TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/19 W264 2168274-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.09.2018
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Entscheidungsdatum

19.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W264 2168264-1/17E

W264 2168274-1/18E

W264 2168262-1/16E

W264 2168269-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers BF1 XXXX , geb. XXXX, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017, Zahl: 1003099907-14996254, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs 1 und

Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG wird der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin BF2 XXXX , geboren XXXX, Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017, Zahl: 1031798805-14995916, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2

VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG wird der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers BF3 XXXX , geboren XXXX, Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.7.2017, Zahl: 1031799105-14995967, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG wird der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Viertbeschwerdeführerin BF4 XXXX , geboren XXXX, Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.7.2017, Zahl: 1003100006-14995991, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG wird der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer BF1 bis BF4 sind afghanischer Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara mit shiitischem Glaubensbekenntnis. Der BF1 und die BF2 stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet für sich und ihre unmündigen Kinder BF3 und BF4 am 22.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Ersteinvernahme gaben der BF1 und die BF2 übereinstimmend als Fluchtgrund an, gegen eine Ehe ihrer Tochter XXXX mit dem Neffen des BF1 namens XXXX gewesen zu sein und sie daher mit ihrem Nachbarn " XXXX " verheiratet zu haben. Aus Eifersucht habe der Neffe den Nachbarn und Ehemann ihrer Tochter erstochen, weshalb die Beschwerdeführer daraufhin von den Eltern ihres getöteten Schwiegersohnes aus Rache mit dem Tode bedroht worden seien. Sie hätten deshalb aus Afghanistan fliehen müssen.

2. Am 13.06.2017 wurden der BF1 und die BF2 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

Befragt zu seiner gesundheitlichen Situation gab der BF1 an, an Diabetes zu leiden und deswegen Insulin einzunehmen. In Afghanistan gebe es kein Insulin. Er hätte bereits einen Schlaganfall gehabt. In Griechenland habe er eine Herzoperation gehabt.

Der BF1 sei in Chindawul (in Kabul) geboren worden und habe keine Schule besucht. Mit cirka 16 Jahren habe er ein Gemüsegeschäft gehabt, welches er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan betrieben hätte. Im Alter von 25 Jahren habe er sich ein Haus gekauft, in welchem derzeit die Nachbarn leben würden. Zudem schilderte er den bereits in der Ersteinvernahme vorgetragenen Fluchtgrund etwas detaillierter.

Die BF2 gab an, nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen oder Medikamente einzunehmen. Befragt dazu, ob sie gröbere Probleme mit Privatpersonen gehabt hätten, schilderte die BF2 "nur mit der Familie meines Ehemannes". Die Schwiegereltern ihrer Tochter hätten ihre Tochter mit zu sich nehmen wollen, damit diese einen anderen Sohn der Familie heiraten könne. Ihre Tochter namens XXXX habe sich jedoch geweigert und sei ebenfalls mit ihnen geflüchtet. Bei einem Streit mit den Schwiegereltern seien sowohl ihr Sohn XXXX , als auch ihr Ehemann (der BF1) verletzt worden.

3. Mit oben näher bezeichneten Bescheiden der belangten Behörde wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und den Beschwerdeführern jeweils der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Mit Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

4. Gegen die Bescheide des BFA richten sich die zulässigen und fristgerecht erhobenen Beschwerden der BF1 bis BF4, welche mit jeweiligem Schriftsatz ihres Rechtsvertreters Diakonie Flüchtlingsdienst erstattet wurden. Damit wurden die Bescheide des BFA wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung im vollen Umfang bekämpft und zu den von der Behörde vorgenommenen Länderfeststellungen näher ausgeführt. Zur - von der Behörde angenommenen - vermeintlichen Unglaubwürdigkeit des BF1 werde auf die Judikatur des VfGH verwiesen, wonach Asylwerber im Zuge der Erstbefragung gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürfen, somit auch die Entscheidung nicht vorranging auf allfällige sich daraus ergebende Widersprüche zu späteren Einvernahmen gestützt werden dürfe. Zudem wäre der psychische und physische Zustand des BF1 besonders zu berücksichtigen gewesen und habe die Behörde dies unterlassen. Der Fluchtgrund der gesamten Familie liege zum einen an der Blutrache der Familie des getöteten Ehemannes der Tochter (Schwiegerfamilie) und zum Anderen an der Bedrohung durch die Familie des Neffen namens XXXX , der die Tochter heiraten habe wollen und nach dem Mord an ihrem Ehemann inhaftiert worden sei. Die BF2 und die BF4 würden bei einer Rückkehr nach Afghanistan zusätzlich der Bedrohung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen ausgesetzt sein. Gewalt gegen Frauen sei in der afghanischen Gesellschaft nach wie vor tief verankert. Des Weiteren könnten die BF bei einer Rückkehr aufgrund ihres Aufenthaltes im Westen von regierungsfeindlichen Kräften unterstellt werden, Spione zu sein. In diesem Fall würde sich der Verfolgungsgrund der unterstellten politischen Gesinnung erfüllen.

Aufgrund der langen Abwesenheit der BF aus Afghanistan, der schweren Erkrankung des BF1, der schwierigen wirtschaftlichen Lage insbesondere in Kabul durch die vielen Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, könnte die Familie in eine ausweglose Situation geraten und sei ihnen daher zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch sei die gesamte Familie bereits gut integriert. Sie hätten mehrere Deutschkurse absolviert, XXXX und XXXX würden beide die Schule besuchen und die BF hätten versucht über das AMS Arbeit zu finden und würden bereits gut Deutsch sprechen. Eine diesbezügliche Interessenabwägung der Behörde hätte daher anders ausfallen müssen und würde eine Rückkehrentscheidung im Fall der BF einen unzulässigen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen und gegen Art 8 EMRK verstoßen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt und begehrt, den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Beschwerdeführern den Status subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen, in eventu eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zurückzuverweisen.

5. Die bezughabenden Fremdakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 22.8.2017 ein.

6. Am 6.3.2018 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, an welcher ein Dolmetsch für die Sprache Dari teilnahm.

Die BF erschienen im Beisein ihrer Rechtsvertretung und legten dem Gericht ein Konvolut an Beweismittel vor. Aus den vorgelegten medizinischen Beweismitteln geht hervor, dass der BF1 laufend in ärztlicher Betreuung steht. Die wesentlichen sind:

* Unterlagen über die Integrationsbemühungen (Schulnachrichten des BF3 und der BF4, ÖSD Zertifikat über die mit gut bestandene Deutschprüfung des Levels A1 der BF2, diverse Kursbesuchsbestätigungen der BF2)

* Ärztliche Bestätigung vom 1.3.2018 betreffend den BF1:

"fortgeschrittene Herzerkrankung mit einer verbleibenden Herzleistung von 20% sowie eine chronische Nierenfunktionseinschränkung fortgeschrittenen Grades bei DM II"

* Ärztliche Bestätigung vom 18.1.2018 betreffend den BF1: "... Demenz, Depressio,..."

* Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan mit entsprechender Quellenangabe

In der Verhandlung wurden der BF1 und die BF2 sowohl zu ihren Fluchtgründen, ihren Befürchtungen für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat als auch zu ihrem aktuellen Leben hier in Österreich befragt.

Während der BF1 bei seiner Einvernahme immer wieder angab sich nicht erinnern zu können und alles zu vergessen, führte die BF2 - befragt zu ihrem Fluchtgrund aus - in Afghanistan von der Familie ihres Schwiegersohnes und von der Familie ihres Mannes väterlicherseits bedroht worden zu sein. Die Cousins ihres Mannes hätten behauptet, dass das Haus, in dem die BF gelebt hätten, nicht den BF gehören würde und sie es verlassen müssten. Später hätte XXXX ihre Tochter heiraten wollen. Die BF2 hätte das jedoch abgelehnt und ihre Tochter dem XXXX (Bruder einer Nachbarin) zur Frau gegeben. Auch Tochter XXXX habe das so wollen. Beim Eid-Fest sei XXXX von dem Cousin väterlicherseits ( XXXX ) mit dem Messer angegriffen worden. Im Krankenhaus sei dieser dann verstorben. Die Familie des Schwiegersohnes würde sie beschuldigen, dass sie ihn absichtlich getötet hätten und würden XXXX rächen wollen. Die Tochter ( XXXX ) sei von der Schwiegerfamilie geschlagen worden und die Tochter habe ihr erzählt, dass sie ihre Schwiegerfamilie umbringen hätte wollen. Nach der Flucht der Tochter von ihrer Schwiegerfamilie sei diese zu ihnen nach Kabul gekommen und es sei zu einem Streit gekommen, bei dem der älteste Sohn der BF und der BF1 verletzt worden seien. Die Schwiegerfamilie hätte sie alle umbringen wollen, so die BF2 in der mündlichen Verhandlung. Sie hätten versucht ihre Tochter mitzunehmen. Sie hätte gegen Blut getauscht werden sollen. Der Mörder XXXX sei nach der Tat zwar verhaftet worden, sei jedoch kurz darauf wieder auf freiem Fuß gewesen.

Über Befragen, was die BF2 über Frauen wisse, welche gegen Blut getauscht wurden, gab die BF2 an, dass solche Frauen Zeit ihres Lebens sodann von der Familie des Ehemannes und von diesem eine schlechte Behandlung hinnehmen müssten. Die Familie der Frau habe in einem solchen Falle keine Rechte sich einzumischen. Auch die Regierung würde glauben, dass Blut gegen Blut normal sein.

Befragt dazu, wohin sie zurückkehren würden, wenn sie jetzt nach Hause kommen würden, gab die BF2 zur Antwort, dass sie keine Wohnmöglichkeit mehr hätten. Das Geld, das sie für das Haus bekommen hätten, hätten sie für die Ausreise benutzt.

Befragt zum Befinden ihres Ehemannes, erläuterte die BF2, dass er in ärztlicher Behandlung steht. Er vergesse immer alles. Alles müsse man ihm hundert Mal sagen und selbst dann würde er noch ständig nachfragen. Er brauche fast 24 Stunden Betreuung, damit er seine Tabletten rechtzeitig nehme

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer BF1 bis BF4:

Die BF1 bis BF4 sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und schiitischen Glaubensbekenntnisses.

Die BF1 bis B4 haben bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan in Afghanistan in Kabul gelebt.

Sie reisten in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig nach Österreich ein und stellten am 22.09.2014 den Antrag auf internationalen Schutz.

Die Identität der BF1 bis BF4 steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Die BF2 ist die Mutter und der BF1 der Vater der BF3 und BF4. Des Weiteren haben der BF1 und die BF2 noch drei volljährige Kinder, wobei zwei davon ebenfalls in Österreich aufhältig sind. Zum einen handelt es sich dabei um die am 5.12.1997 geborene XXXX und zum anderen um den am 05.03.1995 alias 01.01.1996 alias 01.12.1996 geborenen XXXX .

Die Anträge auf internationalen Schutz der erwachsenen Tochter XXXX und deren Kinder XXXX und XXXX wurden bereits durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.07.2018 in dem zu den Zahlen W264 2168271-1, W264 2168272-1 und W264 2178112-1 geführten Verfahren nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.03.2018, in welcher die Tochter XXXX einvernommen wurde, wegen deren inzwischen äußerst verinnerlichten westlichen Orientierung positiv entschieden.

Der vom BFA ebenfalls abgewiesene Antrag auf internationalen Schutz betreffend den erwachsenen Sohn XXXX ist in Folge Beschwerdeerhebung gegen diesen abweisenden Bescheid derzeit beim Bundesverwaltungsgericht zur Zahl W264 2168270-1 anhängig und wurde dieser Antragswerber in einer am 7.3.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung einvernommen.

Die BF1 bis BF4 leben von der Grundversorgung und scheinen den BF1 und die BF2 betreffend im Strafregister der Republik Österreich keine Vormerkungen auf. Bei dem BF3 und der BF4 handelt es sich um unmündige Minderjährige.

Die Muttersprache der BF1 bis B4 ist Dari.

Der BF1 hatte in Afghanistan ein Gemüsegeschäft und bestritt damit den Lebensunterhalt der Familie. Die BF2 besuchte in Kabul fünf Jahre lange eine Schule für Analphabeten und war als Hausfrau und Mutter tätig. Außer ihren Kindern haben der BF1 und die BF2 in Österreich keine Familienangehörigen.

Die BF2 hat zwei Schwestern und drei Brüder der BF2, welche zuletzt in Afghanistan gelebt haben. Der Kontakt zu ihnen ist seit einem Selbstmordattentat abgebrochen.

Der BF1 leidet an folgenden Krankheiten:

-

Zustand nach Coronarangio in Griechenland, zunehmende Dyspnoe bei Belastung, thorakaler Druckschmerz - Zustand nach Stentimplant. 06/14

-

Diabetes mellitus II

-

Proteinurie, Niereninsuffizienz IIIa

-

Pre motor Stroke, Infakrt re. Pärzentral subkortikal

-

CAVK, intrakan.Stenosen P2 re.

-

Abgelaufene Lues Infektion TPHA pos.

-

Demenz, Depressio

-

Chron. Otitis. Med.

Aufgrund eines Herzleidens wurde der Beschwerdeführer im Juni 2014 in Griechenland operiert. Die verbleibende Herzleistung des BF1 liegt bei 20%, wodurch die körperliche Leistungsfähigkeit deutlich reduziert ist.

Die BF2 bis BF4 sind gesund und benötigen keine regelmäßigen Medikamente.

Der BF3 hat im Schuljahr 2017/2018 in Österreich die Neue Mittelschule und die BF4 hat die Volksschule besucht.

Die BF2 absolvierte am 01.08.2017 eine Deutschprüfung auf dem Level A1. Die BF2 nahm bisher an diversen Deutschkursen und an einem Kochkurs teil bzw. organisierte und leitete sie diesen auch.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Die unmündigen Minderjährigen BF3 und BF4 haben dieselben Fluchtgründe wie deren gesetzliche Vertreter der BF1 und die BF2.

Als Fluchtgrund wird ins Treffen geführt, von der Familie des verstorbenen Ehemannes ihrer Tochter XXXX , welcher durch den Neffen XXXX des BF1 getötet wurde, aus Blutrache mit dem Tode bedroht zu werden. Nach dem Begräbnis des getöteten Schwiegersohnes des BF1 und der BF2 in Mazar-e-Sharif musste die Tochter XXXX bei ihrer Schwiegerfamilie in Mazar-e-Sharif bleiben und gelang es ihr, nachdem sie dort äußerst schlecht behandelt, unter anderem auch geschlagen wurde, von dieser zu ihren Eltern nach Kabul zu flüchten.

Durch Übergriffe von der Familie des XXXX aus Rache für dessen Inhaftierung sowie der Familie des getöteten Schwiegersohnes XXXX , die die geflüchtete (Schwieger-)Tochter XXXX zurück zu ihnen nach Hause holen wollten (die Tochter XXXX gab in der mündlichen Verhandlung am 14.3.2018 an "Zu meinem Vater sagten sie: Wir wollen Blut gegen Blut." "Sie wollten daher jemanden von uns haben"), wurden der älteste Sohn XXXX des BF1 und der BF2 als auch der BF1 verletzt. Der Sohn XXXX erlitt eine Schnittverletzung an seiner linken Hand, während der BF1 am Kopf verletzt wurde und im Krankenhaus ärztlich versorgt werden musste.

XXXX wurde nach der Tat verhaftet. Die Tochter XXXX zog die Anzeige gegen XXXX nach nur wenigen Tagen zurück und wurde XXXX in weitere Folge wieder auf freien Fuß gesetzt.

Im gegenständlichen Fall können die BF aufgrund der Tat des XXXX nicht in die Provinz Kabul zurückkehren, ohne der Gefahr einer Verfolgung aus Blutrache durch die Familie des getöteten XXXX ausgesetzt zu sein.

Der BF1 ist auch einer Verfolgung durch XXXX ausgesetzt, da er diesem seine Tochter zur Heirat versprochen hat, ohne dieses Versprechen jemals eingelöst zu haben.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer BF1 bis BF4 in den Herkunftsstaat:

Mit ihren Angaben zeigen die BF1 bis BF4 asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans auf, welche dazu geeignet wären, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt sind.

Eine Rückkehr in die ihren Herkunftsort Kabul ist aus dem Grund, dass dort die Schwester des getöteten Schwiegersohnes XXXX wohnhaft ist - sie war die Nachbarin der BF1 bis BF4 - nicht möglich. Im Übrigen ist auch von einer möglichen Verfolgung durch den Neffen des BF1 XXXX bzw. dessen Brüder auszugehen, da die Tochter XXXX von Geburt an diesem zur Heirat versprochen war und er dieses Versprechen nach wie vor einlösen will. Allein seine Tathandlung der Tötung des Ehemannes der Tochter zeigt, von welcher Gefährlichkeit bei dieser Person ausgegangen werden muss und lässt sich eine Verfolgung der Familienangehörigen der Tochter XXXX , insbesondere des Vaters (BF1), der sein Versprechen niemals gehalten hat, durch den Neffen XXXX nicht ausschließen.

Somit bestünde betreffend die BF1 bis BF4 eine allgemeine Gefährdungslage bezüglich ihrer Heimatsprovinz Kabul und geht das Gericht davon aus, dass den BF1 bis BF4 bei einer Rückkehr in deren Herkunftsprovinz die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung drohen würde.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den BF1, insbesondere auf Grund seiner Erkrankungen nicht.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Afghanistan:

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.06.2018 in der Fassung der Aktualisierung vom 11.09.2018

Sicherheitslage:

Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul:

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Rechtsschutz/Justizwesen:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

Sicherheitsbehörden:

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5.2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

Weiterführende Informationen über Angriffe auf Einrichtungen der Streitkräfte können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF:

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

Reformen der ANDSF:

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung (SIGAR 30.4.2018a; vgl. NATO 21.7.2017).

Frauen in den ANDSF:

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans besonders herausfordert (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 3.7.2014; BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Aufnahme afghanischer Frauen in die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANA, ANP und NDS) wurde immer von zahlreichen Herausforderungen begleitet. Die traditionelle afghanische Gesellschaft und patriarchalische Mentalität machen es Frauen schwer, am öffentlichen Leben teilzuhaben, insbesondere in Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen. Aus diesen Gründen erlauben die meisten Familien ihren Töchtern und Frauen nicht, sich den Verteidigungs- und Sicherheitskräften anzuschließen. Auch Unsicherheit ist wahrscheinlich ein starker Grund für das Fehlen von Frauen in den Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen (AIHRC 9.12.2017).

Frauen sind Diskriminierung in verschiedenen Bereichen ausgesetzt, zum Beispiel in Hinsicht bestimmter Rechte und Privilegien, Weiterbildungsmöglichkeiten und den Zugang zu beruflichen Fortbildung im In- und Ausland. Einer Befragung der AIHCR zufolge, an der 648 Frauen teilnahmen (579 in der ANP, 60 in der ANA und zwölf im NDS), gaben die befragten Frauen an, dass in den drei Institutionen Diskriminierung gegen Frauen stattfindet. Einige Gründe, warum Frauen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nicht die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung und zur Weiterbildung erhalten, liegen in den Institutionen selbst; andere hängen mit Familie und Gesellschaft zusammen. Ein Anteil der befragten Frauen (17%) in den Provinzen (Kabul, Parwan, Kapisa und Panjshir) gaben gegenüber AIHCR an, keinen Zugang zu geschlechtergetrennten, geeigneten Toiletten und Umkleidebereichen zu haben. Das Fehlen von Umkleidebereichen bietet eine Grundlage für Missbrauch und Belästigung von Frauen und führt dazu, dass viele Frauen den Arbeitsplatz aufgeben. Auch gaben 13,2% der Befragten an, sexuell belästigt worden zu sein. Die Unterschiede beim Ausmaß der Belästigungen in den drei Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen (ANP, ANA und NDS) sind gering, jedoch in der ANP höher als in ANA und NDS (AIHRC 9.12.2017).

Im letzten Quartal des Jahres 2017 errichtete das afghanische Innenministerium ein Komitee zur Prävention von sexueller Belästigung und Gewalt; auch wurde eine Arbeitsanweisung dafür errichtet und die Aufgaben der bestellten Mitglieder erarbeitet - Berater/innen der Koalitionspartner sollen dem Komitee zur Seite stehen, um sicherzustellen, dass die Bemühungen gegen sexuelle Belästigung und Gewalt stark und effektiv sind (SIGAR 30.1.2018). Die AIHRC, in Kooperation mit dem afghanischen Verteidigungsministerium und dem Innenministerium erarbeitet derzeit ein Programm für den Ombudsmann, um externe Berichterstattung, Kontrolle und Opferunterstützung für weibliche Mitarbeiter der beiden Ministerien errichten. Dieses Programm soll Mitgliedern der ANDSF und der afghanischen Bevölkerung die Möglichkeit geben, geschlechtsspezifische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gefahrlos der AIHRC melden zu können (USDOD 12.2017; vgl. AIHRC 9.12.2017).

Im Allgemeinen verbesserte sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte seit 2001, wenngleich sexuelle Belästigung und Gewalt sowie geschlechtsspezifische Gewalt die erfolgreiche Integration und Verbleib von Frauen in der ANDSF bedrohen. Um dieses Risiko zu minimieren, hat das Verteidigungsministerium außerdem ein Gender Integration Office gegründet, welches aktiv Leitlinien und Prozesse errichtet, um sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden und zu melden. Außerdem bietet das Büro Unterstützung für männliche und weibliche Opfer sexuellen Fehlverhaltens an (USDOD 12.2017).

Ein Dutzend Frauen arbeiten in der Crisis Response Unit der afghanischen Polizei. Diese Einheit ist die Ersthelfer bei großen Angriffen. Die konkrete Mitgliederanzahl dieser Einheit ist unbekannt, wird landesweit auf 5.000 Mitglieder geschätzt; von den 254 Planstellen, die für Frauen vorgesehen sind, sind 83 tatsächlich besetzt. Die Frauen nehmen - so wie Männer auch - an den Operationen dieser Einheit teil und sind nicht nur für die Sicherheitskontrolle von Frauen zuständig. Eine der Mitarbeiterinnen dieser Einheit berichtet davon, monatlich 640 USD Grundgehalt zu erhalten (zusätzlich kommen noch kleine Belohnungszahlungen für Kampfoperationen hinzu); sie könne damit ihre Mutter, ihren Bruder und drei junge Kinder versorgen, die bei Verwandten leben, während sie manchmal monatelang auf Einsatz ist (LAT 3.3.2017).

Die türkische Polizeiakademie Sivas Police Vocational School hat bisher 1.956 afghanische Männer und 1.027 Frauen polizeilich in der Türkei ausgebildet. Die sechste Ausbildungsklasse für Frauen der afghanischen Nationalpolizei läuft mit Anfang des Jahres 2018; an dieser nehmen derzeit 243 Kandidatinnen teil (HDN 15.2.2018). Auch in Indien wurden bereits 4.000 Mitglileder der afghanischen Nationalpolizei und Nationalarmee in der Vergangenheit ausgebildet. Zum ersten Mal wird in Indien auch weibliches Militärpersonal an der Offiziersakademie in Chennai (Anm.: Bundesstaat Tamil Nadu) zu Offizierinnen ausgebildet. 17 Frauen entstammen der afghanischen Armee selbst, drei aus der Luftwaffe und eine nicht bekannte Anzahl aus Spezialeinheiten sowie weiteren Bereichen des afghanischen Verteidigungsministeriums (NDTV 6.12.2017).

Nachdem das von der afghanischen Regierung und der NATO angestrebte Ziel, den Frauenanteil in den ANDSF von 2010 bis 2020 auf 10% zu bringen, nicht realisierbar scheint, setzte sich die Regierung ein neues Ziel: Bis 2025 sollen 5.000 Frauen in die nationale Armee und 10.000 Frauen in die nationale Polizei eintreten (TD 30.4.2018). Nichtsdestotrotz lag am 3. März 2018 der Frauenanteil in den ANDSF bei 4.335, was einen Rückgang um 297 Frauen im Vergleich zum vergangenen Quartal ausmacht. Insgesamt arbeiteten 3.040 Frauen für die ANP, 1.295 für die ANA, 72 für die ASSF und 98 für die AAF.

1.504 waren Offiziere, 1.551 Unteroffiziere, 1.305 einberufenes Personal und 145 Kadetten. Aktuell ist das Women's Participation Program (WPP) im Laufen, eine Initiative zur Steigerung und Förderung des weiblichen Anteils innerhalb der afghanischen Sicherheitsinstitutionen. Das Programm fördert sichere und geschützte Einrichtungen, angemessene Ausrüstung, Ausbildung usw. (SIGAR 30.4.2018a).

Geheimdienstliche Tätigkeiten:

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus (USDOD 6.2017). Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach (USDOD 6.2017). Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt (SIGAR 30.4.2018a).

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 20.4.2018). Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANA- und ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich (TD 24.7.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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