelanger politischer Diskussion, hat die afghanische Einheitsregierung (RNE) im September 2016 der Reservierung eines Parlamentssitzes im Unterhaus für Sikhs und Hindus stattgegeben (Pakistan Defence 21.9.2016; vgl auch: Sikh 24 22.9.2016).

Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft zeigten sich besorgt über nachbarschaftliche Dispute. Aus Angst vor Vergeltung, bevorzugen sie, Entschädigungen nicht durch Gerichte einzuklagen. Mitglieder der beiden Gemeinden gaben an, dass sie ihre Fälle allgemein nicht an ein ziviles Gericht herantragen, sondern ziehen es vor ihre Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zu lösen. Sikhs und Hindus haben die Möglichkeit sich an Schlichtungsstellen wie z. B. das Spezialgericht für Land- und Besitzfragen ('Special Land and Property Court') zu wenden. Beide Gemeinschaften gaben an, sich durch diese Mechanismen nicht geschützt zu fühlen. Laut Vertreter/innen dieser Minderheitenreligionen haben Gerichte Nichtmuslim/innen nicht dieselben Rechte wie Muslimen anerkannt, und sie in weiterer Folge der hanafitischen Rechtsprechung unterstellt (USDOS 10.8.2016).

Kremation:

Hindus und Sikhs werden von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter wahrgenommen. Viele Muslim/innen lehnen insbesondere die Feuerbestattung ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellt (AA 9.2016). In den vergangenen Jahren, gaben Hindus und Sikhs an, dass es ihnen aufgrund von Anrainer/innen aus der Nähe des Krematoriums nicht möglich war, ihre Toten im Rahmen ihrer Traditionen zu verbrennen. Obwohl ihnen die Regierung das Land für eben diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat, beschweren sich Sikhs, dass das Land zu weit entfernt liegt und zu unsicher ist. Die Regierung stellt weiterhin Polizeiunterstützung für die Sikh- und Hindugemeinschaft zur Verfügung, während sie ihre Kremationsrituale abhalten (USDOS 10.8.2016).

In Afghanistan existieren drei aktive Gurdwaras (Sikh-Gebetsstätten) und fünf Mandirs (Hindu-Tempel); buddhistischen Ausländer/innen steht es frei in Hindu-Tempeln zu beten (CRS 8.11.2016).

Eine staatlich finanzierte Schule für Sikh-Kinder befindet sich in Kabul. Die Regierung hat Schulen in den Provinzen Helmand und Ghazni geschlossen, nachdem die Zahl der Anmeldungen zurückgegangen war. Die Regierung stellt proportional finanziell dieselben Mittel für Lehrergehälter, Schulbücher und Schulerhalt zu Verfügung, wie auch bei anderen Schulen. Das Bildungsministerium stellt den Bildungsplan für die Sikh-Schule zusammen – ausgenommen davon ist der Religionsunterricht. Die Gemeinschaft bestellt einen Lehrer für den Religionsunterricht, der vom Bildungsministerium bezahlt wird. Eine privat finanzierte Sikh-Schule in Jalalabad wird von einer NGO, dem Schwedischen Komitee für Afghanistan, unterstützt. Einige Sikh-Kinder besuchen internationale Privatschulen. An der medizinischen Universität in Kabul studiert ein Sikh. Da Hindus keine eigenen Schulen haben, gehen ihre Kinder in die Sikh-Schulen (USDOS 10.8.2016)."

6.       Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass den Beschwerdeführern in ihrer Herkunftsprovinz Helmand eine ernstzunehmende Gefahr für Leib und Leben drohe und ihnen die Rückkehr dorthin daher nicht zumutbar sei. Den Beschwerdeführern stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen. Dies begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Zweit- und Viertbeschwerdeführer erwerbsfähig seien und die erweiterte Familie der Beschwerdeführer in Afghanistan lebe.

6.1.    Die Religionsgemeinschaft der Sikh ist in Afghanistan gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, wovon auch das Bundesverwaltungsgericht ausgeht (aE S 99). UNHCR beschreibt, dass sich immer mehr Sikhs und Hindus gezwungen sehen, Afghanistan zu verlassen. Jene, die zurückblieben, seien umso gefährdeter, von der Polizei oder extremistischen Gruppen misshandelt zu werden (UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, 59 f).

6.2.    Unter Bedachtnahme auf die UNHCR-Richtlinien (vgl zu deren Indizwirkung VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259 mwN) hätte das Bundesverwaltungsgericht prüfen müssen, inwiefern bei den Beschwerdeführern – vor dem Hintergrund ihrer Religionszugehörigkeit – von einem besonderen Schutzbedarf auszugehen ist, der einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul ohne Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk entgegensteht. Das Bundesverwaltungsgericht verweist zwar auf die Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, die mit ihrer Familie in Afghanistan lebe, sowie auf den Bruder der Erstbeschwerdeführerin. Es trifft jedoch keine Feststellungen zum genauen Aufenthaltsort der Familie und verabsäumt es zu ermitteln, inwiefern die Tochter (bzw deren Familie) und der Bruder der Erstbeschwerdeführerin willens und in der Lage sind, die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr tatsächlich zu unterstützen (vgl zur fehlenden Auseinandersetzung mit dem besonderen Schutzbedarf Minderjähriger VfGH 11.6.2018, E941/2018).

7.       Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 BVG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie auf Art3 und Art8 EMRK. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 436,–, Umsatzsteuer in der Höhe von € 523,20 sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E475.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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