TE OGH 2018/12/17 2Ob229/18t

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Veröffentlicht am 17.12.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen 4.583,74 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 19. April 2018, GZ 5 R 44/18d-20, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 24. Jänner 2018, GZ 204 C 195/17h-14, infolge Berufungen beider Parteien bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 104,42 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der klagende Sozialversicherungsträger erbrachte nach einem Unfall Leistungen an seinen Versicherungsnehmer und nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer nach § 332 ASVG, § 26 KHVG in Anspruch. Die Lenkerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hatte bei Nacht auf dem unbeleuchteten Parkplatz eines Festivalgeländes reversiert und dabei den alkoholisiert am Boden liegenden Versicherungsnehmer der Klägerin überfahren. Die Lenkerin konnte Hindernisse mit einer Höhe von (wie hier) 25 cm wegen des toten Winkels nur sehen, wenn diese mehr als 10 m vom Fahrzeug entfernt waren; ihre Rückfahrscheinwerfer leuchteten aber nur einen Bereich von 8 bis 10 m aus. Die Parksensoren am Heck ihres Fahrzeugs sprachen nicht an, weil sie erst ab einer Höhe des Hindernisses von 32 cm aktiv wurden.

Die Vorinstanzen nahmen auf dieser Grundlage an, dass die Beklagte zu einem Drittel für die Schäden des Versicherungsnehmers der Klägerin hafte. Die Lenkerin treffe zwar ein Verschulden, weil sie sich eines Einweisers bedienen hätte müssen. Das Verschulden des alkoholisierten Geschädigten wiege jedoch schwerer, weil ihm die Örtlichkeit (Durchfahrtsweg auf einem Parkplatz) bekannt gewesen sei und er jederzeit mit ausparkenden Fahrzeugen habe rechnen müssen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass seine Verschuldensteilung möglicherweise mit der Beurteilung ähnlicher Situationen in den Entscheidungen 8 Ob 198/78 und 2 Ob 177/14i unvereinbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, mit der sie eine zur Gänze stattgebende Sachentscheidung anstrebt, ist entgegen diesem Ausspruch nicht zulässig.

1. Ob den Geschädigten ein Mitverschulden am Unfall trifft, ist eine Frage des Einzelfalls, die – von einer gravierenden Fehlbeurteilung abgesehen – die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht verwirklicht (RIS-Justiz RS0044088 [T30], RS0087606 [T25], zuletzt etwa 2 Ob 98/18b). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung läge etwa dann vor, wenn das Berufungsgericht von einer ständigen Rechtsprechung zu einer bestimmten Fallgruppe (etwa zum Gewicht von Vorrangverletzungen, RIS-Justiz RS0026775) abweicht, ohne dass dies durch Besonderheiten des Einzelfalls gerechtfertigt wäre.

2. Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor.

2.1. Unfälle zwischen Kraftfahrzeugen und unvorsichtigen Fußgängern entziehen sich einer generalisierenden Betrachtung. Es hängt vielmehr immer von den Umständen des Einzelfalls ab, ob das Verschulden eines (wie hier) alkoholisierten Fußgängers gleich schwer wiegt wie jenes des Lenkers (zB 2 Ob 299/67; 2 Ob 38/87) oder ob das Verschulden des Fußgängers (2 Ob 151/79; vgl auch 8 Ob 129/78 und 2 Ob 150/82 [jeweils keine Alkoholisierung des Fußgängers]) oder aber des Lenkers (zB 2 Ob 189/79; 2 Ob 177/14i) überwiegt.

2.2. Im vorliegenden Fall hätte sich die Lenkerin zwar eines Einweisers bedienen müssen, da sie aufgrund des Zusammenspiels von totem Winkel und beschränkter Ausleuchtung keine volle Sicht auf die Fahrbahn hatte (RIS-Justiz RS0073861) und auch die Parksensoren nicht gewährleisteten, dass sie alle denkbaren Hindernisse wahrnahm. Ihr ist vorzuwerfen, dass sie die dadurch mögliche Gefährdung von flach auf dem Boden liegenden Personen nicht erkannte und keine weiteren Maßnahmen (Einweiser) ergriff. Dieses Verschulden wiegt aber weniger schwer als das Fehlverhalten des Geschädigten, der alkoholisiert auf der Fahrbahn eines öffentlichen Parkplatzes (also einer Straße iSv § 1 Abs 1 StVO [VwGH 2004/02/0045]) lag und damit gravierend gegen § 76 Abs 5 StVO verstieß. Die Annahme eines Mitverschuldens von zwei Dritteln ist auf dieser Grundlage vertretbar.

2.3. Die Entscheidung 2 Ob 177/14i steht dem nicht entgegen, weil dort die Lenkerin den gut sichtbar am Boden liegenden Geschädigten mit einem Blick an Außenspiegel und A-Säule vorbei (Drehen oder Heben des Kopfes) oder bei einer höheren Sitzposition leicht hätte wahrnehmen können. Hingegen ergibt sich das Verschulden der Lenkerin im vorliegenden Fall nur daraus, dass sie technische Zusammenhänge (toter Winkel, Ausleuchtung, Wirksamkeit der Parksensoren) falsch eingeschätzt hatte. Im Fall der Entscheidung 8 Ob 198/78 stand in dritter Instanz die Haftung des Haftpflichtversicherers im Ausmaß von zwei Dritteln bereits unangefochten fest.

3. Aus diesen Gründen ist die Revision zurückzuweisen. Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat, ist die Klägerin zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung verpflichtet.

Textnummer

E123801

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00229.18T.1217.000

Im RIS seit

24.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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