Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und KR Karl Frint in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Milena M*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2018, GZ 9 Ra 26/18m-39, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Nach dem festgestellten Sachverhalt teilte die Klägerin ihrer Vorgesetzten am 16. 11. 2016 den Verdacht mit, schwanger zu sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke mit positivem Ergebnis durchgeführt. Bei einer Untersuchung am 21. 11. 2016 konnte die Schwangerschaft durch Ultraschalluntersuchung nicht verifiziert werden, weil weder ein Embryo noch dessen positiver Herzschlag sichtbar war. Am 24. 11. 2016 zeichnete sich aufgrund des nur schwach angestiegenen Beta-HCG-Wertes eine Fehlgeburt ab. Am 28. 11. 2016 suchte die Klägerin wegen starker Blutungen ihren Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe auf. Bei Untersuchungen in einer Krankenanstalt am 29. 11. 2016 und am 5. 12. 2016 zeigte sich ein massiv abgesunkener Beta-HCG-Wert. Am 5. 12. 2016 war die Schwangerschaft der Klägerin endgültig beendet und wurde ihr so mitgeteilt. Es ist nicht feststellbar, ob zu irgendeinem Zeitpunkt ein entwicklungsfähiger Embryo vorhanden war, der abgegangen war, oder ob es sich zu keinem Zeitpunkt um eine intakte entwicklungsfähige Schwangerschaft gehandelt hat. Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 25. 11. 2016 die Kündigung der Klägerin aus. Das Schreiben wurde der Klägerin am 29. 11. 2016 zugestellt. Am 7. 12. 2016 suchte sie den Facharzt auf, ersuchte um Bestätigung der abortierten Schwangerschaft und übermittelte diese der Beklagten.
Das Berufungsgericht erachtete die Kündigung der Klägerin gemäß § 10 Abs 1 MRG für rechtsunwirksam.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Die Frage, ob für das Vorliegen des besonderen Kündigungsschutzes nach § 10 Abs 1 MSchG eine intakte entwicklungsfähige Schwangerschaft erforderlich ist, wurde bereits in der Entscheidung 9 ObA 23/95 dahin beantwortet, dass der besondere Kündigungsschutz des § 10 MSchG nur zum Tragen kommt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine Schwangerschaft tatsächlich schon eingetreten ist. Der Gesetzgeber stellt auf den schützenswerten Zustand der Frau ab der grundsätzlich zu einer Geburt führenden Empfängnis bis zum Eintritt der Geburt ab, weil die Schutzbedürftigkeit für die Dauer dieses veränderten körperlichen Zustandes der Frau unabhängig davon besteht, ob auch schon eine Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutterschleimhaut stattgefunden hat und ob der Nachweis der Schwangerschaft leicht zu erbringen ist. Im Hinblick auf den Kündigungsschutz des § 10 MSchG ist damit grundsätzlich die mit Vereinigung der Ei- und Samenzelle begonnene Schwangerschaft maßgeblich (idS auch 9 ObA 8/96; Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 MSchG Rz 7; s auch Thomasberger in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger, Mutterschutz-gesetz und Väter-Karenzgesetz, § 10 S 218; abweichend zur In-vitro-Fertilisation: 8 ObA 39/06b, 8 ObA 27/08s).
Dass im vorliegenden Fall eine Befruchtung stattgefunden hat, war hier aus der festgestellten Fehlgeburt zu erschließen. Daneben ist es nach der Rechtsprechung im Hinblick auf § 10 Abs 1 MSchG irrelevant, ob eine „intakte“ Schwangerschaft und ein entwicklungsfähiger Embryo vorlagen oder ein schwangerschaftsähnlicher Zustand wie etwa bei einer Eileiterschwangerschaft gegeben war. Soweit die Beklagte meint, die Erhöhung der Hormonwerte der Klägerin könnte auch zahlreiche andere Ursachen als eine Schwangerschaft gehabt haben, bestehen dafür keine Anhaltspunkte, geht aus dem festgestellten Sachverhalt doch explizit eine Fehlgeburt hervor. Die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung iSd § 10 Abs 1 MSchG scheitert hier auch nicht daran, dass der Beklagten die Schwangerschaft nicht bekannt gewesen wäre. Denn dafür genügt die Mitteilung der Arbeitnehmerin, wahrscheinlich schwanger zu sein, wenn sie im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich schwanger war (Wolfsgruber-Ecker aaO § 10 MSchG Rz 13; Arb 8450). Ausgehend von einer endgültigen Beendigung der Schwangerschaft am 5. 12. 2016 kam das Berufungsgericht daher in nicht weiter korrekturbedürftiger Weise zum Ergebnis, dass der Kündigungsschutz der Klägerin iSd § 10 Abs 1 MSchG im Zeitpunkt der Kündigung aufrecht war.
Auf die Erwägungen der Beklagten zum Fehlen der Voraussetzungen einer Fehlgeburt iSd § 10 Abs 1a MSchG iVm der Definition des § 8 Abs 1 Z 3 HebG kommt es danach nicht an.
Die von der Beklagten geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Angebliche Mängel des Verfahrens 1. Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Das gilt auch für eine vom Berufungsgericht verneinte Aktenwidrigkeit (RIS-Justiz RS0042963 [T40]). Eine aktenwidrige Begründung könnte auch nur aus einem Widerspruch von tatsächlichen Annahmen des Gerichts zum Akteninhalt, nicht aber – wie hier – aus Erwägungen der Tatsacheninstanzen abgeleitet werden können (vgl RIS-Justiz RS0043347).
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten daher zurückzuweisen.
Der Klägerin stehen für die ihr nicht freigestellte Revisionsbeantwortung (§ 508a Abs 2 ZPO) keine Kosten zu (RIS-Justiz RS0043690 [T6, T7]).
Textnummer
E123864European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00116.18A.1217.000Im RIS seit
31.01.2019Zuletzt aktualisiert am
03.01.2020