Entscheidungsdatum
29.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2193225-1/2E
W256 2193237-1/2E
W256 2193228-1/2E
W256 2193232-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX XXXX, geboren am XXXX, 2. XXXX, geboren am XXXX, 3. XXXX, geboren am XXXX und 4. XXXX, geboren am XXXX, alle StA. Somalia, alle vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. März 2018, 1. Zl. XXXX, 2. Zl. XXXX, 3. Zl. XXXX und 4.
Zl. XXXX:
A) Die angefochtenen Bescheide werden betreffend Spruchpunkt I.
gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer, somalische Staatsangehörige, stellten am 12. Februar 2018 jeweils einen Antrag auf internationalem Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer.
Im Zuge der am selben Tag erfolgten formularhaft durchgeführten Erstbefragung durch eine Person männlichen Geschlechts unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers führte die Erstbeschwerdeführerin zu den Gründen ihrer Antragsstellung befragt aus, ihr Ehemann verfüge über den Status eines Asylberechtigten, weshalb auch sie denselben Schutz wie dieser in Österreich beantragen würde. Zudem habe sie auch insofern eigene Fluchtgründe, als sie einer Minderheitsvolksgruppe angehöre und sie überdies Probleme mit der Somalischen Regierung und Al-Shabab habe. In der niederschriftlichen Erstbefragung gab die Erstbeschwerdeführerin weiters formelhaft (mittels Ankreuzen) zu Protokoll, mit einer Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Basis dieser Angaben einverstanden zu sein und auf eine weitere Einvernahme zu verzichten.
Auch die minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer führten im Zuge der am selben Tag erfolgten formularhaft durchgeführten Erstbefragung durch eine Person männlichen Geschlechts unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers in Abwesenheit ihrer gesetzlichen Vertretung zu den Gründen ihrer Antragsstellung befragt aus, ihr Vater verfüge über den Status eines Asylberechtigten, weshalb auch sie denselben Schutz wie dieser in Österreich beantragen würden. Dabei gaben auch diese formelhaft (mittels Ankreuzen) zu Protokoll, mit einer Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Basis dieser Angaben einverstanden zu sein und auf eine weitere Einvernahme zu verzichten.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich zu Spruchpunkt I. - aus, die Beschwerdeführer hätten im vorliegenden Fall keine eigenen Fluchtgründe bzw. keinen über das Vorbringen des Ehemannes bzw. Vaters hinausgehenden oder davon divergierenden Fluchtgrund vorgebracht. Da dem Ehemann bzw. Vater zwar der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, nicht aber der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführer. Die belangte Behörde habe das Parteiengehör der Beschwerdeführer verletzt, weil eine Einvernahme der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einem etwaigen Vorliegen eigener Fluchtgründe unterblieben sei. Dadurch und auch aufgrund der Erstbefragung vor einem männlichen Polizisten und einem männlichen Dolmetscher habe die Erstbeschwerdeführerin kein Vorbringen über etwaige Übergriffe in ihre sexuelle Selbstbestimmung erstatten können. Hinzu komme, dass die Befragung der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ohne Begleitung ihrer gesetzlichen Vertretung und damit nicht rechtswirksam erfolgt sei. Auch aus diesem Grund sei der im Rahmen der Erstbefragung eingeholte Verzicht auf eine weitere Einvernahme unzulässig.
Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Die angefochtenen Bescheide sind aus folgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.
Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den eigenen Fluchtgründen der Beschwerdeführer in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern stützte es seine Entscheidung bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung allein auf die kurzen, formularhaften Angaben der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Weder den vorgelegten Verwaltungsakten, noch den angefochtenen Bescheiden kann jedenfalls entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen in irgendeiner Form, wie insbesondere eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin zu ihren eigenen Fluchtgründen und als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder zu deren Fluchtgründen, durchgeführt hat.
Damit hat die belangte Behörde - abgesehen davon, dass die Erstbefragung der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer mangels Begleitung ihrer gesetzlichen Vertretung ohnedies nicht rechtswirksam herangezogen werden hätte können - aber übersehen, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung "insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden [dient] und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen [hat]". Diese Regelung bezweckt den Schutz der Asylwerber davor, sich im direkten Anschluss an die Flucht aus ihrem Herkunftsstaat vor uniformierten Staatsorganen über traumatische Ereignisse verbreitern zu müssen, weil sie unter Umständen erst vor kurzem vor solchen geflohen sind (zum Verbot einer näheren Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2012, U 98/12, unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, RV 952 XXII. GP, S. 44). Daraus ergibt sich auch, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U 1919/2013 sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0061 u.v.m.).
Vor diesem Hintergrund kann auch ein bloß formelhafter Verzicht der Beschwerdeführer auf eine weitere Einvernahme in der niederschriftlichen Erstbefragung die belangte Behörde von ihrer in § 19 Abs. 2 AsylG 2005 normierten Verpflichtung zur Einvernahme eines Asylwerbers nicht entbinden.
Aufgrund der angestellten Erwägungen wäre die belangte Behörde daher verpflichtet gewesen, sich mit den Anträgen der Beschwerdeführer, insbesondere mit ihren eigenen Fluchtgründen, gesondert und eingehend auseinanderzusetzen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits im Rahmen ihrer Erstbefragung - entgegen der Annahme der belangten Behörde - ausdrücklich ausgeführt hat, auch über eigene Fluchtgründe zu verfügen.
Mangels Durchführung einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde den Beschwerdeführer, insbesondere der Erstbeschwerdeführerin, auch als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer, nicht mehr die Gelegenheit zu einem diesbezüglichen Vorbringen gegeben; somit konnte(n) sie kein Vorbringen zu einer in der Beschwerde behaupteten asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung erstatten, das allenfalls zu einer abweichenden Beurteilung in Bezug auf den Status der Asylberechtigten führen hätte können.
Da sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführer gar nicht und auch nicht gesondert auseinandergesetzt hat und der maßgebliche Sachverhalt somit nicht feststeht, war im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführer eingehend und gesondert auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine dem Gesetz entsprechende Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich waren die Verfahren betreffend die Beschwerdeführer zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W256.2193228.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.01.2019