Entscheidungsdatum
18.10.2018Norm
BauO NÖ 2014 §38 Abs5Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch den Richter Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde der A Gesellschaft m.b.H., ***, ***, vertreten durch die B Rechtsanwälte in *** vom 25. Juni 2018 gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 23. Mai 2018, Aktenzeichen: ***, mit welchem einer Berufung gegen einen Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 15. März 2018, betreffend die Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe nach der NÖ Bauordnung 2014, keine Folge gegeben wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 279 Bundesabgabenordnung – BAO
§ 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Sachverhalt und verwaltungsbehördliches Verfahren:
Die A Gesellschaft m.b.H. (in der Folge: Beschwerdeführerin) ist alleinige grundbücherliche Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Bauplatzes Grundstück Nr. ***, EZ ***, KG ***, entsprechend dem geltenden Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde *** gewidmet als Bauland-Betriebsgebiet.
Das Grundstück ist durch die Vereinigung der früheren Grundstücke *** und *** im Jahr 2017 entstanden. Die beiden Grundstücke waren schon vor der Zusammenlegung, ab 2009, im Eigentum der Beschwerdeführerin.
Im Jahr 1989 war die Marktgemeinde *** Eigentümerin dieser Grundflächen, welche durch Grundabteilung vom damaligen Grundstück *** entstanden sind. Anlässlich der Bewilligung der Grundabteilung wurde mit kombinierter Erledigung der Marktgemeinde *** („Bescheid und Abgabenbescheid“) vom 30. August 1989 für sämtliche neu entstandene Bauplätze (darunter auch die beiden Grundstücke *** und ***) jeweils ein Aufschließungsbeitrag vorgeschrieben. Der Abgabenberechnung zugrunde gelegt wurde für beide Grundstücke für die Bauklasse I ein Bauklassenkoeffizient von 1,00.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 22. Februar 2018, Aktenzeichen ***, wurde der Beschwerdeführerin die nachträgliche Baubewilligung erteilt für ein Stiegenhaus sowie diverse Zu- und Umbauten am bestehenden Bürogebäude auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück ***. Die bewilligte Höhe des Bürogebäudes beträgt 14 Meter.
Der Baubewilligungsbescheid wurde bei der Beschwerdeführerin nachweislich am 27. Februar 2018 zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 15. März 2018, Aktenzeichen: ***, wurde der Beschwerdeführerin eine Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 in Höhe von € 31.382,06 vorgeschrieben.
Der Berechnung zugrunde gelegt wurden die aktuelle Baulandfläche von 8.846 m², ein Bauklassenkoeffizient alt von 1,00, ein Bauklassenkoeffizient neu von 1,75, somit eine Bauklassendifferenz von 0,75 sowie der nunmehr geltende Einheitssatz von € 450,00.
Am 19. März 2018 wurde das Schriftstück der A Gesellschaft m.b.H. nachweislich zugestellt (nachgewiesen durch Unterschrift einer Arbeitnehmerin auf dem RSb-Rückschein).
Mit Schreiben vom 19. April 2018 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Berufung. Der angefochtene Bescheid genüge im Spruch den Anforderungen des § 198 BAO nicht und enthalte auch keine nachvollziehbare Begründung. § 39 NÖ Bauordnung 2014 sei auf den gegenständlichen Sachverhalt nicht anwendbar, zumal die in § 70 NÖ Bauordnung 2014 enthaltenen Übergangsregelungen keine gesetzliche Grundlage für eine rückwirkende Festsetzung einer Ergänzungsabgabe enthalte. Die erteilte Baubewilligung betreffe ein Anfang der neunziger Jahre von einer früheren Eigentümerin errichtetes Gebäude. § 39 NÖ Bauordnung 2014, nach dem aus Anlass eines „Neu- oder Zubaus“ eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben sei, könne sich nicht auf nachträglich bewilligte Gebäude beziehen. Die rückwirkende Festsetzung eines nachträglich genehmigten Altbaus verletze die verfassungsgesetzlich gewährleistete Unverletzlichkeit des Eigentums und entbehre einer gesetzlichen Grundlage mangels rückwirkender Anwendbarkeit des § 39 NÖ Bauordnung 2014. Selbst bei Annahme einer rückwirkenden Anwendbarkeit des § 39 NÖ Bauordnung 2014 auch für nachträglich genehmigte Gebäude stehe einer Vorschreibung jedoch die eingetretene Verjährung entgegen, sei doch der Abgabenanspruch mit dem damaligen Neubau, sohin Anfang der Neunzigerjahre, entstanden. Seither seien mehr als 10 Jahre verstrichen, weshalb auch die absolute Verjährung eingetreten sei. Beantragt wurde die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 23. Mai 2018, Aktenzeichen: ***, wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Begründend wird nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens und der als maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften im Wesentlichen dargelegt, dass bei Errichtung eines Neu- oder Zubaus eines Gebäudes gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben sei. Abgabenauslösender Tatbestand und Grundlage des nunmehrigen Abgabenbescheides sei nicht die Errichtung des Neu- und Zubaus, sondern der Baubewilligungsbescheid vom 22. Februar 2018. Erst damit sei die Verjährung in Gang gesetzt worden, vor Entstehen des Abgabenanspruches habe eine Verjährung nicht eintreten können.
Dagegen richtete sich die verfahrensgegenständliche Beschwerde vom 25. Juni 2018, in der im Wesentlichen das Berufungsvorbringen wiederholt wurde. Beantragt wurden die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2018 legte die Marktgemeinde *** dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde und den bezughabenden Verwaltungsakt vor.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorgelegten Akt der Marktgemeinde ***, Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2018 sowie durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2018 erstattete die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung eine ergänzende Stellungnahme. Der Abgabenanspruch sei rückwirkend mit dem damaligen Neubau der nachträglich genehmigten Gebäude in den Neunzigerjahren entstanden. Seither seien mehr als 10 Jahre verstrichen, weshalb schon die absolute Verjährung eingetreten sei. Überdies sei die erst mit 30. März 2015 in Kraft getretene Verordnung des Gemeinderates auf diesen Sachverhalt nicht anzuwenden. Die Tatbestände des § 39 NÖ Bauordnung seien allesamt nicht gegeben.
Im Wesentlichen ist der Sachverhalt als unstrittig zu beurteilen und ergibt sich dieser, aufgrund des Ergebnisses der am 8. Oktober 2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung, aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Verbindung mit dem bekämpften Bescheid sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit dieses den Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegentritt.
2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …
§ 4. (1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.
§ 207. (1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt (…) bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. (…)
§ 208. (1) Die Verjährung beginnt
a) in den Fällen des § 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, …
§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
…
§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.
…
2.2. NÖ Bauordnung 2014:
Aufschließungsabgabe
§ 38. (1) Dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland ist von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2
1. ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt oder
2. eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z. 2, 3 und 5 erteilt wird.
Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist. Die Aufschließungsabgabe nach Z. 2 ist nicht vorzuschreiben, wenn die Errichtung eines Gebäudes nach § 23 Abs. 3, vorletzter Satz, bewilligt wird. Wird auf demselben Bauplatz ein weiteres Gebäude Gebäude im Sinn des § 23 Abs. 3 erster Satz oder eine großvolumige Anlage errichtet, ist die Abgabe vorzuschreiben.
…
(3) Die Aufschließungsabgabe (A) ist eine einmal zu entrichtende, ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z. 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Sie wird aus dem Produkt von Berechnungslänge (BL), Bauklassenkoeffizient (BKK) und Einheitssatz (ES) errechnet:
A = BL x BKK x ES
Bei der Vorschreibung ist jeweils der zum Zeitpunkt der Bauplatzerklärung oder Erteilung der Baubewilligung (Abs. 1) geltende Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz anzuwenden. …
(4) Die Berechnungslänge ist die Seite eines mit dem Bauplatz flächengleichen Quadrates:
Bauplatzfläche = BF
BL = ?BF
(5) Der Bauklassenkoeffizient beträgt:
in der Bauklasse I 1,00 und
bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr,
in Industriegebieten ohne Bauklassenfestlegung 2,00
bei einer Geschoßflächenzahl
- bis zu 0,8 1,5
- bis zu 1,1 1,75
- bis zu 1,5 2,0
- bis zu 2,0 2,5 und
- über 2,0 3,5
Ist eine höchstzulässige Gebäudehöhe festgelegt, ist der Bauklassenkoeffizient von jener Bauklasse abzuleiten, die dieser Gebäudehöhe entspricht.
Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25, sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird oder zulässig ist, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.
(…)
Ergänzungsabgabe
§ 39. (1) Bei der Änderung der Grenzen von Bauplätzen (§ 10) ist für jeden der neugeformten Bauplätze eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben, wenn das Gesamtausmaß oder die Anzahl der Bauplätze vergrößert wird. Der Abgabentatbestand ist erfüllt, wenn auf der vorgelegten Anzeige und dem Duplikat die Bestätigung der Nichtuntersagung (§ 10 Abs. 5 erster Satz) oder die Bezugsklausel (§ 10 Abs. 5 zweiter Satz) angebracht wird (Datum der Bestätigung oder der Bezugsklausel). …
Die Höhe der Ergänzungsabgabe (EA) wird wie folgt berechnet:
Von der Summe der neuen Berechnungslängen wird die Summe der damaligen Berechnungslängen abgezogen. Der Differenzbetrag wird mit dem zur Zeit der Anzeige der Grenzänderung (§ 10) geltenden Bauklassenkoeffizienten und Einheitssatz multipliziert und das Produkt nach dem Verhältnis der neuen Berechnungslängen auf die neuen Bauplätze aufgeteilt;
z. B. 3 Bauplätze neu (1, 2, 3), 2 Bauplätze alt (a, b)
EA = [(BL1 + BL2 + BL3) – (BLa + BLb)] x BKK x ES
EA/m (Ergänzungsabgabe pro Meter) = EA : (BL1 + BL2 + BL3)
EA für Bauplatz 1 = EA/m x BL1
EA für Bauplatz 2 = EA/m x BL2
EA für Bauplatz 3 = EA/m x BL3
Erfolgt die Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe für einen Bauplatz, der durch eine Teilfläche des Grundstücks vergrößert wurde, für das eine Vorauszahlung nach § 38 Abs. 2 vorgeschrieben wurde, sind die entrichteten Teilbeträge anteilsmäßig zu berücksichtigen. Der Anteil ergibt sich aus dem Verhältnis des Ausmaßes der Teilfläche zum Gesamtausmaß der Grundstücksfläche, für die die Vorauszahlung nach § 38 Abs. 2 entrichtet wurde. Bei der Berechnung der auf den Anteil entfallenden Vorauszahlung ist der Einheitssatz, der der Vorschreibung der Ergänzungsabgabe zu Grunde zu legen ist, heranzuziehen.
(3) Eine Ergänzungsabgabe ist auch vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 eine Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage erteilt wird und
- bei einer Grundabteilung (§ 10 Abs. 1 NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, und NÖ Bauordnung 1976 bzw. NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200) nach dem
1. Jänner 1970 ein Aufschließungsbeitrag bzw. nach dem 1. Jänner 1989 eine Ergänzungsabgabe oder
- bei einer Bauplatzerklärung eine Aufschließungsabgabe vorgeschrieben und bei der Berechnung
- kein oder
- ein niedrigerer Bauklassenkoeffizient angewendet wurde als jener, der der im Bebauungsplan nunmehr höchstzulässigen Bauklasse oder Gebäudehöhe entspricht. Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan ist ein Bauklassenkoeffizient von mindestens 1,25 zu berücksichtigen, sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird oder zulässig ist, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.
Die Höhe dieser Ergänzungsabgabe wird wie folgt berechnet:
Von dem zur Zeit der Baubewilligung (§ 23) anzuwendenden Bauklassenkoeffizienten wird der bei der Vorschreibung des Aufschließungsbeitrages bzw. der Aufschließungsabgabe oder der Ergänzungsabgabe angewendete Bauklassenkoeffizient – mindestens jedoch 1 – abgezogen und die Differenz mit der Berechnungslänge und dem zur Zeit der Baubewilligung geltenden Einheitssatz multipliziert: BKK alt = 1 oder höher
EA = (BKK neu – BKK alt) x BL x ES neu
(4) Die Ergänzungsabgabe ist eine ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl.Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Für die Ergänzungsabgabe gelten die Bestimmungen des § 38 Abs. 4 bis 6 und 9 sinngemäß. Falls bisher kein Aufschließungsbeitrag und keine Aufschließungsabgabe eingehoben wurde, gilt auch § 38 Abs. 7 sinngemäß. Wenn eine Ergänzungsabgabe nach Abs. 1 für Bauplätze im Baulandbereich ohne Bebauungsplan vorzuschreiben ist, beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25, sofern auf den neugeformten Bauplätzen nicht Gebäude mit einer Höhe zulässig sind, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.
2.3. Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde *** vom 30. März 2015 über die Festsetzung des Einheitssatzes zur Einhebung der Aufschließungsabgabe:
§ 1
Der Einheitssatz wird mit € 450,00 festgesetzt.
2.4. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG:
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3. Würdigung:
3.1. Zu Spruchpunkt 1:
Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 15. März 2018, Aktenzeichen: ***, wurde der A Gesellschaft m.b.H. aus Anlass der Errichtung eines Stiegenhauses sowie diverser Um- und Zubauten am bestehenden Bürogebäude auf deren Grundstück Nr. ***, KG ***, eine Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 vorgeschrieben.
Das Beschwerdevorbringen lässt sich auf die Frage reduzieren, ob diese Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe dem Grunde nach zu Recht erfolgen durfte.
Die Vorschreibung einer Abgabe setzt ganz allgemein die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes voraus.
Die Erfüllung des abgabenrechtlichen Tatbestandes ist Voraussetzung für die Vorschreibung einer Abgabe (vgl. VwGH 12.10.1984, 82/17/0085).
Gemäß § 4 Abs. 1 Bundesabgabenordnung entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.
Unter dem Tatbestand, an dessen Verwirklichung § 4 Bundesabgabenordnung das Entstehen der Abgabenschuld knüpft, ist die Gesamtheit der in den materiellen Rechtsnormen (hier in der NÖ Bauordnung 2014) enthaltenen abstrakten Voraussetzungen zu verstehen, bei deren konkretem Vorliegen (Tatbestandsverwirklichung) bestimmte Rechtsfolgen (Abgabenschuld und Abgabenanspruch) eintreten sollen.
Der Abgabenbescheid ist dann lediglich feststellender Natur. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. VwGH vom 25. Juni 2014, Zl. 94/17/0419).
§ 39 NÖ Bauordnung 2014 regelt den Tatbestand einer Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe.
Gemäß § 39 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 ist bei der Änderung der Grenzen von Bauplätzen für jeden der neugeformten Bauplätze eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben, wenn für die bisherigen Bauplätze bereits der Höhe nach bestimmte Aufschließungsbeiträge oder -abgaben vorgeschrieben und entrichtet wurden und das Gesamtausmaß oder die Anzahl der Bauplätze vergrößert wird.
Eine Vergrößerung der Fläche ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt, ebenso wenig eine Vergrößerung der Anzahl der Bauplätze.
Eine Ergänzungsabgabe ist darüber hinaus jedoch auch dann vorzuschreiben, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 vorliegen.
Erste Voraussetzung dafür ist die rechtskräftige Erteilung einer Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage.
Diese Voraussetzung ist im gegenständlichen Fall erfüllt durch die mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 22. Februar 2018, Aktenzeichen: ***, rechtskräftig erteilte Bewilligung zur Errichtung eines Stiegenhauses sowie diverser Zu- und Umbauten am bestehenden Bürogebäude auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück ***.
Dass das Bauvorhaben zum Zeitpunkt der Bewilligung tatsächlich bereits errichtet war, es sich somit um eine Bewilligung einer zuvor konsenslos erfolgten Bauausführung handelt, ändert daran nichts, stellt doch das Gesetz ausdrücklich auf die Erlassung des (letztinstanzlichen) Bescheides über die Baubewilligung ab und nicht etwa auf die faktische Bauausführung.
Als zweite Voraussetzung fordert § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014, dass entweder bei einer Grundabteilung ein Aufschließungsbeitrag bzw. eine Ergänzungsabgabe oder bei einer Bauplatzerklärung eine Aufschließungsabgabe vorgeschrieben wurde und dass bei der der damaligen Abgabenberechnung kein oder ein niedrigerer Bauklassenkoeffizient als jener, der der nunmehr höchstzulässigen Bauklasse oder Gebäudehöhe entspricht, angewendet wurde.
Für das verfahrensgegenständliche Grundstück wurde aus Anlass der Grundabteilung der beiden früheren Grundstücke *** und *** (vor deren Vereinigung zum verfahrensgegenständlichen Grundstück im Jahr 2009) mit Spruchteil II. einer kombinierten Erledigung („Bescheid und Abgabenbescheid“) vom 30. August 1989 ein Aufschließungsbeitrag vorgeschrieben. Der damaligen Abgabenberechnung zugrunde gelegt wurde ein Bauklassenkoeffizient von 1,00.
Gemäß § 38 Abs. 5 bzw. § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 ist nunmehr für das verfahrensgegenständliche Grundstück im Baulandbereich ohne Bebauungsplan ein Bauklassenkoeffizient von mindestens 1,25 anzuwenden. Da die bewilligte Gebäudehöhe von 14,0 m der Bauklasse IV entspricht (vgl. § 31 Abs. 2 NÖ Raumordnungsgesetz 2014), ist der nunmehr anzuwendende Bauklassenkoeffizient 1,75. Anlässlich der ursprünglichen Vorschreibung des Aufschließungsbeitrages wurde mit 1,00 ein niedrigerer Bauklassenkoeffizient angewendet.
Auch die zweite Tatbestandsvoraussetzung des § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 ist daher im gegenständlichen Fall erfüllt.
Da somit der Tatbestand einer Ergänzungsabgabe gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 zur Gänze erfüllt ist, besteht auch der Abgabenanspruch der Gemeinde bzw. die Abgabenschuld der Liegenschaftseigentümerin zu Recht.
Der Abgabenanspruch der Gemeinde bzw. die Abgabenschuld der Liegenschaftseigentümerin ist zufolge § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 mit der Erlassung des Baubewilligungsbescheides (Zustellung am 27. Februar 2018) erst entstanden.
Eine bescheidmäßige Festsetzung dieser Abgabe vor diesem Zeitpunkt wäre jedenfalls rechtswidrig gewesen und ist auch tatsächlich nicht erfolgt.
Die Beantragung einer Baubewilligung stellt für den Liegenschaftseigentümer eine „Bringschuld“ dar. Kommt der Liegenschaftseigentümer seiner gesetzlichen Verpflichtung eine Baubewilligung vor Bauausführung zu erwirken, auf deren Unkenntnis sich niemand berufen kann, nicht nach, so erscheint es auch sachlich gerechtfertigt, dass er daraus für ihn entstehende nachteilige Folgen zu tragen hat. Die pflichtwidrige Untätigkeit des Liegenschaftseigentümers wird bei ihm wohl kaum ein begründetes Vertrauen auf den Nichteintritt einer Abgabenschuld auslösen können, selbst wenn die durchgeführten Baumaßnahmen schon länger, allenfalls auch Jahrzehnte, zurück liegen sollten. Solche nachteiligen Folgen können sich natürlich daraus ergeben, dass die Abgabenschuld bis zur Erlassung des Baubewilligungsbescheides eben nicht entstehen kann. Ohne Abgabenschuld ist aber weder die bescheidmäßige Abgabenfestsetzung zulässig, noch kann die Verjährungsfrist zur Abgabenfestsetzung überhaupt zu laufen beginnen, geschweige denn ablaufen.
Da eine Baubewilligung für die konsenslos errichteten Um- und Zubauten bis Februar 2018 nicht vorlag, konnte bis dahin eine Abgabenschuld auch nicht entstehen.
Erst mit dem Baubewilligungsbescheid vom 22. Februar 2018 konnte erstmals eine Abgabenschuld für die Ergänzungsabgabe für die gegenständliche Liegenschaft bzw. ein Abgabenanspruch der Gemeinde auf diese Abgabe entstehen.
Der nunmehrigen Festsetzung einer Ergänzungsabgabe steht daher der Eintritt einer Festsetzungsverjährung nicht entgegen.
Für die Verwirklichung des Abgabentatbestandes kommt im gegenständlichen Fall nur die Baubewilligung vom 22. Februar 2018 in Betracht. Ein Abgabenanspruch der Gemeinde konnte daher nur nach der zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides geltenden Rechtslage entstehen.
Anders als in nach dem AVG (bzw. VwGVG) zu führenden Verfahren, bei welchen nach der ständigen Rechtsprechung – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Anordnungen – auch für die materiell-rechtliche Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist, führt im Abgabenverfahren der Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgabenregelungen dazu, dass die Anwendung einer neuen Rechtslage in Fällen, in denen der Abgabentatbestand bereits verwirklicht wurde, ausdrücklich anzuordnen wäre (vgl. VwGH 4.5.1977, 898/75, Slg. 9315 A/1977; 20.5.1988, 86/17/0178 uva).
Zufolge des Grundsatzes der Zeitbezogenheit von Abgaben (VwGH 22.05.1975, 0174/75; 12.11.1981, 3706/80; uva.) sind für die Vorschreibung einer Abgabe die im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches vorliegenden Verhältnisse maßgebend, das heißt die Sach- und Rechtslage in diesem Zeitpunkt.
Es liegt also einer jener Fälle vor, deren der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4.5.1977, 898/75, Slg 9315 A/1977, gedacht hat, wenn er ausführte, eine "andere Betrachtungsweise" (nämlich eine andere als das Abstellen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung) werde "auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war". Der sogenannte Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgaben stellt eine solche aus der Systematik der Abgabengesetze gewonnene rechtliche Regel dar. Es ist jene Rechtslage maßgebend, unter deren zeitlicher Geltung der Abgabentatbestand verwirklicht wurde bzw. der Abgabenanspruch entstanden ist.
Nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgaben ist auch im gegenständlichen Fall die im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches im Februar 2018 geltende Rechtslage, hier also jene nach der NÖ Bauordnung 2014 idF LGBl. Nr. 12/2018 heranzuziehen (alle Zitate der NÖ Bauordnung 2014 in dieser Entscheidung beziehen sich auf diese Fassung). Ebenso ist die im Februar 2018 geltende Verordnung vom 30. März 2015 über die Festsetzung des Einheitssatzes maßgeblich.
Die Richtigkeit der der Vorschreibung zu Grunde gelegten Bemessungsgrundlagen ist nicht weiter zweifelhaft.
Zur Berechnung dieser Ergänzungsabgabe ist vom nunmehr (zum Zeitpunkt der Baubewilligung der Um- und Zubauten) anzuwendenden Bauklassenkoeffizient 1,75 der bei der Vorschreibung der Aufschließungsabgabe angewendete Bauklassenkoeffizient 1,00 abzuziehen. Die Differenz von 0,75 ist mit der Berechnungslänge des Grundstückes und dem nunmehrigen Einheitssatz zu multiplizieren.
Die Berechnungslänge ergibt sich aus der Wurzel der Bauplatzfläche von 8646 m² mit 92,98386957. Der Einheitssatz wurde vom Gemeinderat der Marktgemeinde *** mit Verordnung vom 30. März 2015 mit € 450,- festgesetzt.
EA = (BKK neu – BKK alt) x BL x ES neu
EA= 0,75 x 92,98386957 x 450 = € 31.382,06
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt 2 – Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Finanzrecht; Ergänzungsabgabe; Abgabenschuld; Verjährungsfrist; Zeitbezogenheit;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.700.001.2018Zuletzt aktualisiert am
22.01.2019