TE Bvwg Beschluss 2018/12/4 W228 2180620-1

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Veröffentlicht am 04.12.2018
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Entscheidungsdatum

04.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2180601-1/2E

W228 2180615-1/2E

W228 2180616-1/2E

W228 2180618-1/2E

W228 2180620-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX 1990 (BF1), der XXXX , geboren am XXXX 1994 (BF2), der XXXX , geboren am XXXX 2011 (BF3), der XXXX , geboren am XXXX 2012 (BF4) sowie der XXXX , geboren am XXXX 2015 (BF5), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF3, BF4 und BF5 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2017, Zlen: XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 28.06.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für

die BF3, am XXXX 2011 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für

die BF4, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.06.2015 gab der BF1 an, dass er Afghanistan wegen dem Krieg verlassen habe. Die Taliban hätten seinen Ort angegriffen und Menschen getötet.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.06.2015 gab die BF2 an, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Im Iran sei das Leben nicht gut gewesen.

Am 03.12.2015 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am XXXX 2015 in Österreich geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Der BF1 wurde am 03.11.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in Baghlan geboren und dort aufgewachsen sei. Vor ca. acht Jahren sei er gemeinsam mit seiner Familie aus Afghanistan ausgereist und habe fortan im Iran gelebt. Er habe keine Angehörigen mehr in Afghanistan. Seine Eltern hätten damals beschlossen, Afghanistan zu verlassen, weil Krieg geherrscht habe und die Sicherheitslage schlecht gewesen sei. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der BF1 aus, dass sein Heimatgebiet in den Händen der Taliban gewesen sei. Die Taliban seien in die Häuser der Leute gekommen und hätten die Leute gefoltert. Er habe nicht in die Schule gehen können. Der Imam in der Moschee habe die Burschen geschlagen. Befragt, was der BF1 im Falle einer Rückkehr zu befürchten hätte, gab er an, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Er wünsche sich, dass seine Töchter in Österreich in Freiheit leben und selbst Entscheidungen über ihr Leben treffen können. Die allgemeine Situation für Mädchen in Afghanistan sei schlecht; sie dürften dort nichts selbst bestimmen. Seine Frau habe in Afghanistan das Haus nicht allein verlassen dürfen und habe eine Burka tragen müssen. Hier in Österreich gehe sie allein einkaufen und mit den Kindern in die Spielgruppe und suche sich ihre Kleidung selbst aus. Seine Frau dürfe selbst bestimmen und entscheiden.

Die BF2 wurde am 03.11.2017 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie in der Provinz Baghlan geboren und aufgewachsen sei. Sie sei immer zuhause gewesen und habe das Haus nicht verlassen dürfen. Sie habe keine Schule besuchen dürfen. Im Alter von 16 Jahren habe sie geheiratet. Die Frauen in Afghanistan würden gefoltert und misshandelt werden. Ca. vier Monate nach der Hochzeit sei die BF2 mit der ganzen Familie in den Iran gegangen und habe fortan dort gelebt. Zum Grund für ihre Ausreise befragt, führte sie aus, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Ihr Vater sei im Zuge eines Kampfes zwischen den Taliban und der afghanischen Armee erschossen worden. Abgesehen davon habe die BF2 in Afghanistan kein gutes Leben gehabt. Sie habe das Haus nicht verlassen dürfen. Sie habe ihren Schwiegervater sogar um Erlaubnis bitten müssen, wenn sie ihre Eltern besuchen habe wollen. Sie habe zuhause arbeiten müssen und habe keine Rechte gehabt. In Österreich habe sich ihr Leben verändert. Sie kleide sich modern, bestimme über alles selbst, verwalte das Geld. Sie wünsche sich, dass ihre Töchter eine Ausbildung machen und aus freiem Willen heiraten können.

In einer Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF vom 13.11.2017 wurde ausgeführt, dass sich die BF2 bis BF5 ausdrücklich auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen in Afghanistan berufen würden. Insbesondere die BF2 habe in der Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich einen westlichen Lebensstil angenommen. Sie führe ein selbstbestimmtes Leben, habe einen Bildungs- und Berufswunsch, sei die "Chefin" im Haus und verwalte das Geld. Auch die Töchter des BF1 und der BF2 würden "westlich" erzogen werden.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 20.11.2017 wurden die Anträge des BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und der BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Hinsichtlich der BF2 wurde ausgeführt, dass dieser keine Verfolgung aufgrund einer "westlichen Orientierung" drohen würde, da eine solche bei der BF2 nicht vorliege. Eine tatsächliche Verinnerlichung der westlichen Werte sei der BF2 abzusprechen, da ihre Angaben von der belangten Behörde als überzogen und einstudiert eingestuft werden. Sie habe sohin eine Gefährdung und Verfolgung gegen sie oder die minderjährigen BF3, BF4 und BF5 aufgrund des behaupteten Bruches zu den afghanischen Gesellschaftsnormen nicht glaubhaft machen können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 20.11.2017 erhoben der BF1, die BF2, die BF3, die BF4 und die BF5 mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 19.12.2017 Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die konkrete und individuelle westliche Orientierung der BF2 in der Bescheidbegründung nicht wirklich thematisiert worden sei. Es sei völlig außer Acht gelassen worden, dass es sich bei der BF2 sowie bei den BF3, BF4 und BF5 um afghanische Mädchen und Frauen handle und diese somit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen gehören. In Afghanistan sei ein Leben wie es die BF2 in Österreich führe und wie sie es sich für die BF3, BF4 und BF5 wünsche, unvorstellbar. Die belangte Behörde wäre von Amts wegen verpflichtet gewesen, die Situation als afghanische Frau zu ermitteln. Es sei augenscheinlich, dass die BF2 auch aufgrund ihres Auftretens als westlich orientiert gelten würde und daher asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre. Das Faktum, dass es sich bei der BF2 um eine Frau handle, die nunmehr liberal orientiert sei, sei von der belangten Behörde nicht richtig gewürdigt worden. In einer Gesamtschau wäre den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz aufgrund der schlechten und volatilen Sicherheitslage in Afghanistan zuzuerkennen gewesen.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 22.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 28.06.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für

die BF3, am XXXX 2011 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für

die BF4, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Am 03.12.2015 wurde durch die BF2 als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am XXXX 2015 in Österreich geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3, BF4 und BF5, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 20.11.2017.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.

In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.

Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit der BF3, der BF4 und der BF5 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob der BF3, der BF4 und der BF5, im Zeitpunkt der Entscheidungen des BFA sechs, fünf und zwei Jahre alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidung betreffend die minderjährigen BF3, BF4 und BF5 ist somit begründungslos ergangen. Diese Begründungslosigkeit schlägt auch auf die Entscheidungen der BF1 und BF2 durch, da ein anderes Ergebnis bei nur einem vorigen Satz genannten BF zwangsläufig auch auf die restlichen BF umzulegen ist.

Der von der Verwaltungsbehörde ermittelte Sachverhalt ist somit grundlegend ergänzungsbedürftig.

Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2180620.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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