Entscheidungsdatum
14.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W228 2191754-1/8E
W228 2191757-1/6E
W228 2191759-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden der XXXX , geboren am XXXX (BF1), des XXXX , geboren am XXXX (BF2) und des XXXX , geboren am XXXX 2010 (BF3), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF1 und BF2 vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. XXXX , BF3 vertreten durch die Mutter
XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese wiederum vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018 bzw. 28.02.2018, Zlen: XXXX ;
XXXX , sowie XXXX beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Die BF1 und der BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 16.09.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am 07.01.2010 geborenes Kind der BF1 und des BF2, gestellt.
Eine Erstbefragung der BF1 fand nicht statt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.09.2015 gab der BF2 an, dass er Afghanistan wegen der Taliban verlassen habe.
Die BF1 wurde am 11.12.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie in der Provinz Bamyan geboren sei. Im Alter von einem Jahr sei sie mit ihrer Familie in den Iran gegangen, wo sie 13 Jahre lang gelebt habe, bevor sie nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Im Alter von 13 Jahren habe sie geheiratet und im Alter von 15 Jahren habe sie ihren Sohn bekommen. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF1 aus, dass ihr Ehemann bei der Zivilpolizei gearbeitet habe. Eines Nachts hätten die Taliban ihr Haus überfallen. Dies sei der Fluchtgrund ihres Ehemannes; sie habe aber auch eigene Gründe. Sie sei nach ihrer Rückkehr aus dem Iran zuhause eingesperrt gewesen und habe nicht hinausgehen dürfen. Sie habe nichts davon gewusst, dass sie jemand heiraten habe wollen. Eines Tages sei dieser Mullah ins Haus gekommen und habe sie angefasst bis sie zu schreien begonnen habe. In weiterer Folge habe der Mullah ihrem Vater gedroht, dass jener Probleme bekommen würde, wenn er die BF1 nicht heiraten könne. Einige Tage später habe die BF1 mit ihrer Familie ihr Dorf verlassen und sei zum Onkel mütterlicherseits der BF1 gegangen; am Tag darauf wurde die BF1 mit ihrem Ehemann verheiratet. Befragt, ob sie noch andere Gründe gehabt habe, Afghanistan zu verlassen, führte sie aus, dass sie in Afghanistan keine Freiheiten gehabt habe. Mit ihrer Schwiegermutter habe sie Probleme gehabt und sei sie ständig geschlagen worden. Im Falle einer Rückkehr gäbe es keine Sicherheit für sie. In Afghanistan dürfe eine Frau nicht reden. Zu ihrem Alltag in Österreich befragt, führte die BF1 aus, dass sie viele Freundinnen habe, in den Tierpark gehe, einen Deutschkurs besuche und einkaufen gehe. Sie wolle eine Ausbildung als Zahnarzthelferin machen und ihr eigenes Geld verdienen.
Der BF2 wurde am 11.12.2017 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in der Provinz Ghor geboren sei und bis zu seiner Ausreise dort als Landwirt gelebt habe. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass sein Onkel und er als Zivilisten für die Polizei gearbeitet hätten. Als sein Onkel einmal bei ihm zuhause gewesen sei, seien vier maskierte Personen hereingestürmt. Es habe sich um die Taliban gehandelt. Der BF2 habe seine Frau und sein Kind genommen und sei ins Nachbardorf geflüchtet. Er habe dann erfahren, dass sein Onkel umgebracht worden sei und habe er sich in der Folge entschieden, Afghanistan zu verlassen.
Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 27.02.2018 bzw. 28.02.2018 wurden die Anträge der BF1, des BF2 und des BF3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 27.02.2018 bzw. 28.02.2018 erhoben die BF1, der BF2 und der BF3 mit Schriftsatz der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung vom 28.03.2018 Beschwerde. Zunächst wurde das in den Einvernahmen getätigte Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen unvollständig seien. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens der BF nicht vorgenommen habe. Es sei zudem festzuhalten, dass Hazara weitreichender Diskriminierung und Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt seien und würden die BF somit Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit unterliegen. Wenn die belangte Behörde ausführt, dass keine westliche Orientierung bei der BF1 gegeben sei, so müsse dem eindeutig widersprochen werden. Schon allein aufgrund des Erscheinungsbildes der BF1, welche sich schminke, Schmuck trage und sich westlich kleide und kein Kopftuch trage, hätte die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Die BF1 wolle in Österreich arbeiten oder eine Ausbildung machen und ein selbständiges Leben führen. Die belangte Behörde habe es fast völlig unterlassen, entsprechende Fragen zur westlichen Orientierung der BF1 zu stellen. In einer Gesamtschau wäre den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen.
Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 09.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF1 und der BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 16.09.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am 07.01.2010 geborenes Kind der BF1 und des BF2, gestellt.
Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere des minderjährigen BF3, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.
Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF1 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF1 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.
Weiters wurden auch nicht ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand von BF3 getroffen, wurde doch vorgebracht, dass der BF3 an einer Asthmaerkrankung leidet und regelmäßig Medikamente benötigt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 27.02.2018 bzw. 28.02.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.
In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.
Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit des BF3 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob dem BF3, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA acht Jahre alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung seiner gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidung betreffend den minderjährigen BF3 ist somit begründungslos ergangen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde auch den Gesundheitszustand des BF3 durch weitere Erhebungen zu objektivieren haben. Aus dem vor der belangten Behörde vorgelegten Kurzarztbrief des Klinikums Wels-Grieskichen vom 17.09.2017 geht hervor, dass der BF3 unter Asthma bronchiale leidet. Mit diesem Umstand hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.
Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich des von der BF1 im Zuge der Befragung vor dem BFA erstatteten Vorbringens wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So führte die BF1 unter anderem während ihrer Einvernahme vor dem BFA am 11.12.2017 aus, dass sie in Österreich als Frau frei sei, selbständig entscheiden könne und nicht unterdrückt werden würde. In Afghanistan hätten Frauen keine Freiheiten, dürften nicht reden, während Frauen in Österreich sich frei ausdrücken könnten und machen könnten, was sie wollen. Es ist jedoch seitens des BFA verabsäumt worden, mit der BF2 diesbezüglich ihre individuelle Situation in Afghanistan näher zu erläutern.
Die BF2 führte in der Einvernahme am 11.12.2017 weiters aus, dass sie in Österreich an einem Deutschkurs teilnehme; sie könne allein auf die Straße gehen, einkaufen gehen; sie könne lernen und all dies tun, was sie in Afghanistan nicht habe tun können. Sie müsse kein Kopftuch tragen. Sie wolle eine Ausbildung als Zahnarzthelferin machen und ihr eigenes Geld verdienen. Die belangte Behörde hat sich jedoch nicht näher mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt.
Wie auch in der Beschwerde ausgeführt wurde, hätten betreffend die BF1 auch bereits mehrere während der Einvernahme erkennbare äußere Erscheinungsmerkmale auf eine möglicherweise bestehende westliche Orientierung hingewiesen. Weitere diesbezügliche Nachfragen bzw. Abklärungen wurden im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht vorgenommen. So wurde im gegenständlichen Verfahren etwa auch nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF1 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr angestrebte Lebensweise geprüft (etwa VwGH, Zlen Ra 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn das BFA in Hinblick auf die Ausführungen der BF1 hinsichtlich der Unterdrückungen der Frauen in Afghanistan sich auf die herangezogenen Länderfeststellungen beruft, wonach sich die Situation der Frauen nach der Herrschaft der Taliban erheblich verbessert hat, so übersieht das BFA, dass die BF1 in der mit ihr aufgenommenen Niederschrift von massiven Problemen als Frau in Afghanistan gesprochen hat. Ihren Ausführungen nach gehe es dabei um die allgemeine Sicherheit der Frauen; so gab sie an, dass in Afghanistan die Frau nicht als Mensch bezeichnet werde und Frauen keine Freiheiten hätten. Wenn in den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen, Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen, so übersieht das BFA, dass dieses bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund seiner Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.
Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit aus solchen Aussagen der BF1, aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und eines Ausbildungswunsches eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher weiteren hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Aufgrund des gänzlichen diesbezüglichen Unterlassens von weiteren Nachfragen, kann nicht nachvollzogen werden, auf welchen Grundlagen die Aussagen der BF1, dass diese in Afghanistan nicht frei hätte leben können, seitens des BFA als unglaubwürdig beurteilt worden sind.
Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit auch in dieser Hinsicht grundlegend ergänzungsbedürftig.
Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2191759.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.01.2019