Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §59 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 10. Oktober 2016, LVwG 30.19-53/2016-16, LVwG 35.19-144/2016-16, betreffend Übertretung des ElWOG (mitbeteiligte Parteien: 1. DI Dr. F S,
2. E GmbH, beide in G und beide vertreten durch die Kaufmann & Lausegger Rechtsanwalts OG in 8020 Graz, Mariahilferstraße 20/II, 3. Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizität- und Erdgaswirtschaft (E-Control) in 1010 Wien, Rudolfsplatz 13a), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit der Ausspruch über die verhängte Strafe sowie der Haftungsausspruch aufgehoben und eine Ermahnung erteilt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz (belangte Behörde) vom 11. November 2015 wurde der erstmitbeteiligten Partei zur Last gelegt, sie habe es als verantwortliche Beauftragte der zweitmitbeteiligten Partei zu verantworten, dass ein Mitarbeiter der zweitmitbeteiligten Partei am 29. November 2013 in W Frau E P gedrängt habe, einen Energieliefervertrag mit der E S K GmbH, einem 100 % Unternehmen der E S AG, zu unterzeichnen, anderenfalls der Strom nicht eingeschalten würde, obwohl die Kundin auf einen bestehenden, mit der V AG abgeschlossenen Energieliefervertrag hingewiesen habe und es den Netzbetreibern untersagt sei, jene Personen, die ihre Anlagen nutzen oder zu nutzen beabsichtigen, oder bestimmte Kategorien dieser Personen insbesondere zu Gunsten vertikal integrierter Elektrizitätsunternehmen diskriminierend zu behandeln. Dadurch habe die erstmitbeteiligte Partei § 9 Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (ElWOG) in Verbindung mit § 9 Abs. 2 VStG verletzt und sei deshalb über sie eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 7.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: drei Tage) zu verhängen. Unter einem sprach die belangte Behörde aus, dass die zweitmitbeteiligte Partei für die verhängte Strafe gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand hafte.
2 2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. Oktober 2016 wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde der erstmitbeteiligten Partei (in Bezug auf den Ausspruch über die Schuld) mit der Maßgabe ab, dass es den Spruch des Straferkenntnisses geringfügig abänderte. Hinsichtlich der verhängten Strafe gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde insoweit Folge, als der Strafausspruch behoben und gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG eine Ermahnung erteilt wurde. Aus Anlass der Beschwerde der zweitmitbeteiligten Partei behob das Verwaltungsgericht den Haftungsausspruch gemäß § 9 Abs. 7 VStG. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 2.2. In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Tatbestand des § 9 ElWOG in objektiver Hinsicht erfüllt sei. Durch das Aushändigen eines vorgefertigten, ein Unternehmen der E S AG begünstigenden Stromliefervertrages durch den Mitarbeiter der - von der zweitmitbeteiligten Partei beauftragten - P GmbH seien andere Nutzer oder auch zukünftige Nutzer der von der zweitmitbeteiligten Partei betriebenen Anlagen zugunsten der E S AG, sohin einem vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen, diskriminierend behandelt worden.
4 Die erstrevisionswerbende Partei sei der gesetzlichen Verpflichtung zur Erstellung eines Gleichbehandlungsprogrammes und Namhaftmachung eines Gleichbehandlungsverantwortlichen nachgekommen. Das unbestritten erstellte Programm und die Durchführung von sich daraus ergebenden Audits und Schulungen könne die erstrevisionswerbende Partei jedoch nicht exkulpieren. Das Programm verpflichte nur die Mitarbeiter der E GmbH und sei daher nicht geeignet, Diskriminierungen durch beauftragte Dritte und deren Arbeitnehmer hintan zu halten, die durch das Mitführen bzw. auch Aushändigen von "vorgefertigten Verträgen" zu Gunsten des Auftraggebers bzw. zu Gunsten vertikal integrierter Elektrizitätsunternehmen, sohin quasi als Erfüllungsgehilfen tätig würden. Die erstrevisionswerbende Partei trage - zumindest in der Verschuldensform der Fahrlässigkeit - die Verantwortung für die gegenständliche Diskriminierung, zumal sie selbst ausgeführt habe, nicht gewusst zu haben, dass "auf Grund der speziellen konzernrechtlichen Genese des Netzgebietes (...) ein Drittunternehmen, namentlich die P (...) GmbH, tätig geworden ist". Daraus folge, dass die erstrevisionswerbende Partei die Verantwortung für das Unternehmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt wahrgenommen habe.
5 Der revisionswerbenden Partei könne jedoch zu Gute gehalten werden, dass sie auf den gegenständlichen Vorfall reagiert habe. So sei rasch nach dem Vorfall allen für die zweitmitbeteiligte Partei tätigen internen und externen Monteuren ausdrücklich untersagt worden, Stromlieferverträge mitzuführen. Damit hätten die Monteure seit diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit, überhaupt einem Kunden vorzuschlagen, einen Stromliefervertrag zu unterfertigen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der mit Frau E P abgeschlossene Stromliefervertrag nach Bekanntgabe des Bestehens eines Stromliefervertrages mit der V AG storniert worden sei. Der tatsächlich eingetretene Schaden könne daher tatsächlich als gering gewertet werden. Auch die lange Verfahrensdauer sei mildernd zu berücksichtigen. Erschwerende Umstände lägen nicht vor. Der Strafausspruch könne daher gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG behoben und gleichzeitig eine Ermahnung ausgesprochen werden, um die mitbeteiligte Partei auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens hinzuweisen und von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis erhob die belangte Behörde die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die das Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt hat. Diese Revision führt zwar das "angefochtene Erkenntnis insgesamt, insbesondere (...) die darin enthaltene Umwandlung des Strafausspruchs in eine Ermahnung" an, richtet sich aber nach dem gesamten übrigen Inhalt nur gegen die Umwandlung der Strafe in eine Ermahnung und nicht auch gegen die Bestätigung des Schuldspruches.
7 Die erst- und die zweitmitbeteiligte Partei beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, in eventu deren Abweisung. Die Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizität- und Erdgaswirtschaft (E-Control) erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die mit dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochene Ermahnung stellt zwar keine Strafe dar, sie ist aber gleichwohl nur für jene Fälle vorgesehen, in denen die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe gegeben sind. Der Bescheid bzw. das Erkenntnis hat daher einen Schuldspruch und den Ausspruch der Ermahnung zu enthalten (vgl. die Judikaturnachweise bei Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 (2017) § 45 Rz. 3, Kneihs in Raschauer/Wessely, VStG2 (2016) § 45 Rz. 8 und Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht6 (2018) Rz. 618). In Bezug auf den Schuldspruch einerseits und den Ausspruch über die Strafe bzw. die Ermahnung andererseits liegen trennbare Absprüche vor (vgl. VwGH 19.5.1993, 92/09/0031).
10 4.2. Die belangte Behörde bringt zur Zulässigkeit ihrer Amtsrevision vor, es liege eine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG abweiche. Das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, nämlich die Schaffung und Sicherstellung eines freien Wettbewerbs auf dem Strommarkt zu Gunsten der Konsumenten, nicht ausreichend gewürdigt.
11 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt:
12 4.3. Soweit die erst- und die zweitmitbeteiligte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung vorbringen, die Revision sei auf Grund der mittlerweile eingetretenen Strafbarkeitsverjährung unzulässig, weil diese Frist am 29. November 2016 geendet habe und die Revision erst am 13. Dezember 2016 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig geworden sei, übersehen sie, dass die Revision am 22. November 2016 beim Verwaltungsgericht eingebracht wurde.
13 5.1. § 45 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. 52 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder
Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu
verfügen, wenn
1. bis 3. (...)
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes
und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das
Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. bis 6 (...)
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten."
14 Eine Entscheidung gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG liegt im Ermessen der Behörde ("kann") und hängt von einer auf den Einzelfall abzustellenden spezialpräventiven Prognose ab (vgl. VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167, mwN).
Allerdings setzt diese Ermessensentscheidung voraus, dass die in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2017/02/0102, mwN). Dabei ist neben der Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung durch die Tat und dem Verschulden des Beschuldigten auf die abstrakte Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes abzustellen (vgl. Kneihs, aaO, § 45 Rz. 8).
15 5.2. Im vorliegenden Fall wird der erstmitbeteiligten Partei ein Verstoß gegen das in § 9 ElWOG normierte Diskriminierungsverbot angelastet. Diesem zu Folge ist es den Netzbetreibern untersagt, jene Personen, die ihre Anlagen nutzen oder zu nutzen beabsichtigen oder bestimmten Kategorien dieser Personen, insbesondere zugunsten vertikal integrierter Elektrizitätsunternehmen, diskriminierend zu behandeln. Der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung zieht sich wie ein "roter Faden" durch das gesamte Energierecht (vgl. die Erläuterungen zu den §§ 8 bis 11 ElWOG: RV 994 BlgNR 24. GP 11) und gilt als das "Kernstück" des ElWOG (vgl. Hauenschild et al, ElWOG2 (2013) § 9). Das im vorliegenden Fall zu schützende Rechtsgut ist die Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs auf dem Strommarkt. Dem wird durch das Diskriminierungsverbot in der Weise entsprochen, dass die Netzbetreiber die Netzbenutzer so zu behandeln haben, als ob die Netzbetreiber selbst in Konkurrenz zu einander stünden und dem wettbewerblichen Druck des Marktes ausgesetzt wären (vgl. Hauenschild et al, ElWOG2 (2013) § 9).
16 Der Einhaltung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung kommt demnach erhebliche Bedeutung zu. Keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass die Bedeutung des damit strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gering ist.
17 Diese Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes findet ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens. Dieser sieht für leicht fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 99 Abs. 2 Z 1 ElWOG Geldstrafen bis zu EUR 75.000,-- vor (bei einem grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot kann das Kartellgericht gemäß § 104 Abs. 1 ElWOG über den Netzbetreiber eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Jahresumsatzes verhängen).
18 Ist aber die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht gering, fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, weshalb auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage kommt.
19 Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und damit das angefochtene Erkenntnis mit Rechtwidrigkeit des Inhaltes belastet.
20 5.3. Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit durch dieses der Ausspruch über die verhängte Strafe sowie der Haftungsausspruch aufgehoben und eine Ermahnung erteilt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag abzuweisen war.
Wien, am 18. Dezember 2018
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040148.L00Im RIS seit
29.01.2019Zuletzt aktualisiert am
27.03.2019