TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/5 W142 2149123-1

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Veröffentlicht am 05.12.2018
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Entscheidungsdatum

05.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W142 2149123-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2017, Zl. 1066400103-150429808, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.11.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005, BGBl. I Nr. 100/2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist ein Staatsangehöriger aus Somalia, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 28.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somali, gab der BF zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt an, in Mogadischu geboren zu sein. Er sei Moslem, ledig und gehöre der Volksgruppe der Gabooye an. Er habe 12 Klassen der Grundschule in Mogadischu besucht. Zuletzt habe er keinen Beruf ausgeübt. Er habe noch seine Eltern, drei Brüder und vier Schwestern. Er habe in Mogadischu gelebt. Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, dass er Angehöriger der Volkgruppe der Gabooye sei. Diese würden in Somalia diskriminiert werden. Er habe eine Freundin von der Volksgruppe der Hawiye kennengelernt. Die Hawiye hätten ihm gesagt, dass er die Frau nicht heiraten könne, da er einer kleinen Volksgruppe angehöre. Wenn er die Frau nicht verlasse, werde er umgebracht. Deshalb habe er das Land verlassen. Sonst habe er keine Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

3. Am 19.05.2016 wurde der BF durch die belangte Behörde in der Sprache Somalisch ausführlich einvernommen. Er gab an, dass seine Angaben nicht vollständig und richtig protokolliert worden seien und es keine Rückübersetzungen gegeben habe. Er habe seine Fluchtgründe nicht im Detail angeführt, da der Dolmetscher zu ihm gesagt habe, dass er sich kurzfassen solle. Er sei seit XXXX (einem Freitag) traditionell verheiratet. Er sei mit seiner Frau (eine Angehörige der Hawiye) und vier Freunden nach Afgooye gereist und dort zu einem Mullah gegangen, um die Hochzeit zu schließen. Dies habe er aufgrund der unterschiedlichen Volksgruppenzugehörigkeiten gemacht. Der Vater seiner Frau sei Al Shabaab-Mitglied. Er habe aus Liebe geheiratet. Er habe der Dolmetscherin bei der Erstbefragung gesagt, dass er heimlich geheiratet habe, diese habe dann gesagt, es sei keine gewöhnliche Hochzeit. Er sei sunnitischer Moslem, habe keinen Beruf erlernt und ca. 1,5 Jahre in einem Callshop gearbeitet. Im Juli 2014 habe er aufgehört zu arbeiten. Er habe Schwierigkeiten gehabt und sei attackiert worden. Er sei nicht mit seiner Frau zusammen geflüchtet, da diese zuvor bereits entführt worden sei.

Zu seinem Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er im Callcenter seines Onkels gearbeitet habe. Eines Tages im Juli 2014 (um etwa 16:00) sei er von seiner Frau angerufen worden und habe diese ihm mitgeteilt, dass sie schwanger sei. Seine Frau habe ihrer Familie davon erzählt, diese habe dann den BF umbringen wollen. Die Familie habe auch gewollt, dass seine Frau das Kind abtreibe. Der BF habe dann seinen Onkel angerufen, ihm davon erzählt und dieser habe dann gemeint er solle warten. Um 18:00 sei der andere Mitarbeiter des Callcenters gerade dabei gewesen das Geschäft zu schließen und der BF bei der Kassa gewesen, als Männer gekommen seien. Sie hätten sich beim Mitarbeiter nach dem BF erkundigt, dann habe der BF Schüsse gehört. Die Männer hätten den Mitarbeiter angeschossen und er habe geschrien. Zudem habe er noch gehört, dass die Männer gesagt hätten wo "der Ungläubige Moslem" sei. Dann sei der BF geflüchtet und habe sich bei einer Familie in einer Art "Stall" bei den Tieren versteckt. Er habe seinen Onkel angerufen, ihm mitgeteilt was passiert sei und der Onkel sei dann zu ihm gekommen. Der Onkel habe den BF bei einem Freund versteckt. Die Nummer seiner Frau sei ausgeschaltet gewesen. Er habe seine Frau nicht mehr gesehen. Er sei eine Woche im Haus des Freundes des Onkels und eine Woche im Haus des Schleppers gewesen. Sein Bruder sei in dieser Zeit von denselben Männern entführt worden. Dies habe ihm der Freund seines Onkels erzählt.

Der BF legte eine Kursbesuchsbestätigung für einen Deutschkurs und eine Schulbesuchsbestätigung vor.

4. Am 31.01.2017 wurden dem BF Länderfeststellungen zu Somalia zugeschickt und ihm zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist von zwei Wochen gesetzt.

5. Am 14.02.2017 langte die Stellungnahme des BF ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Gabooye unter den schwierigsten sozialen Bedingungen leben würden und wirtschaftlich, sozial und politisch ausgegrenzt werden würden. Sie seien überproportional von Gewalt betroffen. Der BF habe sich in ein Mädchen aus dem einflussreichen Hawiye-Clan verliebt und ab deren Schwangerschaft sei sein Leben in Gefahr gewesen. Er sei verfolgt worden, sein Freund bei dem Vorfall im Geschäft ins Bein geschossen worden. Dem BF sei die Flucht gelungen und habe mit der Hilfe seines Onkels 14 Tage lang untertauchen können, bis seine Mutter genug Bargeld beschaffen habe können, um den BF die Flucht zu finanzieren. Der BF habe keine Ahnung, was mit seiner Freundin und dem Baby passiert sei. Staatlicher Schutz sei in Somalia nicht gegeben und würde der BF bei einer Rückkehr umgebracht werden.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.02.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF somalischer Staatsangehöriger und sunnitisch-moslemischen Glaubens sei. Er gehöre dem Clan der Gabooye an. Er sei in Somalia in Mogadischu geboren und aufgewachsen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF verheiratet gewesen sei. Der BF habe in einem Callshop gearbeitet. Eine Verfolgung habe er nicht glaubhaft vorbringen können.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen zu Spruchpunkt I. aus, dass sein Vorbringen lebensfern gewesen sei. Er habe zwischen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme nicht unwesentliche widersprüchliche bzw. steigernde Angaben gemacht. So habe er in der Erstbefragung angegeben niemals verheiratet gewesen zu sein und ihm vom Clan der Hawiye verboten worden wäre das Mädchen zu heiraten. Auch habe er das Kind in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt. Zudem habe der BF auffallend oberflächliche, sprunghafte und lebensferne Angaben gemacht. Es sei nicht erschließbar, was seine Absichten in Hinsicht auf die angeführte Heirat gewesen seien. Vor dem Hintergrund, dass der BF angegeben habe bereits sein ganzes Leben Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit gehabt zu haben, hätte er davon ausgehen müssen, dass solche Probleme jedenfalls aufgrund der Trauung auftreten würden. Zudem habe der BF trotz des Anrufes (um 16:00) ganz gewöhnlich weitergearbeitet und um 18:00 noch die Abrechnungen erledigt. Dies sei eine nicht zu erwartende Reaktion. Auch hinsichtlich der Flucht habe er lebensfremde und abweichende Angaben gemacht und habe er erst auf abermalige konkrete Nachfrage versucht eine angebliche Flucht glaubhaft zu machen. Sein Vorbringen sei gänzlich unglaubwürdig.

7. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht vollumfänglich Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Das BFA habe den BF mangelhaft befragt und keine Ermittlungen bezüglich der Mischehe durchgeführt. Hinsichtlich der Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme werde darauf verwiesen, dass die Erstbefragung nicht dazu diene, die Fluchtgründe im Detail auszuführen. Zudem habe der BF ausdrücklich angegeben, dass ihm bei der Erstbefragung aufgetragen worden sei, sich kurz zu halten. Bezüglich seines Familienstandes habe der BF bereits auf Nachfrage angegeben, dass er die heimliche Hochzeit bei der Erstbefragung erwähnt habe. Die belangte Behörde habe auch keinerlei Ermittlungen zu der Entführung seines Bruders getätigt. Weiters habe der BF in der Einvernahme angegeben nach dem Anruf seiner Frau unter Schock gestanden zu sein und habe das BFA den BF auch dazu nicht befragt. Zudem seien auch die Länderfeststellungen unvollständig, teilweise veraltet und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen. Zur Lage der Gabooye werde auf zahlreiche Berichte verwiesen. Der somalische Staat sei auch nicht dazu in der Lage den BF vor der Al Shabaab zu beschützen. Des Weiteren sei auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde unschlüssig. Der BF habe ein detailreiches, ausführliches und stringentes Vorbingen zu seinen Fluchtgründen erstattet, welches auch eindeutig Deckung in den aktuellen Länderfeststellungen finde. Der BF sei in der Erstbefragung dazu aufgefordert worden nur kurz über seine Fluchtgründe zu sprechen, weshalb er dann ein knappes, zusammengefasstes Vorbringen erstattet habe. Er habe auch keine Gelegenheit dazu gehabt sein Fluchtvorbringen genauer auszuführen. Dies entspreche auch den gesetzlichen Vorgaben. Es sei auch die Feststellung, dass der BF im Heimatland über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfüge, von denen er Unterstützung erlangen könne, unrichtig. Dem BF komme als Minderheitenangehöriger kein Clanschutz zu. Die Behörde stelle auch fehlerhaft fest, dass der BF angegeben habe um 16:00 angerufen worden zu sein. Tatsächlich habe er angegeben, der Anruf sei um die Zeit des Abendgebetes erfolgt. Der BF habe nach dem Anruf nicht gewöhnlich weitergearbeitet, sondern habe sich in einem Schockzustand befunden und sei nicht mehr in der Lage gewesen logisch und kohärente Entscheidungen zu treffen. Zudem habe ihm auch der Onkel aufgetragen im Geschäft zu warten. Die Tatsache, dass der Vater seiner Ehefrau Mitglied der Al Shabaab sei, wirke sich gravierend auf die Verfolgungssituation des BF aus, da Al Shabaab dazu in der Lage sei, Einzelpersonen - besonders in Mogadischu - aufzuspüren und zu töten. Dem BF wäre der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.

8. In weiterer Folge brachte der BF einen Fristsetzungsantrag gem. Art. 133 Abs. 1 Z 2 B-VG ein.

9. Am 14.11.2017, 16.02.2018 und am 14.03.2018 legte der BF eine Bestätigung des Abschlusses der Übergangsstufe an "BMHS"; eine Bestätigung über ein ÖSD Zertifikat A2; eine Bestätigung, wonach er beim Pflichtschulabschluss-2. Semester teilnehme; ein Empfehlungsschreiben und eine Bescheinigung über die Absolvierung eines Erste-Hilfe-Kurses, vor.

10. Mit Verfahrensleitender Anordnung des VwGH vom 19.12.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht aufgetragen die Entscheidung binnen drei Monaten zu erlassen.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.11.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. Zu seinen Fluchtgründen machte der BF, der dem Clan Gabooye, Subclan Madhibaan angehört, im Wesentlichen die gleichen Angaben wie vor dem Bundesamt und berichtete davon in Afgooye heimlich eine Frau des Hawiye-Clans geheiratet zu haben, seine Frau ihm in weiterer Folge von ihrer Schwangerschaft berichtet habe und sie ihm auch gesagt habe, dass ihr Vater bzw. Soldaten am Weg ins Callcenter seien. Der BF sei dann schockiert gewesen, habe Angst gehabt und mit seinem Onkel telefoniert. Der Onkel habe ihm dann gesagt, dass er ruhig bleiben solle und er vorbeikomme. Nicht einmal eine Stunde später seien dann vermummte Al Shabaab-Männer gekommen. Der BF sei am Boden gesessen und habe Geld gezählt, ein Mitarbeiter habe gerade die Tür des Geschäftes geschlossen. Die Al Shabaab-Männer hätten den Mitarbeiter beschimpft und nach dem BF gefragt und den BF als "religionslosen Ungläubigen" bezeichnet. Der BF habe kurz den Kopf hochgehalten und zwei Männer gesehen, sie hätten den Mitarbeiter angeschossen. Der BF habe die Schreie bzw. die Schüsse gehört und habe dann das Geschäft durch die Hintertür verlassen. Er habe sich dann in einem Stall bei den Ziegen versteckt und seinen Onkel angerufen. Sein Onkel habe ihn dann mitgenommen und zu seinem Freund gebracht. Dort sei er eine Woche lang gewesen, eine weitere Woche sei er im Haus des Schleppers gewesen.

Auf Nachfrage der Richterin zeichnete der BF in der mündlichen Verhandlung die Räumlichkeiten des Callcenters auf ein Blatt Papier (Beilage A). Zudem legte er weitere Integrationsunterlagen vor (Bestätigung betreffend die Teilnahme am Pflichtschulabschluss - 3. Semester, Bestätigung eines Lehrgangs Übergangsstufe BMHS, Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs).

Abschließend wurde mit dem BF das Länderinformationsblatt zu Somalia (Stand 17.09.2018), ein Stadtplan betreffend Mogadischu und eine Landkarte von Somalia erörtert.

12. Am 19.11.2018 langte eine Stellungnahme des BF beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.05.2018 zur Versorgungslage in Mogadischu verwiesen und ausgeführt, dass die Situation in Mogadischu (Versorgung, Arbeitsmöglichkeiten, Einkommenssituation) nach wie vor prekär sei. Auch stehe dem BF keine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Zudem sei der BF um eine Integration in Österreich sehr bemüht, habe den Hauptschulabschluss gemacht und wolle nun eine Lehrstelle finden. Es werde daher ersucht des BF Asyl, in eventu subsidiären Schutz zu gewähren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen:

Zur Person und den Fluchtgründen des BF wird festgestellt:

Der BF ist somalischer Staatsangehöriger, gehört dem Clan der Gabooye, Subclan Madhibaan an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der BF stammt aus Mogadischu und hat dort gemeinsam mit seiner Familie gelebt. Er hat im Callshop seines Onkels in Mogadischu gearbeitet und im April 2014 heimlich eine Frau des Hawiye-Clans in Afgooye traditionell (vor einem Mullah) geheiratet. Der Vater seiner Ehefrau ist Mitglied der Al Shabaab. Eines Tages im Juli 2014 wurde der BF von seiner Frau im Callshop angerufen und teilte diese ihm mit, dass sie schwanger sei, ihre Familie von der Schwangerschaft wisse und den BF deshalb umbringen wolle. Der BF stand nach diesem Anruf unter Schock und rief seinen Onkel an, welcher ihm mitteilte, dass er vorbeikommen werde und der BF im Shop warten solle. Kurze Zeit später, als der Mitarbeiter des Callshops das Geschäft abschließen wollte und der BF gerade die Abrechnung machte, kamen Mitglieder der Al Shabaab zum Geschäft, erkundigten sich beim Mitarbeiter nach dem BF und schossen in weiterer Folge auf den Mitarbeiter des Callshops. Der BF konnte nur die Stimmen der Al Shabaab-Männer bzw. die Schüsse hören und lediglich einen kurzen Blick auf diese werfen, bevor er das Geschäft schließlich fluchtartig durch den Hintereingang verließ und über Hinterwege bis zu einem Ziegenstall lief, wo er sich dann verstecken konnte. Der BF kontaktierte dort seinen Onkel und erzählte ihm von dem Vorfall im Callshop. Der Onkel kam dann am Abend zum BF und brachte ihn zu einem Freund, wo sich der BF für eine Woche verstecken konnte. Danach hielt sich der BF noch etwa eine Woche lang im Haus des Schleppers auf, bevor er schließlich sein Heimatland in Richtung Europa verließ.

Festgestellt wird sohin, dass der BF jedenfalls ins Blickfeld der Al Shabaab (Familienmitglieder seiner Frau) geraten ist und er einem Anschlag der Al Shabaab nur knapp entkam. Die Al Shabaab Mitglieder bezeichneten ihn als "religionslosen Ungläubigen", weshalb ihm eine gegen die Interessen der Al Shabaab gerichtete religiöse/politische Einstellung unterstellt wird. Aufgrund dessen hat der BF das reale Risiko einer hinreichend intensiven Verfolgung in Somalia durch Al Shabaab zu erwarten, wogegen er vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt dem BF nicht zu.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:

KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).

Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.

Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerablen Gruppen (UN OCHA 11.9.2018).

In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018).

Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).

Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)

Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).

Quellen:

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ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district,

https://reliefweb.int/report/somalia/drought-conditions-continue-persist-badhan-district,

Zugriff 14.9.2018

-

FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-

issued-6-september-2018, Zugriff 14.9.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018):

Somalia Price Bulletin, August 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-price-bulletin-august- 2018, Zugriff 14.9.2018

-

FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release,

https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release-01-

sep-2018, Zugriff 14.9.2018

-

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018),

https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-snapshot-11-september-2018,

Zugriff 14.9.2018

-

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-

2018, Zugriff 14.9.2018

-

UN OCHA - UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains fragile,

https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-securitv-improving-recovery-remains-

fragile, Zugriff 14.9.2018

-

WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia,

https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-proiectlaunched-somalia, Zugriff 14.9.0218

KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).

Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).

Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu- Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP- Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).

In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).

Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).

Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).

Quellen:

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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia

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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlookupdate/april-2018, Zugriff 2.5.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia

-

Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia

-

Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/foodsecurity-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018

-

FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018

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FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,

https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff

2.5.2018

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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavv-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf ClanBasis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017). Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2018). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal- islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017)

Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertigesamt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik node.html, Zugriff

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13.9.2017 BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report Somalia%20Sicherheitslage Onlineve

rsion 2017 08 KE neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report, https://www.btiproiect.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI 2016 Somalia.pdf,

Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmaio-der-neuepr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267,

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, http://www.ecoi.net/file upload/1226 1457606427 easo-somalia-security-feb-2016.pdf,

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, http://www.ecoi.net/file upload/90 1412334993 easo-2014-08-coi-report- somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

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http://www.ecoi.net/file upload/1226 1512376193 correctie-aab-zuid-en-centraal-

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia, https://www.un.org/ga/search/view doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia

http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia, http://www.ecoi.net/file upload/1226 1505292097 n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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