TE Bvwg Beschluss 2018/11/14 W228 2181986-1

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Veröffentlicht am 14.11.2018
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Entscheidungsdatum

14.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2176252-1/6E

W228 2176255-1/6E

W228 2176257-1/9E

W228 2176259-1/8E

W228 2181986-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX 1975 (BF1), der XXXX alias XXXX , geboren am XXXX 1986 (BF2), des XXXX , geboren am XXXX 2002 (BF3), der XXXX , geboren am XXXX 2010 (BF4) sowie der XXXX , geboren am XXXX 2017 (BF5), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF1 und BF2 vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , BF3, BF4 und BF5 vertreten durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin, diese wiederum vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2017 bzw. 06.10.2017 sowie vom 22.12.2017, Zlen: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 02.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am 12.02.2002 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für die BF4, am 14.07.2010 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.12.2015 gab der BF1 an, dass er Afghanistan vor zwei Jahren verlassen habe, weil dort Krieg herrsche. Im Iran habe er illegal gelebt und die Kinder hätten keine Schule besuchen können. Er habe keine Arbeit gefunden. Als er erfahren habe, dass die Grenzen offen seien, habe er sich für die Flucht entschieden.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.12.2015 gab die BF2 an, dass in Afghanistan Krieg sei und ihr Mann für die Taliban kämpfen hätte müssen. Im Iran seien sie illegal aufhältig gewesen; deshalb habe ihr Mann entschieden, dass die ganze Familie nach Europa flüchte.

Der BF1 wurde am 03.10.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Herkunftsstaat zuletzt in der Provinz Bamian, Distrikt Panjab, Dorf XXXX gewohnt habe. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass in Afghanistan Krieg herrsche und die Lage unsicher sei. Vor fünf Jahren habe er auch Grundstücksstreitigkeiten mit einer anderen Familie gehabt. Die andere Familie habe viel Macht gehabt. Im Zuge der Auseinandersetzung sei er geschlagen worden. Sonst sei ihm nichts passiert. Er habe das Grundstück schließlich den anderen überlassen. Er sei dann mit seiner Familie in den Iran gegangen. Dort habe er keine Aufenthaltsberechtigung und keine Arbeitsbestätigung gehabt und habe er daher entschieden, den Iran zu verlassen.

Die BF2 wurde am 03.10.2017 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zu ihrem Fluchtgrund an, dass es in Afghanistan keine Sicherheit gebe. Außerdem habe ihr Mann Grundstückstreitigkeiten gehabt. Befragt, wieso sie in Kabul nicht leben hätten können, gab sie an, dass ihr Schwiegervater dort vor sechs Jahren ermordet worden sei. Die genauen Umstände kenne sie nicht. Sie glaube nicht, dass es dort sicher sei. In ganz Afghanistan sei es nicht sicher.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 03.10.2017 bzw. 06.10.2017 wurden die Anträge des BF1, der BF2, des BF3 und der BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 03.10.2017 bzw. 06.10.2017 erhoben der BF1, die BF2, der BF3 und die BF4 mit Schriftsatz der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung vom 25.10.2017 Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die BF Afghanistan aufgrund von Grundstückstreitigkeiten sowie aufgrund der unsicheren Sicherheitslage verlassen hätten. Zu den Fluchtgründen des BF1 werde auf das bisher im Verfahren Vorgebrachte verwiesen. Die belangte Behörde habe es zudem unterlassen, die Situation der Frauen in Afghanistan zu würdigen. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur allgemeinen Lage im Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz, zu gewähren sei.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 13.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 28.11.2017 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am 02.11.2017 in Österreich geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 22.12.2017 wurde der Antrag der BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Vertretung der BF5 für sie keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht habe. Es bestehe auch keine reale Gefahr, dass die BF5 nach ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand geraten würde.

Gegen diesen Bescheid vom 22.12.2017 wurde mit Schriftsatz vom 02.01.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben. Hinsichtlich der Beschwerdegründe wurde auf die bereits beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahren verwiesen.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 05.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 16.08.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Graz vom 09.08.2018 betreffend den BF3 ein.

Am 02.10.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Abschluss-Bericht der LPD Steiermark vom 19.09.2018 sowie das Protokoll der Beschuldigtenvernehmung vom 01.09.2018 betreffend den BF3 ein.

Am 11.10.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Verständigung der Behörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Graz vom 01.10.2018 betreffend den BF3 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 02.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am 12.02.2002 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für die BF4, am 14.07.2010 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Am 28.11.2017 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am 02.11.2017 in Österreich geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3, BF4 und BF5, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 03.10.2017 und 06.10.2017 bzw. 22.12.2017.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.

In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.

Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit des BF3, der BF4 und der BF5 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob dem BF3, der BF4 und der BF5, im Zeitpunkt der Entscheidungen des BFA fünfzehn und sieben Jahre sowie knapp zwei Monate alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidung betreffend die minderjährigen BF3, BF4 und BF5 ist somit begründungslos ergangen.

Hinsichtlich BF3 liegen außerdem aufgrund eines in dessen Akt befindlichen Schreibens datierend auf 25.04.2016 Bedenken gegen die Richtigkeit der Altersangabe vor. Das Alter von BF3 wird durch das BFA durch Einholung entsprechender Gutachten zur Altersfeststellung abzuklären sein. Ebenso kam es zu einer Korrektur des Alters bei BF4, die nur auf Angaben des Vaters beruhen, jedoch seitens des BFA nicht durch ein Gutachten objektiviert wurden. Dies ist auch bei BF4 nachzuholen.

Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich der BF2 wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So ist seitens des BFA völlig verabsäumt worden, mit der BF2 ihre individuelle Situation als Frau in Afghanistan zu erläutern. Das BFA hat der BF2 im Zuge der Einvernahme am 03.10.2017 überhaupt keine Fragen bezüglich einer möglichen "westlichen Orientierung" gestellt. Es wurden keinerlei diesbezügliche Abklärungen vorgenommen.

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde zwar allgemeine Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan getroffen, sie hat diese Feststellungen jedoch in keiner Weise mit der konkreten Situation der BF2 in Verbindung gebracht und finden sich weder in der Beweiswürdigung noch in der rechtlichen Beurteilung diesbezügliche Ausführungen. Die belangte Behörde setzt sich nicht weiter mit der Situation von Frauen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, in keiner Weise die individuelle konkrete Situation der BF2 bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Die belangte Behörde hätte aufgrund der allgemeinen Situation von Frauen in Afghanistan amtswegig zu erheben gehabt, ob im Fall der BF2 eine Gefährdung aufgrund einer möglichen westlichen Gesinnung vorliegt. Den von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen und Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen. Die belangte Behörde hätte bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund ihrer Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.

Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit auch in dieser Hinsicht grundlegend ergänzungsbedürftig.

Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2181986.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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