Entscheidungsdatum
04.01.2019Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
StbG 1985 §26 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Braun über die Beschwerde der Frau A. B. (geboren am ...1971), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 29.10.2018, Zl. ...,
zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 29.10.2018, Zl. ..., aufgehoben.
II. Gemäß § 42 Abs. 3 StbG wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin, Frau A. B. (geboren am ...1971), österreichische Staatsbürgerin ist.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren und Verfahrensgegenstand:
1.1. Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 08.04.1992, Zl. ..., wurde der Beschwerdeführerin die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG 1985) für den Fall zugesichert, dass binnen 2 Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachgewiesen wird.
1.2. Mit Bestätigung der Konsularabteilung der türkischen Botschaft in Wien, eingelangt bei der belangten Behörde am 30.04.1992, wurde bestätigt, dass die Beschwerdeführerin um Entlassung aus dem türkischen Staatsverband angesucht hatte.
1.3. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15.06.1992, Zl. ..., wurde der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 15.06.1992 die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG 1985 verliehen.
1.4. Mit Entlassungsurkunde entsprechend dem türkischen Ministerratsbeschluss zur Zahl ... vom 18.03.1993, ausgestellt am 20.05.1993, wurde die Beschwerdeführerin endgültig aus dem türkischen Staatsverband entlassen.
1.5. Am 17.05.2017 übermittelte der Freiheitliche Parlamentsklub dem Bundesministerium für Inneres einen Datenträger, auf dem sich Excel-Tabellen mit persönlichen Daten von insgesamt 95.984 Personen befanden. Mit Schreiben vom 18.05.2017 leitete der Klub der Wiener Freiheitlichen Landtagsabgeordneten und Gemeinderäte eine Kopie dieser Tabellen mit persönlichen Daten von 66.382 Personen der Wiener Landesregierung weiter und ersuchte darum, zu der "uns zugespielte[n] türkische[n] 'Wählerevidenzliste' mit rund 100.000 Personen […] so rasch wie möglich eine Überprüfung in die Wege zu leiten."
1.6. Mit Schreiben der Wiener Landesregierung vom 15.01.2018 wurde die Beschwerdeführerin darüber informiert, dass der Verdacht der Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit bestehe und wurde diese aufgefordert, einen vollständigen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister mit allen staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten vorzulegen, um den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft zu vermeiden.
Mit weiterem Schreiben vom 15.01.2018 ersuchte die Wiener Landesregierung das Generalkonsulat der türkischen Republik in Wien um dringende Mitteilung, ob die Beschwerdeführerin die türkische Staatsangehörigkeit besitzt bzw. ob diese in den türkischen Evidenzen verzeichnet ist. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.
1.7. Mit Schreiben, welches bei der belangten Behörde am 14.02.2018 einlangte, übermittelte die Beschwerdeführerin eine Zeitbestätigung des Generalkonsulates der Republik Türkei in Wien vom 29.01.2018, aus der hervorgeht, dass sie am 29.01.2018 in einer eigenen Angelegenheit im Generalkonsulat der Republik Türkei zu tun gehabt habe. Sie erklärte, dass sie und ihr Ehegatte, C. B., keine türkischen Staatsbürger seien und aus diesem Grund nicht im System aufscheinen würden, weshalb das Konsulat nur eine Zeitbestätigung ausstellen könne.
1.8. Mit Schreiben vom 13.09.2018 teilte die Wiener Landesregierung der Beschwerdeführerin mit, dass sie davon ausgehe, dass diese zu einem unbekannten Zeitpunkt, jedoch spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017, die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gemäß § 27 StbG verloren habe. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei mit ihrer Personenstandsnummer ..., ihrem Vor- und Familiennamen, dem Vornamen ihrer Mutter (D.) und ihres Vaters (E.), ihrem Geschlecht, dem Geburtsort Viyana (Anm.: Wien), dem Geburtsdatum ...1971, der Provinz F. und der Stadt G. in einer authentischen türkischen Wählerevidenzliste verzeichnet.
1.9. Daraufhin übermittelte die Beschwerdeführerin eine weitere Bestätigung des Generalkonsulates der türkischen Republik in Wien, diesmal vom 20.09.2018, eingelangt bei der belangten Behörde am 26.09.2018, mit folgendem Inhalt:
„Frau/Herr A. B., geb. am ...1971 in Wien hat sich heute mit der Bitte um Ausstellung eines Personenstandregisterauszugs (Nüfus Kayit Örnegi) an das hierortige Generalkonsulat gewendet. Jedoch wurde festgestellt, dass Frau/Herr B. aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert wurde und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat.
Nach der Mavi Kart (Blaue Karten-) Rechtsverordnung wird der Personenstand, der aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgerten Personen, nicht mehr im Personenstandregister, sondern im „Blaue Karten Register“ (Mavi Karhular Kütügü) geführt. Aus diesem Grund darf den ausgebürgerten Personen kein Personenstandregisterauszug ausgestellt werden.
Diese Bestätigung wurde auf Wunsch der/des österreichischen Staatsbürgerin/s A. B. zur Vorlage bei den österreichischen Behörden ausgestellt.“
1.10. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 29.10.2018, Zl. ..., stellte die belangte Behörde gemäß §§ 39 und 42 Abs. 3 StbG 1985 von Amts wegen fest, dass die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsangehörigkeit spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017 verloren habe und nicht österreichische Staatsbürgerin sei.
In ihrer Begründung führt die belangte Behörde aus, es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem am 18.05.2017 eingelangten Datensatz mit den Personendaten von mehreren zehntausenden Personen um eine bzw. einen Teil einer authentischen türkischen Wählerevidenzliste handle und diese Liste die Daten der zur türkischen Wahl am 01.11.2015 wahlberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit Hauptwohnsitz im Amtsbereich des Generalkonsulates Wien beinhalte.
Die Wiener Landesregierung habe auf Basis des am 18.05.2017 eingelangten Datensatzes bis dato etwa 17.987 Feststellungsverfahren eingeleitet, wobei der Verfahrenseinleitung in jedem Einzelfall eine Identitätsprüfung in der Form vorausgegangen sei, dass die in der übermittelten Aufstellung angeführten persönlichen Daten (insbesondere Geburtsdatum und -ort) mit den vorhandenen Datenapplikationen ZSR/ZPR abgeglichen worden seien. Diese Daten hätten in nahezu sämtlichen Fällen übereingestimmt. Im Zuge des Feststellungsverfahrens würden die übrigen Daten – insbesondere die Namen der Eltern – mit dem Einbürgerungsakt verglichen. Auch dieser Abgleich habe bislang in nahezu allen Fällen eine Übereinstimmung ergeben. Da die wesentlichen Angaben in ca. 5.000 bisher überprüften Fällen richtig seien, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch die übrigen ca. 61.380 Personen mit den korrekten Personendaten wiedergegeben würden. Dieser Schluss werde überdies durch die sechs Fälle, in denen bereits negative Feststellungsbescheide erlassen wurden, bestätigt. Als der Datensatz vom Freiheitlichen Parlamentsklub am 18.05.2017 übermittelt worden sei, wären zu diesen Personen bereits Feststellungsverfahren anhängig gewesen, weil ein Verdacht auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit bestanden habe. Die vorgelegten türkischen Personenstandsregisterauszüge hätten diesen Verdacht schließlich bestätigt. Auf diesem Dokument fände sich die Kimlik—Nummer, welche in allen sechs Fällen jener auf dem übermittelten Datensatz entspräche. Auch die übrigen persönlichen Daten hätten der Angabe auf der Liste entsprochen. Das führe zwingend zu dem Schluss, dass es sich um eine authentische Aufzeichnung einer türkischen Behörde handle. Eine – inhaltlich richtige – Personendatensammlung von derartigem Ausmaß setze behördliche, mit staatlichem Imperium ausgestattete Strukturen voraus, sodass es geradezu ausgeschlossen sei, dass der Datensatz von einer privaten Person(engruppe) herrühre. Auf welchem Weg der Datensatz die behördliche Sphäre verlassen habe, ändere nichts an seinem offenkundigen staatlichen Ursprung und seiner inhaltlichen Richtigkeit.
Die in dem Datensatz aufgelisteten Personen seien zwischen 01.07.1908 und 29.10.1997 geboren. Die jüngste Person sei seit dem 29.10.2015 volljährig und somit wahlberechtigt. Im Amtsbereich des türkischen Generalkonsulates Wien seien zu der Wahl zur 26. Großen Nationalversammlung in der Türkei 66.382 Personen aktiv wahlberechtigt gewesen. Diese Anzahl an wahlberechtigten Personen zur türkischen Wahl am 01.11.2015 entspräche exakt der Anzahl der in der vom Bundesministerium an die Landesregierungen übermittelten Liste aufscheinenden Personen (66.382).
Der dem Bundesministerium für Inneres übermittelte Datenstick habe neben der Wählerevidenzliste für Wien auch die Wählerevidenzliste der im Amtsbereich des türkischen Generalkonsulats Salzburg wahlberechtigten Personen enthalten.
lm Amtsbereich des türkischen Generalkonsulats Salzburg seien zu dieser Wahl 29.602 Personen aktiv wahlberechtigt gewesen. Für das türkische Generalkonsulat in Salzburg fände sich in der Spalte mit der Bezeichnung ,,Kayitli Segmen“ (registrierte Wähler) exakt die Zahl 29.602. Die Anzahl der im Amtsbereich des türkischen Generalkonsulats Salzburg zur türkischen Wahl am 01.11. 2015 wahlberechtigten Personen (29.602) entspräche exakt der Anzahl der in der vom Bundesministerium an die Landesregierungen übermittelten Liste aufscheinenden Personen (29.602).
Die jüngste auf der Liste aufscheinende Person sei am 29.10.1997 geboren. Es befänden sich auf der Liste jedoch keine Personen, die nach dem 01.11.1997 geboren wurden. Sämtliche in der Liste aufscheinende Personen hätten somit am 01.11.2015 das Alterskriterium erfüllt, weil keine Person am 01.11.2015 jünger als 18 Jahre gewesen sei.
Laut der Äußerung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten werde für Wahlberechtigte mit Auslandswohnsitz eine eigene Wählerevidenzliste erstellt, welche von der Hohen Wahlkommission erstellt und den türkischen Vertretungsbehörden im Ausland sowie den Zentralen der Parteien in der Türkei zur Verfügung gestellt werden würde.
Dass es sich bei dem übermittelten Datensatz um einen Auszug aus der türkischen Wählerevidenzliste für im Ausland lebende Wahlberechtigte handle ergebe sich auch daraus, dass die Angaben, welche laut Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten auf solchen Listen enthalten seien, im Wesentlichen übereinstimmen würden.
Da die Beschwerdeführerin auf der genannten Liste aufscheine, sei davon auszugehen, dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 18.05.2017 die türkische Staatsangehörigkeit erworben habe.
Ungeachtet der behördlichen Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung des Sachverhaltes seien die Parteien eines Verwaltungsverfahrens verpflichtet, durch
substantiiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhaltes beizutragen, wenn
es einer solchen Mitwirkung bedürfe. Das sei dann anzunehmen, wenn der behördlichen Ermittlung faktische Grenzen gesetzt seien, die Behörde also nicht in der Lage sei, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden bzw. sich relevante Daten amtswegig zu verschaffen. Soweit einzelne Sachverhaltselemente ihre Wurzel im Ausland hätten, sei die Mitwirkungspflicht der Partei in dem Maß höher, als die Pflicht der Behörden zu amtswegigen Erhebungen wegen des Fehlens entsprechender Möglichkeiten geringer sei. Die Beschwerdeführerin sei der Aufforderung zur Vorlage eines vollständigen Personenstandsregisterauszuges mit allen staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten nicht nachgekommen. Andere geeignete Unterlagen zum Nachweis, dass sie nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wieder in den türkischen Staatsverband aufgenommen worden sei, habe die Beschwerdeführerin nicht vorgelegt. Angesichts des laut Äußerung des Bundeministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten bestehenden Rechtsanspruches von aktuellen und ehemaligen türkischen Staatsangehörigen auf Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges mit staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten und der im vorliegenden Fall offenkundigen Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von türkischen Behörden zu erhalten, sei das Vorbringen der Beschwerdeführerin als bloße Schutzbehauptung zu werten.
1.11. Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch den rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführerin rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom 30.11.2018. Die Beschwerdeführerin bringt darin vor, der angefochtene Bescheid sei mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgrund mangelnder Begründung, unrichtiger und unvollständiger Sachverhaltsfeststellungen, wesentlicher Verfahrensmängel und unrichtiger rechtlicher Beurteilung behaftet. Zusammengefasst moniert die Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe sich nicht eingehend mit der am 18.05.2017 eingelangten Liste auseinandergesetzt, insbesondere habe die belangte Behörde keine Ermittlungen zur Herkunft der Liste und darüber, wie viele Verdachtsfälle bereits entkräftet wurden, geführt. Darüber hinaus habe sich die belangte Behörde nicht mit den Divergenzen zwischen den in der Liste enthaltenen Daten und dem nach dem türkischen Recht vorgesehenen Inhalt hinsichtlich Wählerlisten auseinandergesetzt.
Außerdem sei die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht ausreichend nachgekommen, indem diese der belangten Behörde eine Bestätigung des türkischen Generalkonsulates in Wien vom 20.09.2018 vorgelegt habe, aus welcher hervorgehe, dass aufgrund der „Mavi Kart Rechtsverordnung“ der Personenstand der Beschwerdeführerin nicht mehr im Personenstandregister, sondern im „Blaue Karten Register“ geführt werde und aus diesem Grund der Beschwerdeführerin kein Personenstandsregisterauszug ausgestellt werden könne.
Weiters habe die belangte Behörde keine Feststellungen zum Zeitpunkt des Verlustes der Staatsbürgerschaft getroffen. Auch lägen Verstöße gegen das Unionsrecht, gegen Artikel 8 EMRK und Artikel 7 GRC sowie gegen Artikel 3 EMRK, Artikel 4 GRC und Artikel 1 GRC vor.
2. Feststellungen:
2.1. Die Beschwerdeführerin wurde am ...1971 in Wien, Österreich, geboren und ist jedenfalls seit 26.02.1997 nachweislich ohne Unterbrechung in Österreich behördlich gemeldet.
2.2. Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 08.04.1992, Zl. ..., wurde der Beschwerdeführerin die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG 1985) für den Fall zugesichert, dass binnen 2 Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachgewiesen wird.
2.3. Mit Schreiben der Konsularabteilung der türkischen Botschaft in Wien, eingelangt bei der belangten Behörde am 30.04.1992, wurde bestätigt, dass die Beschwerdeführerin um Entlassung aus dem türkischen Staatsverband angesucht hat.
2.4. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15.06.1992, Zl. ..., erhielt die Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 15.06.1992 die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG 1985.
2.5. Mit Entlassungsurkunde entsprechend dem türkischen Ministerratsbeschluss zur Zahl ... vom 18.03.1993, ausgestellt am 20.05.1993, wurde die Beschwerdeführerin endgültig aus dem türkischen Staatsverband entlassen.
2.6. Am 17.05.2017 übermittelte der Freiheitliche Parlamentsklub dem Bundesministerium für Inneres einen Datenträger, auf dem sich Excel-Tabellen mit persönlichen Daten von insgesamt 95.984 Personen befanden. Mit Schreiben vom 18.05.2017 leitete der Klub der Wiener Freiheitlichen Landtagsabgeordneten und Gemeinderäte eine Kopie dieser Tabellen mit persönlichen Daten von 66.382 Personen der Wiener Landesregierung weiter und ersuchte darum, zu der "uns zugespielte[n] türkische[n] 'Wählerevidenzliste' mit rund 100.000 Personen […] so rasch wie möglich eine Überprüfung in die Wege zu leiten.“
2.7. Im vorliegenden Verwaltungsakt befindet sich ein Auszug aus dem übermittelten Datensatz, in welchem die Beschwerdeführerin mit folgenden persönlichen Daten aufscheint: „... (ID-Nummer), Ö, Wien (Bundesland), A. (Vorname), B. (Familienname), D. (VN Mutter), E. (VN Vater), K (Geschlecht), VIYANA (Geburtsort), ...1971 (Geburtsdatum), F. (Provinz), G. (Stadt), AVUSTURYA CUMHURIYETI (Aufenthaltsstaat), VIYANA BASKONSOLOSLUGU (Generalkonsulat).“
2.8. Bei dem Auszug aus dem übermittelten Datensatz handelt es sich um eine Excel-Tabelle mit 12 Spalten, die nicht schreibgeschützt und sohin jederzeit veränderbar ist. Die übermittelte Excel-Tabelle wurde insofern nachträglich verändert, als diese durch folgende Spaltenüberschriften ergänzt wurde: „ID-Nummer, Bundesland, Vorname, Familienname, VN Mutter, VN Vater, Geschlecht, Geburtsort, Geburtsdatum, Provinz, Stadt, Aufenthaltsstaat, Generalkonsulat.“
2.9. Es kann nicht festgestellt werden, woher der der belangten Behörde am 18.05.2017 vom Klub der Wiener Freiheitlichen Landtagsabgeordneten und Gemeinderäte übermittelte Datensatz stammt. Darüber hinaus kann auch der Zeitpunkt seiner Entstehung nicht festgestellt werden.
2.10. Schließlich ist nicht feststellbar, ob es sich bei dem gegenständlichen Datensatz um eine authentische türkische Wählerevidenzliste handelt.
2.11. Mit Schreiben vom 15.01.2018 ersuchte die belangte Behörde das Generalkonsulat der türkischen Republik in Wien um dringende Mitteilung, ob die Beschwerdeführerin die türkische Staatsangehörigkeit besitzt bzw. ob diese in den türkischen Evidenzen verzeichnet ist. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.
2.12. Mit Schreiben, welches bei der belangten Behörde am 14.02.2018 einlangte, übermittelte die Beschwerdeführerin eine Zeitbestätigung des Generalkonsulates der Republik Türkei in Wien vom 29.01.2018, aus der hervorgeht, dass sie am 29.01.2018 in einer eigenen Angelegenheit im Generalkonsulat der Republik Türkei zu tun hatte. Die Beschwerdeführerin erklärte dazu, dass sie und ihr Ehegatte, C. B., keine türkischen Staatsbürger seien und aus diesem Grund nicht im System aufscheinen würden, weshalb das Konsulat nur eine Zeitbestätigung ausstellen könne.
2.13. Mit Schreiben vom 13.09.2018 teilte die Wiener Landesregierung der Beschwerdeführerin mit, dass sie davon ausgeht, dass diese zu einem unbekannten Zeitpunkt, jedoch spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017, die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gemäß § 27 StbG verloren hat. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Personenstandsnummer ..., ihrem Vor- und Familiennamen, dem Vornamen ihrer Mutter (D.) und ihres Vaters (E.), ihrem Geschlecht, dem Geburtsort Viyana (Anm.: Wien), dem Geburtsdatum ...1971, der Provinz F. und der Stadt G. in einer authentischen türkischen Wählerevidenzliste verzeichnet ist.
2.14. Daraufhin übermittelte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung des türkischen Generalkonsulates in Wien vom 20.09.2018, eingelangt bei der belangten Behörde am 26.09.2018, mit folgendem Inhalt:
„Frau/Herr A. B., geb. am ...1971 in Wien hat sich heute mit der Bitte um Ausstellung eines Personenstandregisterauszugs (Nüfus Kayit Örnegi) an das hierortige Generalkonsulat gewendet. Jedoch wurde festgestellt, dass Frau/Herr B. aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert wurde und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat.
Nach der Mavi Kart (Blaue Karten-) Rechtsverordnung wird der Personenstand, der aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgerten Personen, nicht mehr im Personenstandregister, sondern im „Blaue Karten Register“ (Mavi Karhular Kütügü) geführt. Aus diesem Grund darf den ausgebürgerten Personen kein Personenstandregisterauszug ausgestellt werden.
Diese Bestätigung wurde auf Wunsch der/des österreichischen Staatsbürgerin/s A. B. zur Vorlage bei den österreichischen Behörden ausgestellt.“
Die Bestätigung ist vom Vizekonsul … unterfertigt.
2.15. Mit Bescheid vom 29.10.2018, Zl. ..., stellte die belangte Behörde gemäß §§ 39 und 42 Abs. 3 StbG 1985 von Amts wegen fest, dass die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsangehörigkeit spätestens mit Wirkung vom 18.05.2017 verloren hat und nicht österreichische Staatsbürgerin ist.
2.16. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 15.06.1992 und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband per 20.05.1993 eine fremde, insbesondere die türkische Staatsbürgerschaft, durch eine darauf gerichtete entsprechende Willenserklärung (Antrag, Erklärung, ausdrückliche Zustimmung) erworben hat.
3. Beweiswürdigung:
3.1. Die Feststellungen hinsichtlich des Verfahrensganges im Staatsbürgerschaftsverfahren ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes, insbesondere dem Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 08.04.1992, Zl. ..., der Bestätigung der Konsularabteilung der türkischen Botschaft in Wien, dem Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15.06.1992, Zl. ... und der Entlassungsurkunde entsprechend dem türkischen Ministerratsbeschluss zur Zahl ... vom 18.03.1993.
3.2. Die Feststellungen zur Übermittlung des gegenständlichen Datenträgers, ergibt sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes, insbesondere einem Schreiben des Klubs der Wiener Freiheitlichen Landtagsabgeordneten und Gemeinderäte vom 18.05.2017 an den Stadtrat Czernohorsky („Wie angekündigt, darf ich Ihnen die uns zugespielte türkische „Wählerevidenzliste“ mit rund 100.000 Personen übermitteln und ersuche Sie hiermit, so rasch wie möglich eine Überprüfung in die Wege zu leiten.“) und einer Übernahmebestätigung vom 18.05.2017 („Am 18.05.2017 wurde um 11.38 ein Datenstick „illegale Doppelstaatsbürgerschaft“ (Nr. ...) zu Handen Herrn H. übergeben“).
3.3. Die getroffenen Feststellungen in Bezug auf den Inhalt des gegenständlichen Datensatzes ergeben sich aus einem im vorliegenden Verwaltungsakt befindlichen als "Auszug aus der vom Freiheitlichen Parlamentsklub am 18.05.2017 übermittelten türkischen Wählerevidenzliste“ betiteltem Dokument mit persönlichen Daten der Beschwerdeführerin in einer Zeile mit zwölf Spalten. Dieses Dokument belegt auch, dass die Beschwerdeführerin mit ihren persönlichen Daten in der Excel-Tabelle des übermittelten Datensatzes aufscheint, was von der Beschwerdeführerin im Übrigen auch nicht bestritten wurde.
3.4. Die Feststellungen betreffend die Qualität, fehlende Authentizität und den unbekannten Entstehungszeitpunkt des Datensatzes gründet sich auf den Inhalt des Verwaltungsaktes.
So geht aus einem Schreiben des Herrn Heinz-Christian Strache vom 20.09.2017 an das Amt der Tiroler Landesregierung hervor, dass der Datenträger dem Freiheitlichen Parlamentsklub anonym zugespielt wurde.
Ferner findet sich im Verwaltungsakt ein Bericht des Bundeskriminalamtes vom 30.06.2017 über eine im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres erfolgte forensische Untersuchung des Datensatzes durch das Bundeskriminalamt. Diese datenforensische Untersuchung wurde zur Beantwortung einer Reihe an Fragen (unter anderem: „Gibt es einen Hinweis darauf, wo/wie die Daten erfasst/eingegeben wurden? Wurden die Daten händisch eingegeben und falls nicht, wie sonst? Gibt es einen Hinweis darauf, wer sie erfasst hat? Fall ja, wie viele Bearbeiter der Daten sind ersichtlich? Gibt es einen Hinweis darauf, ob die Daten allenfalls manipuliert wurden und falls ja, wann und von wem? Hinweise zum Betriebssystem oder der Excel-Version? Sonstige Umstände, die einem geschulten Datenforensiker auffallen?“) in Auftrag gegeben und lautet auszugsweise wie folgt:
„[…]
a) Zu a (wie alt sind die Daten?
Das Dateidatum lässt keine Schlüsse zu, wann die Dateien erstellt wurden, da sie im Mailweg übermittelt wurden. Es lässt sich nur erkennen, dass laut Dateidatum der letzte schreibende Zugriff an den übermittelten Dateien am 21.07.2017 um 14.35 Uhr erfolgte.
[..]
Auch in den Metadaten der Dateien findet sich kein Erstelldatum.
Resümee
Sämtliche gestellte Fragen konnten nicht oder nur teilweise beantwortet werden, da der Originaldatenträger nicht für eine forensisch korrekte Untersuchung zur Verfügung stand und auf die im Mailweg überliefer[te]n Dateien bereits schreibend zugegriffen wurde".
Damit liegt auf der Hand, dass sich die Herkunft des Datensatzes technisch nicht ermitteln lässt. Auch der Zeitpunkt seiner Entstehung lässt sich nicht eruieren.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem datenforensischen Bericht, dass auf die Daten schreibend zugegriffen werden konnte bzw. kann. Der fehlende Schreibschutz wird auch dadurch bekräftigt, dass – wie den getroffenen Feststellungen entnommen werden kann - der im Akt befindliche Auszug aus dem Datensatz bereits nachträglich verändert bzw. ergänzt wurde. So wurden von der Behörde Spaltenbezeichnungen eingefügt, die im Originaldatensatz nicht vorhanden waren. Dies ergibt sich aus dem Klammerausdruck auf dem im Akt befindlichen Auszug des Datensatzes („Spaltenbezeichnungen im Original nicht vorhanden, von Behörde zur einfacheren Lesbarkeit ergänzt“).
Dies bedeutet, dass die Datensätze jederzeit und von jedermann verändert und manipuliert werden konnten. Damit lassen sich für das erkennende Gericht aber keine Schlüsse auf die inhaltliche Richtigkeit der übermittelten Datensätze ziehen. Es liegen sohin keinerlei Beweisergebnisse vor, die darauf schließen lassen, dass es sich bei dem gegenständlichen Datensatz um eine authentische türkische Wählerevidenzliste handelt. Der übermittelte Datensatz stellt sohin im Hinblick auf die Beschwerdeführerin kein geeignetes Beweismittel für ein Verfahren nach § 27 Abs. 1 StbG dar (so auch VfGH vom 11.12.2018, E 3717/2018).
3.5. Zur getroffenen Negativfeststellung, wonach nicht feststellbar ist, ob die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband eine fremde, insbesondere die türkische Staatsbürgerschaft, erworben hat, ist auszuführen, dass die belangte Behörde den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gegenständlich ausschließlich auf den am 18.05.2017 eingelangten Datensatz stützt.
Wie bereits ausgeführt kann der gegenständliche Datensatz jedoch aus Sicht des erkennenden Gerichtes aufgrund der mangelnden Authentizität und der ungeklärten Herkunft seiner Inhalte, die überdies jederzeit verändert bzw. manipuliert werden konnten, nicht als taugliches Beweismittel für das gegenständliche Verfahren nach § 27 Abs. 1 StbG darstellen (so auch VfGH vom 11.12.2018, E 3717/2018).
3.6. Im Hinblick darauf, dass gegenständlich keine (anderen) Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 15.06.1992 und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband per 20.05.1993 eine fremde, insbesondere die türkische, Staatsbürgerschaft, erworben hat, traf das erkennende Gericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung die entsprechende Negativfeststellung.
3.7. Weitere amtswegige Erhebungen durch das erkennende Gericht konnten unterbleiben, zumal eine diesbezügliche Anfrage der belangten Behörde beim türkischen Generalkonsulat in Wien (Schreiben vom 15.01.2018) unbeantwortet blieb. Auch lassen mehreren vor dem erkennenden Gericht geführte ähnlich gelagerte anhängige Verfahren erkennen, dass mit einer Amtshilfe in dieser Angelegenheit durch das türkische Generalkonsulat in Wien nicht zu rechnen ist. So bleiben behördliche Anfragen an das Generalkonsulat der türkischen Republik in Wien stets unbeantwortet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits auf die offenkundige Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von den türkischen Behörden zu erhalten, hingewiesen (vgl. VwGH 15.3.2010, 2008/01/0590, mit Verweis auf VwGH 19.3.2009, 2007/01/0633). In dieser Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Türkei das Übereinkommen über den Austausch von Einbürgerungsmitteilungen (ICCS-Konvention Nr. 8) mit Wirksamkeit vom 30.09.2010 gekündigt hat und nach Mitteilung der türkischen Behörden Informationen zur Staatsbürgerschaft im Rahmen des Geheimhaltungsprinzips nur durch den Betroffenen beantragt werden können. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass in derartigen Fällen einer amtswegigen Ermittlung faktische (und rechtliche) Hindernisse entgegenstehen.
3.8. Auch war aus Sicht des erkennenden Gerichtes die Beschwerdeführerin nicht neuerlich aufzufordern, ein Personenstandsregisters vorzulegen, weil die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde bereits mit Schreiben vom 15.01.2018 aufgefordert wurde, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister (Nüfüs Kayit Örnegi) betreffend ihre Person vorzulegen und die Beschwerdeführerin aus Sicht des erkennenden Gerichtes bereits hinreichend dargelegt hat (im konkreten mit am 14.02.2018 bei der belangten Behörde eingelangtem Schreiben, Zeitbestätigung des Generalkonsulates der Republik Türkei in Wien vom 29.01.2018 und Vorlage einer Bestätigung des Generalkonsulates der Republik Türkei in Wien vom 20.09.2018), dass sie tatsächlich mehrfach versucht hat, einen Personenstandsregisterauszug vom türkischen Generalkonsulat in Wien beizuschaffen, was ihr jedoch aus nicht in ihrer Sphäre liegenden Gründen nicht gelungen ist. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Mitwirkungspflicht im gegenständlichen Verfahren ausreichend nachgekommen.
4. Rechtliche Beurteilung:
4.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl. I Nr. 56/2018, lauten auszugsweise wie folgt:
„ABSCHNITT III
VERLUST DER STAATSBÜRGERSCHAFT
§ 26. Die Staatsbürgerschaft wird verloren durch
1. Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§ 27 und 29);
[…]
Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit
§ 27. (1) Die Staatsbürgerschaft verliert, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.
[…]
ABSCHNITT IV
BEHÖRDEN UND VERFAHREN
[…]
§ 42. […]
[…]
(3) Ein Feststellungsbescheid kann von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht.“
4.2. Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung – also einer positiven Willenserklärung – eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist. Ob eine fremde Staatsangehörigkeit tatsächlich (VwGH 19.2.2009, 2006/01/0884) gültig erworben wurde, ist dabei nach der fremden Rechtsordnung zu beurteilen (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, 299; vgl. auch bereits VwSlg. 3653 A/1955), der darauf gerichtete Erwerbswille nach österreichischem Recht (EB zur RV 497 BlgNR 10. GP, 29). Liegen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG vor, tritt der Verlust der Staatsbürgerschaft ex lege ein, ohne dass es dafür einer behördlichen Entscheidung bedarf.
§ 42 StbG ordnet an, unter welchen Voraussetzungen die Durchführung eines Feststellungsverfahrens in Staatsbürgerschaftssachen zulässig ist. Nach § 42 Abs. 3 StbG kann ein Feststellungsbescheid von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht. Das Interesse des Staates, nicht darüber im Zweifel zu sein, ob eine bestimmte Person Staatsangehörige ist, stellt ein öffentliches Interesse dar, das gemäß § 42 Abs. 3 StbG die amtswegige Erlassung eines Feststellungsbescheides rechtfertigen kann (z.B. VwGH 15.3.2010, 2007/01/0482).
Bei der amtswegigen Feststellung nach § 42 Abs. 3 StbG ist es Sache der Behörde, das öffentliche Interesse an der Feststellung in der Begründung des Bescheides hinreichend darzulegen, sodass der Rechtsverfolgung durch Parteien des Verfahrens - etwa jene Personen, um deren staatsbürgerschaftsrechtlichen Status es sich handelt - bzw. die Überprüfbarkeit des Bescheides durch das LVwG, gewährleistet wird (Plunger/Esztegar/Eberwein, StbG § 43 Rz 5).
Das Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 iVm § 27 Abs. 1 StbG, das den Verlust der Staatsbürgerschaft zum Gegenstand hat, ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG von Amts wegen zu ermitteln ist. Diesen aus § 37 AVG erfließenden Grundsatz der materiellen Wahrheit in Verbindung mit der in § 39 Abs. 2 AVG normierten Offizialmaxime hat der Verfassungsgerichtshof etwa dann in einer in die Verfassungssphäre reichenden Weise für verletzt erachtet, wenn die Behörde in Verkennung ihrer Ermittlungspflicht unzulässig eine Umkehr der formellen Beweislast angenommen hat (VfSlg. 18.929/2009) oder wenn in unzulässiger Weise aus dem Unterbleiben der Übermittlung von Belegen zum Beweis einer bestimmten Tatsache die Fiktion abgeleitet wurde, dass diese Tatsache nicht gegeben ist (VfSlg. 19.546/2011).
4.3. Eingangs ist auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, in welcher dieser ausdrücklich feststellte, dass „die mangelnde Authentizität und die ungeklärte Herkunft der Inhalte des dieses Datensatzes, die dem schreibenden Zugriff von wem auch immer offen standen, es von vorneherein ausschließen, dass dieser Datensatz für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG im Hinblick auf den Beschwerdeführer ein taugliches Beweismittel darstellt“ (VfGH 11.12.2018, E 3717/2018).
Der Ansicht der belangten Behörde, wonach der Datensatz eine Aufzeichnung einer dafür zuständigen türkischen Behörde wiedergebe, die zum Zweck der Erfassung der bei bestimmten türkischen Wahlen wahlberechtigten Personen mit Wohnsitz in Österreich bzw. im Zuständigkeitsbereich des Generalkonsulates der türkischen Republik in Wien erstellt worden sei und damit feststehe, dass es sich bei den in diesen Datensatz aufgenommenen Personen um türkische Staatsangehörige handle, kann daher nicht gefolgt werden. Ebensowenig der Vermutung der belangten Behörde, wonach sich die Authentizität dieses elektronischen Datensatzes als türkische "Wählerevidenzliste" auf repräsentative, stichprobenartige Ermittlung und eines daraus gezogenen Größenschlusses gründe. Die Annahme der belangten Behörde, dass der gegenständliche Datensatz den Inhalt einer Liste mit entsprechender Funktion ("Wählerevidenzliste") wiedergebe, beruht somit ausschließlich auf einer Vermutung, die im Verfahren vor dem erkennenden Gericht nicht verifiziert werden konnte.
Wie den getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem der belangten Behörde am 18.05.2017 übermittelten Datensatz um eine jederzeit veränderbare, nicht authentische Liste mit Personendaten. Damit ist es aber auch nicht als gesichert anzusehen, dass es sich bei diesem Datensatz um eine Wählerevidenzliste der zuständigen türkischen Behörden handelt.
4.4. Zur die Beschwerdeführerin treffenden Mitwirkungspflicht ist auszuführen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG von Amts wegen zu ermitteln ist. Auf die Verletzung einer Mitwirkungspflicht ist zwar Bedacht zu nehmen, sie entbindet die Behörde aber nicht von ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes, womit die Behörde die Beweislast für das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG auch nicht auf die Partei überwälzen darf. Lässt sich eine tatbestandsrelevante Tatsache nicht feststellen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie nicht vorliegt. Die Annahme, dass im Fall einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit für die Behörde, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG zu ermitteln, dessen Ermittlungsverpflichtung unter dem Titel einer Mitwirkungspflicht ohne Weiteres auf den Betroffenen überwälzt werden könne und somit im Falle eines von der Behörde geäußerten Verdachts, es könnten die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG vorliegen, der österreichische Staatsbürger den Negativbeweis zu erbringen habe, verbietet sich angesichts der der Staatsbürgerschaft zukommenden (und aus ihrem Verlust folgenden) Bedeutung. Dies schließt nicht aus, dass die Partei gewisse Mitwirkungspflichten treffen, die in amtswegigen Ermittlungsergebnissen begründet sind und sich im Rahmen der zumutbaren Möglichkeiten der Partei halten (VwGH 19.10.2011, 2009/01/0018; 22.3.2018, Ra 2018/01/0045; VfGH 11.12.2018, E 3717/2018).
Nach den getroffenen Feststellungen hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin aufgefordert, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister, aus dem hervorgehe, dass diese im fraglichen Zeitraum die türkische Staatsangehörigkeit nicht wiedererworben habe (Nüfus-Auszug), vorzulegen. Wie sich ebenfalls aus den getroffenen Feststellungen ergibt, hat die Beschwerdeführerin zwei Mal versucht, dieser Aufforderung nachzukommen, wobei ihr die Ausstellung des geforderten Personenstandsregisterauszuges vom Generalkonsulat der Republik Türkei in Wien verweigert wurde.
Gegenständlich war es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar, weitere als die von ihr ohnehin gesetzten Schritte zu setzen. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes ausreichend nachgekommen. Dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich war, den geforderten Personenstandsregisterauszug zu erhalten, kann im Hinblick auf die eben zitierte Rechtsprechung der Höchstgerichte nicht zu ihren Lasten gehen.
4.5. Wie dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen ist, konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband eine fremde, insbesondere die türkische Staatsbürgerschaft, (wieder) erworben hat.
Im Ergebnis bedeutet das, dass in gegenständlicher Angelegenheit die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG nicht vorliegen. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
4.6. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand genommen werden, zumal bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war. Im Übrigen hat die belangte Behörde mit E-Mail vom 03.01.2019 ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
5. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Der Entscheidung des VwGH vom 25.09.2018, Ra 2018/01/0364, lag ein dem gegenständlichen Verfahren nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, zumal der Revisionswerber – anders als die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren – seiner Mitwirkungspflicht in keinster Weise nachgekommen ist.
Schlagworte
Verlust der Staatsbürgerschaft; Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft; Offizialmaxime; materielle Wahrheit; Mitwirkungspflicht; Beweiswürdigung; BeweislastEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.152.089.16434.2018Zuletzt aktualisiert am
24.01.2019