Entscheidungsdatum
06.12.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W142 2165674-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2017, Zl. 1107921310/160360554, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.11.2018 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist eine Staatsangehörige Somalias, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab sie an sich zum sunnitischen Islam zu bekennen, der Volksgruppe der Somalis anzugehören und Hausunterricht bekommen zu haben. Berufsausbildung habe sie keine. Ihre Eltern seien seit ihrer Geburt verschollen. Sie sei bei weitschichtigen Verwandten aufgewachsen und habe im Dorf XXXX gewohnt. Ihr Heimatland habe sie Ende Dezember 2015 von Mogadischu aus mit einem Flugzeug verlassen.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, ihre weitschichtige Tante, bei der sie gewohnt habe, habe gewollt, dass sie mit einem älteren Mann eine Zwangsehe eingehe. Sie habe sie mehrmals geschlagen und mit dem Tode bedroht. Zudem herrsche in ihrem Land Bürgerkrieg und habe sie kein normales Leben führen können. Bei einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben.
3. Bei der niederschriftlichen Einvernahme der BF durch die belangte Behörde am 16.06.2017 gab diese an, dass sie im Verfahren die Wahrheit gesagt habe, ihr aber nichts rückübersetzt worden sei und sie auch keine Kopie bekommen habe. Sie gehöre dem Clan der Gabooye, Subclan der Muse Dhariye an. Sie habe in der Umgebung von Mogadischu (Dorf: XXXX ) in einem Zelt gelebt. Sie habe die Ziegen betreut und sei bei einer Ziehmutter aufgewachsen. Die Ziehmutter sei geschieden und habe fünf leibliche Kinder. Ihre Eltern kenne sie nicht. Sie habe keine Schule besucht und könne weder lesen, noch schreiben. In ihrem Heimatland sei sie verheiratet gewesen, ihr Mann habe sich von ihr scheiden lassen. Kontakt zu ihrer Ziehmutter habe sie nicht. Bei der Ausreise habe ihr eine Nomadin, welche auch in XXXX gewohnt habe, geholfen.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie zusammengefasst an, dass ihre Ziehmutter sie großgezogen habe und im Alter von neun Jahren beschneiden habe lassen (Infibulation). Ihre Ziehmutter habe sie im Alter von 17 Jahren mit einem 50jährigen Mann zwangsverheiratet und dafür sehr viel Geld bekommen. Nach ihrer Ehe habe sie mit ihrem Gatten in einem Zelt, in der Nähe der Ziehmutter gelebt. Die Ehe sei sehr schwer für sie gewesen. Sie sei misshandelt, geschlagen und vergewaltigt worden. Sie habe den Geschlechtsverkehr immer wieder verweigert, woraufhin sich ihr Mann bei der Ziehmutter beschwert habe. Es seien dann Frauen gekommen und hätten einen Schnitt gemacht, damit ihr Mann Geschlechtsverkehr haben könne. Aufgrund ihrer Weigerungen habe ihr Mann sie auch gewürgt, sie an den Haaren gezogen und ihren Kopf auf den Boden geschlagen. Wenn er sie aufgefordert habe zu kochen, habe dies sehr schnell gehen müssen, andernfalls er dann auf sie und gegen das Essen getreten habe. Sie habe einen Monat lang mit dem Mann zusammengewohnt. Er habe sich dann scheiden lassen, sie aber trotz Scheidung behalten und sie erniedrigen wollen. Er habe gemeint, dass er Geld für sie bezahlt habe und sie deshalb behalten wolle. Eine andere Frau habe der Mann nicht geheiratet. Als sie mit ihm zusammengelebt habe, sei sie dreibis vier Mal am Tag von ihm vergewaltigt worden. Schwanger sei sie nicht gewesen. Auch nach der Scheidung sei sie weiterhin geschlagen worden. Er habe ihr eine Narbe am Unterarm mit einer Kohlenzange zugefügt. Sie habe dann den Nachbarn von ihren Problemen erzählt. Eine Frau habe ihre Hilfe angeboten und sie zu einer Haltestelle gebracht. Dort habe sie andere Zivilisten gebeten für sie eine Nummer zu wählen, dann sei sie von einem Schlepper abgeholt worden. Die Ziehmutter habe ihr (nach dem Schnitt) gedroht sie zu töten, wenn sie zurückkehre. Diese habe gewusst, dass der Mann sie schlecht behandle, es sei ihr aber egal gewesen. Bei einer Rückkehr habe sie keine Familie. Sie wäre auf sich alleine gestellt. Die Ziehmutter habe sie mit dem Tode bedroht und ihr Mann würde sie trotz Scheidung nicht in Ruhe lassen. Auch in Mogadischu sei sie nicht sicher, da ihre Ziehmutter dort viele Verwandte habe.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 05.07.2018 erteilt.
Das Bundesamt stellte fest, dass die Identität der BF nicht feststehe. Sie sei somalische Staatsangehörige, gehöre dem Clan der Gabooye, Subclan der Muse Dhariye an und bekenne sich zum muslimischen Glauben. Sie habe in XXXX , in der Umgebung von Mogadischu in einem Zelt gelebt. Sie habe keine Schule besucht und könne weder lesen, noch schreiben. Sie sei bei einer Ziehmutter aufgewachsen und habe dort Ziegen betreut. Sie sei verheiratet gewesen, der Ehemann habe sich jedoch scheiden lassen. Eine konkrete individuelle Bedrohung in ihrem Heimatland habe nicht festgestellt werden können. Asylrelevante Gründe habe sie nicht glaubhaft machen können. Sie sei lediglich aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen nach Österreich gekommen, um hier ein besseres Leben zu führen.
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass sie lediglich Behauptungen in den Raum gestellt habe, ohne diese zu belegen oder durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft zu machen. Aus einer - vom BFA zitierten Studie - gehe hervor, dass die Sexualtätigkeit mit dem Alter abnehme, weshalb die Behauptungen der BF (ihr 50jähriger Gatte habe sie drei- bis vier Mal täglich vergewaltigt) völlig unglaubwürdig gewesen sei. Es erscheine auch völlig banal, dass sich der Ehemann nach nur einem Monat scheiden habe lassen und die BF trotzdem behalten habe wollen; zumal eine Scheidung (um die BF zu behalten) gar nicht notwendig gewesen wäre. Zudem habe sie bei der Erstbefragung angegeben "ledig" und nicht "geschieden" zu sein, was ein weiteres Indiz dafür sei, dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handle. Auch habe sie bei der Erstbefragung nur angegeben, dass die Tante den Wunsch geäußert habe, dass die BF einen älteren Mann heiraten müsse, sie aber nicht angegeben, dass sie bereits verheiratet worden wäre. Sie habe auch nicht belegen können, dass die vorgezeigten Narben von ihrem Mann stammen. Ihre Schilderungen seien äußerst vage und detailarm gewesen. Sie habe auch nur inhaltsleere, konkretisierte Reaktionen gezeigt und eine Betroffenheit nicht glaubhaft machen können. Es werde daher davon ausgegangen, dass die als "Nomadin lebende" BF lediglich deshalb nach Österreich gekommen sei, um hier ein besseres Leben zu haben.
5. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides erhob die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass dieser eine unschlüssige Beweiswürdigung sowie rechtliche Beurteilung enthalte und die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Das BFA sei nicht auf das individuelle Vorbringen der BF eingegangen und verkenne die gesamte Situation in ihrem kulturellen Kontext. Frauen von Minderheitenclans würden eine äußerst verletzliche Gruppe darstellen, welchen kein staatlicher Schutz gewährt werde. Der BF müsse daher der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden.
6. Am 16.11.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache, der Beschwerdeführerin sowie deren Rechtsvertreterin statt. Das BFA entsandte entschuldigt keinen Vertreter. Zu ihren Fluchtgründen machte die BF im Wesentlichen die gleichen Angaben wie vor dem Bundesamt und berichtete davon, in Somalia im Dorf XXXX bei einer Frau aufgewachsen zu sein. Diese habe sie großgezogen, sie geschlagen und mit einem 50jährigen Mann zwangsverheiratet, welcher sie vergewaltigt und misshandelt habe. Sie habe den Geschlechtsverkehr mit dem Mann verweigert, dann habe ihre Ziehmutter andere Frauen geholt, welche bei der BF gewaltsam einen Schnitt durchgeführt hätten. Der Mann habe sie geschlagen, sie am Kopf und mit einer heißen Kohlenzange an der Hand verletzt. Eine Frau habe ihre Verletzungen gesehen, ihr Spendengeld gegeben und ihr bei der Flucht nach Europa geholfen. Sie habe in Somalia keine Eltern und keinen Clan, der ihr helfen könne. Auch in einem anderen Teil in Somalia habe sie niemanden, der ihr helfen könne. Sie habe Angst vor ihrer Ziehmutter, diese habe ihr damit gedroht, sie mit einem Stein zu erschlagen, wenn sie das Haus des Ehemannes verlassen würde.
Anschließend wurde das Länderinformationsblatt zu Somalia (Stand 17.09.2018) erörtert und legte die Rechtsvertreterin der BF Zusammenfassungen (die Situation von Frauen betreffend) sowie einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28.08.2017 zur Situation von vergewaltigten Frauen und eine Zusammenstellung entscheidungsrelevanter Judikatur Frauen in Somalia betreffend vor. Die Rechtsvertreterin führte aus, dass die BF bei einer Rückkehr in ein IDP-Lager gelangen würden, da sie keine Familie und keinen sozialen Anschluss hätte.
Abschließend führte die BF auf Befragung der Richterin noch aus, dass sie zwar von ihrem Mann geschieden sei, sie aber trotzdem nicht weggehen habe können. Er habe sie immer geschlagen und sie wie eine Sklavin gehalten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person und den Fluchtgründen der BF wird festgestellt:
Die BF ist somalische Staatsangehörige, gehört dem Clan der Gabooye an und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnitin).
Die BF stammt aus dem Dorf XXXX , in der Umgebung von Mogadischu. Sie wuchs bei einer Pflegemutter auf, ihre leiblichen Eltern hat die BF nie kennengelernt. Im Alter von 9 Jahren wurde die BF beschnitten (Infibulation) und mit etwa 17 Jahren mit einem 50jährigen Mann zwangsverheiratet. Die Pflegemutter hat für die Heirat der BF viel Geld bekommen und ihr gedroht sie umzubringen, wenn sie zu ihr zurückkehrt. Nach der Hochzeit hat die BF bei ihrem Ehemann gelebt. Dieser hat die BF schwer misshandelt (sie an den Haaren gezogen, gewürgt, den Kopf auf den Boden geschlagen) und sie über Wochen hinweg mehrmals täglich vergewaltigt. Aufgrund der Weigerungen und des Widerstandes der BF ließ sich der Mann zwar von der BF scheiden, wollte diese aber aufgrund des hohen Geldbetrages den er für sie bezahlte, trotzdem nicht freilassen. Er behandelte sie auch nach der Scheidung wie sein Eigentum und wurde die BF weiterhin erniedrigt und geschlagen. Der Mann fügte der BF zudem eine Narbe am Unterarm mit einer heißen Kohlenzange zu. Eine Nachbarin hat die Verletzungen der BF eines Tages gesehen und ihr Hilfe angeboten. Als der Mann einmal nicht zu Hause war, gelang der BF - mit Unterstützung der Nachbarin - schließlich die Flucht nach Mogadischu und in weitere Folge nach Europa.
Die BF verfügt in Somalia über keine Familienangehörigen. Sie muss in Somalia als alleinstehend, ohne männlichen Schutz und ohne familiäres oder clanbezogenes Netzwerk angesehen werden. In diesem Zusammenhang muss weiters davon ausgegangen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen müsste.
Festgestellt wird daher, dass der BF in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr der Verletzung ihrer körperlichen Integrität droht.
Die BF ist strafgerichtlich unbescholten.
Zur maßgeblichen Situation in Somalia wird festgestellt:
KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)
Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).
Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.
Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).
In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018).
Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).
Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)
Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).
Quellen:
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ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district,
https://reliefweb.int/report/somalia/drought-conditions-continue-persist-badhan-district,
Zugriff 14.9.2018
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FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-
issued-6-september-2018, Zugriff 14.9.2018
-
FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018):
Somalia Price Bulletin, August 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-price-bulletin-august- 2018, Zugriff 14.9.2018
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FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release,
https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release-01-
sep-2018, Zugriff 14.9.2018
-
UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018),
https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-snapshot-11-september-2018,
Zugriff 14.9.2018
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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-
2018, Zugriff 14.9.2018
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UN OCHA - UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains fragile,
https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-securitv-improving-recovery-remains-
fragile, Zugriff 14.9.2018
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WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia,
https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-proiectlaunched-somalia, Zugriff 14.9.0218
KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)
Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).
Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).
Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):
Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu- Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).
Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP- Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).
Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).
In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).
Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).
Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).
Quellen:
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlookupdate/april-2018, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia
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Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/foodsecurity-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018
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FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018
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FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,
https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff
2.5.2018
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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavv-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018
Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf ClanBasis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017). Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2018). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal- islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017)
Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertigesamt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik node.html, Zugriff
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3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben.
Folglich
.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite von befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaat