TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/28 W235 1407998-4

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Veröffentlicht am 28.11.2018
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Entscheidungsdatum

28.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1

Spruch

W235 1408014-3/13E

W235 1407998-4/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb XXXX und 2. XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2015, Zl. 821486202-14479721 (ad 1.) sowie Zl. 821486300-14620335 (ad 2.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Verfahren über die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden wegen Zurückziehung der Beschwerden gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. Den Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II. wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. XXXX und XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer ist der Vater des zum Antragszeitpunkt minderjährigen, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährigen Zweitbeschwerdeführers. Beide Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Sie reisten gemeinsam mit der Ehegattin des Erstbeschwerdeführers (bzw. Mutter des Zweitbeschwerdeführers) und vier weiteren, damals minderjährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers (bzw. Geschwistern des Zweitbeschwerdeführers) unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 06.11.2008 jeweils einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Die oben erwähnten mitgereisten Familienangehörige stellten gleichlautende Anträge.

1.2. Nach Durchführung von Ermittlungsverfahren wies das Bundesasylamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 08.07.2009 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkte I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkte II.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten III. dieser Bescheide wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 20.08.2012 gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

In den Verfahren der mitgereisten Familienangehörigen sowie im Verfahren einer im Jahr 2009 geborenen weiteren Tochter des Erstbeschwerdeführers (bzw. Schwester des Zweitbeschwerdeführers) ergingen inhaltlich gleichlautende Entscheidungen.

2.1. In der Folge stellten die Beschwerdeführer (ebenso wie ihre sechs Familienangehörigen sowie eine weitere, im Jahr 2012 geborene Tochter des Erstbeschwerdeführers bzw. Schwester des Zweitbeschwerdeführers) am 16.10.2012 jeweils einen weiteren, zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 23.11.2012 wurden diese Folgeanträge gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. dieser Bescheide wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

2.3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 19.12.2012 gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ab.

Betreffend die in Österreich aufhältigen Familienangehörigen ergingen auch in diesen Verfahren gleichlautende Entscheidungen.

3.1. Im Zuge von Überstellungen aus Deutschland gemäß den Bestimmungen der Dublin III-VO stellten die Beschwerdeführer am 16.05.2014 die nunmehr verfahrensgegenständlichen, weiteren (dritten) Anträge auf internationalen Schutz.

3.2. Diese Anträge wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Durchführung von Ermittlungsverfahren (Erstbefragungen, Einvernahmen der Beschwerdeführer) mit den angefochtenen Bescheiden vom 15.06.2015 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. dieser Bescheide wurden den Beschwerdeführern Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist.

4. In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden vom 03.07.2015 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführer seit dem Jahr 2008 - lediglich mit einer Unterbrechung von ca. acht Monaten während sie in Deutschland gewesen seien - in Österreich aufhältig seien. Die Beschwerdeführer seien strafrechtlich unbescholten und spreche insbesondere der Zweitbeschwerdeführer ausgezeichnet Deutsch. Ebenso habe der Zweitbeschwerdeführer den Hauptschulabschluss gemacht und besuche derzeit das Polytechnikum. Auch wenn die Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe hätten vorbringen können, hätte sich die Behörde von ihren neu entstandenen Integrationsfortschritten überzeugen müssen.

5.1. Am 30.08.2016 langte ein Schreiben der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem verfahrenswesentlich vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführer Teil einer achtköpfigen Familie seien, die bereits seit November 2008 in Österreich aufhältig seien. Die Kinder, die teilweise in Österreich geboren seien, seien gut integriert, würden Deutsch sprechen und in die Schule gehen. Im Verfahren zur Zahl XXXX vom XXXX .2016 seien der Ehegattin sowie den minderjährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers (= Mutter und minderjährige Geschwister des Zweitbeschwerdeführers) und einem weiteren, volljährige Sohn (bzw. Bruder) von der Bezirkshauptmannschaft XXXX der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG (vor Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 87/2012) erteilt worden. Die diesbezüglich gestellten Anträge der Beschwerdeführer seien jedoch zurückgewiesen worden, da gleichzeitig die gegenständlichen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig seien. Nun sei die Situation so, dass alle Familienangehörige bis auf die beiden Beschwerdeführer Aufenthaltstitel erhalten hätten. Allerdings seien auch diesen eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 AsylG zu erteilen. Dem Erstbeschwerdeführer sei als Ehegatten und Vater von vier [wohl gemeint: fünf] minderjährigen Kindern eine Aufenthaltsberechtigung zum Schutz seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK zu gewähren. Auch das Privat- und Familienleben des Zweitbeschwerdeführers, der erst im Juni 2006 volljährig geworden sei, sei in gleicher Weise schützenswert, zumal der Zweitbeschwerdeführer von seinen Eltern abhängig sei.

Mit diesem Schreiben wurden nachstehende Unterlagen vorgelegt:

* Ladung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX .2016 an die Ehegattin und die fünf minderjährigen Kinder des Erstbeschwerdeführers zwecks Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" und

* Bescheide der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX 2016, mit welchen die Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung von Aufenthaltstitel zurückgewiesen wurden (beide) mit der wesentlichen Begründung, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer Beschwerden faktischer Abschiebeschutz zukomme und daher das NAG nicht zur Anwendung komme

5.2. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden (ohne hierzu ein Vorbringen zu erstatten) mit weiterem Schreiben vom 08.03.2018 nachstehende verfahrensrelevante Dokumente vorgelegt:

* Einstellungsbestätigung der Firma " XXXX " vom XXXX .01.2018 betreffend den Zweitbeschwerdeführer;

* Jahres- und Abschlusszeugnis einer Polytechnischen Schule für den Zweitbeschwerdeführer für das Schuljahr 2014/2015 (nur positive Benotungen);

* Bestätigungen des Österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX .10.2017 und vom XXXX .02.2016, derzufolge der Zweitbeschwerdeführer als Mitglied an der Bezirksstelle XXXX aktiv mitarbeitet und wöchentlich ca. acht Stunden freiwillig tätig ist und

* Kopien der "Rot-Weiß-Rot - Karten Plus" von sechs Familienangehörigen der Beschwerdeführer (Ehegattin und fünf minderjährige Kinder des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter und fünf minderjährige Geschwister des Zweitbeschwerdeführers);

6. Am 07.11.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, an der die Beschwerdeführer teilnahmen. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen; das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat bereits mit Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Eingangs der Verhandlung gaben die Beschwerdeführer an, dass sie einen "Anwalt" in XXXX gehabt hätten, der ihnen jedoch nicht weitergeholfen habe. Sie seien damit einverstanden, dass die Verhandlung ohne Vertreter und auch ohne Rechtsberatung durchgeführt werde. Nach Wiederholung des Verfahrensganges wie er aus den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten ersichtlich ist sowie nach Erörterung der Bescheide der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX .2016 gaben die Beschwerdeführer an, es sei korrekt, dass mit diesen Bescheiden ihre Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstitel zurückgewiesen worden seien und ungefähr zu diesem Zeitpunkt ihre Familienangehörigen Aufenthaltstitel erhalten hätten. Gegen die Zurückweisung dieser Anträge hätten sie "Einspruch" erhoben, jedoch bis dato keine Entscheidung bekommen. Auf Nachfrage gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass der Erstbeschwerdeführer und er in Deutschland gewesen seien und als sie aus Deutschland zurückgeschickt worden seien, hätten sie den dritten (verfahrensgegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Seine Mutter und seine Geschwister seien in Österreich geblieben und hätten daher keinen dritten Antrag gestellt.

Am Ende der Verhandlung zogen die Beschwerdeführer nach Erörterung und mehrfacher Rechtsbelehrung durch die erkennende Einzelrichterin die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. (entschiedene Sache) zurück. Aufrecht blieben sohin lediglich die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer ist der Vater des zum Antragszeitpunkt minderjährigen, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährigen Zweitbeschwerdeführers. Beide Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Sie reisten gemeinsam mit der Ehegattin und vier (damals) minderjährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers (bzw. mit der Mutter und vier (damals) minderjährigen Geschwistern des Zweitbeschwerdeführers) unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 06.11.2008 - ebenso wie ihre mitgereisten Familienangehörigen - jeweils einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. In Österreich wurden in den Jahren 2009 und 2012 noch jeweils eine Tochter des Erstbeschwerdeführers und seiner Ehegattin geboren.

Diese Anträge vom 06.11.2008 wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.07.2009 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und wurden die Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden vom Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 20.08.2012 abgewiesen. In den jeweiligen Verfahren der mitgereisten bzw. nachgeborenen Familienangehörigen wurden inhaltlich gleichlautende Bescheide bzw. Erkenntnisse getroffen.

Am 16.10.2012 stellten die Beschwerdeführer - ebenso wie ihre mitgereisten bzw. nachgeborenen Familienangehörigen - jeweils einen weiteren (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 23.11.2012 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerdeführer wurden aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Mit Erkenntnissen vom 19.12.2012 wies der Asylgerichtshof die hiergegen erhobenen Beschwerden ab. Betreffend die in Österreich aufhältigen Familienangehörigen ergingen auch in diesen Verfahren inhaltlich gleichlautende Entscheidungen.

Nach Überstellungen aus Deutschland stellten die Beschwerdeführer am 16.05.2014 die nunmehr verfahrensgegenständlichen (dritten) Anträge auf internationalen Schutz. Ihre mitgereisten bzw. nachgeborenen Familienangehörige (Ehegattin bzw. Mutter sowie sechs Kinder bzw. Geschwister) stellten keine weiteren Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX .2016 wurde der Ehegattin und den fünf minderjährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers (bzw. der Mutter und den fünf minderjährigen Geschwistern des Zweitbeschwerdeführers) Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" mit einer Gültigkeitsdauer von XXXX .2016 bis XXXX .2017 erteilt. In der Folge wurden diese Aufenthaltstitel für alle Familienangehörigen verlängert und sind diese nunmehr in Besitz von bis zum XXXX .07.2021 gültigen "Rot-Weiß-Rot - Karten Plus". Der volljährige Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer verfügt ebenfalls über eine von der Bezirkshauptmannschaft XXXX ausgestellte "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" mit einer Gültigkeitsdauer bis zum XXXX .07.2021.

1.3. Infolge der Zurückziehung der Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide ist gegenständlich lediglich über die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II. abzusprechen.

1.4. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt sowie im Familienverband mit ihren in Österreich aufenthaltsberechtigten Angehörigen (Ehegattin bzw. Mutter sowie vier minderjährige Kinder bzw. Geschwister) und wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer mit diesen Familienmitgliedern ein aufrechtes Ehe- bzw. Familienleben führen. Darüber hinaus leben im Bundesgebiet (zwar nicht im gleichen Haushalt, aber in der näheren Umgebung) der volljährige Sohn bzw. Bruder sowie der ca. sechzehneinhalbjährige Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer versteht zwar teilweise die deutsche Sprache, kann sich jedoch nur rudimentär ausdrücken. Der Zweitbeschwerdeführer spricht ausgezeichnet Deutsch. Weder der Erstbeschwerdeführer noch der Zweitbeschwerdeführer haben Deutschkurse auf der Niveaustufe A2 bzw. Integrationsprüfungen des Österreichischen Integrationsfonds zur Sprachkompetenz Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen absolviert. Der Zweitbeschwerdeführer hat eine Polytechnische Schule im Schuljahr 2014/2015 positiv abgeschlossen und liegt für ihn eine Einstellungszusage vor. Sowohl der Erst- als auch der Zweitbeschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

Weiters wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen beide Beschwerdeführer aufgrund ihres bestehenden, aufrechten Familienlebens zu ihren in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehegattin und minderjährige Kinder des Erstbeschwerdeführers sowie Mutter bzw. Geschwister des zum Antragszeitpunkt minderjährigen Zweitbeschwerdeführers) einen ungerechtfertigten Eingriff in ihr Familien- und Privatleben darstellt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers zum Antragszeitpunkt), zu ihrem familiären Verhältnis zueinander, zu ihren mitgereisten Familienangehörigen (Ehegattin bzw. Mutter sowie minderjährige Kinder bzw. Geschwister) sowie zu den in Österreich nachgeborenen Töchtern bzw. Schwestern, zur unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet, zur Stellung der ersten und der zweiten Anträge auf internationalen Schutz, zur Überstellung aus Deutschland und zur Stellung der gegenständlichen, dritten Anträge auf internationalen Schutz ergeben sich aus den Akteninhalten sowie aus dem Vorbringen beider Beschwerdeführer. Dass die mitgereisten bzw. nachgeborenen Familienangehörigen der Beschwerdeführer keine dritten Anträge auf internationalen Schutz stellten, ist ebenso aus den Akteninhalten ersichtlich.

Die Feststellungen zu den ersten Asylverfahren der Beschwerdeführer ergeben sich insbesondere aus den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.07.2009 und aus den Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 20.08.2012. Ferner ergeben sich die Feststellungen zu den jeweiligen ersten Asylverfahren der mitgereisten bzw. nachgeborenen Familienmitgliedern ebenso aus den unbedenklichen Akteninhalten sowie aus vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister vom 21.11.2018.

Ebenso ergeben sich die Feststellungen zu den jeweils zweiten Asylverfahren der Beschwerdeführer insbesondere aus den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 23.11.2012 und aus den Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 19.12.2012. Auch die Feststellungen zu den zweiten Asylverfahren der Familienangehörigen der Beschwerdeführer ergeben sich aus den Akteninhalten sowie aus den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister vom 21.11.2018.

2.2. Die Feststellungen zu den Aufenthaltstiteln der Familienangehörigen der Beschwerdeführer (Ehegattin und fünf minderjährige Kinder sowie ein weiterer, volljähriger Sohn des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter und fünf Geschwister sowie ein weiterer, volljähriger Bruder des Zweitbeschwerdeführers) gründen zum einen auf den in Kopie im Verfahren vorgelegten "Rot-Weiß-Rot - Karten Plus" und zum andern auf den bereits oben erwähnten Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister vom 21.11.2018. Auf diesen Auszügen beruht auch die Feststellung zur Verlängerung "Rot-Weiß-Rot - Karten Plus" bis Juli 2021.

2.3. Die Feststellung zur Zurückziehung der Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide ergibt sich aus den diesbezüglich eindeutigen, nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie nach mehrfacher Belehrung durch die erkennende Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2018 getätigten Angaben (vgl. Verhandlungsschrift Seite 9).

2.4. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt bzw. im Familienverband mit ihrer Ehegattin bzw. Mutter sowie mit vier minderjährigen Kindern bzw. Geschwistern leben, ergibt sich aus den Angaben beider Beschwerdeführer im gesamten Verfahren sowie aus vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister vom 21.11.2018. Ebenso aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren ergibt sich die Feststellung zum Vorliegen eines aufrechten Ehe- bzw. Familienlebens. Gegenteiliges ist auch dem sonstigen Akteninhalt nicht zu entnehmen. Die Feststellungen zu den beiden, nicht im gemeinsamen Haushalt, jedoch in der näheren Umgebung lebenden zwei Kindern des Erst- bzw. zwei Brüdern des Zweitbeschwerdeführers gründet ebenso auf den Auszügen aus dem Zentralen Melderegister vom 21.11.2018. Von den Deutschkenntnissen beider Beschwerdeführer konnte sich die erkennende Einzelrichterin im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 07.11.2018 selbst überzeugen. Es war ersichtlich, dass der Erstbeschwerdeführer die deutsche Sprache zwar teilweise versteht, sich jedoch nur sehr schlecht ausdrücken kann. Hingegen spricht der Zweitbeschwerdeführer ausgezeichnet Deutsch und war in der Lage, der mündlichen Verhandlung ohne Zuhilfenahme der Dolmetscherin zu folgen. Dass die Beschwerdeführer allerdings keine Deutschkurse auf der Niveaustufe A2 bzw. auch keine Integrationsprüfungen des Österreichischen Integrationsfonds zur Sprachkompetenz Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen absolviert haben, ergibt sich aus ihren eigenen Angaben sowie aus dem Umstand, dass diesbezüglich keinerlei Bestätigungen vorgelegt wurden. Die Feststellung zum Abschluss einer Polytechnischen Schule durch den Zweitbeschwerdeführer gründet sich auf das diesbezüglich vorgelegte Zeugnis für das Schuljahr 2014/2015; jene zur Einstellungszusage auf das diesbezügliche Schreiben der Firma " XXXX " vom XXXX .01.2018. Letztlich ergibt sich die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit beider Beschwerdeführer aus den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszügen vom 05.11.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 34 Abs. 4 hat die Behörde [hier: das Bundesverwaltungsgericht; vgl. Abs. 5] Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Unter anderem ist Familienangehöriger, wer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkennt wurde (§ 2 Abs. 1 Z 22 AsylG).

3.2. Zu A)

3.2.1. Zur Zurückziehung der Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide:

§ 7 Abs. 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (vgl. "Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte" K6 zu § 7 VwGVG, Seite 37).

In der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2018 zogen beide Beschwerdeführer nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie nach mehrfacher Belehrung durch die erkennende Einzelrichterin ihre Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2015, Zl. 821486202-14479721 (Erstbeschwerdeführer) und Zl. 821486300-14620335 (Zweitbeschwerdeführer) zurück. Mit der Zurückziehung der Beschwerden in den jeweiligen Spruchpunkten I. ist das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer betreffend die Spruchpunkte I. weggefallen, wodurch einer Sachentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht die Grundlage entzogen wurde. Somit waren die gegenständlichen Beschwerdeverfahren im Ausmaß der Zurückziehung einzustellen.

Damit ist die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache rechtskräftig.

3.2.2. Zu den Rückkehrentscheidungen:

3.2.2.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die Beschwerdeführer befinden sich seit ihrer ersten Antragstellung am 06.11.2008 mit einer mehrmonatigen Unterbrechung von ca. Herbst 2013 bis Frühjahr 2014 im Bundesgebiet. Ihr Aufenthalt ist jedoch nicht im Sinne der soeben dargelegten Bestimmung geduldet. Sie sind auch nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und ebenso wenig Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 AsylG liegen daher im Fall beider Beschwerdeführer nicht vor, wobei dies weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im Beschwerdeverfahren auch nur ansatzweise behauptet worden war.

3.2.2.2. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab-gewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Beschwerdeführer sind weder begünstigte Drittstaatsangehörige noch kommt ihnen ein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Im Hinblick auf § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG (früher: § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 38/2011) ist festzuhalten, dass bei jeder Rückkehrentscheidung auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Asylwerbers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK Bedacht zu nehmen ist, wobei in diesem Zusammenhang Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs erfordert und somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen verlangt (vgl. VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

3.2.2.3. Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von straf-baren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (vgl. EGMR Kroon sowie VfGH vom 28.06.2003, G 78/00). Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (vgl. EGMR Marckx, EGMR vom 23.04.1997, X u.a.).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessensabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.

Bei dieser Interessensabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007 sowie VwGH vom 03.04.2009, Zl. 2008/22/0592; vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216; vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479 und vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

3.2.2.4. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sowie der in § 9 Abs. 2 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist in den gegenständlichen Fällen der Eingriff in das Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

Wie festgestellt führen die Beschwerdeführer ein aufrechtes Ehe- bzw. Familienleben mit der Ehegattin und den minderjährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers bzw. der Mutter und den minderjährigen Geschwistern des zum Antragszeitpunkt ebenfalls noch minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Die genannten Angehörigen sind in Österreich aufenthaltsberechtigt und verfügen über die Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus", die jedenfalls bis Juli 2021 gültig sind. Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer leben mit ihrer Ehegattin bzw. Mutter sowie mit vier minderjährigen Kindern bzw. Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Darüber, dass zwischen den Beschwerdeführern, der Ehegattin des Erst- bzw. Mutter des Zweitbeschwerdeführers und den minderjährigen Kindern des Erst- bzw. Geschwistern des Zweitbeschwerdeführers ein aufrechtes Ehe- bzw. Familienleben besteht, besteht für die erkennende Einzelrichterin kein Zweifel, wie auch den Ausführungen in der Beweiswürdigung zu entnehmen ist. Abgesehen von den genannten Angehörigen befinden sich noch ein volljähriger Sohn sowie ein weiterer, minderjähriger Sohn des Erstbeschwerdeführers (= Brüder des Zweitbeschwerdeführers), mit gültigen Aufenthaltstiteln in Österreich, die jedoch mit den Beschwerdeführern nicht im gemeinsamen Haushalt (allerdings in der näheren Umgebung) leben. In den gegenständlichen Verfahren ist weiters jedenfalls die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet (abzüglich der mehrmonatigen Unterbrechung) von über neun Jahren bei der Interessensabwägung zugunsten der Beschwerdeführer zu berücksichtigten. Der Zweitbeschwerdeführer spricht ausgezeichnet Deutsch, hat jedoch keine Deutschkurse auf der Niveaustufe A2 absolviert. Darüber hinaus hat er eine Polytechnische Schule positiv abgeschlossen und liegt für ihn eine Einstellungszusage vor. Weder der Erst- noch der Zweitbeschwerdeführer haben Integrationsprüfungen des Österreichischen Integrationsfonds zur Sprachkompetenz Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen abgelegt. Beide Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH vom 01.07.2009, U992/08 sowie VwGH vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216; vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479; vom 16.01.2007, Zl. 2006/18/0453; vom 08.11.2006, Zl. 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; vom 22.06.2006, Zl. 2006/21/0109 und vom 20.09.2006, Zl. 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung dennoch die privaten - im vorliegenden Fall insbesondere die familiären - Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründete Rechtfertigung erkennen lässt (vgl. VfSlg. 17.457/2005 sowie VwGH vom 26.03.2007, Zl. 2006/01/0595 und vom 22.02.2005, Zl. 2003/21/0096). Die vom Bundesamt in den angefochtenen Bescheiden verfügten Rückkehrentscheidungen in die Russische Föderation sind angesichts der vorliegenden familiären Bindungen sowie der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Da im gegenständlichen Fall die drohenden Verletzungen des Familien- und Privatlebens der Beschwerdeführer auf Umständen beruhen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, war den Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide stattzugeben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3.2.2.5. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt gemäß Abs. 2 leg. cit. nur die die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden gemäß § 54 Abs. 1 AsylG Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;

3. [...]

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG im Fall beider Beschwerdeführer in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit von sie betreffenden Rückkehrentscheidungen gegeben sind, es im Fall beider Beschwerdeführer jedoch an der Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG mangelt, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG vorzugehen und beiden Beschwerdeführern eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen. Die faktische Ausstellung der entsprechenden Karten fällt unter die Kompetenz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die unter Punkt 3.2. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechts-frage vor. Darüber hinaus kann sich das Bundesverwaltungsgericht bei den erheblichen Rechtsfragen - insbesondere den hier vorliegenden Eingriff in das Recht auf Familien- und Privatleben der Beschwerdeführer durch die vom Bundesamt getroffenen Rückkehrentscheidungen - auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

4. Daher war nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig,
Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W235.1407998.4.00

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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