Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter über die Wahlanfechtung des Antragstellers Dr. A*****, Rechtsanwalt, *****, betreffend die am 8. August 2018 durchgeführte Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Anfechtung der am außerordentlichen Plenartag der Rechtsanwaltskammer Wien am 8. August 2018 erfolgten Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien und
2. der Antrag des Antragstellers, ihm Kostenersatz für das Wahlanfechtungsverfahren zuzusprechen,
werden abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Rechtsanwaltskammer Wien hat am 13. April 2018 zu der für 11. Juni 2018 anberaumten Plenarversammlung 2018 eingeladen. In der Einladung fand sich der Tagesordnungspunkt V. 1. e) „Wahl von 11 Mitgliedern des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte“. Hingewiesen wurde in der Einladung auf die Möglichkeit der Briefwahl. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien hat diesen Tagesordnungspunkt am 29. Mai 2018 von der Tagesordnung genommen.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2018, 19 Ob 2/18k, hat der Oberste Gerichtshof den Antrag des Antragstellers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, in eventu auf Neudurchführung der Wahl als unzulässig zurückgewiesen.
Am 13. Juni 2018 hat die Rechtsanwaltskammer Wien zur außerordentlichen Plenarversammlung am 8. August 2018 geladen. Die Tagesordnung enthielt den Tagesordnungspunkt III. „Wahl von 13 Mitgliedern des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte“. Auch in dieser Einladung wurde auf die Möglichkeit der Briefwahl hingewiesen.
Wie schon zur Wahl am 11. Juni 2018 hat der Antragsteller wiederum einen Wahlvorschlag bei der Rechtsanwaltskammer Wien eingebracht, der seine Person enthielt.
Die Wahl wurde am 8. August 2018 durchgeführt.
Das Ergebnis der Wahl wurde von der Rechtsanwaltskammer Wien am 9. August 2018 kundgemacht: Demnach erhielt der nunmehrige Antragsteller bei dieser Wahl 54 Stimmen von 682 abgegebenen Stimmen aus dem Kreis der Rechtsanwälte und galt daher als nicht gewählt.
Am 17. August 2018 langte beim Obersten Gerichtshof die folgende im Postweg übermittelte (und sodann im Rahmen des Verbesserungsverfahrens im Elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte) „Wahlanfechtung gemäß § 24b RAO“ des Antragstellers ein:
„An den Obersten Gerichtshof
Wahlanfechtung gemäß § 24b RAO
Präambel:
Die Wahl der Rechtsanwaltskammer Wien am 11. 6. 2018, bei der laut vorheriger Kundmachung unter anderem die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte vorgesehen war, wurde bereits mit Eingabe vom 18. 6. 2018 angefochten, weil der Anfechtungswerber durch die Nichtdurchführung der laut Kundmachung vorgesehenen Wahl in der Plenarversammlung am 11. 6. 2018 (Wahl der DR-Mitglieder aus dem Kreis der Rechtsanwälte) übergangen wurde und das Übergehen eines Kandidaten … einen infolge gebotener Lückenschließung durch Analogie herleitbaren Anfechtungsgrund iSd § 24b RAO verkörpert, oder darin – ohne Analogieerfordernis – der Anfechtungsgrund des Ausschlusses von der Wahl (§ 24b Abs 1 2. Satz 2. HS 1. Fall RAO) durch Nichtdurchführung der Wahl erblickbar ist.
Aktuelle Anfechtung:
Die damals zwar kundgemachte und in Form der Briefwahl durchzuführen begonnene Wahl wurde letztlich (nach bereits erfolgter Kundmachung der Kandidaten und bereits erfolgter Abgabe von Briefwahlstimmen für den Anfechtungswerber) gleichsam abgebrochen und – entgegen der ursprünglichen Kundmachung – nicht am Plenartag durchgeführt, sondern auf den nächsten Plenartag verschoben, der als außerordentlicher Plenartag für den 8. 8. 2018 anberaumt wurde.
An dieser verschobenen Wahl nahm der Anfechtungswerber wieder teil. Laut dem am 9. 8. 2018 veröffentlichten Wahlergebnis wurde er jedoch nicht gewählt. Dabei wurden allerdings die bereits zuvor – bei der ersten Wahl – abgegebenen Briefwahlstimmen nicht gewertet. Das belastet auch den nunmehrigen Wahlvorgang mit Rechtswidrigkeit, weil die Nichtwertung Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann. Ein möglicher Einfluss genügt (VfSlg 10.307); des Nachweises einer konkreten – das Wahlergebnis tatsächlich verändernden – Auswirkung bedarf es nicht, und eine Zählung, was herausgekommen wäre, wäre unzulässig (zuletzt eindrucksvoll: VfGH, 1. 7. 2016, W I 6/2016-125). Eine abgegebene, aber zu Unrecht nicht berücksichtigte Stimme wäre nach dieser zu allgemeinen Wahlanfechtungen ergangenen Judikatur also bereits ein relevanter Umstand.
Dass die abgegebenen Briefwahlstimmen der vorhergehenden – de facto abgebrochenen – Wahl zum Disziplinarrat bei der de facto auf den jetzigen Plenartag verschobenen Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates nicht berücksichtigt wurden, ist zu Unrecht erfolgt, denn sie waren ja zuvor völlig ordnungsgemäß abgegeben worden (der Abbruch der Wahl und die Verschiebung des Wahlvorganges erfolgte ja später, als bereits Briefwähler durch ordnungsgemäße Stimmabgabe gewählt hatten).
Das irritierte viele Briefwähler; so meldeten sich erboste Wähler beim Anfechtungswerber und meinten, sie verstünden nicht, warum sie eine Briefwahlstimme abgegeben hatten für die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates, wenn diese weder bei der ursprünglich vorgesehenen und mittels Briefwahl begonnenen Wahl noch bei der diesbezüglich verschobenen (genauer: beim ursprünglich vorgesehenen Plenartag anberaumten, sohin der Sache nach auf einen späteren Zeitpunkt verschobenen) Wahl berücksichtigt wurden. Rechtsanwalt …. teilte von sich aus mit, gerne als Zeuge dafür namhaft gemacht zu werden, dass er seine Stimme schon abgegeben hatte und mit dem erfolgten ‘Abbruch‘ einer laufenden Wahl nicht einverstanden sei. Dieser Beweisantrag auf seine Einvernahme wird hiermit gestellt. Davon unabhängig geht es aber aus der Aktenlage hervor und wurde es dem Anfechtungswerber auch bestätigt, dass die bei der ersten – abgebrochenen – Wahl (gemeint ist damit die laut Kundmachung für den 11. 6. 2018 vorgesehen gewesene Wahl) abgegebenen Briefstimmen bei der nunmehrigen Wahl (nämlich der laut weiterer Kundmachung für den 8. 8. 2018 vorgesehenen und offenbar auch durchgeführten Wahl) nicht berücksichtigt wurden. Darin liegt ein potenziell relevanter Mangel und da erstens die Potenzialität eines Mangels nach der zitierten Judikatur ausreicht und zweitens nach Art 141 B-VG jede Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens mittels Wahlanfechtung geltend gemacht werden kann …, müsste dies – argumento a maiori ad minus – auch für die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer gelten, sodass jedenfalls in verfassungskonformer Interpretation des § 24b RAO ein tauglicher Anfechtungsgrund in dem Umstand der Nichtberücksichtigung ordnungsgemäß abgegebener Stimmen zu erblicken ist (und zwar – zur Verdeutlichung – fallbezogen in der Nichtberücksichtigung der bei der ersten – abgebrochenen und verschobenen – Wahl für den Anfechtungswerber abgegebenen Briefstimmen bei der nunmehr erfolgten Durchführung der Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates).
Zusammenfassend lässt sich somit folgender Anfechtungsstandpunkt hervorheben: Die erste – bereits begonnene – Wahl hätte man nicht durch plötzliche Streichung von der schon beschlossenen Tagesordnung abbrechen dürfen. Wenn man sie aber abbrach, hätte man die bis dahin – zum Zeitpunkt der Abgabe ja korrekt abgegebenen – Briefwahlstimmen beim später durchgeführten Wahlvorgang berücksichtigen müssen, was aber nicht geschah. Daher wird hiermit die am außerordentlichen Plenartag am 8. 8. 2018 erfolgte Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates – genauer: das Ergebnis dieser Wahl unter teilweiser Heranziehung und teilweiser Nichtberücksichtigung von für die konkrete Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates für den Anfechtungswerber abgegebenen Briefwahlstimmen (nämlich der Heranziehung der jetzt, nicht aber der zuvor – notabene für ein und dieselbe wahlgegenständliche Funktion, nämlich die Mitgliedschaft beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien – abgegebenen Briefwahlstimmen) – angefochten.
Die gegenständliche Anfechtung erfolgt zeitgerecht binnen einer Woche ab der Wahlergebnisveröffentlichung und richtet sich gemäß § 24b Abs 2 RAO an den Obersten Gerichtshof. Anfechtungsgegenstand ist der obbezeichnete, mit den aufgezeigten Mängeln behaftete Wahlvorgang. Der Anfechtungswerber ist anfechtungsberechtigt, weil er passiv wahlberechtigt ist, konkret zur Wahl stand und durch das mit dem anfechtungsgegenständlichen Wahlverfahrensmangel behaftete Wahlergebnis beschwert ist.
Begehrt wird die Aufhebung der Wahl.
Wien, am 13. 8. 2018
Anfechtungswerber: RA Dr. A*****“
In ihrer Stellungnahme stellt die Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag, der Oberste Gerichtshof möge die Wahlanfechtung als unzulässig zurückweisen, in eventu die Wahlanfechtung als in der Sache unbegründet abweisen.
Ihr Standpunkt lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
– Der Antragsteller stütze die Wahlanfechtung auf § 24b RAO. Diese Bestimmung sehe lediglich eine Anfechtung von Wahlen vor, die in § 24 Abs 1 RAO genannt seien. Da die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates in § 24 Abs 2 RAO nicht genannt sei, erweise sich die Anfechtung einer solchen Wahl (auf Grundlage des § 24b RAO) als unzulässig. Eine Rechtsgrundlage für die Anfechtbarkeit dieser Wahl bestehe nicht, insbesondere nicht in § 7 DSt.
– Ein Wahlanfechtungsgrund liege mangels einer Rechtswidrigkeit im Wahlvorgang nicht vor. Die zur Wahl am 11. Juni 2018 abgegebenen Briefwahlkarten hätten sich eindeutig und allein auf die damals geplante Wahl bezogen. Durch die Abberaumung der Wahl hätten sie ihre Gültigkeit verloren. Wäre die Rechtsansicht des Antragstellers richtig, hätten alle Kammermitglieder aus dem Stand der Rechtsanwälte, die bereits am 11. Juni 2018 ihre Stimme per Briefwahl abgegeben hatten, von der Wahl am 8. August 2018 ausgeschlossen werden müssen.
– Rechnerisch wäre es selbst bei Hinzuzählung der bei der Wahl vom 11. Juni 2018 auf ihn entfallenen Stimmen ausgeschlossen gewesen, dass der Antragsteller am 8. August 2018 gewählt worden wäre. Ein Einfluss auf das Wahlergebnis sei mit dem Umstand, dass die Wahl erst am 8. August 2018 durchgeführt worden sei, nicht verbunden gewesen.
Aufgrund des Akteninhalts werden über den eingangs angeführten Sachverhalt hinaus folgende
F e s t s t e l l u n g e n
getroffen:
Als der „erste“ Wahltermin (11. Juni 2018) in Bezug auf die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte abberaumt wurde, hatte bereits die Möglichkeit bestanden, Wahlkuverts mit Stimmen abzugeben; es waren tatsächlich auch schon welche abgegeben worden.
An der Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer Wien am 11. Juni 2018 nahmen 269 Mitglieder (127 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 142 Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter) persönlich, weitere 417 (384 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 33 Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter) mittels Briefwahl an den Wahlen und Abstimmungen teil.
An der außerordentlichen Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer Wien am 8. August 2018 nahmen 63 Mitglieder (40 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 23 Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter) persönlich, weitere 713 (649 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 64 Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter) mittels Briefwahl an den Wahlen und Abstimmungen teil.
An der Wahl der 13 Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Stand der Rechtsanwälte beteiligten sich 682 Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. 21 Stimmen waren ungültig bzw leer und 661 Stimmen gültig. Davon entfielen auf 13 Kandidatinnen und Kandidaten 526 bis 466 Stimmen. Auf den Anfechtungswerber als 14. Kandidaten entfielen 54 Stimmen.
Das Wahlergebnis vom 8. 8. 2018 wurde am 9. 8. 2018 auf der Internetseite der Rechtsanwaltskammer Wien veröffentlicht. In dieser Kundmachung des Wahlergebnisses wurden 13 Kandidatinnen bzw Kandidaten als gewählt angeführt und ein Kandidat (der Anfechtungswerber) als nicht gewählt.
Diese Feststellungen beruhen auf folgender
B e w e i s w ü r d i g u n g :
Der eingangs der Begründung angeführte Sachverhalt ist zwischen den Parteien nicht strittig, ebenso wenig der Umstand, dass zu dem Zeitpunkt, als der „erste“ Wahltermin abberaumt wurde, bereits die Möglichkeit bestanden hatte, Wahlkuverts mit Stimmen abzugeben und dass tatsächlich auch solche bereits abgegeben waren. Aus den Umständen des Wahlvorgangs kann geschlossen werden, dass die Abberaumung der für 11. Juni 2018 vorgesehenen Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte – wie von der Antragsgegnerin vorgebracht – damit zusammenhängt, dass in der ursprünglichen Einladung irrtümlich nur die „Wahl von 11 Mitgliedern des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte“ vorgesehen war, während richtigerweise 13 Mitglieder zu wählen waren.
Die zahlenmäßige Charakteristik der Wahlen und Abstimmungen bei den beiden Plenarversammlungen der Rechtsanwaltskammer Wien am 11. Juni 2018 und am 8. August 2018 wurden auf der Website der Rechtsanwaltskammer Wien kundgemacht. Die Wahlergebnisse vom 8. August 2018 wurden am 9. August 2018 veröffentlicht.
Der Sachverhalt führt zu folgender
r e c h t l i c h e n B e u r t e i l u n g :
Rechtliche Beurteilung
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates durch die Vollversammlung ist in § 7 DSt geregelt. Anders als § 24b RAO sieht diese Bestimmung keine Anfechtung der Wahl beim Obersten Gerichtshof vor.
Es ist zu klären, ob § 7 DSt eine planwidrige Lücke enthält.
1.2. § 24b Abs 2 RAO wurde mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2010 – BRÄG 2010, BGBl I 2009/141, in folgender Fassung in die RAO eingefügt:
(2) Über die Anfechtung der Wahl entscheidet die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission. Die Wahl ist neu durchzuführen, wenn es rechnerisch möglich ist, dass ohne den geltend gemachten Wahlanfechtungsgrund eine andere Person in die jeweilige Funktion gewählt worden wäre.
In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 483 BlgNR 24. GP 12) heißt es dazu:
Die Möglichkeit einer Wahlanfechtung war in der RAO bislang nicht vorgesehen. Dies wurde verschiedentlich als verfassungsrechtlich bedenklich beurteilt (Poier, Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Rechtsanwaltskammerwahlen, AnwBl 2006, 125; Bammer, Das geltende Kammerwahlrecht und seine Alternativen, AnwBl 2006, 134). Dieser Kritik soll mit dem vorgeschlagenen § 24b RAO Rechnung getragen werden. Die Regelung sieht vor, dass die Wahl von jedem Wahlberechtigten binnen einer Woche nach Veröffentlichung des Wahlergebnisses bei der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission angefochten werden kann, wenn eine Person zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen, zur Wahl zugelassen oder als gewählt erklärt worden ist. Die Anordnung einer allfälligen Neudurchführung der Wahl durch die OBDK soll allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn es rechnerisch möglich ist, dass ohne den geltend gemachten Wahlanfechtungsgrund eine andere Person in die jeweilige Funktion gewählt worden wäre.“
1.3. Mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz – Justiz – VAJu, BGBl I 2013/190, wurde § 24b Abs 2 RAO nur dahingehend geändert, dass die Wortfolge „die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission“ durch die Wortfolge „der Oberste Gerichtshof“ ersetzt wurde.
1.4. § 7 DSt wurde zwar sowohl mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2010 – BRÄG 2010 als auch mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz – Justiz – VAJu ergänzt, aber nicht entsprechend § 24b RAO geändert.
1.5. In der der Einführung des § 24b RAO vorangegangenen rechtspolitischen Diskussion (siehe insb Benn-Ibler, Wir haben die Wahl, AnwBl 2006, 117; Poier, Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Rechtsanwaltskammerwahlen, AnwBl 2006, 125; Bammer, Das geltende Kammerwahlrecht und seine Alternativen, AnwBl 2006, 134; Hoffmann, Wahlen in die Standesvertretung, AnwBl 2006, 141) wurde das Fehlen einer Rechtsgrundlage für eine Anfechtbarkeit der Wahlen in den Rechtsanwaltskammern als Defizit effizienten Rechtsschutzes gesehen (siehe zB Poier, AnwBl 2006, 133: „… eine verfassungswidrige Lücke. Diese sollte vom Gesetzgeber rasch beseitigt werden. ...“; Bammer, AnwBl 2006, 140: „Die Unmöglichkeit der Anfechtung von Wahlen eines personellen Selbstverwaltungskörpers widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip. … so gebietet das Rechtsstaatsprinzip … die Einführung einer Möglichkeit der Anfechtung von Wahlen im Bereich der Rechtsanwaltskammern.“).
Eine wie immer geartete Differenzierung zwischen den in § 24 RAO einerseits und den in § 7 DSt genannten Funktionen fehlt in der Diskussion und ist auch den Gesetzesmaterialien des BRÄG 2010 nicht zu entnehmen. § 7 DSt verweist sogar explizit auf § 24 RAO und stellt somit einen inhaltlichen Zusammenhang mit den dort genannten Funktionen her.
Auch eine weitere zentrale Neuerung des BRÄG 2010, nämlich die Möglichkeit der Briefwahl, fand keinen Eingang in das DSt, was den Eindruck verstärkt, dass der Gesetzgeber des BRÄG 2010 glaubte, mit der Neuregelung im RAO auch die im DSt geregelten Wahlen zu erfassen.
1.6. Der Oberste Gerichtshof sieht daher im Fehlen einer Anfechtbarkeit der Wahl in die in § 7 DSt genannten Funktionen eine planwidrige Gesetzeslücke, die durch Rückgriff auf die inhaltlich verwandte Norm des § 24b RAO zu schließen ist. Der Oberste Gerichtshof hat daher entsprechend § 24b Abs 2 Satz 1 RAO auch über die Anfechtung der Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte zu entscheiden und es sind die weiters in § 24b RAO enthaltenen Bestimmungen zur Wahlanfechtung analog anzuwenden.
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es aus Gründen der Rechtsklarheit legistisch sinnvoll wäre, das Disziplinarstatut durch eine dem § 24b RAO entsprechende Norm oder durch einen Verweis auf diese Bestimmung zu ergänzen (Gleiches gilt für die Möglichkeit der Briefwahl nach § 24a RAO).
1.7. § 24b RAO enthält keine expliziten Regeln, nach welchen verfahrensrechtlichen Bestimmungen die Wahlanfechtung vor dem Obersten Gerichtshof zu erfolgen hat. Nahe liegt eine Heranziehung von § 5a Abs 2 Z 3 RAO (in diesem Sinn Rohregger in Engelhardt/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 [2018] § 24b RAO Rz 5). Diese Bestimmung verweist auf die Anwendbarkeit der §§ 49 bis 52, 54, 55, 57 und 58 DSt sowie subsidiär der Vorschriften des Außerstreitgesetzes, soweit deren Anwendung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Verfahrens vereinbar ist.
2. Zur Begründetheit der Anfechtung
2.1. Aus dem Anfechtungsantrag geht zwar das Ziel des Antragstellers nicht klar hervor; aus dem Kontext ist aber ersichtlich, dass er eine Neudurchführung der Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte erreichen will und nicht bloß die Feststellung, dass der Wahlvorgang rechtswidrig gewesen sei.
2.2. Nach dem – analog anzuwendenden – § 24b Abs 2 Satz 2 RAO setzt die hier angestrebte Neudurchführung der Wahl voraus, dass „es rechnerisch möglich ist, dass ohne den geltend gemachten Wahlanfechtungsgrund eine andere Person in die jeweilige Funktion gewählt worden wäre“.
2.3. Im Zusammenhang mit der Aufdeckung des Fehlers in der Ladung zur Plenarversammlung vom 11. Juni 2018, wonach nur 11 und nicht 13 Mitglieder des Disziplinarrates zu wählen gewesen wären, wurde der Wahlvorgang richtigerweise abgebrochen und die Wahl neu ausgeschrieben. Es ginge nicht an, die Wahl durchzuführen und dann den Disziplinarrat – entgegen den gesetzlichen Vorgaben (§ 5 Abs 2 DSt) – mit zwei Mitgliedern zu wenig besetzt zu haben. Den Grundsätzen einer fairen Wahl hätte es auch nicht entsprochen, beispielsweise die beiden Kandidatinnen bzw Kandidaten mit den zwölft- bzw dreizehntmeisten Stimmen ebenfalls als gewählt zu erachten, denn laut Ausschreibung waren eben nur elf Mitglieder zu wählen. Diese unrichtigen Bedingungen konnten ex post nur durch eine Neuausschreibung der Wahl saniert werden. Daran ändert auch nichts, dass möglicherweise Rechtsanwälte mit der Notwendigkeit einer neuerlichen Stimmabgabe nicht einverstanden waren, wie der Antragsteller ausgeführt hat.
2.4. Der Antragsteller geht davon aus, dass die zur Plenarversammlung am 11. Juni 2018 abgegebenen Stimmen zum Stimmenergebnis der Wahl vom 8. August 2018 zu addieren gewesen wären. Selbst wenn diese Argumentation richtig wäre, hätte eine Auszählung der gewünschten Art auf keinen Fall dazu geführt, dass der Antragsteller gewählt worden wäre:
Nach § 7 Abs 1 Z 2 DSt sind die Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte durch die in die Liste eingetragenen Rechtsanwälte zu wählen.
Wird unterstellt, dass alle Briefwahlstimmen zur Plenarversammlung vom 11. Juni 2018 auf den Antragsteller entfallen wären (persönlich konnten am 11. Juni 2018 keine Stimmen für die Wahl der Mitglieder des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte mehr abgegeben werden), ergibt sich selbst unter Ausblendung von möglichen „Doppelstimmen“ ein für den Antragsteller günstigstes Wahlergebnis von 384 + 54 = 438 Stimmen. Der an 13. Stelle gereihte Kandidat hat aber 466 Stimmen auf sich vereinigt, also mehr als der Antragsteller selbst bei günstigster Auszählung erhalten hätte können. In diesem Sinn ist es rechnerisch ausgeschlossen, dass ohne den geltend gemachten Wahlanfechtungsgrund eine andere Person (als die 13 gewählten) als Mitglied des Disziplinarrates aus dem Kreis der Rechtsanwälte gewählt worden wäre.
2.5. Schon allein aus diesem Grund erübrigt sich eine Einvernahme von Zeugen zum Thema, ob bereits zur ersten Plenarversammlung Stimmen von Rechtsanwälten abgegeben worden waren, die mit dem Erfordernis einer neuerlichen Stimmabgabe bei der „zweiten“ Plenarversammlung nicht einverstanden waren.
3. Zur Kostenentscheidung
Die unter 1.7. genannten Bestimmungen des DSt enthalten nur in § 54 Abs 5 eine Kostenersatzregelung, die allerdings nur ausspricht, dass ein den Disziplinarbeschuldigten verurteilendes Erkenntnis einen Ausspruch über die Verpflichtung (des Disziplinarbeschuldigten) zum Ersatz der Kosten des Verfahrens zu enthalten hat. Für den hier zu beurteilenden Fall sind aus § 54 Abs 5 DSt keine Erkenntnisse dahin zu gewinnen, ob eine erfolgreiche Wahlanfechtung auch zu Kostenersatzansprüchen des Anfechtungswerbers führt (bei Wahlanfechtungen nach Art 141 B-VG ist beispielsweise kein Kostenersatz vorgesehen: VfGH WI-5/86, VfSlg 11.168). Auch dann, wenn man auf die subsidiär anzuwendenden Bestimmungen des AußStrG zurückgreifen würde, ergäbe sich kein Anspruch des Antragstellers auf Kostenersatz: § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG stellt in erster Linie auf den Erfolg des Antrags ab, der im vorliegenden Fall nicht dem Antragsteller zugute kommt. Welche Billigkeitsgründe iSd § 78 Abs 2 Satz 2 AußStrG für einen Kostenersatz zugunsten des Antragstellers sprechen könnten, ist nicht erkennbar.
Textnummer
E123859European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0190OB00003.18G.1221.000Im RIS seit
30.01.2019Zuletzt aktualisiert am
17.05.2019