TE Bvwg Beschluss 2018/11/12 W153 2199363-1

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Entscheidungsdatum

12.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W153 2199363-1/7E

W153 2199389-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. aus Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018, Zlen 1.) 1091265904-151563057, 2.) 1091265610-151563065, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und stellten am 15.10.2015 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Im Zuge der am 16.10.2015 durchgeführten Erstbefragung gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen übereinstimmend an, aufgrund der in ihrer Heimat bestehenden Unruhen zunächst in den Iran geflohen zu sein, wo sie jedoch aufgrund ihres illegalen Aufenthaltes nicht hätten leben können. Deshalb sei die Zweitbeschwerdeführerin mit einem Sohn in die Türkei geflohen, wo sie jedoch kein Asyl erhalten hätten. Anschließend sei die ganze Familie nach Österreich gekommen.

Am 23.03.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unterzogen.

Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe in der Landwirtschaft gearbeitet und seine Frau habe mitgeholfen. Als die Taliban im Jahr 2000 die Provinz Ghazni, in welcher die Beschwerdeführer gelebt hätten, erobert haben, sei er von diesen misshandelt und verletzt worden und habe sich letztlich zur Flucht entschlossen. Durch die Misshandlungen der Taliban habe der Erstbeschwerdeführer nach wie vor sichtbare Narben am Rücken. Er leide an Arm-, Hand- und Rückenschmerzen und sei hier in Behandlung. Er leide auch an Vergesslichkeit

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge der Befragung an, sie sei traditionell verheiratet und habe fünf Kinder, wobei ihre zwei Söhne nach Österreich mitgereist seien. Ihre drei Töchter würden in der Türkei, Dubai und in Schweden leben. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine Verwandten in Afghanistan. Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes gab die Zweitbeschwerdeführerin an, Knieschmerzen zu haben und hier operiert werden zu müssen.

Im Zuge der Einvernahmen wurden einige integrationsbestätigende Unterlagen sowie ärztliche Schreiben vorgelegt.

Das BFA hat mit den angefochtenen Bescheiden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Zusammengefasst führte das BFA aus, dass der Erstbeschwerdeführer keine individuelle, aktuelle Verfolgungsgefahr habe glaubhaft machen können. Es bestehe kein Zweifel daran, dass er als erwachsener, gesunder und arbeitsfähiger Mann im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan, Kabul, den Unterhalt bestreiten könne. Er habe zwar gesundheitliche Probleme angeführt, jedoch handle es sich hierbei lediglich um Rückenschmerzen und einen sogenannten "Tennisarm". Diese Probleme würden ihn nicht daran hindern, arbeiten zu gehen, zumal es in Afghanistan Schmerzmittel gebe (Seite 63 des Bescheides). Da auch aus seinen persönlichen Merkmalen (beispielsweise Volksgruppenzugehörigkeit, Religion oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) keine Verfolgungsgefahr abzuleiten sei, zumal er diesbezüglich auch nichts vorgebracht habe, könne es nicht zur Gewährung des Asylstatus kommen.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin wurde festgehalten, dass sie in Bezug auf ihr Heimatland Afghanistan keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich auf jene ihres Mannes bezogen habe. Weiters wurde ausgeführt, dass aufgrund der Tatsache, dass sie bei der Einvernahme vor dem BFA nicht einmal den Wunsch geäußert habe, einen Lebensstil im westlichen Sinn führen zu wollen bzw. dies bereits zu tun, weiters auch bei der Frage zur Rückkehrgefährdung nichts vorgebracht habe, das eine Gefährdung aufgrund ihrer etwaigen neuen Lebensphilosophie auslösen würde, festzustellen gewesen sei, dass sie nicht als westlich orientierte Frau zu erkennen sei. Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes wurde festgestellt, dass sie an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leiden würde.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass die Schilderungen der Beschwerdeführer zum Fluchtvorbringen während des gesamten Verfahrens gleichbleibend gewesen seien. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und Bezug nehmend auf die heutige Sicht würden ihre Angaben durchaus glaubhaft scheinen. Obwohl die Beschwerdeführer von ihren gesundheitlichen Problemen berichtet hätten, der Erstbeschwerdeführer ärztliche Bestätigungen vorgelegt und die Zweitbeschwerdeführerin ihre Zustimmung erteilt habe, dass die Behörde Einsicht in die vorliegenden und künftig erhobenen ärztlichen Befunde nehmen bzw. ein Austausch unter den sie behandelnden Ärzten stattfinden könne, habe sich die belangte Behörde mit der gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführer und den Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan nicht auseinandergesetzt und es unterlassen, diesbezügliche Nachforschungen zu tätigen. Die Zweitbeschwerdeführerin leide an fortgeschrittener XXXX und sitze im Rollstuhl, da sie nur noch wenige Meter gehen könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchteil A):

Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwVGV (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Die belangte Behörde ist gegenständlich zu dem Schluss gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer keine aktuelle, individuelle Verfolgungsgefahr für Afghanistan vorgebracht habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich auf jene ihres Mannes bezogen. Darüber hinaus könne bei ihr keine "westliche Orientierung" festgestellt werden.

So können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. zu alldem, auch zum Verständnis bzw. zu der Bedeutung des "westlich orientierten" Lebensstils, etwa VwGH vom 28. Mai 2014; Ra 2014/20/0017; VwGH vom 22.03.2017; Ra 2016/18/0388, oder jüngst VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0301, VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357 mwN).

Zur "westlichen Gesinnung" hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 16.01.2008, 2006/19/0182, ausgeführt, dass "nach der Stellungnahme des UNHCR vom Juli 2003 unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen werde, dass sie soziale Normen verletzen (oder die dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden sollten. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen."

Gerade in Hinblick auf diese als hinreichend bekannt vorauszusetzende Judikatur ist es evident, dass die belangte Behörde es unterlassen hat, sich mit den frauenspezifischen Problemen in Afghanistan hinreichend auseinanderzusetzen bzw. spezifischen Ermittlungen zur Situation der Zweitbeschwerdeführerin durchzuführen. Es fehlen jedenfalls ausreichende Ermittlungen bezüglich der Haltung der Zweitbeschwerdeführerin zur Führung eines freibestimmten Lebens nach westlichen Normen, um basierend darauf das Vorliegen einer möglichen vorliegenden Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin bezüglich einer geschlechtsspezifischen Verfolgung - allenfalls bezüglich des Vorliegens eines subjektiven Nachfluchtgrundes - ausschließen zu können. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde eine "westliche Orientierung" der Zweitbeschwerdeführerin ausgeschlossen und dies damit begründet, dass es in ihrer Befragung mangels konkreten Vorbringens keine Hinweise dafür gegeben habe, dass sie einen solchen Lebensstil im westlichen Sinne führe bzw. führen wolle. Eine konkrete Befragung hierzu hat jedoch nicht stattgefunden, ist aber vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Judikatur in Zusammenhang mit der notorischen Lage in Afghanistan von Amts wegen vorzunehmen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die Zweitbeschwerdeführerin näher zu befragen und abzuklären zu haben, inwieweit sich ihr Leben in Österreich vom Leben in Afghanistan unterscheidet und ob eine oder mehrere Verletzungen afghanischer sozialer Normen vorliegen. Weiters ist festzustellen, inwieweit allfällige neue Rechte für die Zweitbeschwerdeführerin bereits zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sind, sodass deren Unterdrückung im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur asylrelevant wäre.

Wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich, sind beide Beschwerdeführer gesundheitlich beeinträchtigt. Der Erstbeschwerdeführer hat einige ärztliche Unterlagen vorgelegt und die Zweitbeschwerdeführerin hat in ihrer Einvernahme vom 23.03.2018 angeführt, Knieschmerzen zu haben und operiert werden zu müssen. Obwohl sie in dieser Befragung ausdrücklich ihre Zustimmung dazu erteilt hat, dass die Behörde Einsicht in - bereits vorliegende und künftig erhobene - ärztliche Befunde nehmen könne sowie dass die sie behandelnden Ärzte als auch behördlich bestellte ärztliche Gutachter wechselseitig Informationen zu den ihre Person betreffenden erhobenen ärztlichen Befunden austauschen können, hat es die belangte Behörde in weiterer Folge unterlassen, nähere Erkundigungen in Hinblick auf ihren Gesundheitszustand einzuholen. Obwohl der belangten Behörde bekannt war, dass die Zweitbeschwerdeführerin gesundheitliche Probleme hat und ihr laut eigenen Angaben eine Operation bevorsteht, hat sie keinerlei weitere Ermittlungen zu ihrer gesundheitlichen Situation getätigt und im Bescheid lediglich ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leiden würde. Aus den Angaben in der Beschwerde ergibt sich, dass die Zweitbeschwerdeführerin (mittlerweile) nur noch wenige Meter gehen könne und deshalb im Rollstuhl sitze. Im vorliegenden Fall bedarf es jedenfalls - unter nunmehriger Berücksichtigung aller bislang vorgelegter medizinischer Unterlagen und bezughabender Länderfeststellungen - aktueller Informationen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer, um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausschließen zu können.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - im konkrete Fall nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA unter Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W153.2199363.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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