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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des SP in Graz, geboren am 1. Juli 1971, vertreten durch Dr. Mario Sollhart, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Friedrichgasse 6/V, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Oktober 1998, Zl. 200.193/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist liberianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 27. September 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. Oktober 1996 mit folgender Begründung Asyl:
"Ich habe mein Heimatland wegen des Krieges verlassen. Dies ist aber nicht der einzige Grund. Eine Gruppe hat versucht mich als Mitglied zu gewinnen. Diese Gruppe hatte den Namen "National Patriotic Front of Liberia". Ich wollte dieser Gruppe nicht angehören (...). Die Angehörigen dieser Gruppe haben mich zweimal angegriffen und ich hatte Angst um mein Leben. Aus diesem Grund bin ich aus dem Heimatland geflüchtet. (...) Ich wurde von drei oder vier Angehörigen der NPFL bedroht, da ich dieser Gruppe nicht beitreten wollte. Diese sind in der Nacht in das Haus gekommen, in dem ich geschlafen habe - dies war das Haus meiner Eltern - und ich sollte Mitglied ihrer Gruppe werden oder ich müsste damit rechnen, dass ich getötet werde. Ich habe dies aber abgelehnt. Ich wurde von diesen Angehörigen dieser Gruppe in Richtung Busch mitgenommen. Auf dem Weg in den Busch bin ich davongelaufen.
(...)
Ende Juni 1996 habe ich gerade eine Stelle für die Übernachtung gesucht, wurde ich von zwei Männern mit Messern angehalten und mir wurde ein Messer an die Hüfte gehalten. Die Männer haben mir mitgeteilt, dass ich in den Busch mitkommen sollte. Während des Marsches zum Busch habe ich mich gedreht und dadurch wurde der eine Mann durch meine Drehung mit dem Messer des anderen Mannes verletzt. Ich konnte davonlaufen. Die Männer sind danach sehr wild geworden.
(Warum sollten sie in den Busch mitkommen?)
Dies kann ich nicht angeben. Die Männer haben nichts gesagt."
Mit dem Bescheid vom 3. März 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung abgewiesen, dass seinen Angaben kein Glaube geschenkt werde.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid am 12. Juni 1997 Berufung mit folgender Begründung:
"Ich erkläre zu Begründung meiner Berufung, dass die bisher gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen und diese im vollen Umfang aufrecht erhalte."
In einer Stellungnahme vom 13. August 1998 ergänzte der Beschwerdeführer diese Angaben wie folgt:
"Da ich persönlich gegen Taylor aufgetreten bin, wie die oa Behörde aus meinem Akt ersehen kann, befürchte ich, dass ich im Falle einer Rückkehr sofort inhaftiert werden würde und dass ich für lange Zeit ins Gefängnis kommen oder sogar getötet würde.
Ich habe Angst nach Liberia zurückzukehren, da ich sicher bin, dort keinen Schutz vor der Verfolgung Taylors zu erhalten. Niemand kann mir garantieren, dass ich nicht getötet würde. Taylors Spitzel sind überall und selbst in den sogenannten sicheren Zonen des Landes kann ich mich nicht sicher fühlen."
Mit dem Schreiben vom 29. Juli 1998 brachte die Behörde dem Beschwerdeführer nach einer Darstellung der allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Verhältnisse in Liberia Folgendes zur Kenntnis:
"Aufgrund der nunmehr in Ihrem Heimatstaat geänderten Verhältnisse scheinen für die erkennende Behörde die Gründe, welche Sie zum vormaligen Zeitpunkt zum Verlassen ihres Heimatlandes bewogen haben, nicht mehr vorzuliegen, weshalb auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass Sie sich pro futuro auf Grund wohlbegründeter Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung außerhalb Ihres Heimatlandes befinden."
Die belangte Behörde berief sich dabei auf einen vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Note vom 25. Mai 1998 übersandten, von der österreichischen Botschaft Abidjan erstellten Länderbericht vom April 1998, der selbst nicht aktenkundig gemacht wurde.
Der Beschwerdeführer nahm zu dieser Mitteilung der belangten Behörde mit seinem bereits erwähnten Schreiben vom 13. August 1998 unter anderem wie folgt Stellung:
"Aus einem Bericht im Internet 'MAIL & Guardian' unter dem Titel 'Why the world's alarmed at Liberia' geht hervor, dass es, wenn die Regierung Taylors einen Schritt nach vor geht, sie gleichzeitig zwei Schritte zurück macht. Die brutale Ermordung von Sam Dokie und seiner Familie und die ständige Unterdrückung und Bedrohung der Presse, das tägliche Verschwinden von Bürgern sind Zeichen dafür, dass man nicht allgemein annehmen kann, dass der Demokratisierungsprozess auch wirklich vorangeht und dass ehemalige Flüchtlinge nach einer etwaigen Rückkehr auch wirklich Schutz vor Verfolgung finden können.
Auch Amnesty International stellt in seinem Jahresbericht fest, dass die Situation in Liberia weiterhin instabil ist. (...)
Vor einigen Tagen lernte ich in Graz einen Journalisten, er lebt an der Elfenbeinküste, kennen und er erzählte mir, dass Charles Taylor sagte, dass kein Flüchtling nach Liberia zurückkehren kann. Jeden den er oder seine Helfer erwischen, wird eingesperrt, da die Flüchtlinge das Land verließen und nicht gewillt waren, dieses Land zu schützen und für dieses Land und für ihn zu kämpfen. Er erzählte mir auch, dass Menschenrechte für Taylor nicht existieren. Die Demokratie funktioniert nicht. Während der Wahl wurden Leute dazu gezwungen ihre Stimme der Partei Taylors zu geben."
Die Berichte, auf die sich der Beschwerdeführer berief, wurden von der belangten Behörde - nach deren Ausführungen im angefochtenen Bescheid - in das Ermittlungsverfahren einbezogen, aber nicht aktenkundig gemacht.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Sie traf die an den Lageberichten der österreichischen
Botschaft Abidjan orientierten allgemeinen Feststellungen über die politische und menschenrechtliche Lage in Liberia und führte beweiswürdigend aus, dass der Lagebericht der österreichischen Botschaft nicht nur aktueller sei, sondern dass
"generell einem offiziellen Bericht einer österreichischen Behörde - und dies auf Grund der Verpflichtung aller österreichischen Behördenorgane zur wahrheitsgemäßen Erfüllung ihrer Tätigkeit bzw. objektiven Berichterstattung - größere Beweiskraft gegenüber Lage- bzw. Situationsberichten von Seiten privater (Printmedien etc.) bzw. sogar non-governmental organisations beizumessen ist.
(...)
Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass es dem Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Liberia jedenfalls möglich ist, sich unter den Schutz bzw. in den Schutz bzw. Einflussbereich der Regierung oder der, mit der Regierung kooperierenden ECOMOG-Friedenstruppen zu begeben und er daher nicht zu befürchten hat, von Seiten Angehöriger einer der vormals agierenden Rebellenarmeen behelligt zu werden.
Hervorgehoben wird weiters, dass es der Berufungswerber trotz Wahrung des rechtlichen Gehörs betreffend das obdargestellte Beweisergebnis unterlassen hat, eine etwaige, ihn persönlich betreffende, konkrete sich pro futuro darstellende Gefährdungssituation bzw. eine ebensolche zu befürchtende Verfolgungshandlung aufzuzeigen. Die Glaubhaftmachung einer solchen begründeten Furcht vor einer derartigen Verfolgungshandlung stellt aber ein wesentliches Merkmal des Flüchtlingsbegriffs dar.
Die im Heimatstaat eines Antragstellers allgemein herrschenden politischen wie sozialen Verhältnisse vermögen die Asylgewährung nicht zu tragen, da diesen allgemeinen Gegebenheiten grundsätzlich alle Einwohner der betreffenden Region gleichermaßen ausgesetzt sind.
(...)
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage unter zentraler Berücksichtigung des niederschriftlichen Vorbringens in Verbindung mit der Berufung und dem objektiven - und vom Antragsteller nicht durch fundierte gleichzuhaltende Quellen ernsthaft in Zweifel gezogenen - vorliegenden Länderbericht des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten geklärt ist, konnte gemäß Art. II Abs. 2 Z 43 a EGVG von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat davon Abstand genommen, sich mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander zu setzen, und keine Feststellungen darüber getroffen, ob die von Taylor geleiteten NPFL-Milizen - wie vom Beschwerdeführer vorgebracht - zu Beginn des Jahres 1996 versucht haben, ihn unter Androhung seiner Ermordung zum Beitritt zur NPFL zu zwingen. Sie hat sich stattdessen auf die seit der Antragstellung des Beschwerdeführers ihrer Ansicht nach gänzlich geänderten Verhältnisse in Liberia gestützt und damit im Ergebnis Art. 1 Abschn. C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention angewendet. Diese Bestimmung besagt, dass eine Person, auf die die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt,
"wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatszugehörigkeit sie besitzt."
Der belangten Behörde ist grundsätzlich darin beizupflichten, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Heimatstaat des Asylwerbers die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Flucht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Flucht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne dieser Bestimmung mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567).
Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren sein Vorbringen aber auch dahin ergänzt, dass er wegen seiner Weigerung, der NPFL beizutreten, von deren Führer, dem nunmehrigen Präsidenten von Liberia, Taylor, im Falle seiner Rückkehr verfolgt, sofort inhaftiert und unter Umständen sogar getötet würde. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde ebenfalls nicht auseinander gesetzt und keine Ermittlungen darüber gepflogen, ob Staatsangehörige Liberias, die sich weigerten, der NPFL beizutreten, in Liberia deswegen auch unter den geänderten politischen Verhältnissen asylrelevante Verfolgung zu befürchten haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juli 1999, Zl. 98/20/0450).
Darüber hinaus durfte die Behörde nicht davon ausgehen, dass der Sachverhalt gemäß Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheine und sohin eine mündliche Verhandlung unterbleiben könne (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, und vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
Zum Ermittlungsverfahren der belangten Behörde ist grundsätzlich festzuhalten, dass eine gesetzliche Vermutung, wonach Länderberichte einer Botschaft "den Tatsachen entsprechen", nicht besteht. Es bedarf vielmehr einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt solcher Berichte, um daraus Schlussfolgerungen auf deren Richtigkeit in Abwägung mit weiteren, auch gegenteiligen Beweisquellen, ziehen zu können. Mangels Vorhandenseins dieser Berichte im vorgelegten Verwaltungsakt besteht für den Verwaltungsgerichtshof keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde aus diesen Berichten gezogene Schlussfolgerung auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können (vgl. wiederum das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 22. August 1999, Zl. 98/20/0567).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Juli 1999
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender BeweisergebnisseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998200545.X00Im RIS seit
20.11.2000