Entscheidungsdatum
25.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W228 2168199-1/6E
W228 2168203-1/6E
W228 2168206-1/6E
W228 2168210-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX .1980 (BF1), der XXXX , geboren am XXXX .1983 (BF2), der XXXX , geboren am XXXX .2014 (BF3) und des XXXX , geboren am XXXX .2014 (BF4), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF1 und BF2 vertreten durch XXXX Rechtsanwälte OG; BF3 und BF4 vertreten durch die XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese wiederum vertreten durch XXXX Rechtsanwälte OG, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zlen: XXXX beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide
behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 30.01.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF3, am 01.01.2014 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für den BF4, am 01.01.2014 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.01.2016 gab der BF1 an, dass seine Heimatregion in Afghanistan Kriegsgebiet sei und er im Falle einer Rückkehr Angst vor den Taliban und dem IS hätte.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.01.2016 gab die BF2 zu ihrem Fluchtgrund an, dass die Taliban und der IS gedroht hätten, die Familie umzubringen, da sie andersgläubig seien.
Mit Bescheiden vom 24.10.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und wurde für die Prüfung der Anträge Kroatien für zuständig erklärt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 21.02.2017 den Beschwerden gegen die Bescheide vom 24.10.2016 gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben, die Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben.
Der BF1 wurde am 20.07.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Kunduz stamme. Im Alter von 16 Jahren sei er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in den Iran gegangen. Dort habe er schließlich seine Frau geheiratet. Sie hätten schließlich familiäre Probleme bekommen, da seine Frau keinen Sohn geboren habe und die Familie ihnen deshalb Vorwürfe gemacht habe. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er aufgrund der familiären Probleme den Iran verlassen habe. Afghanistan habe er einst gemeinsam mit seiner Mutter verlassen, weil sie als Witwe unter sozialem Druck gestanden sei. Außerdem habe es Kämpfe und Kriege gegeben und sei seine Schwester von einer Bombe getötet worden. Zudem hätten die Taliban den Beschwerdeführer aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen.
Die BF2 wurde am 20.07.2017 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie in der Provinz Kunduz geboren sei. Vor 20 Jahren sei sie mit ihren Eltern in den Iran gegangen. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass die ganze Familie Schwierigkeiten gemacht habe, weil sie keinen Sohn geboren habe. Die Familie habe ihrem Mann geraten, eine andere Frau zu heiraten. Schlussendlich seien ihr Zwillinge geschenkt worden, ein Junge und ein Mädchen. Ihre ältere Tochter sei im Alter von 12 Jahren dem Sohn des Halbbruders ihres Mannes versprochen wurden. Diese Tochter lebe nach wie vor im Iran und habe dort ein schweres Leben. Die Beschwerdeführerin wolle in Österreich arbeiten. Ihre Kinder sollen zur Schule gehen.
Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 31.07.2017 wurden die Anträge des BF1, der BF2, der BF3 und des BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 31.07.2017 erhoben der BF1, die BF2, die BF3 und der BF4 mit Schriftsatz der damaligen Rechtsvertretung vom 16.08.2017 Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass den BF Verfolgung aufgrund ihres überwiegenden Aufenthaltes im Iran, ihrer Volksgruppe und ihrer westlichen Einstellung drohe. Die belangte Behörde habe es unterlassen, Fragen zur westlichen Lebenseinstellung aller BF sowie der ihnen deshalb unterstellten westlichen Gesinnung zu stellen. Zudem habe es die belangte Behörde unterlassen, die BF2 zu ihrer westlichen Gesinnung bzw. ihrem westlichen Lebensstil zu befragen. Sie hätte prüfen müssen, welche Lebensweise die BF2 für sich und die BF3 in Österreich anstrebe und ob sie tatsächlich gewillt sei, sich in das traditionelle Rollenbild der Frau in Afghanistan einzufügen. Auch seien nähere Fragen zur Lebensführung der BF2 in Österreich unterlassen worden. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte seien überdies zumindest teilweise nicht mehr aktuell. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.
Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 21.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 20.09.2018 langte jeweils eine Vertreterbekanntgabe und Beschwerdeergänzung beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 30.01.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF3, am 01.01.2014 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für den BF4, am 01.01.2014 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.
Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3 und BF4, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.
Weiters wurden auch nicht ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand von BF3 und BF4 getroffen, wurde doch vorgebracht, dass beide Frühgeburten waren, die Tochter eine Verletzung am Bein und der Sohn eine Krankheit hat. Der Gesundheitszustand der beiden Kinder wurde nicht durch Gutachten objektiviert.
Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 31.07.2017.
Die fehlende Einholung von Gutachten ergibt sich ebenso aus dem Verfahrensakt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.
In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.
Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit der BF3 und des BF4 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den beiden Kindern, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA drei Jahre alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidungen betreffend die minderjährigen BF3 und BF4 sind somit begründungslos ergangen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher den Gesundheitszustand der BF3 und BF4 durch weitere Erhebungen und Einholung von Gutachten zu objektivieren haben.
Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich des von der BF2 im Zuge der Befragung vor dem BFA erstatteten Vorbringens wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So führte die BF2 unter anderem während ihrer Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2017 aus, dass sie in Österreich an einem Deutschkurs teilnehme, sich in Österreich bilden und arbeiten wolle; es in Afghanistan keine Sicherheit für Frauen gebe und Frauen dort nicht frei reisen könnten. Es ist jedoch seitens des BFA verabsäumt worden, mit der BF2 diesbezüglich ihre individuelle Situation in Afghanistan näher zu erläutern. Wie in der Beschwerde ausgeführt, hätte die belangte Behörde prüfen müssen, welche Lebensweise die BF2 in Österreich anstrebt. Auch sind nähere Fragen zur Lebensführung der BF2 in Österreich unterlassen worden. Konkrete Nachfragen bzw. Abklärungen betreffend eine eventuelle westliche Orientierung der Beschwerdeführerin sind im gegenständlichen Verfahren nicht vorgenommen worden.
So wurde im gegenständlichen Verfahren etwa auch nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF2 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr angestrebte Lebensweise geprüft (etwa VwGH, Zlen Ra 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn das BFA in Hinblick auf die Ausführungen der BF2 hinsichtlich der Unterdrückungen der Frauen in Afghanistan sich auf die herangezogenen Länderfeststellungen beruft, wonach sich die Situation der Frauen nach der Herrschaft der Taliban erheblich verbessert hat, so übersieht das BFA, dass die BF2 in der mit ihr aufgenommenen Niederschrift von Problemen als Frau in Afghanistan gesprochen hat. Ihren Ausführungen nach gehe es dabei um die allgemeine Sicherheit der Frauen. Wenn in den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen, Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen, so übersieht das BFA, dass dieses bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund seiner Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.
Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit aus solchen Aussagen der BF2 und eines Ausbildungswunsches eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher weiteren hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit auch in dieser Hinsicht grundlegend ergänzungsbedürftig.
Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2168210.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.01.2019