TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/29 W182 2142335-1

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Veröffentlicht am 29.10.2018
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Entscheidungsdatum

29.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W182 2115836-1/33E

W182 2115837-1/24E

W182 2115834-1/14E

W182 2115833-1/13E

W182 2115832-1/12E

W182 2115791-1/12E

W182 2142335-1/2E

W182 2196080-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.)

XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.)

XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX , 7.) XXXX , geb. XXXX , und

8.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Lennart Binder LL. M., gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 17.09.2015, 1.) Zl. 13-831298407-14758914 2.) Zl. 13-831298505-14758957, 3.) Zl. 13-831298603-14759031, 4.) Zl. 13-831298701-14759104, 5.) Zl. 14-1001405304-14759198 6.) Zl. 15-1053182503-150249672, sowie 7.) vom 28.11.2016, Zl. 13-831298505-14758957 und 8.) vom 24.04.2018, Zl. 1175264100-1711333218/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF,zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57

Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2, 52 Abs. 9 iVm 46, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), ein Ehepaar und ihre 6 minderjährigen Kinder, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und sind Sunniten.

Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden BF2) reisten gemeinsam mit ihren beiden ältesten Kindern, dem nunmehr XXXX Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3) und der nunmehr XXXX gen Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden BF4) am 07.09.2013 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag (erste) Anträge auf internationalen Schutz, nachdem sie zuvor bereits in Polen am 22.04.2013 und in Deutschland am 25.04.2013 ebensolche Anträge gestellt hatten.

Der BF1 begründete seinen Antrag im Wesentlichen damit, in Tschetschenien von maskierten uniformierten Personen wegen eines Cousins seines Vaters (im Folgenden: Z), der im Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft habe, bedroht worden zu sein. Sie hätten dessen Aufenthaltsort vom BF1 wissen wollen und ihn zwei Mal geschlagen. Anfang 2013 habe der BF1 eine Vorladung zur Polizei erhalten und sei dort über Z befragt und bedroht worden. Seine Eltern und seine beiden Brüder würden noch im Herkunftsstaat leben. Am 19.04.2013 habe der BF1 seinen Heimatort verlassen. Sein Reisepass befinde sich bei den polnischen Behörden. Im Fall der Rückkehr befürchte er gefoltert zu werden.

Die BF2 begründete ihren Antrag im Wesentlichen mit den Gründen ihres Gatten. Auch für den BF3 und die BF4 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 11.11.2013, Zlen. 13 12.984-East-Ost, 13 12.985-East-Ost, 13 12.986-EAST-Ost und 13.12.987-EAST-Ost, wurden die Anträge der BF gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz nach Art. 16/1/d der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen für zuständig erachtet sowie die Ausweisung der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nach Polen verfügt und ausgesprochen, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

Die dagegen erhobenen Beschwerden der BF wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 28.11.2013, Zlen. S17 438.854-1/2013/3E, S17 438.855-1/2013/3E, S17 438.856-1/2013/3E und S17 438.857-1/2013/3E, gemäß § 5 und § 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und zusammengefasst die Zuständigkeit Polens zur Prüfung der Anträge bestätigt.

Am XXXX wurde der Fünftbeschwerdeführer (im Folgenden: BF5) geboren.

2. Infolge stellten der BF1, die BF2 und die minderjährigen BF3 bis BF5 am 02.07.2014 neuerlich einen (zweiten und verfahrensgegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Bei der Erstbefragung am 02.07.2014 brachte der BF1 im Wesentlichen vor, dass sich seine Fluchtgründe seit seiner ersten Antragstellung in Österreich nicht geändert hätten. Sie hätten Österreich nicht verlassen. Er befürchte im Fall der Rückkehr gefoltert zu werden. Zuletzt sei er in Tschetschenien als Bauhilfsarbeiter tätig gewesen. Seine Eltern und zwei Brüder lebten noch im Herkunftsstaat. Die BF2 brachte bei der Erstbefragung gleichfalls vor, dass sich ihre Fluchtgründe seit ihrem ersten Asylantrag in Österreich nicht geändert hätten. Sie sei im Herkunftsstaat zuletzt als Buchhalterin tätig gewesen. Im Herkunftsstaat lebe noch ihre Mutter, ihr Vater sei bereits verstorben. Für die BF3 bis BF5 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Am XXXX wurde die Sechstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF6) im Bundesgebiet geboren und für sie am 10.03.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Nach einem vorgelegten Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin vom 12.02.2015 wurde beim BF1 eine "Posttraumatische Belastungsstörung" diagnostiziert und als Therapie eine Medikation sowie Psychotherapie in der Muttersprache und Verlaufskontrollen vorgeschlagen.

Der Anamnese eines von vorgelegten psychotherapeutischen Kurzberichtes einer Psychotherapeutin vom 20.02.2015 sei der BF1 wegen des "Bruders seines Vaters", welcher für die Unabhängigkeit Tschetscheniens gekämpft habe, verfolgt worden, wobei er Mitte Februar 2012 zu Hause von der maskierten Miliz überfallen worden sei, die wissen habe wollen, wo der "Onkel" sei. Der BF1 sei geschlagen worden und habe dabei eine "offene Schädelverletzung" erlitten und epileptische Anfälle bekommen. Er sei in einem Krankenhaus in Grosny operiert worden. Auf Grund einer später eingelangten Ladung sei er zu einem Milizposten gegangen, wo man ihm vorgehalten habe, dass er mit dem Onkel telefoniert habe, was aber überhaupt nicht gestimmt habe, und er habe auch nicht gewusst wo dieser sei. Sein Vater habe ihm dann eine Wohnung in Grosny gemietet, wo er zwei Monate später nachts von den Maskierten aufgesucht und wieder "sehr stark zusammengeschlagen worden" sei. In der Wohnung seien seine Frau und die beiden Kinder gewesen und man habe ihm gedroht, wiederzukommen. Danach sei er geflohen. An Symptomen wurde ua. vermerkt, dass in Folge der Schläge mit den Gewehrkolben und der "offenen Schädelverletzung" seine Sprache seither stark in Mitleidenschaft gezogen sei, er habe Mühe Worte zu finden, er könne sich auch nichts mehr merken. Wenn er sich aufrege, bekomme er noch immer Krampfanfälle, er könne kaum denken. Als Diagnose wurde festgehalten, dass der BF1 an einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD10, F43.1) zu Folge sequentieller Traumatisierung "in Krieg und Gefangenschaft" leide; neurologische Verletzungen des Gehirns seien nicht auszuschließen.

Einem vorgelegten ärztlichen Befund eines Institutes für Nuklearmedizin vom 12.06.2015 war unter Hinweis auf die Diagnose PTSD und Verdacht auf Epilepsie aus der Anamnese zu entnehmen, dass der BF1 im Jahr 2013 körperlich misshandelt worden sei und einen Schlag mit einem Gewehrkolben "am Schädel" sowie Tritte im Bereich des Schädels und des Brustkorbes bekommen habe. Danach habe er Hämatome im Bereich des Oberkörpers und möglicherweise Rippenfrakturen links gehabt. Bei einer erneuten körperlichen Misshandlung zwei Monate später habe er keine offenen Verletzungen davon getragen. Bezüglich der genaueren Anamnese wurde auf den psychotherapeutischen Kurzbericht vom 20.02.2015 verwiesen. Zum Untersuchungszeitpunkt habe der BF1 außer zeitweise Rückenschmerzen keine Schmerzen im Körper angegeben. Die suspizierten epileptischen Anfälle würden sich in Zittern in den Beinen (1 bis 2 x wöchentlich) äußern und etwa einige Minuten andauern. Am 10.06.2015 sei eine Positronenemissionstomographie des Gehirns und des Ganzkörpers durchgeführt worden, mit dem Ergebnis, dass beim BF1 ein XXXX und XXXX sowie ein XXXX , festgestellt wurde. Ein metabolisches Defizit im Sinne eines epileptogenen Fokus sei jedoch nicht nachweisbar. Im übrigen Ganzkörper würden XXXX zur Darstellung kommen.

Anlässlich der Einvernahme am 15.06.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) brachte der BF1 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass glaublich am 07.02.2013 maskierte Personen zu ihnen nach Hause gekommen seien. Der BF1 sei nach dem Aufenthaltsort von Z befragt und auch - unter anderem mit einem Gewehrkolben - geschlagen und misshandelt worden. Er habe ihnen gesagt, dass er nichts wisse. Als die Nachbarn gekommen seien, seien die maskierten Personen dann weggegangen. In der Früh sei der BF1 nach Grosny in ein Krankenhaus gebracht und dort genäht worden. 20 Tage später sei er zur Polizei geladen worden, wo er aufgefordert worden sei, den Aufenthaltsort von Z zu nennen. Der BF1 habe aber gesagt, dass er nicht wüsste, wo dieser sei. Sodann sei ihm vorgeworfen worden, dass er ja telefonischen Kontakt zu diesem hätte. Nach 20 Minuten habe der BF1 gehen dürfen. Am selben Tag seien sie dann zu Verwandten in Grosny in eine Wohnung gezogen. Dorthin seien die maskierten Personen am 03.04.2013 wieder gekommen und hätten den BF1 zusammengeschlagen. Am selben Tag hätten ihn sein Vater und sein Onkel zurück nach Hause gebracht, von wo der BF1 mit seiner Frau und den beiden Kindern am 19.04.2013 die Flucht ins Ausland angetreten seien. Der BF1 habe wegen Z, der gegen Russland gekämpft habe, Probleme. Er wisse nicht, wann dieser gegen Russland gekämpft habe, entweder im ersten oder zweiten oder in beiden Kriegen. Leute seien gekommen und hätten ihn zusammen geschlagen und ihm mit dem Tod gedroht, wenn er nicht sage, wo dieser sei. Es sei ihm vorgeworfen worden, dass er mit Z in telefonischem Kontakt stehe. Er habe im Herkunftsstaat überhaupt nie Kontakt mit diesem gehabt. Erstmals habe er in Österreich und auch nur telefonisch Kontakt mit ihm gehabt. Auf Nachfrage gab er an, diesen nur ein Mal XXXX kurz gesehen zu haben, dieser wünsche keinen Kontakt mit ihnen. Z befinde sich seit etwa 2004 in Österreich als Flüchtling. Der BF habe mit seiner Frau, den Kindern und Eltern in einem eigenen Haus in der Ortschaft XXXX gewohnt. Die Brüder des BF1 befänden sich in XXXX und würden auf Baustellen arbeiteten. Auf die Frage, ob er sich nicht zu seinen Brüdern hätte begeben könne, brachte der BF1 vor, dies sei alles Russland. Seine Brüder hätten jedoch keine Probleme. Auch der BF1 habe im Herkunftsland auf Baustellen als Betonarbeiter bzw. Dachdecker gearbeitet bzw. unterschiedliche Arbeiten verrichtet. Er habe im Herkunftsland auch etwas Kampfsport betrieben. Der BF1 habe sonst niemals Probleme mit den Behörden, der Polizei oder dem Militär des Herkunftsstaates gehabt, auch keine Schikanen. Im Fall der Rückkehr könnte die Polizei ihn wegen Z töten, er wisse es nicht, sonst habe es keine Probleme gegeben.

Die BF2 brachte im Rahmen ihrer Einvernahme am 15.06.2015 im Wesentlichen vor, wegen der Probleme ihres Mannes wegen Z das Herkunftsland verlassen zu haben. Die BF2 wurde im weiteren Verlauf der Einvernahme - wie auch schon der BF1 - im Detail zu den Ereignissen befragt, die zur gemeinsamen Flucht geführt haben. Die BF2 sei - wie auch ihre Kinder - im Wesentlichen gesund. Ihr Mann habe vor der Hochzeit Kampfsport betrieben, danach habe er nur auf der Baustelle gearbeitet, bis er zusammengeschlagen worden sei, danach sei er nicht mehr zur Arbeit gegangen. In Russland habe sie zuletzt im Haus ihres Gatten gewohnt und vom 27.02.2013 bis 03.04.2013 in Grosny. Ihre Mutter beziehe eine Pension, der Vater sei 2000 verstorben. Die Schwiegereltern würden von ihren beiden Söhnen, welche in XXXX auf Baustellen arbeiten würden, unterstützt. Auf die Frage, ob sie nicht zu diesen beiden Brüdern ihres Mannes hätten ziehen können, brachte die BF2 vor, dass diese dann möglicherweise auch Probleme bekommen hätten. Im Fall der Rückkehr befürchte sie, dass ihr Mann von denen, die zu ihnen gekommen seien, getötet werde; dies seien Polizisten.

Den gemäß Art. 34 Dublin III-VO aus Polen übermittelten Unterlagen lag ua. eine Kopie des russischen Reisepasses des BF1 bei. Gemäß Art. 34 Dublin III-VO wurden aus Polen ua. Kopien der russischen Reisepässe der BF2 übermittelt.

2. Das Bundesamt wies mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 17.09.2015 die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF6 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF1 bis BF6 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF1 bis BF6 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen des BF1 - er werde wegen der Tätigkeit von Z als "aktiver Freiheitskämpfer" in Tschetschenien verfolgt - gänzlich unglaubwürdig sei. Dazu wurde im Wesentlichen argumentiert, dass aus dem Asylakt von Z hervorgehe, dass dieser niemals einer bewaffneten Gruppierung angehört habe, sondern lediglich als Rettungsfahrer XXXX tätig gewesen sei und daher das Vorbringen des BF1 in keiner Weise mit jenem von Z übereinstimmen würde. Auch sei gänzlich unglaubwürdig, dass dem BF1 oder seiner Familie im Jahr 2012 oder 2013 oder gegenwärtig nach über 10 Jahren seit der Ausreise und Antragstellung von Z im Jahr 2004 irgendeine Unbill drohen könnte. Auch sei sein Vorbringen nicht glaubhaft, weil er den Ausgang seines Asylverfahrens in Polen und Deutschland nicht abgewartet bzw. zur Kenntnis genommen habe, jedoch davon auszugehen sei, dass tatsächlich Asyl suchende Personen bemüht seien, in einem sicheren Land Zuflucht zu finden und Asylstatus zu erlangen. Dies sei in Polen zweifellos der Fall gewesen, dennoch habe der BF1 den Ausgang seines Verfahrens dort nicht abgewartet. Zudem habe er widersprüchliche, konstruierte, unplausible und gesteigerte Angaben gemacht, weshalb nicht von der Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens ausgegangen werde. Obwohl er angegeben habe, seit seinen Verletzungen ein schlechtes Zahlengedächtnis zu haben, sei er in der Lage gewesen, kontinuierlich über den gesamten Verfahrensverlauf präzise und übereinstimmend Datumsangaben zu den Vorfällen zu machen, habe hingegen die Geburtsdaten seiner Kinder nicht präsent gehabt, sodass von einem Konstrukt auszugehen gewesen sei. Ferner sei sein Vorbringen, im Heimatstaat nicht gewusst zu haben, wo sich Z aufhalte, nicht plausibel, weil er die Russische Föderation im April 2013 verlassen habe und über Polen und Deutschland bereits Anfang September 2013 zielstrebig nach Österreich gelangt sei. Außerdem habe er am 15.06.2015 in widersprüchlicher Weise angegeben, Z noch nicht getroffen zu haben bzw. ihn sehr wohl bereits persönlich getroffen zu haben. Außerdem sei eine Verfolgung des BF1 nicht glaubwürdig, da er sich nach mehrfachen Vorfällen noch zwei Wochen an seiner Wohnadresse aufgehalten habe. Auch lebten seine Eltern und Brüder nach wie vor im Herkunftsstaat, weshalb es auch unplausibel und damit unglaubwürdig sei, dass nur der BF1 einer innerhalb der Familie begründeten Verfolgung ausgesetzt sein sollte. Die übrigen BF hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Mit Verfahrensanordnung vom 21.09.2015 wurden den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

3. Dagegen wurden binnen offener Frist Beschwerden erhoben. Darin wurde im Wesentlichen bemängelt, dass keiner der in der Beweiswürdigung angeführten Gründe stichhaltig und die Ausführungen des Bundesamtes nicht nachvollziehbar seien. Einen erkennbaren Begründungswert hätten die Vorwürfe des Bundesamtes daher nicht. Beispielsweise habe das Bundesamt nicht erklärt, inwiefern das subjektive Sicherheitsgefühl der BF in Polen für die Glaubwürdigkeit ihrer Fluchtgründe in Österreich relevant sei. Zu den Kontakten des BF1 zu Z in Österreich hätten die BF übereinstimmend angegeben, dass sie ihn nur ein Mal kurz getroffen hätten und er offenbar keine persönlichen Kontakte wünsche. Ein Widerspruch sei nicht nachvollziehbar. Ferner sei festzustellen, dass die BF im Herkunftsstaat keinen besonders engen Kontakt zu Z gehabt hätten und daher in erster Linie Dinge über ihn berichten könnten, welche ihnen von den Kadyrov-Leuten über ihn erzählt worden seien. Sollten diese Vorwürfe unrichtig sein, ändere dies nichts an der Verfolgung der BF. Abgesehen davon sei Z in Österreich Asyl gewährt worden, weshalb anzunehmen sei, dass er in welcher Weise auch immer in Opposition zu den prorussischen Kräften gestanden haben müsse. Außerdem sei nicht konsistent, warum die Behörde den BF ohne nähere Bezeichnung "widersprüchliche" Angaben vorwerfe. Hingegen wäre festzustellen gewesen, dass die BF zu den fluchtauslösenden Vorfällen konkrete und umfangreiche Angaben gemacht hätten, Hintergrundinformationen und Nebendetails eingeschlossen, sowie mit einer Schilderung von Details, wie Zeit- und Ortsangaben oder Wahrnehmungen und Emotionen. Auch die spekulativen Ausführungen des Bundesamtes über die Sicherheit der Familie des BF1 in Tschetschenien und darüber, warum er noch kurze Zeit dort geblieben sei, bevor er die Mittel zur Flucht zusammengetragen habe, seien in keiner Weise geeignet, die Glaubwürdigkeit der BF in Frage zu stellen. Zur persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sei darauf hinzuwiesen, dass diese zu ihrer Identität konsistent und durchgehend die Wahrheit gesagt hätten. Zu den Länderberichten wurde u.a. ausgeführt, dass daraus keine Verbesserung der Situation in Tschetschenien hervorgehe, im Gegenteil seien wesentliche Verschlechterungen zu erblicken. Beispielsweise werde darin bestätigt, dass die Militäreinheiten Kadyrows weiterhin für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien und dass, auch wenn der Einfluss der islamistischen Untergrundbewegungen in Tschetschenien zurückgegangen sei, Gewaltmaßnahmen der Sicherheitsbehörden, insbesondere Entführungen, Folter und Tötungen vorkommen würden insbesondere in Zusammenhang mit Kollektivstrafen gegen Familienangehörige und Unterstützer von vermeintlichen Terroristen. Die BF hätten sich bereits in beachtlicher Weise in Österreich "eingefunden" und angepasst. Die Kinder hätten die insbesondere prägende Phase ihres Lebens hier verbracht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative liege nicht vor, da die Reisefreiheit für Tschetschenen nicht gegeben, eine Verfolgung überall im Staatsgebiet möglich und nach Aussagen der BF auch aktuell sei. Zusammengefasst sei es dem Bundesamt nicht gelungen, die Glaubwürdigkeit der BF nachvollziehbar zu widerlegen. Das Vorbringen der BF sei glaubwürdig, gründlich substantiiert, in sich konsistent und durch die Länderberichte belegt.

4. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 03.03.2016, zu der ein Vertreter des Bundesamtes entschuldigt nicht erschienen ist, wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme der BF1 und BF2 in Anwesenheit ihres Vertreters sowie eines Dolmetschers der tschetschenischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der BF1 brachte im Wesentlichen wie bisher vor, dass er wegen Z im Herkunftsland von teilweise maskierten, uniformierten Personen zwei Mal misshandelt worden sei bzw. einmal zur Polizei geladen worden sei. Neu brachte der BF1 in diesem Zusammenhang vor, dass er im Jänner 2013, als er ein Monat stationär im Krankenhaus wegen Sinusitis behandelt worden sei, von Z angerufen worden sei, und er im Verlauf dieses Gespräches Kadyrow beschimpft habe. Der BF1 vermute, dass sein damaliger Zimmernachbar im Krankenhaus mitgehört und ihn verraten habe. Am 07.02.2013 seien dann in der Nacht teilweise maskierte Kadyrov-Anhänger ins Haus des BF1 in XXXX gekommen, hätten ihm unter Morddrohung vorgehalten, dass er mit Z schlecht über Kadyrow gesprochen habe und ihn misshandelt. Sie hätten auch wissen wollen, wo sich Z aufhalte. Als Grund, warum der BF das Telefongespräch mit Z nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht habe, gab er an, dass er Angst gehabt hätte, da er von Tschetschenen gehört habe, dass es sehr gefährlich sein könne, ein Tschetschene in Österreich getötet worden sei, und es für Kadyrow-Anhänger kein Problem sei, in Europa irgendjemanden zu finden. Weiters brachte der BF1 neu vor, dass er etwa im August 2015 erfahren habe, dass seine beiden Brüder wegen ihm im Herkunftsland Probleme bekommen hätten und nach Weißrussland untergetaucht seien, wo sie sich illegal aufhalten würden. Bereits etwa im September 2013 habe er erfahren, dass sein Vater nach seiner Ausreise mitgenommen sowie geschlagen worden sei und dann ins Krankenhaus gekommen sei. Seine Eltern würden sich im Herkunftsland immer bei verschiedenen Verwandten aufhalten. Man habe ihnen wegen dem BF1 ihre Dokumente abgenommen. Im Herkunftsland würden sich weiters 2 Onkel und eine Tante väterlicherseits aufhalten. Weiters gab der BF1 an, dass er XXXX . Der BF1 habe in Russland eine Schulausbildung auf Matura-Niveau abgeschlossen, habe jedoch keine Berufsausbildung. Er habe im Herkunftsland auf Baustellen gearbeitet. Der BF spreche ein bisschen Deutsch und gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er sei im Wesentlichen gesund, habe regelmäßig eine Psychologin besucht, wobei ihm nunmehr eine neue Psychologin zugeteilt und noch kein Termin ausgemacht worden sei.

Die BF2 brachte im Wesentlichen wie bisher vor, dass sie wegen der Probleme ihres Gatten das Herkunftsland verlassen habe. Die BF2 habe 11 Jahre Schulbildung sowie eine Ausbildung als Buchhalterin absolviert. Im Herkunftsland halte sich ihre Mutter auf. Ihr Vater sei verstorben und sie habe keine Geschwister. Sie besuche in Österreich einen Deutschkurs und konnte in der Verhandlung Grundkenntnisse dartun. Sie lebe von der Grundversorgung. Sie sei im Wesentlichen gesund und zurzeit im zweiten Monat schwanger. Die BF2 wurde im weiteren Verlauf - wie auch schon der BF1 - im Detail zu den Ereignissen befragt, die zur gemeinsamen Flucht geführt haben.

In einer schriftlichen Stellungnahme des Vertreters der BF vom 17.03.2016 wurde u.a. wiederholt, dass aus den Länderberichten hervorgehe, dass von einer Verbesserung der Situation in Tschetschenien nichts zu erkennen sei. Dies zeigten beispielsweise, dass die Militäreinheiten Kadyrows weiterhin für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien und Gewaltmaßnahmen der Sicherheitsbehörden insbesondere Entführungen, Folter und Tötungen vorkämen, insbesondere in Zusammenhang mit Kollektivstrafen gegen Familienangehörige und Unterstützer von vermeintlichen Terroristen. Die Fluchtgründe der BF würden in Anbetracht der sich verschlechternden politischen Situation in Tschetschenien und der Repressionen des Kadyrow-Regimes auch gegenüber Exil-Tschetschenen, welche sich abfällig gegenüber Kadyrow äußern, als glaubwürdig erscheinen. Ferner sei festzustellen, das sich die BF in den drei Jahren ihres Aufenthaltes in beachtlicher Weise in Österreich "eingefunden" und angepasst hätten. Sie könnten sich im Alltag bereits auf Deutsch verständigen und seien ebenso arbeitsfähig wie arbeitswillig.

Mit Schreiben vom 30.03.2016 übermittelten die BF u.a. folgende Unterlagen zu ihrer gesundheitlichen Situation: ein Entlassungsbericht vom 30.01.2014 eines Landesklinikums für Pulmologie betreffend des BF1, wonach dieser mit der Entlassungsdiagnose XXXX , beschwerdefrei entlassen werden habe können; ein Befund hinsichtlich des BF1 vom 26.11.2014 über ein CT-Thorax mit unverändertem Ergebnis gegenüber der Voruntersuchung vom Jänner 2014; eine Verordnung für die BF6 mit der Diagnose " XXXX ." vom 04.05.2015 und Untersuchungsbefunde.

Eine für den 07.06.2016 angesetzte, forstgesetzte Verhandlung zwecks Einvernahme von Z als Zeugen musste vertagt werden, da Z trotz ausgewiesener Ladung nicht erschienen ist.

5. Im XXXX wurde die Siebentbeschwerdeführerin (Im Folgenden: BF7) im Bundegebiet geboren. Für sie wurde am 02.11.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden.

Der Antrag wurde mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes vom 28.11.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF7 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF7 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF7 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für die BF7 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden und die Anträge ihrer Eltern bereits abgewiesen worden seien.

Dagegen wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben, wobei im Wesentlichen auf die Fluchtgründe der Eltern der BF7 verwiesen wurde.

6. Mit Beschluss vom 10.11.2016 wurde ein Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie als Sachverständiger aus dem Fachgebiet Unfallchirurgie im Wesentlichen zur Beantwortung der Frage, ob beim BF1 physische Anzeichen erkennbar seien, die mit entsprechender Wahrscheinlichkeit auf Misshandlungen hindeuten, die im Einklang mit seinen konkreten Angaben hinsichtlich Zeitpunkt und Art der von ihm beschriebenen Übergriffshandlungen stehen, bestellt.

In einem Gutachten des bestellten Sachverständigen vom 29.11.2016 kam dieser nach einem Gespräch und einer Untersuchung des BF1 am 28.11.2016 unter Heranziehung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2016, dem Befundbericht einer nuklearmedizinischen Abteilung eines Krankenhause vom 12.06.2015 sowie Röntgenbildern zum Schluss, dass beim BF1 Zeichen vorhanden seien, welche ausgeübte Misshandlungen nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit ausschließen lassen. Diese würden im Einklang mit der Art der beschriebenen Übergriffshandlungen stehen. Ein Zeitpunkt könne nicht fixiert, aber den Handlungen zugeordnet werden. Ein ursächlicher Zusammenhang der Entstehung der größeren beschriebenen Narbe mit einem Kolbenschlag könne nicht ausgeschlossen werden, die kleine könne ebenfalls im Zuge der Misshandlungen entstanden sein. Hinweise auf erlittene Rippenbrüche würden sich weder bei der nuklearmedizinischen Untersuchung noch am Röntgenbild des Brustkorbs finden. Hinweise auf Verletzungen der Halswirbelsäule würden sich im nuklearmedizinischen Befund, nicht jedoch im Halswirbelröntgen finden, wodurch eine Halswirbelverletzung jedoch nicht ausgeschlossen werden könne. Hinweise auf Vorliegen einer Epilepsie bestehe nicht.

Am 24.01.2017 fand neuerlich eine fortgesetzte Verhandlung im Beisein der BF und ihres Rechtsvertreters statt, in welcher Z als Zeuge befragt wurde und dem BF1 das Gutachten des Sachverständigen vom 29.11.2016 zu Kenntnis gebracht wurde.

Der Zeuge gab im Wesentlichen an, dass er XXXX als Rettungsfahrer gearbeitet habe, im Jahr 2000 dort verletzt worden sei und danach mit anderen Verletzten XXXX evakuiert worden sei. Aufgrund der Verletzung sei er beschuldigt worden, Widerstandskämpfer gewesen zu sein und habe ständig Probleme mit den Russen gehabt. Deswegen sei er 2004 nach Österreich gekommen, wo er 7 Monate nach der Einreise den Asylstatus erhalten habe. Zwei Brüder würden nach wie vor in Tschetschenien leben. Sein Bruder sei wegen ihm festgenommen und gefoltert worden. Nachdem der Zeuge das Herkunftsland verlassen habe, sei aber sein Bruder in Ruhe gelassen worden und lebe nach wie vor in Tschetschenien und arbeite dort. Auch ein zweiter Bruder sei gefoltert worden, doch nach der Ausreise des Zeugen in Ruhe gelassen worden. Der Zeuge bestätigte im Wesentlichen ein Telefonat mit dem BF1, als dieser krank gewesen sei, und dass er mit ihm über die Ungerechtigkeit, die in Tschetschenien herrsche, gesprochen habe. Ob er am Telefon etwas persönlich gegen Kadyrow gesagt habe, könne er sich nicht mehr erinnern. Der Zeuge stehe in regelmäßigen Kontakt mit seinem Bruder in Tschetschenien.

In einer Stellungnahme der BF vom 06.02.2017 wurde auf einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe aus dem Jahr 2016 hingewiesen, wonach laut einer tschetschenischen Kontaktperson Personen, die mit dem Ausland in Kontakt stehen, in Tschetschenien als Spione angesehen würden. Personen in Tschetschenien hätten Angst, am Telefon mit Personen, die im Ausland leben, über Dinge zu sprechen, die in Tschetschenien passieren würden. Sie würden befürchten, dass ihre Telefone abgehört werden. Auch Personen mit niedrigem Profil könnten wegen der Kritik an Kadyrow oder Putin gefährdet sein. Laut einer Kontaktperson mit Expertenwissen zur Menschenrechtslage in Tschetschenien müsse eine Person nicht unbedingt Verbindungen zu mutmaßlichen Aufständischen haben, um verfolgt zu werden. Es genüge, über soziale Medien die Politik Kadyrows oder beispielsweise das Gesundheitssystem oder die weit verbreitete Korruption zu kritisieren, um bestraft, geschlagen, gefoltert und öffentlich gedemütigt zu werden. Dazu wurden von der Kontaktperson zwei Fälle genannt, wonach Personen wegen kritischer Aussagen angehalten, gefoltert und gedemütigt worden seien.

7. Im XXXX wurde der Achtbeschwerdeführer (im Folgenden: BF8) im Bundegebiet geboren. Für ihn wurde am 29.11.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden.

Der Antrag wurde mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes vom 24.04.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF8 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF8 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde unter Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF8 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für den BF8 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden und die Anträge seiner Eltern bereits abgewiesen worden seien.

Dagegen wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben, wobei im Wesentlichen auf die Fluchtgründe der Eltern des BF8 verwiesen wurde.

Am 29.08.2018 fand erneut eine fortgesetzte Verhandlung statt, in der den BF und ihrer Vertretung aktuelle Länderinformationen zum Herkunftsstaat bzw. Tschetschenien zu Kenntnis gebracht wurden. Der BF1 wurde XXXX , befragt, XXXX . Auf Nachfragen erklärte der BF1 ausdrücklich, XXXX . XXXX . Weites gab er an, dass er 2017 erfahren habe, dass seine beiden Brüder nunmehr illegal auf der Krim seien und dort von Schwarzarbeit leben würden. Er habe letzte Woche mit ihnen telefoniert. Sie hätten keine Probleme. Dem BF1 sei bekannt, dass die Krim unter Kontrolle der Russischen Föderation stehe. Seine Eltern seien wieder in den Heimatort zurückgekehrt. Sie hätten keine Probleme mehr. Auch zwei Onkel und eine Tante väterlicherseits würden dort leben. Sie hätten auch keine Probleme. Der BF1 wurde erneut zu Details der von ihm bereits vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisse befragt. Weiters gab er an, dass er nach wie vor von der Grundversorgung lebe, er habe auch keine Deutschkurse absolviert. Er habe für den Fall, dass er einen Aufenthaltstitel erlange, eine Einstellungszusage erhalten. Der BF sei im Wesentlichen gesund, habe jedoch aufgrund seiner Misshandlungen Gedächtnisprobleme.

Die BF2 brachte im Wesentlichen vor, dass sie und ihre Kinder - bis auf einen Sohn der aufgrund von " XXXX " orthopädische Probleme habe - gesund seien. Die BF2 habe einen A2 Deutschkurs positiv absolviert. Sie lebe von der Grundversorgung. In Tschetschenien würden sich ihre Mutter sowie Onkel und Tanten väterlicherseits und mütterlicherseits aufhalten.

In einer Stellungnahme der BF vom 04.09.2018 wurde zu den in der Verhandlung am 29.08.2018 dargetanen Länderberichten ausgeführt, dass diese jedenfalls nicht im Widerspruch zu den Angaben der BF stehen würden.

8. Der BF1 wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom 13.01.2016 wegen §§ 127, 129 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, die unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zu den Personen und Fluchtgründen:

Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Spruch genannten Namen und sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Der BF1 und die BF2 sind die Eltern der übrigen minderjährigen BF. Der BF1, die BF2, der BF3 und die BF4 waren im Herkunftsland in XXXX bzw. in XXXX wohnhaft; die übrigen BF wurden im Bundesgebiet geboren.

Nach Asylanträgen in Polen am 22.04.2013 und in Deutschland am 25.04.2013 und einer illegalen Einreise ins Bundesgebiet stellten die BF1 bis BF4 am 07.09.2013 ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich, welche wegen der Zuständigkeit Polens nach der Dublin-VO gemäß § 5 und 10 AsylG 2005 zurückgewiesen wurden. Diese Entscheidungen des Bundesasylamtes vom 11.11.2013 wurden mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.11.2013 im Beschwerdeverfahren bestätigt.

Die gegenständlichen Anträge wurden von den bzw. für die BF am 02.07.2014 (BF1 bis BF5), 10.03.2015 (BF6), 02.11.2016 (BF7) und am 29.11.2017 (BF8) gestellt.

Beim BF1 wurde eine PTSD diagnostiziert, eine aktuelle Behandlung wurde nicht mehr nachgewiesen. Die übrigen BF sind - mit Ausnahme von nicht schwerwiegenden orthopädischen Problemen eines der minderjährigen BF - im Wesentlichen gesund.

Der BF1 und die BF2 sind grundsätzlich arbeitsfähig. Der BF1 verfügt über Schulbildung mit einem Abschluss, der einer Matura entspricht, sowie über Berufspraxis auf Baustellen. Er war vor seiner Ausreise in der Lage, seinen Lebensunterhalt und jenen seiner Familie durch Erwerbstätigkeit auf Baustellen als Bauhilfsarbeiter zu bestreiten. Die BF2 hat die Grundschule sowie eine Buchhaltungsausbildung absolviert. In Tschetschenien halten sich zumindest die Eltern, zwei Onkel und eine Tante des BF1 sowie die Mutter, Onkel und Tanten der BF2 auf.

Die BF1 bis BF4 halten sich seit September 2013 im Bundesgebiet auf, die BF5 bis BF8 jeweils seit ihrer Geburt. Der BF1 hat geringfügige Deutschkenntnisse, die BF2 hat einen A2 Kurs abgeschlossen. Sie gehen keiner legalen Erwerbstätigkeit oder nennenswerten ehrenamtlichen Tätigkeiten nach, sondern beziehen Grundversorgung. Die BF2 verrichtet freiwillig in dem Heim, in dem sie untergebracht ist, einmal in der Woche Reinigungsarbeiten. Sie sind auch nicht Mitglied in einem Verein.

Der BF1 wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom Jänner 2016 wegen §§ 127, 129 Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten rechtskräftig verurteilt. Die BF2 ist unbescholten.

Das Vorbringen des BF1, wegen eines Cousins seines Vaters sowie Kritik an Kadyrow in Tschetschenien von den Behörden bzw. Kadyrow-Leuten verfolgt worden zu sein bzw. verfolgt zu werden, hat sich als nicht glaubhaft erwiesen. Die BF2 machte - wie auch für die übrigen minderjährigen BF - keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Den BF droht bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung im Sinne der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrunde gelegt.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018). Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

-

Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,

http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,

https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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